Machtwechsel im #Senegal, Teil 4.2: Ein Rückblick nach 16 Monaten - Antikoloniale Wirtschaft, Souveränität und begrenzte Freiheiten
Fortsetzung des Rückblicks auf die ersten 16 Monate nach den Präsident*innenwahlen, gewonnen von Diomaye/Sonko bzw. ihrer panafrikanischen Partei PASTEF. Fand der groß angekündigten Bruch mit der Vergangenheit statt?
Die Meinungen in der Bevölkerung sind wie zu erwarten unterschiedlich. Es gibt nach wie vor die Hoffnung und den Wunsch nach Veränderung, einer Veränderung der Lebensrealitäten, die das Überleben für viele Menschen sehr hart machen. Die sozialen Unterschiede sind zu groß, nicht alle haben Zugang zu lebensnotwendigen Gütern. Es gibt wenig Erwerbsarbeitsplätze und die Bezahlung ist meist sehr schlecht. Den vielen, vielen Jugendlichen fehlt eine Perspektive. Diomaye/Sonko gaben ihnen die Hoffnung auf eine Perspektive. Doch noch müssen sie warten. Wie lange, ist ungewiss.
Deshalb ist es kein Wunder, dass die Unzufriedenheit im Land und mit der Regierung wächst. Nach wie vor wagen viele Menschen die lebensgefährliche Überfahrt auf die Kanarischen Inseln. Machen sich über Marokko, Libyen oder Tunesien auf den Weg nach Europa. Oder versuchen, in Amerika bzw. Asien ihr Glück zu finden. Wird sich dies in den kommenden Jahren ändern, wird sich eine Zukunftsperspektive im Land auftun? Gelingt die Transformation hin zu einem "stärkeren, gerechteren und wohlhabenderen Senegal"?
Der erste Teil des "Rückblick nach 16 Monaten - Bruch mit der Vergangenheit?" der Serie zum "Machtwechsel im Senegal" behandelt nach einleitenden Worten folgende Kapitel: ++ Einen "stärkeren, gerechteren und wohlhabenderen Senegal" ++ Gerechtigkeit vs. Patriarchat ++ "Ein historischer Wendepunkt" ++ Armut ++ Keine Verbesserung ++ Gesundheit ++ Institutionen ++ Transparenz ++ Korruptionsbekämpfung ++ Geld ++ Vision 2050 ++ Ressourcen ++ Umweltzerstörung ++ Öl und Gas ++ Gasleck am Meeresgrund ++ Abhängigkeit ++ Selbstversorgung ++ Blick aus dem Orbit ++ Wahrheit und Gerechtigkeit ++ Souveränität und Gerechtigkeit ++
Im zweiten Teil des Rückblicks werden in Zusammenhang mit der panafrikanische Ausrichtung der Regierung folgende Themen behandelt: Antikolonialismus, das Massaker von Thiaroye 1944, weiße Überheblichkeit und Wahrheitsfindung, Umbenennung von Straßen, Wirtschaftsbeziehungen, Schulden-erlass, Klimawandel, Wasser, Überfischung des Meeres, damit zusammenhängende Auswirkungen auf Ernährung(ssicherheit) und Auswanderung, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und deren Bedeutung für das Streben nach Souveränität, fehlende Zukunftsperspektiven, Kinderrechte, Urbanisierung, Einschränkung von Presse- und Meinungsfreiheit und damit verbundenen Gefahren für das Land. Den Abschluss bildet ein Überblick über Artikel in Zeitungen zum 1. Jahrestag der Präsident*innenwahlen vom 24. März 2024.

Rechtzeitig vor Veröffentlichung dieses Artikels wurde durch einen Brief von Justizminister Ousmane Diagne an die Generalstaatsanwält*innenschaft die lange erwartete, offizielle Untersuchung der politischen Gewalt in den Jahren 2021-2024 formell beantragt. Der Verfassungsrat hatte im April im Zuge der Aufhebung von Teilen des Auslegungsgesetzes des Amnestiegesetzes festgehalten, dass Handlungen, die nach den Regeln des Völkerrechts als strafbar gelten, wie Mord, Folter, Barbarei, unmenschliche, grausame oder erniedrigende Behandlung und Verschwinden lassen, vom Anwendungsbereich des Amnestiegesetzes ausgeschlossen sind.
Demnächst sollen die Einvernahmen mit der Befragung von Gefolterten und Familien der Getöteten starten. Eine Kommission unter Leitung des Staatsanwalts* der Republik, Ibrahima Ndoye, soll die Verantwortlichkeiten über Anklagen gegen Zivilist*innen, Strafverfolgungsbehörden oder Politiker*innen entscheiden. (EnQuête+, 29. Juli 2025; Africanews, 29. Juli 2025)
Antikolonialismus
Die sozialen Dimension und der Kampf gegen Korruption waren für die Zustimmung der Bevölkerung und den Gewinn der Wahlen von enormer Bedeutung - wie die antikoloniale Haltung der PASTEF. Die Partei hatte die Machtübernahme lange geplant und einen Plan bis 2050 zur Umgestaltung der Gesellschaft und des politischen Systems geschmiedet, präsentiert als die im ersten Teil des Rückblicks behandelte Vision 2050. Eine wichtige Rolle spielt die Souveränität des Staates. Dazu gehört die Einführung einer neuen Währung, die den von Frankreich kontrollierten CFA-Franc ersetzen soll. Wie schnell sich dies realisieren lässt und welche wirtschaftlichen Auswirkungen dies hat, insbesondere für die Region Westafrika, darüber kann derzeit nur spekuliert werden (Anm: eine Auseinandersetzung mit dem Thema neue Währung ist für einen späteren Teil zum "Machtwechsel im Senegal" geplant).
"Das Aufbegehren gegen neokoloniale Abhängigkeiten und der wiedererstarkte Wille zur Selbstbestimmung werden als «Neosouveränismus» bezeichnet. Für die neue Regierungspartei PASTEF bedeutet dieser Begriff in erster Linie eine wirtschaftspolitische Neuorientierung. Ihre Regierung ist die erste in Westafrika, die den Kampf gegen den Neokolonialismus nicht nur – wie die Militärregime in den Nachbar(*innen)ländern – populistisch, sondern mit einem detailliert ausgearbeiteten und öffentlich vorgestellten Programm verfolgt und für ebendiesen Kurs demokratisch gewählt wurde.
