Maßnahmenbeschwerden nach Rapidkessel

veröffentlicht am 1. Juli 2019

Beschwerdeführende: 28 Rapidfans, die am 16.12.2018 einer Identitätsfeststellung unterzogen und weggewiesen wurden und deshalb über mehrere Stunden mit über 1300 weiteren Fans angehalten wurden

Was bisher geschah

Wie üblich reisten die Fußballfans von Rapid am 16.12.2018 gemeinsam in einen Fanmarsch zum Wiener Derby an. Doch 1338 von ihnen wurden vom Stadionbesuch abgehalten und bis zu sieben Stunden auf einem schmalen Weg oberhalb der A23 von der Polizei zwangsweise angehalten und eingekesselt. Medial und auch parlamentarisch war dieser Polizeieinsatz längere Zeit ein Thema, die Solidargemeinschaft „Rechtshilfe Rapid“ (ab sofort mit RH Rapid abgekürzt) sprach kurz darauf in einer Stellungnahme vom „größte(n) Polizeiskandal in einer langen Liste von Ungeheuerlichkeiten gegenüber Fußballfans“.

Über Repression gegen Fußballfans haben auch wir schon berichtet, dennoch zeigte der mittlerweile als „Rapikessel“ bekannte Polizeieinsatz eine neue Eskalationsstufe: „Ein derart langer Freiheitsentzug einer derart großen Menschenmenge ist einzigartig“, so die RH Rapid.

Die Kritik am Vorgehen der Polizei betraf vor allem die Tatsache, dass so viele Menschen stundenlang auf engstem Raum an einem gefährlichen Ort über mehre Stunden festgesetzt wurden.

Die Angehaltenen Fans kritisierten, dass erst nachdem man bereits knapp eine Stunde auf engsten Raum stand, es die erste Lautsprecherdurchsage der Polizei gab. Diese war für viele nicht verständlich oder wahrnehmbar, da diese von der gegenüberliegenden Seite der stark befahrenen Südosttangente aus erfolgte. Sie beklagten die fehlende Möglichkeit Toiletten aufzusuchen oder Getränke zu bekommen. Betroffene litten unter anderem an Unterkühlung, Schmerzen, Kollaps, Unterzuckerung, Panikattacken und akuten psychischen Belastungsreaktionen.

Laut Augenzeug_innenberichten wurden solidarische Menschen, die versuchten den Eingekesselten heiße Getränke zu bringen, abgewiesen. Auch mehrfach von Fans gerufene Rettungswägen sollen von der Polizei wieder weggeschickt worden sein.

Die Polizei begründet die Anhaltung bis heute mit dem Verdacht auf verschiedene strafrechtliche Vorwürfe einzelner am Fanmarsch Beteiligter: vorsätzliche Gemeingefährung, versuchte Körperverletzungen bzw. tätlicher Angriff und Nötigung. Bis heute stellt sich nicht nur die RH Rapid die Frage inwiefern „ein paar geworfene Schneebälle dafür geeignet sind, einen derart folgenschweren Einsatz auszulösen“. Denn schnell wurden Vermutungen aufgestellt, inwieweit das Vorgehen an diesem Tag vorher geplant war und inwieweit der Eingriff in die Grundrechte der vielen Fußballfans gerechtfertigt war.

Bereits nach einem Tag rief die RH Rapid alle Betroffenen dazu auf sich mit ihnen in Verbindung zu setzen um gemeinsam dagegen vorzugehen und kritisierte das Vorgehen der Polizei aufs Schärfte: „Das gestrige Vorgehen der Polizei war völlig unverhältnismässig und ein gezielter Angriff auf die Rapid-Familie“

Nach den ersten Polizeimeldungen, die als „Verhöhnung für die Betroffenen“ bezeichnet wurde und nach Aussagen von vielen Betroffen viel das Resümee sehr deutlich aus:

