Machtwechsel im #Senegal, Teil 5: Frauen*körper als politische Objekte
Statement des Feministischen Netzwerks aus Senegal (Réseau des Féministes du Sénégal) aus dem Juni 2023 zum Vorwurf der Verwaltigung gegen Ousmane Sonko, die Instrumentalisierung des Prozesses durch damalige Regierung und Opposition und die Bedeutung des milden Urteils. Ergänzt durch einleitende Worte.
Einleitende Worte
Am 24. März 2024 gewann der* damalige Oppositionskanditat* Bassirou Diomaye Diakhar Faye die Präsident*innenwahlen im Senegal. Gleich nach seiner* Angelobung ernannte er* Ousmane Sonko zum Premierminister*. Dass Sonko im Zuge einer Anklage wegen Vergewaltigung von dieser freigesprochen aber in einen von Unruhen begleiteten Prozess wegen Verführung bzw. Korrumpierung einer* Jugendlichen zu zwei Jahren Haft und einer hohen Geldstrafe verurteilt wurde, spielte keine Rolle. Die Partei von Diomaye/Sonko, die Pastef, bildete die neue Regierung.
Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im November gab es einen überragenden Sieg der Pastef. Die Partei, die einen Bruch mit der Vergangenheit anstrebt und soziale Gerechtigkeit verspricht, gewann 75 Prozent der Sitze im Parlament.
Über den Vergewaltigungsprozess und die Verurteilung von Sonko sprechen nur noch wenige. Die Diskussion ist aber nach wie vor von Bedeutung, vor allem in Hinblick auf eine von der Pastef versprochene gerechtere Gesellschaft. Denn es war Sonko selbst, der mit sexistisch-rassistischen Stereotypen hantierte und sich über die junge Frau*, die er sexuell misshandelte, lustig machte und sie herabwürdigte. Bis heute ist den Verfassenden dieser Zeilen kein Wort der Entschuldigung des* jetzigen Premierministers* zu Ohren gekommen. Dies deutet darauf hin, dass er* sich nach wie vor keiner Schuld bewusst ist.
"Diese männliche* Straffreiheit wird durch ein tief in unserer Kultur verwurzeltes sexistisches Wertesystem genährt. (...) Die Scham im Senegal ist nicht universell. Sie ist ein Instrument zur Kontrolle der Frauen*. Diese Heuchelei ist gewalttätig. Sie legitimiert, entschuldigt - repariert nie.
Jede*r hat das Recht auf Gerechtigkeit, ja. Aber: dass keine*r geheiligt, vergöttert oder öffentlich aufgewertet wird, obwohl solch schwere Anschuldigungen fortbestehen, ist eine ethische Forderung. Es geht nicht um Verurteilung ohne Beweise, sondern darum, organisierte Amnesie abzulehnen. Es geht um Konsequenz, Anstand und Respekt.
Schließlich handelt es sich um eine politische Erinnerung, die die Überlebenden nicht vergisst. Sie lehnt den doppelten Standard ab. Das erfordert eine gerechte Gesellschaft, in der die Grundsätze der Gerechtigkeit weder von Geschlecht noch von Ansehen oder religiösem oder intellektuellem Status abhängen." (Der Blick von Warkha. Tariq Ramadan als Scheich Jérim, als Sonko; lequotidien.sn, 12. Mai 2025)
Das Feministische Netzwerks aus Senegal (Réseau des Féministes du Sénégal) hielt bereits vor dem Urteil fest, was die Worte Sonkos bedeuten, die von einer hauptsächlich aus jungen Menschen bestehenden Bevölkerung mit Begeisterung aufgenommen wurden: Dies sei insbesondere ein großes Problem für Überlebende von Vergewaltigungen. (africanfeminism.com, 26. Mai 2025)
Der Fall von Adji S. zeigt, wie schwerwiegend die Konsequenzen für jene sind, die es wagen, die "patriarchale Ordnung" anzugreifen und das Schweigen brechen:
"Diese junge Frau, die den Politiker* Ousmane Sonko beschuldigt hatte, musste das Land verlassen, ihren Namen, ihr Leben und ihre Nationalität ändern. Sie lebt heute im Exil, mit dem einzigen Fehler, dass sie gesprochen hat. Auch wenn der* Richter* in diesem Fall den Sachverhalt schließlich als Jugendverleumdung neu qualifiziert hat, ist das gleiche unbarmherzige Schicksal der Beschwerdeführerin* zu beobachten. Ihr* Leben wurde auf unumkehrbare Weise verändert, ohne dass irgendein sozialer, institutioneller oder politischer Schutzmechanismus aktiviert wurde. Während dieser Zeit hat der Mann*, den sie* beschuldigt hat, seine* Popularität wachsen sehen, getragen von einer sehr gut orchestrierten Opfererzählung, die es geschafft hat, die Rollen zu vertauschen und den* Angeklagten als denjenigen* darzustellen, den* die Justiz unterdrückt. In diesem gut geölten System ist es einfacher, ein Bild von einem* verleumderischen Helden* um einen angeklagten Mann* zu bauen, als einer* Frau* ein Minimum an Schutz, Würde und Respekt zu garantieren. Was dies den Frauen* kostet, die* es wagen zu sprechen, ist schwindelerregend: Angst, Exil, Verblendung, Einsamkeit. Ihnen wird auferlegt, allein die Last eines ganzen Systems zu tragen, das sich weigert, ihnen zu glauben, sie* zu begleiten oder sogar als würdig zu betrachten. Diese Doppelmoral ist an sich eine institutionelle Gewalt, die jede Frau* trifft." (Der Blick von Warkha. Tariq Ramadan als Scheich Jérim, als Sonko; lequotidien.sn, 12. Mai 2025)
Die Anfeindungen gegenüber Adji S. gingen so weit, dass sie bis nach Europa von Anhäger*innen Sonkos verfolgt wurde. So drang u.a. eine Gruppe aufgebrachter Leute in ein Hotel in der Schweiz ein, um ihr einen unangenehmen Besuch zu bescheren. Sonko unternahm nichts, um diese Jagd auf seine Anklägerin* zu stoppen und trägt somit volle Verantwortung dafür.
Anstatt sich der Anschuldigung zu stellen und sich für das übergriffige Verhalten zu entschuldigen, verharmloste Sonko sexualisierte Gewalt und förderte damit eine frauen*verachtende Kultur und Verbrechen, gegen die Generationen von Frauen* gekämpft haben und immer noch kämpfen. Schon allein die Tatsache, dass im Zuge der Riots, die auf den Urteilsspruch folgten, mindesten acht Frauen* vergewaltigt wurden, zeigt wohin Verharmlosung von sexualisierter Gewalt und Frauen*feindlichkeit führen.
"Die Politisierung der Vergewaltigung hat dazu beigetragen, die Bezugspunkte zu verwischen und die wahrgenommene Schwere dieses Verbrechens zu schwächen. Statt einer Debatte über den Schutz der Frauen haben wir einen Kampf des Einflusses erlebt, bei dem die Worte der Opfer heruntergespielt wurden. Diese Sequenz hinterließ bleibende Spuren: Heute ruft die Erwähnung einer Vergewaltigung im öffentlichen Raum mehr Misstrauen als Solidarität hervor." (Der Blick von Warkha. Vergewaltigung, ein immer noch banalisiertes Verbrechen; lequotidien.sn, 14. April 2025)
Unabhängig davon, was sich nächtens und während der wegen Corona verhängten Ausgangssperre im Massagesalon "Sweet Beauty" in Dakar abspielte: Die Reaktion des* Beschuldigten und die Instrumentalisierung des Falles durch die damalige Regierung unter Macky Sall, die darauf folgenden massiven Ausschreitungen und die Bedeutung für die Politisierung von Frauen*körpern gilt es in Erinnerung zu halten - und die nun regierenden Machthaber*innen damit zu konfrontieren.
Im folgenden findet sich ein auf deutsch übersetztes Statement des Feministischen Netzwerks aus Senegal (Réseau des Féministes du Sénégal), das nach dem Urteilsspruch im Juni 2023 veröffentlicht wurde.

Réseau des Féministes du Sénégal: Frauen*körper als politische Objekte
Am 1. Juni 2023 urteilten die senegalesischen Gerichte endgültig über den Fall "Sweet Beauty". Adji S., eine junge Frau, die in diesem Massage-Salon angestellt war, beschuldigte im Februar 2021 Ousmane Sonko, Vorsitzender* der politischen Partei Pastef und Kandidat* für die Präsident*innenwahlen 2024, der Vergewaltigung mit Todesdrohungen. Der Richter* sprach Sonko von den Morddrohungen frei, aber die Vergewaltigungsvorwürfe wurden in eine Korruption bzw. Verführung der Jugend umgewandelt. Sonko wurde zu 2 Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 600.000 CFA verurteilt. Außerdem zur Zahlung von 20 Millionen CFA an Adji S.