Das ist bemerkenswert, denn die Aushöhlung der Demokratie hat eine lange Tradition in Westafrika, wo die politische Klasse, die in den 1990er Jahren für die Demokratie kämpfte, nach ihrem Machtantritt die Institutionen kaperte und die Jugend von Mitbestimmung und Teilhabe ausschloss. (...) Die neue senegalische Regierung markiert nun einen Neuanfang." (Rosa-Luxemburg-Stiftung, 24. Oktober 2024)
Bereits in die Wege geleitet ist das Ende der Präsenz ausländischer Militärs. So soll die volle Souveränität ohne jegliche Einmischung von außen in die militärischen und sicherheitspolitischen Angelegenheiten des Landes hergestellt werden. Frankreich zog mittlerweile ihre Truppen ab, übergab die Militärstützpunkte an den Senegal - und verlor damit einen der letzten übrig gebliebenen Stützpunkte in den ehemaligen Kolonien in Afrika.
Im Senegal wird die Armee umstrukturiert und es gibt Bestrebungen für den Aufbau einer Rüstungsindustrie. Die Pläne für die Herstellung von Militärfahrzeugen und Munition sind fortgeschritten, ein Vertrag für die Montage von in Südkorea hergestellten Militärfahrzeugen wurde bereits unterzeichnet.

Massaker von Thiaroye 1944
Zur Aufarbeitung des Kolonialismus und den damit verbundenen Verbrechen gehört die Aufklärung des Massakers in damaligen Militärlager von Thiaroye am 1. Dezember 1944. Die neue Regierung im Senegal veranstaltete am 80. Jahrestag des Massakers eine Gedenkveranstaltung und will sich der Wahrheitsfindung widmen. Von Frankreich wird u.a. die Öffnung der Archive gefordert.
Bei den ermordeten Soldaten* handelte es sich großteils um ehemalige Kriegsgefangene, die ab 1940 für die Befreiung Frankreichs gegen Nazideutschland kämpften. Mehr als 1.600 Schützen* wurden Ende 1944 in Thiaroye gesammelt. Sie befanden sich auf dem Heimweg vom Krieg und forderten den ausstehenden Sold. Dem wollten die französischen Kommandeure* nicht nachkommen und organisierten ein Massaker, dass als Niederschlagung eines Aufstandes dargestellt werden sollte. Bis heute ist nicht geklärt, wie viele Menschen dabei erschossen wurden. Die damaligen französischen Behörden hatten den Tod von mindestens 35 Personen zugegeben. Historiker*innen gehen von mehreren hundert Opfern aus.
Armelle Mabon veröffentlichte das Ergebnis ihrer dreizehnjährigen Untersuchung zum Massaker in einem Buch, das kurz vor dem 80. Jahrestag erschien. Le Nouvel Obs (28. November 2024) fasste due Schlussfolgerung des Buches wie folgt zusammenfassen:
"Zwischen 300 und 400 «senegalesische Tirailleurs», ehemalige Kriegsgefangene, noch nicht demobilisiert, unbewaffnet, werden von Selbstfahrern*, die von weißen Soldaten* gesteuert werden, in einem vorsätzlichen Szenario massakriert (vor der Tragödie sollen sogar Massengräber gegraben und später mit Müll bedeckt worden sein)."
Präsident* Macron nannte die Tat in einem offiziellen Brief an Diomaye als Massaker, sprach aber nicht von 300 bis 400 Toten. 2014 bezeichnete Präsident François Hollande die Ereignisse noch als "blutige Niederschlagung". Für Bassirou Diomaye Faye muss das Eingeständnis, dass ein Massaker verübt wurde, selbstverständlich zur Wiedergutmachung führen.

weiße Überheblichkeit
Macron, der die Tatsache hinnehmen muss, dass französische Militärstützpunkte in den ehemaligen Kolonien nicht mehr erwünscht sind, zeigte in einem Statement am 6. Jänner 2025 im Rahmen einer jährlichen Botschafter*innenkonferenz im Élysée-Palast, dass er nach wie vor in kolonialen Denkmustern verhaftet ist. Macrons Ansicht nach haben afrikanische Staats- und Regierungschef*innen vergessen, sich bei Frankreich zu bedanken. Er behauptete, beim Abzug französischer Truppen aus mehreren Staaten handle es sich nicht um einen Rauswurf, sondern um eine "Neuorganisierung". Darüber hinaus habe Frankreich durch seine Militärpräsenz verhindert, dass die Länder unter die Kontrolle islamistischer Milizen gerieten und behauptete: "Kein afrikanisches Land wäre heute souverän, wenn Frankreich sich nicht eingesetzt hätte."
Macron erntete dafür heftige Widersprüche. Für Abderaman Koulamallah, Außenminister* des Tschad, offenbaren Macrons Äußerungen dessen Verachtung für Afrika und die Afrikaner*innen. Die französische Führung müsse lernen, die Menschen in Afrika zu respektieren.
Premierminister* Sonko kritisierte die Aussagen Macrons und korrigierte den französischen Präsidenten*. Zum Abzug der Truppen gab es keine Verhandlungen, die Entscheidung sei allein im Senegal getroffen worden. In der Vergangenheit habe Frankreich zur Destabilisierung afrikanischer Länder wie Libyen beigetragen, mit "katastrophale Folgen" für die Sicherheit der Region. Frankreich habe weder das Mandat noch die Ressourcen, Afrika zu verteidigen. (BBC News, 7. Jänner 2025)
Wahrheitsfindung
"Es ist an dieser Stelle an der Zeit, Präsident Macron daran zu erinnern, dass Frankreich heute vielleicht immer noch deutsch wäre, wenn die afrikanischen Soldaten*, die manchmal zwangsmobilisiert, misshandelt und schließlich verraten wurden, im Zweiten Weltkrieg nicht zur Verteidigung Frankreichs eingesetzt worden wären." (Ousmane Sonko)
Sonko bezog sich auf das Massakers von Thiaroye. Fast 80 Jahre nach den tragischen Ereignissen haben Ausgrabungen am Gelände des ehemaligen Militärlagers und am angrenzenden Friedhof begonnen. Thiaroye, einst weit außerhalb von Dakar gelegen, befindet sich aufgrund fortschreitender Urbanisierung nun mitten in Pikine, einem Vorort von Dakar. Die Ausgrabungen sollen dazu beitragen, die Anzahl der Opfer und die Umstände ihres Todes herauszufinden. Sie stellen einen Wendepunkt in der Wiederaneignung einer schmerzhaften Erinnerung dar. Die Regierung im Senegal will ein Denkmal auf dem Gelände errichten und dieses in einen Raum der Pädagogik und Andacht umwandeln.

