Gilles Dauvé - Zur Ökologie 04/08: Scheitern der politischen Ökologie

veröffentlicht am 12. April 2022

Vierter Teil einer achtteiligen Serie zur Ökologie

Obwohl sie vieles trennt, haben regierungstreue Umweltschützer, Umweltschützer der kleinen Schritte, Ökosozialisten und radikale Umweltschützer eines gemeinsam. Unabhängig davon, ob sie auf einen Ministerposten schielen, eine Genossenschaft für solidarische Landwirtschaft gründen, das Programm einer künftigen „wahren Linken“ schreiben oder versuchen, aus der Ökologie einen Hebel der gesellschaftlichen Umwälzung zu machen, stellen sie alle die „ökologische Frage“ ins Zentrum der gegenwärtigen Welt, als ob sie uns heute dazu verpflichten würde, das Wesen des Kapitalismus und seiner notwendigen und möglichen Transformation neu zu definieren. Sie halten sich auch alle für realistisch und brüsten sich damit, zu agieren, ohne sich mit schönen Worten abspeisen zu lassen.

Doch was ist die Bilanz ihrer Aktionen seit nun zwei Jahrzehnten?

1) Der Rad fahrende Liberalismus

In den USA der 1960er Jahre entwickelte sich ein bunt gemischter Ökologismus, begünstigt durch den Bestseller von Rachel Carson Der stumme Frühling (1962), der die Vögel tötenden Pestizide denunzierte. 1970 fand der erste „Tag der Erde“ statt, eher eine offizielle Feier denn eine aktivistische Aktion. Im Namen des Konsumentenschutzes wird Ralph Nader danach viermal Kandidat für die Präsidentschaft sein.

In Frankreich insistierte René Dumont, der erste Umweltschützer, der 1974 für die Präsidentschaft kandidierte, auf der Unfähigkeit des kapitalistischen Systems, den Hunger, die Überproduktion und den Überverbrauch von Energie zu eliminieren. Gemäss ihm verläuft die gesellschaftliche Trennung nicht zwischen Bourgeois und Proletariern, sondern zwischen Konsumenten der reichen Länder und benachteiligten Massen in der Dritten Welt, welche die wahrhaften modernen Proletarier verkörpern.

Im 21. Jahrhundert gilt Dumont als Pionier einer guten Sache: Die Ökologie ist eine Selbstverständlichkeit und kann die einander fernsten Positionen versöhnen. In ihrem Namen kann man sowohl sehr radikale als auch sehr versöhnliche Reden halten, von links bis rechts (sogar bis zur „reaktionären“ extremen Rechten, die sich als antibürgerlich proklamiert und für eine Rückkehr zu einer authentischen Natur wirbt, die keine Ware ist) und vom revolutionärsten bis zum gemässigsten Anarchismus (Bookchin).

Für die öffentliche Meinung, die Medien und die politische Klasse wird die Ökologie zu einem unerlässlichen Bestandteil von jedem Diskurs über die Welt (aber nicht einhellig: Trump war nicht der einzige Klimaskeptiker an der Spitze eines Staates). Und für einen – sehr minoritären – Teil, der sich als gesellschaftskritisch betrachtet, komplettiert sie einen oberflächlichen Antikapitalismus: Man ist für die Ökologie genau wie man „gegen die Finanz“ ist.

Die prominentesten ökologischen Organisationen hatten sich um die Liberalen Bill Clinton und Al Gore geschart, Vertreter eines Welthandels, der für den vermehrten Kohlenstoffausstoss verantwortlich ist. Die WTO, das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) und das globalisierende Kapital bekamen die Unterstützung von „Big Green“, d.h. jene der ökologischen NGOs, finanziert von grossen Unternehmen und die wie sie funktionieren: Geldanlagen, Marketing, Rekrutierung von Managern mit hohen Löhnen… Die deutschen Grünen zeigen ihrerseits den französischen Umweltschützern den Weg: Jenseits des Rheins begleitet der „Ökoreformismus“ die sozialliberale Verwaltung des Kapitalismus mithilfe von Bündnissen die von Mitte-Rechts bis Mitte-Links reichen. Heizung durch Geothermie, Rückgriff auf wenig verschmutzende Verfahren und Materialien, Zunahme erneuerbarer Energien und Ausbau von Radwegen bringen die grünen Abgeordneten dazu, die Einschränkung der Arbeitslosengelder, der Renten und der sozialen Ausgaben zu akzeptieren…

2) Lob der Mässigung

Da die Konfrontation mit dem Globalen unmöglich scheint, sollen wir lokal handeln, verkünden uns die Anhänger des small is possible wieder und wieder. Für sie hat die menschliche Gattung übertrieben, seien wir nun also weise, in kleinem Massstab, oder gar individuell: Da jeder von uns als verantwortlich für die Klimaerwärmung betrachtet wird, erlaubt ein Online-Rechner, permanent die von unseren alltäglichen Taten und Handgriffen ausgelösten Treibhausgase zu messen.