Ndèye Khady Nd., die Besitzerin von Sweet Beauty, wurde wegen Anstiftung zur Ausschweifung zu zwei Jahren Haft und einer Geldstrafe von 600.000 FCFA verurteilt und die Schließung von Sweet Beauty wurde angeordnet.
Nach diesem Urteil kam es tagelang zu gewaltsamen Unruhen im Senegal, die zu Toten, Vergewaltigungen von Frauen und Plünderungen von öffentlichem und privatem Eigentum führten. Nach offiziellen Angaben starben mehr als 20 Menschen, 500 wurden verhaftet, 8 Fälle von sexueller Gewalt gegen Frauen sowie zahlreiche Fälle von vermissten Personen gemeldet. Der Verlust von Menschenleben macht uns traurig, und wir verurteilen die Gewalt und die Zerstörung von öffentlichem und privatem Eigentum.
Eine feministische Lesart des Urteils
Wir waren beunruhigt über dieses Urteil, das wir zweideutig und verwirrend fanden. Wie man es auch dreht und wendet, dieses Urteil ist ein schwerer Schlag für den Kampf für die Rechte der Frauen* im Senegal, insbesondere im Hinblick auf die Errungenschaften, die durch die Kriminalisierung von Vergewaltigung erzielt wurden. In diesem Fall wurde Vergewaltigung nicht ausgeschlossen, sondern als Korruption an Jugendlichen eingestuft. Es ist jedoch erwiesen, dass die sexuellen Kontakte zwischen Ousmane Sonko und Adji S. Bestandteil einer ungesunden Beziehung waren. Rechtsexpert*innen erklären die Korruption von Jugendlichen als eine Form von moralischem Zwang oder psychologischem Druck, den ein*e Erwachsene*r auf eine*n Jugendliche*n unter 21 Jahren ausübt. Zum Zeitpunkt des Vorfalls war Adji S. 19 und Ousmane Sonko 46 Jahre alt. Angesichts des prekären sozialen Status von Adji S. deutet dieses Urteil auf einen illegalen sexuellen Kontakt zwischen den beiden, aber nicht auf eine Vergewaltigung hin.
Vergewaltigung ist eines der am schwierigsten zu beweisenden Verbrechen in einem Rechtssystem mit sexistischen Institutionen, in dem die Beweislast auf den Schultern der Klägerinnen* ruht.
Leute, die an die Worte von Überlebenden wie Adji S. glauben, sind der Meinung, dass die Schwierigkeiten und die Bekanntheit des* Angeklagten zu seinen* Gunsten gearbeitet haben, um die Fakten für ein Verbrechen neu zu qualifizieren, das mit bis zu 10 Jahren Gefängnis zu bestraften ist. Zweifel kommen dem* Angeklagten sicherlich zugute. Die Verurteilung von Ndèye Khady Nd. zeigt jedoch, dass der Massagesalon nicht (nur) für legale Tätigkeiten bestimmt war, was darauf hindeutet, dass der* Angeklagte nicht für eine einfache Massage da war, wie er* angegeben hatte. Die Angebote des Massagesalons, wie z. B. "Body-Body, Happy Ending", hatten sexuelle Konnotationen. Einige sagen, dass es sich nicht um einen Moralprozess handelt, aber es ist fragwürdig, warum ein 46-jähriger Mann* und damaliger Parlamentsabgeordneter* spät in der Nacht und während einer wegen Covid verhängten Ausgangssperre einen Ort besuchte, an dem eine sozial und wirtschaftlich gefährdete 19-jährige Frau* in einem Beruf arbeitete, der sie zu einer leichten Beute machte.
Jeder* Überlebenden, die* es wagt, das Schweigen zu brechen, muss geglaubt werden und sie* benötigt Unterstütztung. Die Justizbehörden (meist Männer*) scheinen zu zögern, das jüngste Gesetz zur Kriminalisierung von Vergewaltigung anzuwenden. Zur Erinnerung: Trotz jahrzehntelanger Kämpfe von Frauen*verbänden galt Vergewaltigung im Senegal als einfaches Vergehen. Das Gesetz zur Kriminalisierung wurde im Januar 2020 verabschiedet, nachdem es mehrere Fälle von Vergewaltigung und Mord gegeben hatte. Das Zögern, dieses Gesetz anzuwenden, und die Häufigkeit, mit der Vergewaltigungsvorwürfe als Vergehen eingestuft werden, zeigen, wie zurückhaltend die Gerichte sind. Vergewaltigungen sind im Senegal weit verbreitet und alltäglich, und die beschuldigten Männer* kommen fast immer damit durch.