Straßennamen
Meist sind Denkmäler weißen Männern gewidmet. An vielen Orten wurden sie errichtet, um Kolonisator*innen in Erinnerung zu halten. Ihre Verbrechen und die Beteiligung an Ausbeutung, Unterdrückung, Versklavung usw. wurden ausgeblendet, als hätte es sie nie gegeben. Zusätzlich sind viele Straßen und Plätze nach wie vor nach kolonialen Unterdrückern* benannt, oder nach Orten aus der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich.
"Eine Straßenwidmung ist eine besondere Form des Denkmals: Sie setzt ein dauerhaftes Zeichen (...), das Menschen dazu einlädt, sich mit der Bedeutung der geehrten Person auseinanderzusetzen. Gleichzeitig ist sie weniger direkt erfahrbar als eine Skulptur oder ein Mahnmal." ("Öffentliche Erinnerung an Frauen. Warum Denkmäler dringend ein Update brauchen, in: Stimme 1/25, S.12ff - pdf)
Im Sinne des Panafrikanismus geht es um einen Bruch mit dem kolonialen Erbe, emanzipative Geschichtsschreibung und das Bewusstwerden über Kontinuitäten der Unterdrückung. Deshalb sollen Straßen und öffentliche Gebäude in Dakar umbenannt werden. Statt der Huldigung von Kolonisator*innen sollen sie zukünftig die Namen berühmter Persönlichkeiten aus dem Senegal bzw. Afrika tragen, die u.a. im Befreiungskampf und gegen Sklaverei aktiv waren.
China überholt Frankreich
Das Jahr 2024 markierte neben einem politischen Wechsel im Senegal eine bedeutende Veränderung in wirtschaftlicher Hinsicht: die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, bisher größte Handelspartner*in des Senegal, wurde von China abgelöst. (Sud Quotidien, 2. April 2025)
Geopolitische und -ökonomische Entwicklungen sind dabei von Bedeutung:
"Afrika, wieder im Zentrum der geoökonomischen Rivalitäten, zieht nun China, Indien, Russland, die Türkei oder die Golfstaaten an. Insbesondere China ist heute größte bilaterale Kreditgeber*in des Kontinents und bietet ein Modell an, das auf schnellen Darlehen ohne politische Bedingungen basiert und durch natürliche Ressourcen gestützt wird." (Ibrahima Aïdara in: Le Soleil, 19. April 2025)
Für Professor Mamadou Fall stellt China
"eine tragfähige Alternative zu den traditionellen afrikanischen Geber*innen und Handelspartner*innen dar, eine Alternative, die eine Neuorientierung afrikanischer Visionen und Politiken ermöglicht." (Le Soleil, 28. Juni 2025)
Chinas Engagement basiere auf
"langjährigen Erfahrungen, wie die Erhöhung der öffentlichen Mittel für grundlegende soziale Sektoren mit den öffentlichen Investitionen für Wachstum und Armutsbekämpfung, Beschäftigung, Wohnungswesen, Gesundheit, Bildung und Zugang zu grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen."
Wirtschaftsbeziehungen
China stellt vor allem im Zusammenhang mit der Finanzierung von großen Infrastrukturprojekten für viele afrikanische Länder eine Alternative zur USA und Europa dar. Nicht ohne davon zu profitieren: Über billige Rohstoffe, mit denen Investitionen beglichen werden. Aber auch mit Exporten nach Afrika, wo aufgrund fehlender Kontrollmechanismen sehr oft Trash gekauft werden muss - immer und immer wieder aufgrund mangelnder Qualität und kurzer Lebensdauer. Das geht ins Geld und trägt zur Umweltverschmutzung bei.
Ein Nebeneffekt der Finanzierung gegen Rohstoffe ist, dass Staaten sich leicht verschulden. Die lokale Bevölkerung profitiert nur bedingt, muss aber mit den Folgen des Raubbaus zurecht kommen, wie anhand des weiter unten thematisierten Fischens zu sehen ist. Ob das Engagement Chinas in Afrika neokoloniale Züge trägt, darüber streiten sich Wissenschaftler*innen und Kommentator*innen.
Die neue Regierung des Senegal will die Wirtschaftsbeziehungen mit China und anderen Staaten weiter ausbauen. Ousmane Sonko reiste im Juni 2025 nach China, wo mehrere Abkommen unterzeichnet wurden. Im Rahmen der einwöchigen Reise nahm Sonko am Weltwirtschaftsforum in Tianjin teil.
Schulden...
Die Schulden, die viele der sog. Entwicklungsländer zu bewältigen haben, werden immer wieder kritisiert. Die Schuldenberge entstehen aufgrund von Abhängigkeiten und wegen Ausbeutung durch (ehemalige) Kolonisator*innen und andere Staaten bzw. Konzerne. Sie werden immer wieder kritisiert, weil es dem Großteil der Bevölkerung in hoch verschuldeten Staaten in Afrika kaum möglich ist, ihre Bedürfnisse zu erfüllen.
Senegal muss laut Wirtschaftswissenschaftler Dr. Amath Ndiaye
"mehr als ein Viertel der Steuereinnahmen des Landes ausschließlich für die Rückzahlung von Zinszahlungen verwenden, ohne dabei das geliehene Kapital zu reduzieren." (Le Soleil, 6. Juli 2025)
...erlass
Ende Juni / Anfang Juli 2025 nahm Diomaye an der 4. Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Sevilla teil. Im Rahmen eines Runden Tisches zum Thema Staatsverschuldung mit dem spanischen Präsidenten* Pedro Sánchez äußerte er sich kritisch über das derzeitige Schuldensystem. Dieses sei
"ungerecht und oft mit den Realitäten unserer Volkswirtschaften und unseren Prioritäten im Hinblick auf den Zugang zu Bildung, Gesundheit, Wasser oder einer gesunden und ausreichenden Ernährung nicht in Einklang" zu bringen.
Diomaye forderte
"eine Reform, die auf Gerechtigkeit und Fairness, Transparenz, der Überarbeitung der Regeln für Ratingagenturen sowie Solidarität mit automatischen Aussetzungsklauseln im Falle eines Schocks beruht." (Le Soleil, 2. Juli 2025)
Aufgrund der Veröffentlichung der Informationen über das gefälschte Budget wurde der Status des Senegal abgewertet, was sich auf die Rückzahlung von Krediten negativ auswirkt. (Anm.: Mittlerweile gab es Lob von IWF für die Stärkung der Wirtschaft und die Änderung der Schuldenposition Senegals.)
