Ein paar Gedanken zu widerständiger Landwirtschaft

veröffentlicht am 29. Dezember 2019

Es ist nichts neues, dass Leute aus der „radikalen“ Linken sich in ländlichen Gebieten zusammenfinden und mit klein-bäuerlichen Lebensformen experimentieren. Sei es nun in für sich selbstversorgende Landkommunen, für SoLawi’s und klein-bäuerliche Landwirtschaft oder all die Projekte dazwischen und darüber hinaus. Wir wollen uns in diesem Beitrag mit zwei Gedanken beschäftigen, die sich uns spätestens dann stellen, wenn wir mit bäuerlichen Lebensformen auf kapitalistische Warenproduktion treffen. Oder anders gesagt, wenn wir mit Landwirtschaft einen kollektiven Lebensunterhalt erwirtschaften wollen und/oder müssen.

Bio ist auch nur ein anderes Wort für deine Scheisse interessiert mich nicht [1]

Sich als ökologischer Landwirtschaftsbetrieb zertifizieren zu lassen kann verschiedenste Gründe haben, staatliche Beiträge oder bessere Absatzmöglichkeiten für die eigenen Produkte gehören vermutlich aber zu den wichtigsten. Obwohl wir uns der ökonomischen Bedeutung der diverses Bio-Labels auch für widerständige Landwirtschaftsprojekte bewusst sind, halten wir das Ganze aus Sicht einer linksradikal positionierten und regenerativen Landwirtschaft für hoch problematisch. Bio-Labels sind für uns keine Antwort auf die Frage, wie landwirtschaftliche Praktiken aussehen könnten, die Potential fördernd und regenerativ. [2] Uns beschäftigt aber eine andere Frage, die unabhängig von der Diskussion um Labelnutzung steht und zwar die Frage, für wen wir eigentlich produzieren.
Ökologische Landwirtschaft ist eine Nischenproduktion, soll heissen die Produkte aus einer ökologischen Landwirtschaft richten sich an eine spezifische Nische innerhalb des kapitalistischen Nahrungsmittelmarktes und sollen nicht allgemein zugänglich sein. Diese eingeschränkte Zugänglichkeit ist ein Grund für die höheren Preise bei Bio-Lebensmitteln. [3] Ein anderer Grund ist der ökonomische Mehraufwand, den Bäuer*innen haben, wenn sie auf synthetische Dünger und Giftkeulen verzichten. Dieser Mehraufwand wird, je nach Land, durch staatliche Beiträge teilkompensiert. Jedoch können mit diesem Mehraufwand nicht die teils massiven Margen erklärt werden, die Supermarktketten und Grossverteiler bei Bio-Lebensmitteln einstreichen, denn denn von diesem Geld sehen die Bäuer*innen herzlich wenig.
Also noch einmal, ökologische Landwirtschaft ist eine Nischenproduktion. Aber was macht diese Nische aus? Der Konsum ökologisch produzierter Lebensmittel ist ein Teil der Selbstdefinition eines urbanen Mittelstandes. Neben anderer, individuell-angepasster Konsumverhaltensweisen wird so ein Selbstverständnis gepflegt, dass sich selbst als Teil der Lösung für Klima- und andere Umweltkatastrophen sieht. Dieses Selbstverständnis stellt aber auch eine Form von Klassismus dar, in dem die angebliche ökologische Ignoranz der Proletarier*innen der eigenen ökologisch-ethischen Überlegenheit gegenübergestellt wird. Der Konsum von billig produzierten Lebensmitteln aus der konventionellen Landwirtschaft wird so als ein individuelles Fehlverhalten stigmatisiert und aus der materiellen Realität proletarisierter und prekarisierter Menschen herausgelöst verurteilt.
Ökologische Landwirtschaft wird für die Konsument*innen zu einer romantisierten Idealvorstellung von Landwirtschaft stilisiert, in der Bäuer*innen glücklichen Tieren und gesunden Pflanzen begegnen und mit dem Land, das sie bewirtschaften, tief verbunden sind. Das die Realität im kapitalistischen Konkurrenzdruck für Bio-Bäuer*innen eine andere ist, sei mal dahingestellt. Der Punkt ist, Bio ist ein Verkaufsargument, eine bestimmte Qualität der Ware, die ein bestimmtes Kund*innensegment ansprechen soll. Dadurch wird der sinnvolle Grundgedanke, Nahrungsmittel herzustellen und zu verwenden, deren Produktion weniger destruktiv und unter weniger ausbeuterischen Machtverhältnissen geschieht, selbst wieder kommodifiziert.
Wir haben vorhin behauptet, dass der ökonomische Mehraufwand der Bäuer*innen entsteht, wenn sie ökologische Landwirtschaft betreiben, sei nur bedingt eine Rechtfertigung für die höheren Preise von Bio-Lebensmitteln. Für uns ist die Aussage eine Art provokativer Selbstkritik. Es ist uns völlig bewusst, dass innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise die Konkurrenz durch industrielle Grossproduktion und konventionelle Anbaumethoden extrem gross ist für Öko-Bäuer*innen. Die staatliche Förderung sieht je nachdem in welchem Land wir sind, sehr unterschiedlich aus. Nicht alle von uns haben Bock darauf, sich den Reglementierungen zu unterwerfen, die mit staatlicher Förderung einhergehen und nicht alle von uns haben überhaupt Anspruch darauf. Wir sollten uns aber bewusst sein, dass wir momentan vom Nischendasein der ökologischen Landwirtschaft ökonomisch abhängig sind.
Wenn wir uns Gedanken machen wollen, wie Praktiken der Nahrungsmittelproduktion aussehen könnten, die regenerativ sind, die Widerständigkeit und Widerstandsfähigkeit fördern, dann müssen wir über Wege diskutieren, wie solche Nahrungsmittel zugänglich gemacht werden können. Das dies innerhalb kapitalistischer Warenproduktion schwierig sein kann und mit Widersprüchen behaftet sein wird, sollte uns nicht davon abhalten, diese Diskussionen zu führen. Wir haben momentan keine konkreten Antworten, wir würden uns aber über eine Verbreiterung der Diskussionen freuen. Auch wenn unsere Ideen nichts neues sind, so denken wir doch, dass eine stärkere soziale Einbindung der Nahrungsmittelproduktion sehr wichtig ist. Das heisst für uns zum Beispiel, dass wir durch dezentralisiertes Umgehen der kapitalistischen Warenverteilung, durch Marktstände und eigene Verteilnetzwerke direktere Begegnungen mit Menschen haben können, die nicht direkt mit Nahrungsmittelproduktion vertraut sind. Auch denken wir, dass widerständige Landwirtschaftsprojekte positionierten sollten und sich auch materiell mit anderen revolutionären Kämpfen solidarisch zeigen sollten. Konkret kann das heissen, dass wir „sichere“ Rückzugsorte zur Verfügung stellen oder dass wir Kampagnen, Veranstaltungen oder Orten des Widerstands Nahrungsmittel zur Verfügung stellen. Grundsätzlich glauben wir, dass eine Verortung unserer klein-bäuerlichen Lebensformen innerhalb revolutionärer Kämpfe zu einer Verstärkten Solidarität und Auseinandersetzung mit unseren Lebensformen führen kann und wir dadurch auch unsere Produkte verbreitert zugänglich machen können.