Als ob die Produktion vom Konsum abhinge! Die Zahl von 130 Millionen monatlich verkaufter Smartphones ist beeindruckend. Aber in Frankreich waren die Fahrräder zwanzig Jahre vor 1900 von 50‘000 auf eine Million angestiegen und während den „Dreissig glorreichen Jahren“ die Autos von zehn auf dreissig Millionen. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts lösen sich Gegenstände einander ab, deren Kauf weder durch Zwang noch durch Werbung durchgesetzt wird: Ihr Gebrauch antwortet auf ein durch den von der kapitalistischen Entwicklung der Epoche gebrachten Lebensstil kreiertes und durch die momentanen Produktionsbedingungen möglich gemachtes Bedürfnis. Auto und Bildschirm erlauben nicht nur Freiheit und Geschwindigkeit, sie sind auch Mittel der Individualisierung und der Sozialisation. Die Verknappung von (schon) knappen Böden wird eine Auswirkung auf die gegenwärtige Omnipräsenz der Touchscreens haben, doch es ist illusorisch, zu glauben, dass die Umweltkrise zu einer Bewusstwerdung führen wird, die danach die Verhaltensweisen transformieren wird, als ob ein Schock reichen würde, um einen Kranken zu heilen.

Die sozialen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre begünstigten die Theoretisierung einer Überwindung des Kapitalismus in konfusen und vielfältigen Formen, aber allgemein mit einer Gemeinsamkeit: Die Machtergreifung der Arbeiter wurde als die Lösung betrachtet. Die Erschöpfung der Kämpfe dieser Epoche machte ein solches Ziel kaum konzipierbar für die folgenden Generationen, da es an geistigen Werkzeugen mangelte, um eine Welt ohne Lohnarbeit und Geld zu denken. Allenfalls bleibt die Abschaffung des Staates in den Köpfen der Radikalsten. Für viele Autoren und Aktivisten beschränkt sich das Ende des Kapitalismus allerdings darauf, die Herrschaft der Oligarchie und der Banken zu beenden, damit wir mit mehr Demokratie und Gleichheit in allen Bereichen besser leben können. (Man könnte sagen, das sei nicht schlimm, da die Proletarier, welche die Revolution machen werden, wenig Bücher lesen und keine Aktivisten sind, aber das gesellschaftliche Vorstellungsvermögen spielt in dieser Geschichte trotz allem eine Rolle.) Da man also den Kapitalismus nicht zerstören kann, versucht man, daraus herauszukommen, indem man – sehr partiell – wieder an das vorindustrielle Zeitalter anschliessen will, indem man das weglässt, was am Hypermaschinismus offensichtlich schlecht ist (die verschmutzende Raffinerie), gleichzeitig jedoch das behält, was an ihm gut sei (die Informatik). Dank dem 3D-Drucker, auf Wiedersehen Metallarbeiter. Mit dem Internet braucht man kein Auto mehr. Gegen das Monopol, das Kleineigentum. Gegen die Agroindustrie, der lokale Produzent. Handgemachtes Bier statt Skøll. Die gemeinschaftliche Werkstatt gegen die gigafactory (local is beautiful).

Wie kann man ernsthaft daran glauben, dass die Zukunft der Welt von einer Vervielfachung individueller Handlungen abhängt? Als ob es von jedem von uns als Konsumenten davon abhinge, für die „glückliche Nüchternheit“ zu optieren, während unsere Entscheidungen nach und nicht vor den Produktionen intervenieren, die im Wesentlichen von den Kapitalbewegungen abhängen. So schätzt man – ein Beispiel unter anderen –, dass 70% der zwischen 1988 und 2015 ausgestossenen Treibhausgase von nur 100 Multinationalen verursacht wurden.

