Gedanken zu „Das Bröckeln vor dem Fall Teil 1: Zerstörung“

Mx. Ronja Ziesels Übersetzung eines Textes der BAR (Black Anarchic Radical) ominira onija mars.
Am 1. Dezember 2021 habe ich Grafiken auf meinem Patreon gepostet, die als Einführung in die Serie „Das Bröckeln vor dem Fall“ dienen. Beim ersten Teil stand Zerstörung im Vordergrund. In diesen Grafiken habe ich Illustrationen genutzt, um den Gegensatz von Zerstörung und Kreation in Frage zu stellen. Als Todes- und „Dunkel“arbeiter:in hatte ich jeher eine intime Beziehung mit Zerstörung. Seit früher Kindheit habe ich Zerstörung und Verwesung als natürliche Phänomene verstanden, die eng mit Kreation und Erneuerung verbunden sind. Ich habe durch mein eigenes Interesse und meine Besessenheit mit Fungi und Pilzen verstanden, dass Zerstörung und Verwesung notwendig für Fortschritt und Wachstum sind; dass Zerstörung kein stillstehendes und einzigartiges Phänomen ist.
Bevor wir weitermachen, schauen wir uns die betreffenden Grafiken nochmal an:

Bildbeschreibung: Weißer Text auf schwarzem Hintergrund: „Zerstörung und Kreation sind nicht gegensätzlich zueinander; die beiden Phänomene stehen einander nicht auf einem Spektrum gegenüber. Zerstörung ist nicht grundsätzlich „schlecht“ und Kreation ist nicht grundsätzlich „gut“. Beide existieren als natürliche und neutrale Phänomene (bis sie durch bestimmte Mächte für unterdrückende Zwecke benutzt werden).“
Darunter ist eine Linie, die an beiden Enden kleine vertikale End-Linien hat; sie stellt ein Spektrum dar. An den Enden stehen „Zerstörung“ und „Kreation“. Bildbeschreibung Ende

Bildbeschreibung: Weißer Text auf schwarzem Hintergrund: „Reform ist nicht grundsätzlich „besser“ als Zerstörung. Bezüglich Abolitionismus (Anm. d. Ü.: die Bewegung zur Abschaffung politischer Unterdrückung, in diesem Fall die Abschaffung von Gefängnissen, Polizei und damit verbundenen Systemen) verlangt sie meist nicht von uns, uns neue Welten/Rahmenbedingungen vorzustellen, sondern uns damit zu beschäftigen, was eine neue Welt uns kosten wird. Politische Reform war geschichtlich mit dem Verlust von Komfort in unseren neuen Realitäten / Lebensweisen sowie mit der Konfrontation von Macht beschäftigt. Daher gehört zu Reform meist langsame und schrittweise Veränderung – durch Reform wird nichts „zerstört“ oder „kreiert“.“
Darunter ist eine Linie, die an beiden Enden kleine vertikale End-Linien hat; sie stellt ein Spektrum dar. An den Enden stehen „Zerstörung“ und „Kreation“. Mittig unter diesen beiden Begriffen steht „Reform“; von jedem der beiden Begriffe geht ein weißer Pfeil auf „Reform“ aus. Bildbeschreibung Ende

Bildbeschreibung: Weißer Text auf schwarzem Hintergrund: „Veränderung existiert nicht als Dichotomie (Anm. d. Ü.: zwei einander gegenübergestellte Konzepte, die einander ausschließen und nicht auf einem Spektrum liegen, wie „tot / lebendig“). Octavia Butler erinnert uns daran, dass Veränderung eine andauernde und [konstante] Wahrheit ist. Verlust ist genauso natürlich und neutral wie Veränderung. Die Besessenheit mit sozialer/politischer Reform kommt von dem Wunsch zu „kontrollieren“, wie Veränderung aussieht und wie/wann sie passiert. Diejenigen, die sich für Reform entscheiden, wollen [oder sind dazu gezwungen] sich auf Verhandlungen mit Macht einzulassen. Veränderung fügt sich Macht, aber Macht fügt sich nicht immer Veränderung.“
Darunter ist eine Linie, die an beiden Enden kleine vertikale End-Linien hat; sie stellt ein Spektrum dar. An den Enden stehen „Zerstörung“ und „Kreation“. Mittig unter diesen beiden Begriffen steht „Reform“; von jedem der beiden Begriffe geht ein weißer Pfeil auf „Reform“ aus. Ein großes rotes Kreuz streicht die Grafik und drei Worte durch. Bildbeschreibung Ende