Alle Diskussionen und Aktionen rund um den Prozess sowie das Urteil sind bezeichnend für mehrere soziale Realitäten im Senegal, einschließlich der Verletzlichkeit junger Mädchen*, die durch ein patriarchalisches System geschwächt werden, das sich durch Ausbeutung selbst stärkt.
Der Prozess der Verletzlichkeit, in den junge Mädchen* mit dem Profil von Adji S. gesteckt werden, stellt sie an die Schnittpunkte mehrerer Unterdrückungen, in deren Mittelpunkt Sexismus, Klassismus und sexuelle Ausbeutung stehen. Die Verschlechterung der Lebensbedingungen schwächt vor allem junge Menschen und Frauen*, die doppelt betroffen sind. Ob in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Wirtschaft, politische Repräsentation oder in Entscheidungsgremien – Frauen*rechte werden zunehmend mit Füßen getreten.
Indem sie diese private Angelegenheit für politische Zwecke nutzen, sind sich beide Seiten – die Opposition und die Regierungspartei – in einem Punkt einig: Sie untergraben die Stimmen und Körper der Frauen* und betonen ihre Unterordnung in einer frauen*feindlichen Gesellschaft. Das ganze Land ist zwischen den Launen zweier mächtiger Männer* gefangen. Darüber hinaus ist das Schweigen des Präsidenten* der Republik (Macky Sall, Anm) darüber, ob er beabsichtigt, für eine dritte Amtszeit zu kandidieren, nachteilig für die Frauen* und verstärkt ihre Verletzlichkeit, da es als Vorwand für die Politisierung einer privaten Angelegenheit zwischen zwei senegalesischen Bürgern* diente. Adji S.’s Körper wird zwischen den beiden Lagern hin- und hergeworfen und dient als Boxsack.
In den letzten Wochen wurden wir Zeug*innen eines internationalen frauenfeindlichen Duells, in dem sich Männer* in den Medien ein Duell der Worte liefern, die Überlebenden unsichtbar machen und die anfänglichen Fakten ignorieren. Endemische Gewalt (sowohl verbal als auch körperlich) gegen Frauen* und Mädchen* ist im Senegal weit verbreitet. Gegenwärtig sind 36 Mädchen* im Alter zwischen 6 und 16 Jahren in der Nähe von Touba von einem Koranlehrer* sexuell missbraucht worden. Er stellte sich den Polizeibehörden. Was kommt als nächstes? Wir wissen es nicht. Währenddessen leben seine* Opfer mit diesem Trauma. Wir sehen bereits das Echo ihrer* Marginalisierung in ihren* Gemeinschaften, wo sie* für das, was ihnen* passiert ist, verantwortlich gemacht werden.
Femizide nehmen zu, und die Gewalt nimmt zu, doch nur wenige wagen es, das Schweigen zu brechen oder rechtliche Schritte einzuleiten, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die Radikalisierung des politischen Diskurses und die Schließung des zivilgesellschaftlichen Raums tragen dazu bei, Frauen* zum Schweigen zu bringen. Wir sind Zeug*innen des Vormarsches eines egozentrischen männlichen Diskurses, in dem die Beschwerden der senegalesischen Frauen* an der Peripherie bleiben und nicht berücksichtigt werden.
Die Verharmlosung von Vergewaltigung
Vergewaltigung wird im Senegal endemisch verharmlost, und viele Menschen wissen nicht einmal, was Vergewaltigung ist. In der kollektiven Vorstellung ist Vergewaltigung nur ein Flirt, der zu weit geht, eine Zustimmung, die ignoriert wird, aber nicht zu Konsequenzen führt. Indem er* sich über das äußere Erscheinungsbild seines* Opfers lustig macht mit erbärmlichen Bemerkungen wie "Wenn ich vergewaltigen müsste, würde ich niemanden vergewaltigen, der aussieht wie ein Affe, der einen Schlaganfall erlitten hat", betrachtet Ousmane Sonko sexuelle Übergriffe als eine Form der Schmeichelei, einen Gefallen, der jeder Frau* zuteil wird, die ihn verdient. Abgesehen von der animalischen Karikatur und dem Ableismus dieser Worte ignoriert Ousmane Sonko, dass Vergewaltigung weder romantisch noch eine Frage der sexuellen Anziehung ist. Bei einer Vergewaltigung geht es um Macht und Kontrolle, die nichts mit dem Aussehen des Opfers zu tun haben. Sonst würden Babys und Kleinkinder nicht sexuell missbraucht.
