Machtwechsel im #Senegal, Teil 1: Vom Aufstand bis zur neuen Regierung

Westafrika - Am 24. März 2024 gewann Oppositionskanditat* Bassirou Diomaye Faye die Präsident*innenwahlen im Senegal mit absoluter Mehrheit. Noch bevor ein offizielles Wahlergebnis vorlag, feierten die Leute den lange erhofften Machtwechsel. Am 2. April wurde der neue Präsident* Senegals offiziell angelobt. Ganz oben auf der Agenda der neuen Machthaber*innen stehen soziale Gerechtigkeit, die steigenden Lebenserhaltungskosten und der Kampf gegen Korruption. Teil 1 beschreibt, wie es zum Machtwechsel vor einem Jahr kam.
Einleitung
Die Präsident*innenwahlen im Senegal sind ein Jahr her. Anfangs war es für die neue Regierung schwer, ihr Programm umzusetzen, mit dem sie die Politik grundsätzlich verändern will. Doch seit den vorverlegten Parlamentswahlen im Novemer 2024, die die Regierungspartei Pastef (Afrikanische Patriot*innen Senegals für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit) mit ca. 75 Prozent der Stimmen bzw. 130 der 165 Sitze gewann, verfügt sie über die absolute Mehrheit und hat keine Ausreden mehr, ihre Versprechen und angekündigte Reformen umzusetzen.
Dieser Artikel ist der erste Teil einer längeren Auseinandersetzung mit dem Machtwechsel im Senegal. Er beschreibt, wie es dazu kam und gibt einen Einblick in die Politik von Pastef, den linken Panafrikanismus.
Die Aufarbeitung der massiven Repression unter dem Regime Macky Sall und der Umgang mit dem unter ihm beschlossenen Amnestiegesetz wird Thema von Teil 2. Danach folgen Artikel zur antikolonialen Haltung von Pastef und der angekündigten Neuverhandlung von Verträgen zur Ausbeutung von Bodenschätzen. Welche Auswirkungen haben Öl- und Gasförderung auf die Fischerei? Welche Bedeutung haben der beschlossene Abzug französischer Truppen und die überlegte Einführung einer neuen, eigenständigen Währung? Wie verändert sich die soziale Lage der vor allem jungen Bevölkerung angesichts anhaltender Inflation und großer Erwerbsarbeitslosigkeit? Wie schaut es in Punkto Gerechtigkeit für alle Geschlechter aus? Wie steht es um die Hoffnung in der Bevölkerung ein Jahr nach dem Machtwechsel? Was hat sich im ersten Jahr der neuen Regierung getan?
Es gab viele Versprechungen, die zu großen Erwartungen bei den Menschen führten, die jedoch nicht so schnell wie gewünscht eingelöst werden (können) ...

Rückblick
Bassirou Diomaye Faye war bis kurz vor den Wahlen in der breiten Öffentlichkeit relativ unbekannt. Er wurde 25. März 1980 geboren und arbeitete nach der Jus-Ausbildung für die Steuerbehörden. Dort traf er auf Ousmane Sonko, mit dem er sich befreundete und viele Ansichten teilte. Sonko kritisierte die Regierung immer wieder öffentlich und wurde dafür entlassen. Bei den Präsident*innenwahlen 2019, bei denen Macky Sall im Amt bestätigt wurde, erreichte Sonko mit knapp 16% den dritten Platz.
Diomaye und Sonko waren Mitbegründer* der Pastef, Afrikanische Patriot*innen Senegals für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit, die bei den Parlamentswahlen 2022 zur stärksten Oppositionspartei gewählt wurde. Das war ein wichtiger Schritt hin zur Machtübernahme. Laut "Linker Panafrikanismus: Theorie der Revolution Jub Jubal Jubanti" (chroniquesenegalaises.com, 8. Juli 2024) baute PASTEF in fünf Jahren eine radikaldemokratische Hegemonie auf.