Die Utopie ist nicht mehr, was sie einmal war. Die Produktions- und Lebensgenossenschaften der 1840er Jahre waren Ausdruck der Hoffnung, die entstehende Industriegesellschaft von innen zu besiegen, jene der Belle Époque waren häufig mit einer kräftigen und antibürgerlichen Arbeiterbewegung verbunden. Fast zwei Jahrhunderte später koexistieren die sehr rentablen Bio-Verteilketten und die bescheidenen Genossenschaften für solidarische Landwirtschaft fast friedlich mit dem Riesen Carrefour: Es geht nur noch darum, so wenig schlecht wie möglich da zu leben, wo es der Kapitalismus erlaubt.

3) Ökosozialismus

Ein breites Spektrum an Denkern und Gruppen möchte, dass die Ökologie zu einer Wiederzusammensetzung der politischen Linken beiträgt, d.h. die Parteien und Gewerkschaften verjüngt, manchmal sogar in einem marxistischen Duktus, im Sinne einer Analyse der modernen Gesellschaft als kapitalistisch und in Klassen aufgetrennt, obwohl es mehr um Gegensatz denn um Widerspruch geht.

Diese Strömung wirft den Anhängern der Regierungsökologie sowie den Vertretern der „kleinen Schritte“ ihren Mangel an Kohärenz vor: Da, so sagt sie, die Kapitalisten und die Reichen verantwortlich für die Klimakrise sind, sind es sie, die man angreifen muss. „Das Problem ist das Kapital“: Doch für die Ökosozialisten ist „Kapital“ Synonym für grosse industrielle und finanzielle Lobbys. Die Rettung des Planeten impliziert also, dass sie ausgeschaltet werden, damit Schluss ist mit den verschmutzenden Unternehmen, der fossilen Extraktion (oder sie zumindest beträchtlich reduziert wird), der Expansion des Agrobusiness und der Einkaufszentren, damit die öffentlichen Dienste (besonders die Transporte) wiederbelebt werden, damit eine zugleich „gerechte“ als auch ökologische Steuerpolitik eingeführt wird, womöglich durch die Durchsetzung einer ökologischen Rationierung, zum Beispiel durch die Begrenzung der Flugreisen, all das zur „Rückgabe des Wortes und der Entscheidungsmacht ans Volk“.

Im Gegensatz zur „alten“ Arbeiterbewegung setzt der Ökosozialismus auf eine Koordination der Kräfte, die über die organisierte Arbeit hinausgeht: In den sogenannt reichen Ländern die Frauen, die sexuellen und „rassischen“ Minderheiten, eine „für das Klima“ mobilisierbare Jugend und in jenen Ländern, welche man die Dritte Welt nannte, die indigenen Völker, die Bauernorganisationen… Die Vereinigung aller unterdrückten Kategorien würde ein Kräfteverhältnis schaffen, das fähig wäre, eine politische Macht aufzugleisen, die, da von nun an reell und nicht mehr formell demokratisch, einen öffentlichen Sektor im Dienste der Arbeiter und seiner Nutzer befördern würde.

Das alte sozialistische Programm versprach, „die Anarchie der Produktion“ mithilfe eines vergesellschafteten und geplanten Kapitalismus zu überwinden. Im 21. Jahrhundert würde diese bezähmte und wieder in den Dienst aller gestellte Wirtschaft nicht nur von oben gesteuert (vom Staat und dem Parlament), sondern auch durch das Zusammentreffen der Volksvertreter und der Bürgerkollektive (als Adjektiv ersetzt citoyen häufig das heute etwas antiquierte populaire). Gegenüber der allzu jakobinischen Parole der „Nationalisierungen“ bevorzugt man die „Vergesellschaftung“ der Energie und des Kredits.

Die Sozialdemokratie ist tot oder sehr krank, weil sie der Verteidigung der Arbeit (der „kleinen Leute“, der Armen, jener von „unten“) entsagt und das gesamte offen bürgerliche Programm oder einen (grossen) Teil davon akzeptiert hat. Der Widerspruch des Ökosozialismus ist es, dieses Scheitern überwinden zu wollen (das, vom Standpunkt der herrschenden Klasse und ihrer Sprecher aus betrachtet, ein Erfolg ist), indem er tiefe ökologische Transformationen verspricht, die noch weniger zugänglich als die zwar gemässigten Reformen sind, welche die verschiedenen „Linken der Linken“ seit 20 oder 30 Jahren nicht durchsetzen können.