Bildbeschreibung: Weißer Text auf schwarzem Hintergrund: „Zerstörung und Kreation passieren beide gleichzeitig, als Prozess, in dem eines eng mit dem anderen verbunden ist. Der kreative Prozess ist dem Zerstörungsprozess nicht überlegen, beide sind zyklisch und beide können produktiv oder unproduktiv sein. Der kreative Prozess kann zu unproduktiver Zerstörung und der Zerstörungsprozess zu produktiver Kreation und umgekehrt führen.“
Fettgedruckter roter Text: „Abolitionismus benötigt beides.“
Zwei goldgelbe Spiralen, die sich jeweils in die andere Richtung einrollen. Zwischen ihnen stehen die Begriffe „Zerstörung“ und „Kreation“, die leicht versetzt mit einem weißen, in beide Richtungen zeigenden Pfeil gedruckt sind. Es ergibt sich das Bild, dass die Spiralen über die Begriffe und den Pfeil ineinander fließen. Bildbeschreibung Ende

Bildbeschreibung: Weißer Text auf schwarzem Hintergrund: „Es existiert allerdings ein Stigma in sogenannten Abolitionismus-Kreisen, das die Ideologien von Zerstörung und diejenigen, deren Fähigkeiten dem Prozess produktiver Zerstörung dienen, betrifft. Stets wird denjenigen, die sich als „Zerstörer:innen“ definieren, Scham aufgedrückt. Diese Menschen werden oft gefragt: „was tust du, um aufzubauen?“ als ob Zerstörung nicht eng mit Kreation verbunden ist und als ob sie keine produktive Kreation als praktiziertes, grundsatzgeleitetes Phänomen erschaffen kann.“
Zwei goldgelbe Spiralen, die sich jeweils in die andere Richtung einrollen. Zwischen ihnen stehen die Begriffe „Zerstörung“ und „Kreation“, die leicht versetzt mit einem weißen, in beide Richtungen zeigenden Pfeil gedruckt sind. Es ergibt sich das Bild, dass die Spiralen über die Begriffe und den Pfeil ineinander fließen. Bildbeschreibung Ende