"Im Zuge von Aktivitäten in den Ferien wurden Tausende von jungen Menschen für integrative und partizipative Themen mobilisiert. Viele Bürger*inneninitiativen gegen Landplünderung wurden und werden von PASTEF-Aktivist*innen und -Führungskräften angeführt. Im Jahr 2021 verteidigte Präsident* Bassirou Diomaye Faye an vorderster Front die Interessen der Menschen in Ndingeler im Konflikt zwischen ihnen und Babacar Ngom, dem Chef des agroindustriellen Konzerns SEDIMA (Anm: dessen Tochter Anta Babacar Ngom war die einzige Frau* die bei den Präsident*innenwahlen 2024 kanditierte). Im Jahr 2022, wenige Wochen nach seiner Wahl zum Bürger*innenmeister* von Ziguinchor, startete Ousmane Sonko die Mobilisierung der Bevölkerung für die Abwasserentsorgung."
Die Partei fand vor allem bei Jugendlichen großen Zuspruch. Das Programm orientiert sich an folgenden Bereichen: ökonomische Souveränität, soziale Gerechtigkeit, Anti-Korruption, Jugend Empowernment, Dezetralisierung und Schutz der Umwelt. Der im Namen der Partei vorkommende Patriotismus ist angelehnt an den Befreiungsnationationalismus der Unabhängigkeitsbewegung bis 1960, als Senegal die politische Unabhängigkeit von den französischen Kolonisator*innen erhielt. Neben Pastef wird die Partei immer wieder als "die Patriot*innen" bezeichnet (Pastef/Les patriotes).
Die Idee des Panafrikanismus basiert auf der Vorstellung der Einheit aller Afrikaner*innen und fordert uneingeschränkte Solidarität mit dem Ziel eines befreiten Afrikas. Ein wichtiger Pfeiler von Panafrikanismus und antikolonialen Politik ist das Selbstbestimmungsrecht, das bei anhaltender ökonomischer Abhängigkeit von der früheren Kolonialmacht nicht umsetzbar ist. Deshalb wurde begonnen, diese Abhängigkeit zu verringern. Noch in diesem Jahr werden alle ausländischen Militärbasen im Senegal geschlossen. Frankreich hat bereits mit dem Abzug der Truppen und der Übergabe der Einrichtungen begonnen - nicht nur im Senegal, sondern in einer Reihe ehemaliger Kolonien, was eine enorme Verringerung des französischen Einflusses am afrikanischen Kontinent bedeutet.
Ein zentrales Vorhaben zur Erlangung der vollständigen Unabhängigkeit von Frankreich ist die Ersetzung der an die französische Franc gebundene CFA Franc, die in zahlreichen Ländern West- und Zentralafrikas im Zuge der Unabhängigkeit ehemaliger französischer Kolonien in ebendiesen eingeführt wurde. Die West Afrikanische CFA franc wird XOF genannt und die Zentral Afrikanische CFA franc XAF. 2023 verwendeten 210 Millionen Menschen in 14 Afrikanischen Ländern diese Währungen. Es gab in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Versuche aus einzelnen Ländern, den Schritt in die währungspolitische Unabhängigkeit zu gehen, er wurde jedoch meist durch französische Intervention unterbunden. Wie schnell es eine eigenständige Währung geben wird, ob diese nur für den Senegal, oder einen Teil der ECOWAS-Staaten (die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) gültig sein wird, ist noch nicht klar.
Ein weiterer wichtiger Punkt im Programm der Pastef ist die Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Eine Neuverhandlung der Verträge vor allem mit internationalen Konzernen wird angestrebt, damit die Bevölkerung Senegals von den Gewinnen profitiert.
All die Vorhaben der Pastef, die sich an den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen im Senegal orientieren, führten zu großem Zuspruch. Die Leute wollen eine Veränderung und vor allem wieder eine Perspektive im Leben. Sie trauten Sonko, Faye und der Pastef zu, diese Veränderungen in die Tat umzusetzen. Daraus resultieren die eindeutigen Wahlergebnisse, die es der panafrikanischen Partei ermöglichen, Reformen umzusetzen und das alte, auf Korruption und Vettern*wirtschaft aufbauendem System umzubauen. Diomaye handelt nach dem Prinzip des "Jub Jubal Jubanti" (Aufrichtigkeit, Redlichkeit und Vorbildlichkeit), das einen neuen Führungsstil definiert, der mit den oben genannten Grundsätzen der Pastef vereinbar ist.