Die Vorwürfe, Adji S. sei manipuliert worden, sind sexistisch und infantilisierend. Diese Vorwürfe legen nahe, dass Frauen* Anschuldigungen nicht alleine formulieren können. Sie verstärken sexistische Stereotype und minimiert die Stimmen von Frauen*, die sexuelle Gewalt melden. Auch der Wert der Worte von Vergewaltigungsopfern wird in Frage gestellt. Jedes Mal, wenn sich ein Vergewaltigungsopfer meldet, muss sie* sich körperlich und psychisch sehr anstrengen. Genauso wie es keinen* typischen Vergewaltiger* gibt, gibt es auch kein perfektes Überlebendenprofil. Jede* Überlebende verarbeitet ihr Trauma anders und gestaltet ihr* Leben auf ihre* eigene Weise neu. Adji S. ist da keine Ausnahme. Auch Herr Sonko ist es nicht, selbst wenn er* unter dem Beinamen "mu sell mi" [Der Heilige] bekannt ist.
Vergewaltigung ist eine Waffe der Herrschaft, und Frauen* sind die ersten, die den Preis dafür zahlen. Während der jüngsten Unruhen wurden acht Frauen* vergewaltigt, drei Studentinnen* an der Assane Seck Universität in Ziguinchor und fünf weitere von vermummten Männern*, die die Hotelbar Columbia in Diamniadio angriffen. Die Körper von Frauen* wurden zur Ware gemacht und in ein öffentliches Eigentum verwandelt, das geplündert werden kann, wie die bei Demonstrationen gestohlenen Waren, um nach Belieben gegriffen und konsumiert zu werden.
Die mediale Berichterstattung der letzten zwei Jahre hat ihren Anteil an Frauen*feindlichkeit offenbart. In einem früheren Artikel haben wir bereits vor der Darstellung und Behandlung von Gewalt gegen den Körper von Frauen* in der senegalesischen Presse gewarnt. Sensationsgier, Anstiftung und Voyeurismus sind die Regel im Umgang mit sexualisierter Gewalt.
Die Jagd auf Feministinnen*
Dieses Urteil verstärkte die prekäre Position der Feministinnen*, die Adji S. Rede unterstützten. Ihr* heute zu glauben bedeutet, sich der Steinigung und den Drohungen auszusetzen. Während der Unruhen am 1. und 2. Juni 2023 gingen junge Demonstranten* auf eine Frauenrechtlerin* los. In ähnlicher Weise wurden die Namen und Fotos mehrerer senegalesischer Feministinnen* in den sozialen Netzwerken verbreitet und zu ihrer Jagd aufgerufen. Feministinnen* sind wie von der Gesellschaft geächtet, ausgeschlossen, weil sie die Unverfrorenheit besessen haben, ihren kritischen Geist auch nur im Geringsten zu üben, indem sie sich gegen das Gebot des Schweigens widersetzten. Das sind klassische Logiken des Schweigens, mit denen Feministinnen* tagtäglich konfrontiert sind, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum. Die Feindseligkeit des senegalesischen öffentlichen Raums gegenüber feministischen Diskursen und Aktionen ist seit einigen Jahren eine bedeutende Realität. Die Weigerung, den Verlust männlicher Privilegien zu akzeptieren, hat ein schädliches Klima geschaffen.
Es ist paradox, dass die Gesellschaft in anderen Fällen von sexuellem Missbrauch Feministinnen* anruft. Aber im Fall Sweet Beauty werden Feministinnen* angegriffen, weil sie die Worte von Ousmane Sonko in Frage stellen. Aktivist*innen und Geschlechterforscher*innen werden als zweischneidiges Schwert benutzt. Ihre Expertise ist oft gefragt, während ihr Wort in Verruf geraten ist.
