FLZ und Bäckerei: Ausflüge ins irrationale Abseits

veröffentlicht am 14. Februar 2020

Engelwesen, LichtarbeiterInnen, Energieströme, Handauflegen – das FrauenLesbenZentrum Innsbruck und das Kulturzentrum Bäckerei zeigen sich in ihrem aktuellen Veranstaltungsprogramm überraschend offen für esoterischen Humbug.

Esoterik ist ein Trend der Zeit: Ausgehend von den USA sind „Spiritualität“, „Heilen“ und „alternative Medizin“ mittlerweile auch im deutschsprachigen Raum zu einem Massenphänomen geworden. Und zu einem Massenmarkt, wie der Tiroler Autor Johannes Fischler (New cAge. Esoterik 2.0, 2013) in einem Standard-Interview-anmerkt: „In Deutschland setzt die Esoterikindustrie geschätzte 20 bis 25 Milliarden Euro pro Jahr um. Zum Vergleich: Die Bierindustrie in Deutschland macht jährlich einen Umsatz von neun Milliarden.“

Auch in Tirol gehört esoterisches Treiben inzwischen zum Alltag: An Tiroler Grundschulen fließt Grander-Wasser, jährlich wird zur Happiness-Messe „für Gesundheit, Esoterik und Heilung“ in die Innsbrucker Messehallen geladen und das „Haus der Geschenke“ in Hall in Tirol erfüllt fast jedes kaufkräftige Bedürfnis nach Alternativen zu Wissenschaft, Medizin und Rationalität.

Die Gründe für diesen Eso-Boom sind vielfältig. Gewiss kann er als Krisenphänomen gesehen werden - etabliertet Denkmuster und Deutungsangebote, wie sie die traditionellen Religionen bieten, erodieren und eröffnen den Raum für neue AkteurInnen. Andererseits fügt sich Esoterik nahtlos in die kapitalistischen Verhältnisse ein, wie Maria Wölflingseder betont: Zum Einen durch das esoterische Paradigma, dass jede*r für ihr*sein eigenes Glück und Leid verantwortlich ist; zum Anderen durch den Konsum- und Geschäftsaspekt - „Esoterik ist neben einer bestimmten Weltanschauung vor allem ein Konsumartikel.“, so Wölflingseder-

Dass auch an sich progressive Institutionen gegen den esoterischen Zeitgeist nicht immun sind zeigen zwei Beispiele aus den aktuellen Veranstaltungsprogrammen des Autonomen FrauenLesbenZentrums Innsbruck und der Kulturbackstube Bäckerei.

Im FLZ findet seit Dezember 2019 die Veranstaltungsreihe „Spiritualität wozu und wie?“ mit Sylvia Steiner statt. Im Ankündigungstext heißt es vielsagend: „Wir hören von Engelwesen, LichtarbeiterInnen, dunklen Mächten, weisen Mächten, universelle Energien, Gott usw. ist das so? Warum reden wir nicht darüber und teilen unsere Erfahrungen? Dafür möchte ich gerne den Raum öffnen.“ Die Teilnehmer*innen erwarten „spannende Wege und Einsichten von Spiritualität mit einer kurzen Meditation“, mitzubringen sei lediglich „Offenheit für die eigene Spiritualität und die der Anderen“. Eine kritische Auseinandersetzung mit diesen „Phänomenen“ dürfte es wohl kaum geben.

Und auch die Bäckerei begibt sich mit der seit Ende Januar angelaufenen Veranstaltungsreihe „Get to know Jin Shin Jyutsu“ auf irrationale Abwege. Zwei „Praktikerinnen“ stellen die Methode des „Strömens“ vor, eine „uns allen angeborene Harmonisierungskunst“, bei der durch das Auflegen der Hände „wie Starthilfekabel“ die „Energiebahnen“ wieder „in den Fluss kommen“ und sich dadurch „unsere Vitalkräfte erhöhen“ sollen. Zudem gibt‘s „ein paar Selbsthilfegriffe für die Aktivierung der Selbstheilungskräfte“. Das Konzept, das auf den Japaner Jiro Murai zurückgeht, arbeitet mit 26 „Sicherheits-Energieschlösser“, die den Energiefluss im Körper regeln sollen. Durch das Handauflegen in bestimmter Kombination soll eine Harmonisierung erreicht werden, worunter nicht nur Stressabbau und Entspannung gemeint ist, sondern auch die körperliche Selbstheilung. Was wie eine nette Spinnerei klingt erscheint in einem anderen Licht, wenn bedacht wird, dass Jin Shin Jyutsu auch bei Krebserkrankungen angewendet wird. Im Forum Naturheilkunde etwa heißt es: „Ursache von Krankheit ist eine Blockierung von Lebensenergie. Diese Disharmonien werden im Jin Shin Jyutsu Etiketten genannt. Große Etiketten wie Krebs oder Herzleiden zeigen nur, dass es große Mengen von gestauter Energie gibt.“ Handauflegen gegen Krebs – das mag vielleicht kein Szene-Konsens sein, es zeigt jedoch, wie schnell es gefährlich werden kann, wenn das Fundament von Rationalität und Überprüfbarkeit verlassen wird.

Mehrere Veranstaltungen zur „Spiritualität“ im FLZ haben bereits stattgefunden, geplant sind Treffen an jedem 2. Donnerstag im Monat. In der Bäckerei gibt es die Handauflegerei an jedem Mittwoch. Dabei wäre den beiden Einrichtungen eine andere Art der Handauflegung zu empfehlen – nämlich jene auf den Stopp-Schalter, der den geöffneten Raum für esoterischen Humbug schnell wieder schließt.

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