Diomaye forderte eine Reform der globalen Finanzverwaltung, mit mehr Fairness im Schuldenmanagement, internationale Steuergerechtigkeit, Zugang zu Finanzmitteln und Vorrang für die Menschen. Ein konkreter Vorschlag ist die
"Änderung der Beurteilungskriterien für Ratingagenturen, deren Methoden und Praktiken die Bedingungen für den Zugang zu Krediten und die Rückzahlung erheblich verschärfen."
Folgende Prioritäten seien unumgänglich:
"Investitionen in die Bildung, Zugang zur Gesundheit, Stärkung der sozialen Sicherungssysteme, ein gerechter und fairer Klimaübergang sowie die Ermächtigung von Frauen und Jugendlichen." (Le Soleil, 30. Juni 2025)
Neben den Überlegungen der Regierung gibt es im Senegal Stimmen, die einen sofortigen Stopp der ungerechten Schuldenrückzahlungen fordern. Als Reaktion auf die Ankündigung des IWF, aufgrund des manipulierten Haushaltes keine Auszahlungen im Senegal mehr durchzuführen, forderte CADTM Senegal "die sofortige Aussetzung der Rückzahlung der Schulden, um die Mittel auf die dringenden Bedürfnisse der Bevölkerung umzuleiten." Die Zahlungen sollen geprüft und der unrechtmäßige Anteil bestimmt werden. Es brauche eine Neuverhandlung mit den Gläubiger*innen, "um die Rückzahlungsmodalitäten im Interesse der Menschen im Senegal neu zu bewerten". (Afriques en Lutte, 15. Mai 2025)
Eine wirtschaftliche Sichtweise
Laut Wirtschaftswissenschaftler* Ibrahima Aïdara kann sich Afrika
"... nur dann nachhaltig entwickeln, wenn es sich auf seine eigenen Ressourcen stützt, mit der Abhängigkeit von außen bricht und sich in Richtung eines souveränen panafrikanischen Industrialisierungsprojekts bewegt. Es ist an der Zeit, leere Versprechen in eine starke politische Vision zu verwandeln, die auf Endogenisierung, fiskalischer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Souveränität beruht." (Le Soleil, 28. Juni 2025)
Endogenisierung meint, Veränderungen kommen aus dem Inneren und wirken nach innen wie außen. Die Endogene Wachstumstheorie argumentiert, dass technischer Fortschritt die Produktivität erhöht und somit Vorteile gegenüber Mitbewerber*innen bringt (Wikipedia). Damit bedient diese Theorie die kapitalistischen Vorstellungen von Wachstum und Konkurrenzkampf.
Klimawandel
(Unkontrollierter) Wachstum ist verbunden mit der zunehmenden Ausbeutung von Ressourcen. Die Auswirkungen dieser Ökonomie bringen die Welt und ihre Bevölkerung immer öfter zum Schwitzen. Umso wichtiger ist die Nachhaltigkeit von Maßnahmen, die die Auswirkungen des Klimawandels berücksichtigen.
Die Erwärmung des Meeres führt zu einem Rückgang des Fischbestandes. Aufgrund des ansteigenden Meeresspiegels sind Teile des Senegals von Überflutung bedroht. In den vergangenen Jahren kam es in mehreren Landesteilen zu großer Dürre, die zu Ernteeinbusen führte. Zahlreiche Tiere verendeten, weil sie kein Trinkwasser fanden. Neben der Dürre sind massive Regenfälle und Überschwemmungen ein weiteres Extrem, mit dem die Menschen in vielen Gegenden zu kämpfen haben (taz, 27. Oktober 2024).
"Die einkommensstarken Länder, die die Hauptverantwortung für den Klimawandel tragen, stellten auch 2024 keine angemessenen Mittel für den Fonds zur Finanzierung von Schäden und Verlusten sowie für Anpassungsmaßnahmen zur Verfügung. In afrikanischen Ländern litten daher Millionen Menschen unter den Folgen von Dürre, und Tausende waren von sintflutartigen Regenfällen und Überflutungen betroffen." (Amnesty International Senegal)
Wasser
Neben dem Klimawandel ist die zunehmende Verschmutzung von Wasserressourcen eine große Herausforderung in Westafrika. Deshalb gibt es seit Jahren Bestrebungen, einen bewussteren Umgang mit Wasser zu erreichen. Von 10. bis 11. Juli fand in Dakar eine Konferenz statt, die für eine Verhaltensänderungen im Umgang mit Wasser in Westafrika eintrat. (EnQuête+, 11. July 2025)
Für viele Menschen gibt es keinen (ausreichenden) Zugang zu fließendem bzw. Trinkwasser. Ein Projekt das die Versorgung verbessern soll ist eine Entsalzungsanlage, mit der bis zu 400.000 m3 Trinkwasser pro Tag hergestellt werden sollen. Der Vertrag wurde unter dem alten Regime in Kooperation mit dem saudischen Unternehmen ACWA Power in Form einer öffentlich-privaten Partner*innenschaft geschlossen, wo der Staat die Anlage für 30 Jahre ab Inbetriebnahme mietet. Aufgrund einer Neuverhandlung des Vertrages wurde der Staat von der einfachen Kund*in zur Co-Investor*in, was eine bessere strategische Kontrolle und gerechtere Verteilung der mit dem Betrieb des Standorts verbundenen Risiken garantieren könnte. (Le Soleil, 29. Juni 2025) In Zeiten, in denen viele Investor*innen und Konzerne eine Privatisierung der Wasserversorgung fordern, ist dies von großer Bedeutung.
Im Senegal besteht darüber hinaus das Problem der zunehmenden Versalzung entlang der Küste bzw. rund um die Flüsse bis weit ins Landesinnere. Dies hat unterschiedliche Ursachen. Eine ist die massive Abholzung von Mangroven am Küstenstreifen zum Atlantik.
"Mit traditionellen Mitteln soll nun die Versalzung des Bodens gestoppt und Wälder wieder aufgeforstet werden. Zudem geht es darum, natürliche Ressourcen zu schonen, damit das Ökosystem wieder stabiler wird." (dw, 23. Juni 2015)

Fische
Ein weiteres Problem ist die massive Überfischung des Meeres. Sie zerstört die Lebensgrundlage vieler Menschen und gefährdet die Ernährungssicherheit, da Fisch eine der wichtigsten Eiweißquellen im Senegal darstellt. Die Fischereiverträge mit der EU wurden mittlerweile ausgesetzt bzw. nicht mehr verlängert. Mit dem seit 2019 bestehenden Abkommen erkaufte sich die EU um jährlich 1,7 Millionen Euro das Recht, in Senegals Gewässern zu fischen. Laut Dakar Matin (24. März 2025) markiert das Ende des Abkommens
"einen Wendepunkt in den Handelsbeziehungen zwischen den beiden Parteien und zielt darauf ab, die Fischereiressourcen des Landes besser zu schützen und eine nachhaltigere Fischerei zu fördern, von der die lokalen Gemeinschaften profitieren."