Über die Warenwerdung des Gemeinschaftsgefühls

Einige von uns waren und sind in Projekten beteiligt, die unterm dem doch sehr breiten Begriff der solidarischen Landwirtschaft laufen. Durch eine lokale, selbstorganisierte Vertragslandwirtschaft die Nahrungsmittelproduzent*innen finanziell abzusichern und die Vermarktungsketten teilweise zu umgehen, ist unserer Meinung nach eine sinnvolle Praxis. SoLawi’s ermöglichen uns Nahrungsmittelproduzent*innen eine gewisse ökonomische Unabhängigkeit von Grossverteilern und reduzieren den Konkurrenzdruck gerade für kleinbäuerliche Landwirtschaft. Mit der Verbreitung von solidarischen Landwirtschaftskonzepten steigt für uns aber auch die Gefahr, dass SoLawi zu einem reinen Businessmodell wird. Wenn wir Solidarität professionell als Gemeinschaftsgefühl für eine radikal individualisierte Gesellschaft vermarkten, reduzieren wir die Selbstorganisation der Vernetzung wieder auf ein Produzent*innen-Konsument*innen-Verhältnis. Gerade aber durch die Möglichkeiten einer selbstorganisierten Vernetzung können SoLawi’s weit mehr sein, als ein ökonomisches Modell. Die autonome Kollektivierung von Nahrungsmittelproduktion und -verteilung ist eine wichtige Möglichkeit, um klein-bäuerliche Lebensformen sozial und politisch in revolutionären Kämpfen zu verankern. Die direkte und praktische Begegnung von klein-bäuerlichen und nicht-bäuerlichen Lebensformen kann anstrengend sein und bedeutet für uns Bäuer*innen oft einen Mehraufwand. Gerade diese Begegnungen helfen uns aber, die Diskussionen über die Bedeutung der Nahrungsmittelproduktion für revolutionäre Experimente zu verbreitern. Sie können uns auch helfen, regenerative und widerständige landwirtschaftliche Praktiken zugänglicher zu machen und zu deren Verbreitung beitragen.
Für uns heisst das, dass sich widerständige, solidarische Landwirtschaftsprojekte offen positionieren sollten, selbst wenn das heisst, dass wir dadurch einen Teil unserer Kundschaft abschrecken könnten. Wir müssen aber auch bereit sein, sich unbequemen Diskussionen zu stellen und sich Konfrontationen zu stellen. Selbstorganisierte Vernetzung kann dann mehr bedeuten, als Produkte abzusetzen, seien es Nahrungsmittel oder Solidarität.

P.S.
commune_sauvage@riseup.net

[1] danke Göldin
[2] Wir haben nicht die Kapazität, um hier eine vertiefte Kritik an Bio-Labels und der staatlichen Konzeption von ökologischer Landwirtschaft im europäsichen Kontext zu liefern. Es liegt uns fern, Genoss*innen dafür zu verurteielen, wenn sie ihre landwirtschaftlichen Projekte zertifizieren lassen, jedoch glauben wir, dass ein kritischer Umgang mit diesen Überlebenshilfen in der kapitalistischen Warenproduktion wichtig ist.
[3] Uns ist klar, dass wir hier eine extrem vereinfachte Darstellung machen. Uns geht es in diesem Moment um die Bedeutung der Nischenhaftigkeit von ökologischer Landwirtschaft und nicht um eine vertiefte Analyse der Preisbildung bei (Bio-)Lebensmitteln.

gefunden: https://barrikade.info

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