Diese Entwicklung war nicht im Sinne der Herrschenden, denen das korrupte System die Taschen füllte und Reichtum bescherte. Deshalb wurde im Vorfeld der Wahlen an der Repressionsschraube gedreht und auf unterschiedliche Weise gegen die Opposition vorgegangen.

Der versuchte Machterhalt des Regime Macky Sall
Macky Sall kam 2012 an die Macht, nachdem er in der Stichwahl gegen seinen Vorgänger* Abdoulaye Wade gewann, der entgegen der Verfassungsgrundsätze eine dritte Amtszeit als Präsident* anstrebte. Sall galt anfangs für viele Leute als Hoffnung auf positive Veränderungen. Doch sehr bald sah sich seine Regierung in Korruptionsskandale verwickelt. Sall konnte jedoch seine Macht festigen und wurde 2019 wieder gewählt. Dabei wurde er wegen Änderungen rund um die Regelung von Wahlen und die Zulassung von Kanditat*innen sowie die Strafverfolgung einiger seiner* prominentesten politischen Gegner*innen kritisiert. Die jahrelange Repression gegen die Opposition, die Einschränkung der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit sowie das Vorgehen gegen Journalist*innen und Medien durch die Regierung unter Präsidenten Macky Sall wurden als Versuch zur Errichtung einer Diktatur verstanden.
Als aussichtsreiste*r Gegner*in für Sall für die Präsident*innenwahlen 2024 galt Ousmane Sonko, gegen den immer wieder Prozesse geführt wurden. Nach seiner Verhaftung im März 2021 auf dem Weg zum Gericht, wo er sich wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung zu verantworten hatte, kam es zu massiven Protesten. Sonko wies die Anschuldigungen zurück und behauptete, es handle sich um den Versuch, ihn von den Wahlen 2024 auszuschließen. Die Verhaftung Sonkos war ein auslösender Moment, vielen Leuten ging es jedoch vor allem um die Verteidigung der Demokratie (emrawi.org, 9. März 2025). Der sofortige Rücktritt von "Diktator" Macky Sall wurde gefordert, dem u.a. Korruption und Bereicherung vorgeworfen wurden. Doch dieser schickte bewaffnete Einheiten auf die Straßen, um die Proteste blutig niederzuschlagen. Es gab mehrere Tote, unzählige Verletzte und Verhaftete (emrawi.org, 9. März 2025).
Im Jahr 2022 wurde Sonko der Verläumdung von Tourismusminister* Mame Mbaye Niang beschuldigt, dem Sonko Korruption vorwarf. In diesem Fall wurde er im März 2023 zu sechs Monaten auf Bewährung sowie einer Geldstrafe verurteilt - und die "bürgerlichen Ehrenrechte" wurden ihm entzogen, weshalb der Oberste Gerichtshof später seine Kandidatur bei den Präsident*innenwahlen 2024 ablehnte. (Jungle World, 28. März 2024) Es kam erneut zu Protesten und Ausschreitungen durch die Anhänger*innen Sonkos.
Am 1. Juni 2023 fand die finale Verhandlung im Vergewaltigungsprozess gegen Sonko statt, der selbst nicht anwesend war. Er wurde zwar vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen, aber wegen "Verführung der Jugend" zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Anklage einer jungen Masseurin* gegen einen bekannten Politiker* wegen wiederholter Vergewaltigung mit Todesdrohung wurde sowohl von der damaligen Regierung als auch vom Angeklagten selbst für politische Zwecke instrumentalisiert. Viele Leute im Senegal vermuteten, dass es bei den Prozessen vor allem darum ging, Sonko vom neuerlichen Antreten bei den Wahlen abzuhalten.