Dies bedeutet nicht, dass sich europäische Fangflotten komplett aus den Gewässern vor den Küsten Senegals zurückgezogen haben. Oft werden die Eigentumsverhältnisse der Schiffe verschleiert. Die Trawler mit ihren Schleppnetzen (siehe Grafik/Foto) fischen unter senegalesischer Flagge oder schalten ihre Ortungssysteme aus, um sich der Kontrolle zu entziehen. (Oceans 5)
Neben der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei sind u.a. Fangflotten aus China nach wie vor aktiv.
Fischfutter und Hendlhaxn
Der Rückgang der Erträge der Fischer*innen führt zu einem enormen Preisanstieg auf den lokalen Märkten. Guter Fisch ist rar und steht einem Großteil der Bevölkerung nicht mehr ausreichend zur Verfügung. Gleichzeitig wird von internationalen Fangflotten gefangener Fisch direkt auf den Schiffen verarbeitet oder in Fischfabriken am Festland Fischmehl erzeugt, um es in der Folge in Fischfarmen in Asien oder Europa zu verfüttern. Dieser Raubbau gefährdet die Ernährungssicherheit entlang der Küsten Westafrikas, wo Fisch die wichtigste tierische Eiweißquelle ist.
Bei den Fischen sind die Auswirkungen der Ausbeutung der Natur auf die Bevölkerung nicht zu übersehen. Es ist mittlerweile billiger, mit importierten, tiefgekühlten Hendlhaxn (Hühnerkeulen, Anm) zu kochen, als mit frischem und wesentlich gesünderem Fisch vom lokalen Markt.

Auswanderung
Im Fischereisektor, vom Fang über die Verarbeitung, den Transport bis zum Verkauf sind bis zu 15% der erwerbstätigen Leute im Land beschäftigt. Während der Fang Männer*sache ist, erledigen vor allem Frauen* die Verarbeitung und den Verkauf der Fische. Aufgrund des massiven Rückganges der gefangenen Fische verlieren in den Fischereigemeinden viele ihre Erwerbsarbeit und somit ihr Einkommen. Dies führt wiederum zu anderen Problemen: Viele junge Leute, die keine Perspektive im Senegal sehen, begeben sich auf die gefährliche Reise Richtung kanarischen Inseln (siehe dazu: "Das Meer war verkauft": Fischereikrise im Senegal fördert Zwangsmigration nach Europa). Die Auswanderung beschränkt sich keinesfalls auf die Fischereigemeinden. Die heimliche Migration zu stoppen, ist ein Ziel der neuen Regierung - und unterscheidet sich hier kaum von den Vorgänger*innen. Frontex eröffnete bereits im Jahr 2006 ein Büro in Dakar, das u.a. dazu dient, die Migrationsroute über das Meer zu den Kanarischen Inseln zu stoppen. Zahlreiche Boote werden aufgehalten, doch wie aktuelle Zahlen der Ankünfte auf den Kanaren zeigen, kann von einem Stopp nicht geredet werden.
Viele Menschen ertrinken auf dieser Reise. Ein Problem, dem sich die neue Regierung annehmen will. Nachdem am 8. September 2024 ein Boot vor Mbour kenterte und 35 Menschen starben (siehe Foto), kündigte Diomaye Maßnahmen an.
"Nach dem unerträglichen Drama der illegalen Auswanderung, das das Land heimgesucht hat, ist der Senegal in Trauer. Ich stehe den trauernden Familien zur Seite und bekräftige unser Engagement für die Zerschlagung der Migrationsnetze, die unsere Kinder ausbeuten." (Diomaye auf X)
Die Regierung kündigte an, dass sie an einigen zentralen Themen arbeite, die Migration fördern. Hier dreht es sich vor allem um die Reduktion der hohen Jugendarbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven. Eine schnelle Lösung ist nicht zu erwarten, deshalb rief der Präsident* die Jugend gleich dazu auf, im Senegal zu bleiben, anstatt die "Illusion" einer besseren Zukunft anderswo zu suchen. (InfoMigrants, 12. September 2024)

Migrationsbekämpfung
Der Schwerpunkt liegt im Kampf gegen Migration, oder wie Diomaye es im Chargon der Migrationsbekämpfer*innen ausdrückt:
"Von nun an wird die unerbitterliche Jagd nach diesen Illusionshändler*innen, diesen Todeshändler*innen, intensiviert."
Die Politik zur Beschränkung der Bewegungsfreiheit ist ein Tauschhandel, bei dem der Staat im Gegenzug Gelder aus der "internationalen Zusammenarbeit" erhält. Es wird argumentiert, dass damit Fluchtgründe bekämpft und Perspektiven im Land geschaffen werden, doch in Wirklichkeit hat die lokale Bevölkerung keine Vorteile aus der Migrationsabwehr. Ganz im Gegenteil: migrationsbehindernde Maßnahmen führen dazu, dass Kontrollen umgangen werden, was eine der gefährlichsten Migrationsrouten der Welt noch gefährlicher macht: die Boote müssen sich schon viel früher weit hinaus ins offene Meer begeben. Jährlich verschwinden unzählige Leben in den Tiefen des Ozeans.
Gehilf*innen Europas
Mitte Oktober 2024, nur wenige Wochen nach dem tragischen Vorfall, kündigte die EU an, dass sie Senegal zusätzliche 30 Millionen Euro zur "Steuerung der Migration" zur Verfügung stelle. Die Mittel sollen dazu dienen, "Migrant*innenschmuggel" und "Menschenhandel" einzuschränken und für die Gefahren, die von der Nutzung der Seewege ausgehen sensibilisieren. (InfoMigrants, 17. Oktober 2024)
Im Bereich der Migrationsbekämpfung verzichtet die Regierung nicht auf die Zusammenarbeit mit europäischen Staaten. Es gibt eine enge Kooperation mit der EU bei der Spanien eine zentrale Rolle einnimmt. Immer wieder werden bereits im Senegal Boote aufgehalten, die sich auf den Weg Richtung Kanarische Inseln machen.