4) Aktivistische Ökologie

Eine ökologische Randgruppe ist der Ansicht, dass es bereits zu spät für eine „nachhaltige Entwicklung“ ist. In Anbetracht der Passivität der Regierenden und der Obsoleszenz der Parteien müsste man sich von der Basis aus organisieren, indem man sich auf die Vision einer verpackten Maschine mit überhitztem Motor stützt, die immer weniger leistungsfähig, somit immer verhängnisvoller ist, aber (zum Glück) auch immer verwundbarer, also empfänglich für einen Zusammenbruch unter dem Druck der extensiv definierten Massen. Daher kommt ein bewusst verteidigter Pragmatismus, Priorität hat die Aktion, am besten auf der Strasse, begleitet von symbolischen, manchmal spektakulären oder gar illegalen Taten.

Die Vertreter der „Märsche für das Klima“ halten diese Umzüge für notwendig, sie wissen, dass sie nicht genügen und sehen sie allen voran als Mittel zur Mobilisierung und zur Verstärkung des Drucks. Individuelle und kollektive Praktiken sollen miteinander kombiniert werden, um gesellschaftlich ins Gewicht zu fallen: Die „Waffe der Brieftasche“ (Kauf von Bioprodukten) schliesst weder den Rückgriff auf die Urnen (grün wählen), noch die Erschaffung von „Basen“ (ZAD) aus, wo ein gesellschaftlich und politisch alternatives Leben skizziert werde, das heute ein schlichtes Mittel zur Verteidigung ist, aber morgen zu einem Werkzeug für eine antikapitalistische Offensive werden wird.

Was diese Praktiken festigt, ist die Illusion einer Mobilisierungs- und Vereinigungskraft der – eingetretenen oder bevorstehenden – Katastrophe. Im Gegensatz zur kapitalistischen Ausbeutung, zu einem Krieg oder gar Weltkrieg oder einer schlimmen Wirtschaftskrise, ist heute die Gesamtheit der menschlichen Gattung betroffen und nicht eine oder mehrere ihrer Bestandteile (Arbeiter, Bauern, Kolonialisierte, indigene Völker, Frauen…). Die Menschheit wäre also fast schon verpflichtet, zum „Subjekt“ ihrer Geschichte zu werden. Die ökologische Krise habe diesen Vorteil, endlich alle beherrschten Kategorien in einer „Bewegung der Bewegungen“ zu vereinen (wie in „der Versammlung der Versammlungen“ scheint die Wiederholung des Wortes sowohl Kraft als auch Diversität zu garantieren). Es bliebe also nichts anderes übrig, als dafür zu sorgen, dass sich die Gesamtheit der Bewohner des Planeten dessen bewusst werden.

In Wirklichkeit gibt es eine Vielzahl an direkten Aktionen gegen die extraktivistischen fossilen Projekte, ohne dass man von einer Konvergenz sprechen könnte, und die von Naomi Klein geschätzte Blockadia löst keine internationale Koordination aus. Die Widerstände knüpfen solidarische Verbindungen, erschaffen manchmal provisorisch autonome Zonen, von welchen in der Regel eine auf die andere folgt: Wenn man einmal den Sieg errungen oder sich die Niederlage eingestanden hat, ziehen die Zadisten um in eine andere ZAD und, falls notwendig, erschaffen sie dort eine, wo ein grosses nutzloses Projekt mit viel Beton angekündigt wird. Leider ist die Zusammenbringung spezifischer Kämpfe gleichbedeutend mit der Erschaffung eines Konkurrenzverhältnisses zwischen Aktivisten jeder dieser Kämpfe an einem gleichen Ort, der daraufhin zum idealen Spielfeld für interne Rivalitäten wird, manchmal geht sogar das ursprüngliche Ziel der betreffenden ZAD vergessen.

Die Vermehrung der ZAD wird genauso wenig das „Globale“ blockieren wie die damals von der organisierten Arbeit (Gesellschaften zur gegenseitigen Unterstützung, Vereine, Genossenschaften, Gewerkschaften und Parteien) erreichte Stellung den Kapitalismus zerstörte. So sehr die ZAD häufig ein Ort positiver Konfrontationen sind, so sehr verbreitet der Zadismus die Illusion, dass die ökologischen Fragen ein optimales Terrain für eine „Kampffront“ und ein Kräftemessen mit dem Staat bieten, solange man die richtigen Kampfmethoden wählt. Man vergisst, dass keine Dringlichkeit in sich selbst eine vereinigende und Veränderung tragende Kraft hat.