Heute müssen sich die Stimmen der Frauen* aus dem Würgegriff befreien, in den die machthungrigen Politiker*innen sie gelegt haben. Die Fakten rund um den Fall Sweet Beauty müssen in ihrer unerbittlichen Wahrheit wiedergegeben werden, ungeachtet von Annahmen, Vorurteilen, vorgefasster Meinungen und Stereotypen. Ihre Chronologie lässt im Kopf eines freien Geistes keinen Zweifel. Eine private Angelegenheit wurde für politische Zwecke missbraucht, um einen politischen Führer* davor zu schützen, sich für seine* Taten verantworten zu müssen. Dass die gleiche Affäre von der anderen Seite genutzt wurde, um einen* politischen Gegner* auszuschalten, ist angesichts der jüngsten Geschichte des Landes möglich. Politiker*innen haben die Stimmen und Körper von Frauen* untergraben, indem sie Politik und Privates vermischt haben.
Was senegalesische Feministinnen* wollen
Wir wollen ein egalitäreres Land, in dem Frieden, Gerechtigkeit und Würde für alle Bürger*innen gelten. Wir fordern:
- Die Umsetzung von Politiken, die alle sozialen Klassen berücksichtigen
- Mehr Sicherheit für Frauen* und Kinder
- Die vollständige Anwendung des Gesetzes 20.05, das Vergewaltigung und Pädophilie unter Strafe stellt
- Schutz der personenbezogenen Daten der Hinterbliebenen (Überlebenden)
- Die Einrichtung von Fachgerichten zur Verurteilung von Tätern* sexueller Übergriffe
- Effektive und kostenlose ganzheitliche Versorgung, die medizinische, psychosoziale und rechtliche Interventionen sowie überlebenszentrierte Prävention und Maßnahmen umfasst
- Eine Überarbeitung der Schulungshandbücher für alle, die an der Betreuung von Überlebenden beteiligt sind, um ihre Fähigkeit zu stärken, traumainformierte Antworten zu geben
- Strengere Schulung der Presse in Bezug auf die mediale Berichterstattung über sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt.
Angesichts des Ausmaßes der Krise in unserem Land fordern wir Präsident* Macky Sall auf, sich direkt an die Menschen zu wenden und seine* Absichten in Bezug auf eine dritte Amtszeit zu verdeutlichen.
Die senegalesische Ausnahme als Beispiel für Demokratie in Afrika ist nur eine Fata Morgana. Sie wurde zum Nachteil der Frauen* gebaut, die das Leid, das sie in einer Gesellschaft, die Frauen* und Kinder heuchlerisch behandelt, täglich erleiden, nicht zum Ausdruck gebracht hat.
Wir sind Zeug*innen des Ausdrucks einer senegalesischer Männlichkeit in perfekter Hegemonie vor dem Hintergrund der Zerstörung und des Missbrauchs von Frauen*. Mehr denn je bekräftigen wir unsere Entschlossenheit, diesen Maulkorberlass, der uns erstickt, zu beseitigen. Nichts und niemand wird uns aus dieser Gesellschaft ausschließen. Als vollwertige Bürgerinnen* beabsichtigen wir, unsere Rechte auszuüben und unsere Pflichten zu erfüllen, ohne den Terroristen* der Ideen und den Söldnern* der Feder nachzugeben. Wir werden alle Missbräuche, alle Forderungen, alle Exzesse, alle Vergewaltigungen anprangern. Und vor allem werden wir niemals unseren kritischen Geist aufgeben, der uns zu freien Frauen* macht, die keine Meister* des Denkens brauchen.
Das senegalesische feministische Netzwerk (Le Réseau des Féministes du Sénégal)
Diese Statement wurde im Juni 2023 auf englisch und französisch veröffentlicht, zu finden u.a. auf africanfeminism.com.

In der Serie zum Machtwechsel im Senegal erschienen bisher folgende Teile:
- Machtwechsel im #Senegal, Teil 1: Vom Aufstand bis zur neuen Regierung (2. April 2025)
- Machtwechsel im #Senegal, Teil 2: Repression, Gerechtigkeit und ein Amnestiegesetz (3. April 2025)
- Machtwechsel im #Senegal, Teil 3: Zur Neu-Auslegung des Amnestiegesetzes (19. Juni 2025)
- Machtwechsel im #Senegal, Teil 4.1: Ein Rückblick nach 16 Monaten - Bruch mit der Vergangenheit?
- Machtwechsel im #Senegal, Teil 4.2: Ein Rückblick nach 16 Monaten - Antikoloniale Wirtschaft, Souveränität und begrenzte Freiheiten
Fortsetzung folgt ...