Das Regime Diomaye/Sonko setzt damit die Politik ihrer Vorgänger*innen fort - ganz im Dienste Europas. Es hat den Anschein, dass beim Thema Migrationsabwehr die viel beschworene Souveränität nicht von großer Bedeutung ist.

Fehlende Zukunftsperspektive
Dass der Weg übers Meer gefährlich ist, ist bekannt. Hoffnungslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven, explodierende Preise und Jobs bzw. Beschäftigungen als Tagelöhner*innen, die keinesfalls zum Überleben reichen, lassen viele diese Gefahren auf sich nehmen. Immer öfter ohne dass die engsten Familienmitglieder davon wissen. Es gibt zwar seit kurzem ein neues Anwerbungsprogramm aus Spanien für zirkuläre Migration (InfoMigrants, 5. September 2024), doch die Plätze reichen für die vielen jungen Menschen mit ihren Träumen von einem sorgenfreien Leben nicht aus.
Das Leben in vielen Gegenden Westafrikas funktioniert nach dem Prinzip "von der Hand in den Mund". Die Leute müssen jeden Tag aufs neue schauen, dass sie über die Runden kommen. Sie haben kein Erspartes, auf das sie bei akuten Problemen, wie im Krankheitsfall, zurückgreifen können. Die meisten Leute haben keine Krankenversicherung. Viele Kinder können unter diesen Umständen nicht zur Schule gehen, Kinderarbeit ist weit verbreitet. Die Appelle aus dem Westen gegen Kinderarmut helfen jedoch nicht, die Situation grundlegend zu ändern.
Kinderrechte
Der Amnesty International Jahresbericht 2024 behandelt Kinderrechte in Zusammenhang mit Mädchen, deren Mindestalter für die Eheschließung von 16 auf 18 Jahre angehoben werden soll. Ebenfalls Teil des Amnesty Berichts sind Talibés, Koranschüler*innen in den Daaras. Den Kinder werden in jungen Jahren der Koran und religiösen Pflichten des Islam gelehrt. Teil der Erziehung ist, die Lehrer* zu respektieren und ihnen zu dienen, doch besteht die weit verbreitete Praxis, dass Talibés zum Betteln für ihre Lehrer* gezwungen werden. Es gibt ebenfalls Berichte von (sexueller) Misshandlung.
Dass dies nur ein Teil des Problems der Kinderarmut und -arbeit ist, ist überall zu sehen. So müssen viele Mädchen im Haushalt mithelfen oder verkaufen Kleinigkeiten in den Straßen, während Buben vielerorts als Hilfskräfte in so gut wie allen handwerklichen Spaten tätig sind. Sie helfen damit, das spärliche Einkommen der oft weit unter der Armutsgrenze lebenden Familien zu erhöhen und leisten einen wertvollen Beitrag zum Überleben, selbst wenn sie so gut wie nichts für ihre Arbeit bekommen.
Urbanisierung
Die sozialen Probleme betreffen nicht alle Menschen gleich. Es gibt große regionale Unterschiede, und viele Menschen zieht es in die Städte, vor allem in die Hauptstadt Dakar. Dort ist das Leben nicht einfach und die Modernisierung der Infrastruktur führt zwangsläufig zu einem Prozess der Vertreibung. Bettler*innen sind vielerorts zu sehen, ebenso wie Menschen, die als Straßenverkäufer*innen oder Tagelöhner*innen versuchen, ihr Auslangen zu finden.
Die sozialen Widersprüche führen zu Kritik. Doch die Regierung von Diomaye/Sonko scheint ein Problem mit Kritik zu haben, wie der Umgang mit Medien zeigt.
Journalismus wiederherstellen
Kurz nach den Präsident*innenwahlen erschien auf Dakar Matin (16. April 2024) ein offener Brief an den neuen Präsidenten* zur "Notwendigkeit, den Journalismus wiederherzustellen":
"In Ihrem festen Willen, Transparenz und Rechenschaftspflicht zu etablieren und die Korruption in all ihren Formen und auf allen Ebenen zu bekämpfen, scheinen Sie viel auf Informant*innen zu setzen. Ich habe in Ihren verschiedenen Botschaften seit Ihrer Wahl die Rolle der Medien bei diesem edlen und heilsamen Willen nicht richtig wahrgenommen."
Die Medien hätten sich für die Verteidigung der Sicherheit eingesetzt. Von 2015 bis 2024 war ihre Aufgabe aufgrund von Schikanen durch das alte Regime nicht einfach. Mit kritischen Berichten über die damalige Regierung und die Repression gegen die Unruhen von 2021 bis 2024 leisteten sie einen wichtigen Beitrag zum letztendlich friedlichen Machtwechsel.
Der Regierungspartei PASTEF wird ein "schwieriges Verhältnis" mit den Medien nachgesagt. Courrier International (7. Mai 2025) schreibt:
"Der Druck auf die senegalesischen Medien ist seit dem Amtsantritt im April 2024 von den beiden Führungskräften, Bassirou Diomaye Faye und Ousmane Sonko, stetig gestiegen."
Es wird immer wieder bekannt, dass Journalist*innen bei der Ausübung ihrer Arbeit behindert werden. Das Committee to Protect Journalists dokumentiert dazu mehrere Fälle und kritisiert vor allem die Kriminalisierung wegen angeblicher "Verbreitung von Fake News" oder "Beleidigung" von Regierung, Politiker*innen oder Behörden.
Ein Tag ohne Presse
"Der Senegal hat vielfältige und meinungsfreudige Medien. Politischer Druck wird unter anderem durch Bestechungsversuche und den gezielten Einsatz staatlicher Werbeetats ausgeübt. Auch Behördenschikanen sowie verbale Angriffe von Politiker*innen gegen einzelne Medien oder Journalist*innen kommen vor. Viele Printmedien neigen zu parteilicher Berichterstattung. Mehrfach sind Journalist*innen für ihre Veröffentlichungen zu Haft- oder hohen Geldstrafen verurteilt und einzelne Medien zeitweilig verboten worden. Vor allem im Wahlkampf kommen gelegentlich tätliche Angriffe auf Journalist*innen vor." (Reporter ohne Grenzen, RSF))
Der Conseil des Diffuseurs et Éditeurs de la Presse du Sénégal (CDEPS), eine Organisation die Rundfunk- und Verlagshäuser vertritt, erklärte den 13. August 2024 zu einen Tag ohne Presse. Mit der Aussetzung von Veröffentlichungen und Übertragungen wurde gegen die repressiven Maßnahmen der neuen Regierung protestiert sowie die lokale und internationale Öffentlichkeit über die Einschränkung der Pressefreiheit informiert. Viele Pressevertreter*innen, Journalist*innen und Berufsverbände unterstützten die Initiative. Beteiligt haben sich vor allem Fernsehsender, die das Logo und den Slogan des Tages präsentierten, und Tageszeitungen, die das Logo des Tages auf ihren Titelseiten druckten und sonst leer blieben. Nicht teilgenommen haben die regierungsnahe Tageszeitung Le Soleil, Walf Quotidien und Yoor-Yoor, sowie die Fernsehsender RTS und Walf TV. Die Radios nahmen nicht am Tag ohne Presse teil oder streamen nur Musik, ohne Informationen oder Live-Präsentationen zu liefern. Mehrere Webseiten brachten am Tag ohne Presse keine News.