* * *

Die politische Ökologie behauptet, sie würde Ressourcen, besonders Energie, für ein System sparen, das zur Überproduktion und zum Überkonsum verurteilt ist. Doch, obwohl es besser ist, fossile Energiequellen mit erneuerbaren zu ersetzen, haben letztere ihre Grenzen, besonders ihr zeitweiliges Funktionieren. Mit dem der kapitalistischen Welt inhärenten Durst nach Energie muss gebrochen werden, doch dazu ist die Ökologie als Wissenschaft und Politik unfähig. Der Beweis dafür ist ihre Akzeptanz für die Digitalisierung von allem, die eine Omnipräsenz der Elektrizität und die Gesamtheit ihrer Konsequenzen voraussetzt. Die politische Ökologie liefert ein und demselben System nur andere Lösungen.

Schlussendlich ist die Bilanz, für Leute, die sich mit ihrem Realismus brüsten (und uns gerne unseren „Utopismus“ vorwerfen), mager. Die reformistischen Umweltschützer reformieren kaum etwas und die Radikalen erhalten kaum mehr als die Gemässigten. Die Klimasituation wird schlimmer: Der Verbleib unter einer Schwelle von 1.5° oder 2° C der Erwärmung würde bis 2030 und 2050 eine Transformation der Produktionsweise und unserer Lebensweise verlangen, die heute nicht absehbar ist. Im Wettlauf zwischen Verbesserung und Verschlimmerung hat der Planet bis jetzt weitgehend verloren. Nie sprach man jedoch so viel von Ökologie. Politisch betrachtet ist das Scheitern offenkundig.

G. D., Januar 2021

Literaturverzeichnis

Rachel Carson, Der stumme Frühling (1962), C. H. Beck, 1976.

René Dumont, L’Utopie ou la Mort, Seuil, 1973.

Serge Latouche, Vers une société d’abondance frugale, Mille et une nuits, 2011.

Serge Latouche zeigt gut die Grenzen der „nachhaltigen Entwicklung“ auf, d.h. eines weniger verschmutzenden Kapitalismus, damit er länger fortbestehen kann. Aber da Kapitalismus für ihn Synonym für Grenzenlosigkeit ist, geht es darum, uns Grenzen zu geben. Er bezieht sich besonders auf Beispiele von Tauschsystemen in Afrika und verteidigt einen Warenhandel, der sich nicht an der „Omnipräsenz des Marktes“ orientieren würde. Auf dem Weg der Mässigung trifft er Castoriadis, den er lobend zitiert: „Als Werteinheit und Tauschmittel ist das Geld eine grosse Erfindung, eine grosse Kreation der Menschheit“ und es solle nun genügen, „die Wirtschaft wieder im Sozialen zu verankern“. Es ist eine Lobrede auf eine kleine Warenproduktion, einen Präkapitalismus, der unfähig wäre, den Kapitalismus zu gebären, da er unter all unserer Kontrolle verbleiben würde. Die Entwicklung des Handels in Athen und die mittelalterlichen Messen und Jahrmärkte haben allerdings zur Börse Amsterdams und zu Wall Street geführt. Serge Latouche glaubt, ein Problem durch ähnliche Mittel lösen zu können, wie jene, welche es verursacht haben.

Ökosozialismus:

In seinen etlichen Varianten präsentiert der Ökosozialismus zwar eine „Klassenanalyse“ des ökologischen Problems, seine Lösung ist allerdings transversal und interklassistisch, ein breites Bündnis, das Arbeiter, grüne Aktivisten, Frauen, Völker des Südens, Menschenrechtsaktivisten und Unterdrückte aller Kategorien miteinander mischt (nur die „oligarchischen“ 1% sind davon ausgeschlossen). Es ist das ewige Programm einer unmöglichen graduellen Revolution, ausser dass sie heute „ökodemokratisch“ wäre.

Daniel Tanuro, L’Impossible Capitalisme vert, La Découverte , 2012.

Michel Husson, Six milliards sur la planète : sommes-nous trop ?, Textuel, 2000.

Ein Beispiel einer Konvergenz zwischen universitärem Marxismus und ehemaligen intellektuellen Kadern der KPF: Jean-Marie Harribey, „Marxisme écologique ou écologie politique marxienne“, Dictionnaire Marx contemporain, PUF, „Actuel Marx confrontation“, 2001.

Homepage Climate & Capitalism („Ecosocialism or barbarism: there is no third way“).

Schule des „Risses des Stoffwechsels“ (von der wir in der Episode 07 erneut sprechen werden):

Paul Burkett, Marx‘s Vision of Sustainable Human Development, 2005.

John Bellamy Foster, Brett Clark und Richard York, The Ecological Rift. Capitalism’s War on the Earth, Monthly Review Press, 2010.

Zu den politischen Vorschlägen Fosters.

