Gegenüber anderen so einladend und selbst nirgends willkommen – Ein Blick in das alltägliche Leben einer Gruppe von Menschen auf der Flucht

veröffentlicht am 21. Dezember 2020

Viele Menschen auf der Flucht, die in Bihać blockiert sind, haben keinen Ort, wo sie wohnen können und besetzen deshalb Ruinen oder kleine Schuppen, wie diesen hier.

„Einige hundert Meter von der Besetzung entfernt sah ich ein paar Männer neben einem kleinen Feuer kauern. Ich ging zu ihnen hin und sie luden mich sofort ein, mich zu ihnen zu setzen. Einer bereitete einen „Stuhl“ für mich vor, mit irgendeinem runden Müll-Ding, das sie hier gefunden hatten, und legte mit viel liebevoller Mühe so etwas wie einen Lappen darüber. Sie waren gerade mit dem Kochen fertig und luden mich in ihren kleinen Schuppen ein, den sie für einige Zeit von einem „netten muslimischen Mann“ nutzen konnten. „Iss, iss!“, sagten sie mir und reichten mir etwas von dem Brot, welches sie in einer Pfanne auf dem Feuer zubereitet hatten. Auf dem Boden des Schuppens hatten sie einen alten Teppich ausgebreitet, den sie ebenfalls irgendwo gefunden hatten. Bevor sie den Schuppen betraten, zogen sie alle ihre Schuhe aus, um den Teppich nicht schmutzig zu machen, und nach dem Essen reinigten sie den Teppich von den Brotkrümeln. An diesem Tag lachten die meisten von ihnen viel und scherzten mit den anderen. Wenn einer von ihnen kein Englisch sprach oder verstand, übersetzten sie für ihn. Und sie brachten mir einige grundlegende Paschtu-Wörter bei. Viele Fragen über die Schweiz interessierten sie: Wie das Wetter dort sei, was Migrant*innen dort arbeiten würden, wie ich selbst lebe, mit wem ich lebe… Ein Mann in der Runde mit traurigem Blick sprach nichts. Er sass da, in eine Decke eingewickelt, dicht bei den beiden Männern neben ihm, damit er etwas Wärme erhielt. Die meisten der Männer hatten nur Turnschuhe an, während draußen Schnee lag. Einige hatten eine Decke um sich geschlungen.

Sie machten Witze über ein Casino und wie sie dort reich werden würden. Ich habe ihre Running Gags nicht verstanden. Später sagten sie mir, ich solle mit ihnen kommen: „Wir gehen ins Casino. Komm, komm, wir zeigen es dir.“ Also ging ich mit ihnen und erfuhr, dass „das Casino“ eine kleine Bar war, in welcher Menschen ihr Glück mit Wettspielen versuchen konnten. Für Menschen auf der Flucht war es ein Ort, an dem es warm war und wo sie sich ohne Konsumzwang aufhalten konnten. Die Gruppe junger Männer, die ich an diesem Tag getroffen habe, gehen jeden Tag dorthin, um sich aufzuwärmen.

Die Gruppe bestand insgesamt aus neun Männern. Sie sagten mir, sie seien alle Paschtunen, die aus Pakistan kämen. Sie hatten alle mehrmals „The Game“ (Überquerung der kroatisch-bosnischen Grenze) versucht und waren jedes Mal von der kroatischen Polizei zurückgedrängt worden. Zwei von ihnen haben es bereits bis nach Triest in Italien geschafft und wurden bis nach Bosnien zurückgeschafft.

Das letzte Versuch lag bei einigen von ihnen erst vier Tage zurück. Für den Weg zurück nach Bihać brauchten sie etwa 10 Stunden. Und das barfuss.

Von den neun Männern hatten nur noch zwei von ihnen ein Handy, alle anderen sind von der kroatischen Polizei zertrümmert worden. Über die bosnische Polizei sagten sie, diese sei „kein Problem“. Sie würden die Menschen auf der Flucht in Bihać bleiben lassen. Nur die kroatische Polizei sei ein großes Problem. Die Männer sagten, sie werden „The Game“ auf jeden Fall wieder versuchen, wenn der Schnee weg ist. Mit dem Schnee sei es zu kalt und er würde ihre Schritte verraten…“

Einige vom Migrant Solidarity Network sind derzeit in der bosnischen Stadt Bihać an der Grenze zu Kroatien. Willst du ein hilfreiches Zeichen gegen die Folgen von Abschottung, Überwachung, Pushbacks und Entmenschlichung setzen und dein Geld teilen für Nahrungsmittel, Kleider und Schuhe für (geflüchtete) Migrant*innen? Sie werden dein Geteiltes vor Ort zugänglich machen. Einzahlungen an das Konto von Bleiberecht Bern,
IBAN: CH72 0900 0000 6024 4887 5 (Vermerk Bihać).

gefunden auf: https://migrant-solidarity-network.ch

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