Der Protest wurde als Erfolg bezeichnet und hatte sowohl im Senegal als auch auf internationaler Ebene eine enorme Wirkung. Französisch-, englisch- und arabischsprachige Medien berichteten umfassend. Laut EnQuête+ (14. August 2024) unterstreicht die weltweite Berichterstattung die Bedeutung von Pressefreiheit.
Eine Erklärung von CDEPS erschien am Vortag des Protests in zahlreichen Zeitungen und Nachrichtenportalen (u.a. iGFM, 12. August 2024). Unter dem Titel "Senegals Medien, der programmierte Tod" wurde die wichtige Rolle der Medien zur Festigung von Demokratie und zum Schutz des Rechtsstaates hervorgehoben. Doch seit fast drei Monaten würde "die senegalesische Presse eine der dunkelsten Phasen ihrer Geschichte" erleben. Die Regierung hätte eine "Dämonisierungskampagne gestartet, um die Medien und ihre Anhänger*innen als gesetzlose Bürger*innen darzustellen, die ihre Pflichten nicht erfüllen". Wegen angeblicher Nichtzahlung von Steuern wurden Bankkonten eingefroren, Produktionsausrüstung beschlagnahmt, einseitig und unrechtmäßig Werbeverträge gekündigt, Zahlungen eingestellt sowie staatlichen Abonnements für Zeitungen ausgesetzt. Mehrere Medien, wie die populären Sportzeitungen "Stades" und "Sunu Lamb", waren gezwungen, ihre Veröffentlichung auszusetzen.
"Zähmung der Medien"
Erst zwei Monaten im Amt, warf Ousmane Sonko im Juni 2024 der Medienbranche die "Veruntreuung öffentlicher Gelder" vor und kündigte an, dass die Regierung keine "Unwahrheiten" von Journalist*innen mehr tolerieren werde, die seiner Meinung nach "zu viel Straflosigkeit" genießen. Aufgrund von Berichten über ein Treffen junger Funktionär*innen der PASTEF warnte Sonko die Medien davor, "im Namen der Pressefreiheit ohne verlässliche Quellen" zu schreiben, was sie wollen.
"Das angestrebte Ziel ist nichts anderes als die Kontrolle der Information und die Zähmung der Medienakteur*innen. Es ist schlicht und einfach die Pressefreiheit, die im Senegal bedroht ist." (CDEPS)
Nicht ganz so dramatisch sieht dies Sadibou Marone, Afrika-Direktor von RSF in einem Interview mit Le Soleil anlässlich des internationalen Tages für Pressefreiheit am 3. Mai 2025. Eine Frage lautete, wie sich der Senegal in der Weltrangliste der Pressefreiheit um 20 Plätze verbessern konnte, während die Medien im Konflikt mit der Macht stehen. Marone erklärt dies damit, dass es seit den Wahlen im März 2024 "kaum noch Drohungen oder Angriffe auf Journalist*innen" gäbe, bezeichnete die Beziehungen zwischen Medien und Regierung jedoch als "ziemlich schwierig". Der Zusammenbruch der wirtschaftlichen Sicherheit der Medien wirke sich "auf die redaktionelle Unabhängigkeit der Redaktionen und den Informationspluralismus" aus und bedrohe ihr Überleben. Medien seien von allgemeinem Interesse und "ein grundlegendes Element der Demokratie".

Meinungsfreiheit
Sieben Monate nach dem Amtsantritt der neuen Regierung erinnerte ein Artikel in Sud Quotidien (3. Oktober 2024) an den Umgang des Regimes von Präsident* Macky Sall mit kritischen Stimmen. Untertitel: "Wenn das Tandem Sonko-Diomaye das Regime von Macky Sall nachäfft!" Unter dem neuen Regime gäbe es mittlerweile über ein Dutzend Verhaftungen wegen Verbreitung von Falschnachrichten oder Beleidigung. Macky Sall dienten ebendiese Motive zur Inhaftierung mehrere Funktionär*innen der nunmehrigen Regierungspartei PASTEF. Den Artikel 254 des Strafgesetzbuches, der die Beleidigung des Staatsoberhauptes zur Straftat erklärt, habe Sall zu seiner Lieblingswaffe gemacht. Unter Diomaye/Sonko werden die Gesetze weiterhin von Sonderabteilung für Cybersicherheit, Polizei und Gendarmarie angewendet - gegen Leute mit Naheverhältnis zum alten Regime, gegen Andersdenkende und kritische Journalist*innen.
Regierung und PASTEF selbst setzen auf "soziale Medien", die sie besser für ihre Zwecke einsetzen können. Dadurch erhöhen sich die Gefahren, die sich durch die vermehrte tatsächliche Verbreitung von Fake-News und manipulativen Inhalten ergeben. Ein globales Phänomen, mit dem sich die Leute nicht nur im Senegal auseinandersetzen müssen. Das ist sowohl den Vertreter*innen der Medienbranche als auch der Regierung bewusst. Aktuell findet ein Dialog zwischen Politik und Medien statt, der sich damit auseinander setzt und dessen Ziel u.a. ein neuer Pressekodex ist, der dem Wandel im Informationssektor gerecht wird. So sollen die Pressefreiheit gewährleistet und über entsprechende Regulierungen Missbrauch bestmöglich unterbunden werden. (Dakar Matin, 18. Juni 2025)
"Land in Gefahr"
Am 11. Juli 2025 berichtete EnQuête+ über ein Pressemeeting des Bund für Demokratie und Sozialismus (Confédération pour la démocratie et le socialisme, CDS). Darin wird ein wenig glänzendes Bild der aktuellen Regierungsführung gezeichnet, geprägt von autoritären Auswüchsen, stagnierender Wirtschaft sowie einer auf regionaler wie internationaler Ebene schwächelnden Diplomatie und die
"Bedrohung der freien Meinungsäußerung. Seit mehreren Monaten beobachten wir mit Bestürzung die zunehmende Zahl willkürlicher Verhaftungen, die zur schändlichen Signatur einer Macht geworden sind, die jede Form von Widerspruch ablehnt und auch nur die geringste dissonante Stimme fürchtet. Die öffentliche Szene verwandelt sich so allmählich in ein Theater der Repressionen, wo die unabhängige Meinung als Bedrohung wahrgenommen wird und wo die demokratische Debatte durch systematische Einschüchterung ersetzt wird."
