Antifa Cafe – 16.April,2020 - Online Stream Coronationalismus? Kritik des Nationalismus in Zeiten der Krise. Input und Gespräch mit Thorsten Mense.

veröffentlicht am 13. April 2020

In Krisenzeiten wird die Nation als rettende Gemeinschaft verstärkt angerufen. Sie soll Schutz bieten und verspricht soziale und politische Teilhabe, stets jedoch verbunden mit dem Ausschluss vermeintlich Anderer.

Und auch das Wort der „Solidarität“ ist in aller Munde, doch in vielen Fällen in Verbindung mit nationalen Gemeinschaftsvorstellungen.
Denn wer wird adressiert, wenn von „Solidarität“ gesprochen wird? Um wen geht es, wenn sich Österreichs Kanzler, Sebastian Kurz, in seinen Ansprachen an die „Österreicherinnen und Österreicher“ richtet oder wenn die Polizei „I am from Austria“-spielend durch die Gassen fährt?
Marginalisierte Gruppen werden aus dieser nationalen Solidarität ausgeschlossen, das zeigt sich am deutlichsten an der Situation in den griechischen Lagern, in den Geflüchtete festgehalten werden. Das von vielen Seiten bemühte „Wir sitzen alle in einem Boot“ macht Klassen- und Herrschaftsverhältnisse unsichtbar und verschleiert, dass die Menschen ganz unterschiedlich von den aktuellen Auswirkungen der Krise betroffen sind. Doch Nationalismus wird in Krisenzeiten auch subjektiv nachgefragt: Die Nation erscheint als sicherer Hafen, als wärmende Gemeinschaft trotz der Vereinzelung.

Die Anrufung des Staates, dem man jetzt durch sein Krisenmanagement zu Dank verpflichtet sei und dessen Maßnahmen man widerspruchslos zu verfolgen hat, ist auch eine Form der Herrschaftslegitimation. Das korrespondiert mit den „Verantwortungsuntertanen“ (Richard Schuberth) des #TeamÖsterreich und der
bereitwilligen Akzeptanz von einschneidenden Maßnahmen, die teilweise ohne demokratische Abwägung und sichtbare Opposition durchgewunken werden. Es herrscht nationaler Schulterschluss. Der Stress des Home-Office und das #staythefuckhome in dessen aggressivem Gestus die damit verbundenen Entbehrungen und Disziplinierungen schon mitschwingen, rotiert als autoritäres
Ressentiment nach Außen. Moralisierung und Individualisierung der Corona-Krise sind jene Formen der aktuellen Krisenverarbeitung, die für die Misere das „egoistische“ Handeln Einzelner verantwortlich machen, und nicht etwa ein kaputtgespartes Gesundheitssystem, das nicht einmal dazu in der Lage ist, für ausreichend Kapazitäten und erträgliche Arbeitsbedingungen zu sorgen. Denunziationen von im Park spielenden Kindern nehmen exorbitante Ausmaße an. Die Polizei maßregelt gerne alljene, die nicht das Glück haben, sich im Garten des Einfamilienhauses die Zeit totzuschlagen. Generell wird das Zuhause, ähnlich wie die Vorstellungen von "Heimat", in einem idyllischen und harmonischen Bild gezeichnet, die inhärenten patriarchalen Gewaltverhältnisse bleiben dabei ausgeblendet.

Wir wollen gemeinsam mit Thorsten Mense diskutieren, woher das Bedürfnis
nationaler Identität kommt und wie es sich in der aktuellen Corona-Krise artikuliert. Nationalismus ist immer mehr als ein Konstrukt oder eine Ideologie, sondern eine „reale Fiktion“ mit entscheidenden materiellen Auswirkungen. Welche Funktionen erfüllt Nationalismus und wie hat er sich geschichtlich herausgebildet? Welche Auswirkungen hat die aktuelle Situation auch für supranationale Institutionen wie die EU, wenn die Grenzen nicht nur an den Rändern, sondern auch im Inneren wieder hochgezogen werden und wenn Hilfsleistungen für Italien nicht nur ausgeblieben sind, sondern teilweise aktiv von andern EU-Staaten sabotiert wurden? Droht ein Rückfall in nationalistische Kleinstaaterei und das Ende des vermeintlich liberalen Europaprojekts? Und schließlich, was bedeutet das alles für eine radikale Linke und soziale Kämpfe, die sich gegen das Abwälzen der ökonomischen und gesellschaftlichen
Krisenfolgen auf den Rücken der Lohnabhängigen positionieren? Wird aus
dem Corona-Nationalismus auch ein „Gürtel-enger-schnallen“-Diktat in der
sich abzeichnenden globalen Wirtschaftskrise, wo das Team Österreich für
die Rettung des nationalen Wirtschaftsstandorts zusammenzustehen hat und
unterschiedliche Interessen dem großen Ganzen unterzuordnen sind? Oder
kann es mit einer grenzübergreifenden Solidarität von Unten gelingen,
emanzipatorische Perspektiven zu entwickeln, die der nationalen Vergemeinschaftung durch Staat und Kapital entgegensetzt werden können?

Thorsten Mense ist Soziologe, freier Autor und Journalist und schreibt unter anderem für die Jungle World und das Magazin Konkret. 2016 ist im Schmetterling Verlag sein Buch "Kritik des Nationalismus" erschienen.

+++ Der Link zum Online-Stream wird am Donnerstag auf dem Social Media Kanal der Autonomen Antifa Wien geteilt+++

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