Nach bekannt werden des Urteils kam es in vielen Teilen des Landes zu Aufständen. Es gab erneut Tote und Verletzte, es kam aber auch zu sexualisierter Gewalt und mindestens acht Vergewaltigungen! Der Umgang Sonkos mit dem Vorwurf der Vergewaltigung, der sich über die Anklägerin* lustig machte, anstatt sich kritisch mit seiner Position auseinander zu setzen und sein Handeln zu hinterfragen, hatte seine Wirkung. Anstatt sich sich für das übergriffige Verhalten zu entschuldigen, verharmloste Sonko sexualisierte Gewalt und förderte damit eine frauenverachtende Kultur und Verbrechen, gegen die Generationen von Frauen gekämpft haben und immer noch kämpfen. Die Worte Sonkos wurden von einer hauptsächlich aus jungen Menschen bestehden Bevölkerung mit Begeisterung aufgenommen, was insbesondere ein großes Problem für Überlebende von Vergewaltigungen ist, wie das Feministische Netzwerks aus Senegal festhielt. (Mehr zum Urteil gegen Ousmane Sonko und der Tragweite von Protesten und Repression auf EMRAWI. Statement des Feministischen Netzwerks aus dem Juni 2023 auf africanfeminism.com auf englisch und französisch, eine Übersetzung auf deutsch folgt im Zuge dieser Artikelreihe.)
Die Abwahl des Regime Macky Sall
Die Proteste ließen sich trotz massiver Staats-Gewalt nicht stoppen. Im Juli 2023 wurde Sonko wegen "Aufhetzung zum Aufstand" verhaftet und die Pastef unter dem Vorwand, zu gewalttätigen Protesten aufzurufen sowie die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gefährden, aufgelöst.
Als Macky Sall Anfang Februar kurzfristig die Wahlen auf Dezember verschieben ließ, kam es zu einer weiteren Zuspitzung der Konfikte. Es gab wieder Tote, Verletzte und Verhaftete. Salls Präsident*innenschaft hätte sich durch die Verschiebung der Wahlen über seine Amtszeit hinaus verlängert. Doch der Verfassungsrat erklärte dieses Manöver für rechtswidrig. Schlussendlich wurde als Wahltermin der 24. März festgelegt.
Bassirou Diomaye Faye, Generalsekretär der Pastef, wurde schon vor seinem Parteifreund* Ousmane Sonko verhaftet, nachdem er für diesen das Wort ergriff und die Gerichte kritisierte. Ihm wurde "Verbreitung falscher Nachrichten, Richter*innenbeleidigung und Verächtlichmachung staatlicher Institutionen" vorgeworfen. Von April 2023 bis März 2024 saß der jetzige Präsident* - wie viele andere Oppositionelle, Aktivist*innen und Teilnehmer*innen von Protesten - in Untersuchungshaft. Er wurde nie vor Gericht gestellt und nicht verurteilt. Nachdem er als Kanditat* für die Präsident*innenwahlen zugelassen wurde, konnte er anstelle des bekannten Sonko antreten. Nachdem die Pastef aufgelöst war, trat er offiziell als unabhängiger Kanditat* an, für die Menschen war allerdings klar, dass sie ihre Stimme "Diomaye/Sonko" geben.
Ein Anfang März 2024 beschlossenes Amnestiegesetzes hatte die Freilassung politischer Gefangener zur Folge. Am 14. März 2024 wurden Bassirou Diomaye Faye und Ousmane Sonko entlassen und begaben sich sofort in den Wahlkampf. Wie bereits in den vergangenen Jahren mobilisierten sie die Massen.
Bereits im ersten Wahlgang am 24. März wurde das Ende des Regime Macky Sall besiegelt. Diomaye Faye bekam ca. 54 Prozent der Stimmen. Das Verbot der Pastef wurde aufgehoben, der neue Präsident* am 2. April 2024 angelobt und Ousmane Sonko zum Premierminister* ernannt.
Fortsetzung folgt ...
Mehr zu den Ereignissen seit 2021 in der Rubrik Senegal auf Emrawi.