Kritisiert wird vor allem Premierminister* Ousmane Sonko. Beleidigende Aussagen gegenüber Journalist*innen und Oppositionellen werden ebenso genannt wie "eine Flut von Reisen mit dem Privatjet, die in völliger Undurchsichtigkeit durchgeführt wurden, ohne die geringste Erklärung hinsichtlich der Modalitäten der finanziellen Übernahme".
Nicolas Ndiaye, Vorsitzender der Ligue Démocratique (LD), eines der Mitglieder im CDS, warnte:
"Es liegt an uns als verantwortungsbewusster politischer Kraft, Alarm zu schlagen. Denn es ist keine Übertreibung zu sagen, dass unser Land in Gefahr ist! In Gefahr hinsichtlich der Demokratie und der Menschenrechte! In Gefahr bezüglich der Wirtschaft! In Gefahr bezüglich der Gesellschaft! In diplomatischer Gefahr!"
Zeitungen zum 1. Jahrestag
Mittlerweile ist die neue Regierung seit fast 16 Monaten im Amt. Zum ersten Jahrestag der Wahlen vom 24. März 2024 erschienen in den zahlreichen Tageszeitungen im Senegal sowohl kritische als auch zustimmende Artikel zur Politik der neuen Regierung. Teilweise sind diese in die vorliegenden Auseinandersetzungen eingeflossen.
Die Nachrichtenagentur aps.sn (24. März 2025) fasste Berichte auf den Titelseiten mehrere Zeitungen zusammen, in denen Bilanz über das erste Jahr von Bassirou Diomaye Faye als Staatsoberhaupt gezogen wird:
Quelle A: "... wenn nicht alle Versprechen eingehalten wurden, es ist eine Tatsache, dass das derzeitige Regime bedeutende Maßnahmen ergriffen hat." Die Zeitung nennt Grundstücke, auf denen das Regime der illegalen Landvergabe ein Ende gesetzt hat, die Einführung eines technologischen New Deal, die neue digitale Strategie, die Veröffentlichung von Berichten der Kontrollorgane, die Begleichung von Schulden bei den Saatgutproduzent*innen usw.
L’Obs: "Die erste Vorzeigemaßnahme bleibt die Senkung der Preise für lebensnotwendige Güter ab den ersten Monaten ihrer Wahl. In diesen 365 Tagen rühmt sich die Regierung, mit der Einführung ihrer Strategie, der Nationalen Transformationsagenda "Senegal 2050", auf dem richtigen Weg zu sein, während die Opposition auf ein Ausprobieren, eine blinde Piloterei und eine Hexen*jagd gegen das alte Regime verweist. In fast allen Bereichen herrscht Unzufriedenheit. Die Versprechungen sind enorm, aber die Errungenschaften werden immer noch als unzureichend angesehen."
Le Soleil: "... zwischen Ideal und Wirklichkeit klafft die Schere oft weit. Regieren bedeutet nicht nur, Hoffnung zu verkörpern, es geht auch darum, sich den Zwängen der Gegenwart zu stellen, das Erbe der Vergangenheit zu verwalten und die Herausforderungen der Zukunft zu antizipieren. In einem Kontext, der von einer prekären finanziellen Situation und latenten sozialen Spannungen geprägt war, musste der Präsident* schnell handeln, entscheiden und seinen Kurs durchsetzen. (...) Seit seinem Amtsantritt hat Bassirou Diomaye Faye die verantwortungsvolle Staatsführung in den Mittelpunkt seines Handelns gestellt. Der Kampf gegen die Korruption, ein Steckenpferd seiner Regierung, hat zu starken Maßnahmen geführt. Die Veröffentlichung der Berichte der Kontrollorgane hat den Schleier über eine Verwaltung der öffentlichen Finanzen gelüftet, die viel katastrophaler ist als erwartet. Die Verschuldung, die Veruntreuung und die Aneignung von Land unter der früheren Regierung sind ans Licht gekommen und haben sowohl Empörung als auch Besorgnis hervorgerufen."
Le Quotidien: "(...) Angetrieben von politischer und populärer Legitimität setzt Bassirou Diomaye Faye auf eine Regierung des Bruchs und der sozialen Gerechtigkeit unter dem Triptychon ’jub jubal jubbanti’. Sein erstes Jahr war geprägt von einem katastrophalen Zustand eines Landes - in Trümmern gefunden, wie es Ministerpräsident* Ousmane Sonko ausdrückte. Die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen, die Rechenschaftspflicht, das Land, die Landwirtschaft, die digitale Technologie... sind Schlüsselsektoren, auf die sich das Regime konzentriert."
EnQuête spricht von "unzureichenden Fortschritten" oder gar "Stagnation": "Im Bewusstsein der tiefen Meinungsverschiedenheiten in der senegalesischen Gesellschaft aufgrund der politischen Kämpfe, der Instrumentalisierung der Institutionen und des tiefen Unbehagens der Jugend versprach der Nachfolger* von Macky Sall mutige und dringende Maßnahmen, um die Menschen im Senegal zu versöhnen, das Vertrauen in die Institutionen wiederherzustellen und die Beschäftigung zu fördern... Ein Jahr später halten die Früchte nur langsam, was die Blüten versprechen. Ganze Teile des sozioökonomischen Gefüges brechen weiter zusammen."

In der Serie zum Machtwechsel im Senegal erschienen bisher folgende Teile:
- Machtwechsel im #Senegal, Teil 1: Vom Aufstand bis zur neuen Regierung (2. April 2025)
- Machtwechsel im #Senegal, Teil 2: Repression, Gerechtigkeit und ein Amnestiegesetz (3. April 2025)
- Machtwechsel im #Senegal, Teil 3: Zur Neu-Auslegung des Amnestiegesetzes (19. Juni 2025)
- Machtwechsel im #Senegal, Teil 4.1: Ein Rückblick nach 16 Monaten - Bruch mit der Vergangenheit?
Als nächstes erscheint:
Die Zitate aus den französischsprachigen Medien im Senegal wurden maschinell übersetzt und danach bearbeitet.