Naomi Klein, Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima, Frankfurt a.M., S. Fischer, 2015 [2014]. Der Titel – Kapitalismus vs. Klima – greift direkt einen Kapitalismus an, dessen Ursachen in den Kapiteln 2 bis 5 beschrieben werden, aber nicht seine tiefe Logik. Obwohl scharfsinnig bezüglich der Grenzen der politischen Ökologie und des Greenwashing vertraut Naomi Klein hingegen auf eine Änderung der Haltung der Regierungen und des Big Business, falls die Massen ein bisschen überall Druck machen: Blockadia wird stärker sein als das „Globalia“ der Multinationalen. Für sie genau wie für die Ökosozialisten wäre der Kapitalismus nicht mehr kapitalistisch, wenn er von uns allen, dem Volk, kontrolliert wäre.

Linksaussen fühlt sich mittlerweile jede Partei oder Gruppe verpflichtet, ihrer Zeitung oder ihrem Blog eine ökologische Seite beizufügen. Ein Beispiel von Opportunismus unter hunderten: „La IVe Internationale victime du réchauffement climatique“ in Le Prolétaire, September-Oktober 2019.

Was Le Prolétaire erklärt, ist kein Standpunkt, der sich auf diese trotzkistische Gruppe beschränkt. Ein grosser Teil der äusseren Linken tendiert dazu, den Widerspruch Bourgeoisie/Proletariat als sekundär gegenüber jenem zwischen dem übermässigen kapitalistischen Wachstum und den natürlichen Grenzen zu betrachten, ein Gegensatz, der den Vorteil hat, dass er fast alle betrifft: Sowohl die Proletarier als auch die Frauen, die sexuellen Minderheiten, die Unterdrückten aufgrund ihrer „Rasse“, die Jungen und auf allgemeine Art und Weise die Völker jener Länder, welche früher als Dritte Welt bezeichnet wurden, sie alle sind auf die eine oder andere Weise Opfer des Klimawandels und somit geeignet dafür, für Aktionen „für das Klima“ mobilisiert zu werden. Doch, wie es die Situationisten schrieben, „[m]an sollte aber noch die Mittel zum eigenen Opportunismus besitzen“ [1].

Die „Tiefenökologie“ ist ein Fall für sich. Die Anhänger der deep ecology werfen der klassischen und der antikapitalistischen Ökologie vor, die Gesamtheit des Lebens nur vom Standpunkt der menschlichen Gattung aus zu betrachten und sich nur insofern für ökologische Ungleichgewichte (der Verlust der Biodiversität z.B.) zu interessieren, als dass sie den Menschen schaden. Für diese Strömung darf die Gesamtheit der lebenden Welt nicht als „Ressource“ behandelt werden: Sie hat einen Wert, der unabhängig von ihrer Nützlichkeit für die menschlichen Wesen ist.

Das steht im Verhältnis zur Idee, dass die Umweltkrise uns dazu verpflichtet, den „Gesellschaftsvertrag“ der modernen Demokratie mit einem „Naturvertrag“ (Michel Serres) zu ersetzen oder ihn damit zu komplettieren, ein „Parlament der Dinge“ (Bruno Latour) einzusetzen und den nichtmenschlichen Wesen Rechte einzuräumen, was auch ein Thema des Antispeziesmus ist, aber all das würde zu weit gehen.

Damit dieser Text nicht noch schwerfälliger wird, werden wir hier auch Gruppen wie Deep Green Resistance oder Extinction Rebellion nicht behandeln, sowohl ihre Funktionsweise als auch ihre Theorien würden eine Kritik verdienen.

Übersetzt aus dem Französischen von Kommunisierung.net

Quelle


[1SI, Nr. 7, 1962.

Anmerkung der Moderation

Trotz mehrmaligem Hinweis das uns gendersensible Sprache wichtig ist, ignoriert ihr diese.
In letzter Konsequenz bedeutet das, das wir uns überlegen eure Texte nicht mehr zu veröffentlichen.

Hier nochmal der Hinweis:
Wir fordern alle Autor*innen dazu auf, ihre Beiträge in geschlechtergerechter Sprache zu formulieren. Wenn in einem Text nur die männliche Form verwendet wird, sehen wir darin eine Form von Sexismus. Zu Details wie geschlechtergerechte Formulierung aussehen kann verweisen wir auf den Leitfaden “Was tun?” http://feministisch-sprachhandeln.org/ sowie auf das Genderwörterbuch auf https://neu.geschicktgendern.de/

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