Bildbeschreibung: Weißer Text auf schwarzem Hintergrund: „Die Angst vor Zerstörung mag der Angst, Macht zu konfrontieren oder der Voreingenommenheit mit dem Komfort unserer jetzigen Realität und dem Willen, es „auszuhalten“, zuzuschreiben sein, doch wir brauchen diejenigen, deren revolutionäre Fähigkeiten einen Zerstörungsprozess voranbringen können. Was wir tun müssen, ist diesen Prozess und diejenigen, die ihm dienen, nicht zu reglementieren. Wir können uns nicht mehr nach staatlich sanktionierten Vorstellungen richten, was Zerstörung im Rahmen von abolitionistischer Bewegungen beinhalten sollte. Staatlich sanktionierte Moral hat keinen Platz in unseren Freiheitsbewegungen.“
Fettgedruckter roter Text: „Unsere revolutionären Anstrengungen verdienen kreative und produktive Zerstörer:innen.“
Quelle/Referenz: https://www.saybrook.edu/unbound/creation-through-destruction/
Im Hintergrund des Bildes sind drei in- bzw. aneinanderliegende goldgelbe Spiralen zu sehen. Sie bilden eine Art Triskelsymbol. Bildbeschreibung Ende
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Wir befinden uns in einer Apokalypse; unsere Selbstbestimmung und Autonomie verschwinden nicht langsam, sie werden uns von den Machthabenden weggenommen, sowohl auf System- als auch auf Kommunalebene. Unser Wille, aufzubauen und zu schaffen überschattet unser Recht auf notwendige, grundsatzgeleitete Gewalt und produktive Zerstörung. Wie Walter Rodney gesagt hat, „Gewalt mit dem Ziel der Wiederherstellung von Menschenwürde und Gleichberechtigung darf nicht nach demselben Maßstab wie Gewalt mit dem Ziel der Aufrechterhaltung von Diskriminierung und Unterdrückung bewertet werden.“ Wir können unsere Reaktion auf Unterdrückung und Unterwerfung nicht zügeln, solange diese Reaktion nicht staatlich sanktioniert und unterstützt ist. Als kolonialisierte und/oder unterdrückte Menschen werden wir strategisch unter dem Schutt eines Imperiums, das über uns zusammenbricht, gefangen gehalten. Und wenn es zusammengebrochen ist, werden wir nicht mit schwarzer Flagge auf dem Schutthaufen stehen; wir werden ohne ein Lebenszeichen darunter zerdrückt sein, wenn wir unseren Kampf weiterführen, ohne Militanz, bewaffneten Widerstand und Geheimhaltungsarbeit mit einzubringen. Es ist essenziell, dass unsere öffentlichen und Untergrund-Netzwerke nicht „austauschbar“, sondern eng miteinander verbunden sind, so wie Zerstörung und Kreation. Eine geschätzte Kameradin von mir, Bl3ss, erinnert uns daran, uns „wie Mykorrhizen [1] zu bewegen“:
„Jede Bewegung braucht sowohl öffentliche Tätigkeiten als auch solche, die sich im Untergrund abspielen. Geschichtlich hat die gleiche Einheit und/oder die gleiche Einzelperson sowohl öffentliche als auch Untergrund-Tätigkeiten erfüllt. Aber wir folgen dem Rat von Assata Shakur und regen an, dass dieselbe Einzelperson oder Einheit, besonders wenn sie sich in einem Netzwerk befinden, radikale öffentliche und Untergrundarbeit in ihrer Konstellation von Aktivitäten nicht mischen. Die beiden zu vermischen ist ein großes Sicherheitsrisiko für alle.“ – Afrofuturistische Abolitionisten der Amerikas
Für mich ist Untergrundarbeit militante, geheime und/oder bewaffnete Verteidigungsarbeit, während öffentliche Arbeit politische Bildung, Neuverteilung von Ressourcen und Schutz und/oder Verteidigung in den Vordergrund stellen sollte. Beide sollten Versorgungsarbeit priorisieren, aber besonders öffentliche Anstrengungen und Organisationen:
„Bei Untergrundoperationen ist eine Menge Geheimhaltung, Informationssicherheit, und Anonymisierung der Involvierten beinhaltet. Die Aktivitäten sind mit hoher Wahrscheinlichkeit Dinge, die verstärkte Unterdrückung und Überwachung zur Folge haben – wie militante und eskalierte Aktionen, die entweder illegal sind oder von der Regierung so hingedreht werden. Untergrundoperationen sind meist von verborgenen Einheiten geleitet worden, die die Verteidigung der Gemeinschaft (und/oder Verteidigungstraining) als ihre Rolle annehmen und die sogar dabei helfen mögen, revolutionäre Aktionen zu finanzieren. Öffentliche Operationen sind meist von nicht-diskreten Personen oder Gemeinschaften geleitet worden, die Bildung, Interessenvertretung, gegenseitige Hilfe und Gemeinschaftsbildung als ihre Rolle annehmen.“ – Afrofuturistische Abolitionisten der Amerikas
Ich hoffe, dass wir militantes Organisieren / Untergrundarbeit und öffentliche Arbeit von einer Perspektive angehen können, die sowohl weniger gegensätzlich als auch umfassender und komplexer ist. Ich hoffe, dass wir keine Angst haben werden, grundsatzgeleitete Gewalt und produktive Zerstörung zu priorisieren – wir brauchen sie JETZT. Die Revolution ist JETZT.
-omi
[1] Anm. d. Ü.: eine Art Pilz/Fungus
Englischer Originaltext hier.