Doch selbst wenn Sachen auf die Autobahn geworfen wurden, rechtfertigt ein Fehlverhalten Einzelner jedenfalls nicht den kollektiven, stundenlangen Freiheitsentzug von über 1.300 Menschen. Vielmehr wird zu untersuchen sein, ob die Autobahnsperre tatsächlich die Folge dieser Schneebälle war oder diese nicht ohnedies wie üblich planmäßig, jedoch eine Minute zu spät, durchgeführt wurde. Außerdem wird die Exekutive erklären müssen, warum der Bereich der Laaerberg-Brücke bei früheren Begegnungen mit Trettgittern verengt war, um den Marsch auf Distanz zur Autobahn zu halten und das dieses Mal nicht der Fall war. Die Polizei hat jahrelange Erfahrung mit dieser Problemstelle und trotzdem gab sie diese Route vor. Besonders grotesk ist zudem, dass Menschen, die gar nicht mit dem Pulk anreisten, in den bereits aufgezogenen Kessel geschickt wurden, ohne ihnen zu sagen, was ihnen die nächsten Stunden blüht. (http://www.rechtshilfe-rapid.at)

Bis heute gab es keine Einvernahmen der betroffenen Rapidfans bezüglich möglicher strafrechtlicher Vergehen, auch wenn bis heute damit argumentiert wird, dass die Angehaltenen mögliche Zeug_innen für strafrechtliche Übertretungen seien könnten.

Kritik an Berichterstattung der LPD Wien

Durch das enorme Interesse der Öffentlichkeit, folgten auch mehrere Stellungnahmen seitens der verantwortlichen Polizeibehörde zum Vorgehen. Diese versuchte den Einsatz zu rechtfertigen und ging nicht auf die vielseitige Kritik ein, sondern versuchte weiter das Bild einer „gewaltbereiten Menge“ des Fanmarschs im öffentlichen Diskurs zu etablieren. Der Einsatz von Pyrotechnik wurde medial zu „Rauchgranate polnischen Fabrikats, die grundsätzlich nur für militärische Zwecke verwendet wird“. Untermalt wurde dies von zusammengeschnittenen Polizeivideos, die auf Twitter veröffentlicht wurden um ein möglichst aggressives und unkooperatives Bild der Fußballfans zu zeichnen. Diese Stimmungsmache über soziale Medien seitens der Polizei gilt es zu hinterfragen, auch in den hier zu verhandelten Beschwerden.

Auf die Dauer des Kessel angesprochen, wurde von der Polizei immer wieder mit dem „harten Kern“ der Fans argumentiert, diese sollen andere davon abgehalten haben sich nicht an der geforderten Identitätsfeststellung zu beteiligen. Dieser Behauptung widersprechen zahlreiche Aussagen Betroffener die sogar nach Bitten gegenüber der Polizei weiter in der Kälte ausharren mussten. Auch wurde immer wieder berichtet, dass es sehr lange gedauert hat bis überhaupt klar war warum der Fanmarsch nicht wie geplant ins Stadion weiterziehen konnte. Von der Anhaltung und den daraus resultierenden Identitätesfestellungen erfuhren viele Fans nur durch Mundpropaganda oder Postings in sozialen Medien.

Die schnelle Reaktion der Polizei über Twitter sorgte auch für Kritik, da sie zum Beispiel bereits um 16:07 bekannt gab, dass die Tatverdächtigen teilweise ausgeforscht worden waren. Wie die LPD Wien in ihrer Presseaussendung schreibt, waren ihr „einige Tatverdächtigen bereits von früheren Amtshandlungen namentlich bekannt“. Daraufhin stellte sich die Frage warum man dennoch 1.338 Fans dieser stundenlangen Einkesselung aussetzte.

Gemeinsam mit der RH Rapid wurden 28 Maßnahmenbeschwerden, eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft und eine Richtlinienbeschwerde eingebracht. Außerdem wurde der Polizeieinsatz auch in einer dringlichen Anfrage im Bundesrat und einer parlamentarischen Anfrage behandelt und ein Prüfverfahren der Volksanwaltschaft eingeleitet.

Maßnahmenbeschwerden

Maßnahmenbeschwerden sind eine Möglichkeit sich rechtlich gegen unrechtmäßiges Polizeivorgehen zu wehren. Damit verbunden sind oft ein finanzielles aber auch rechtliches (z.B. Vorwurf wegen Verleumdung gegen Polizist_innen) Risiko. Du kannst diesen Weg nur gehen wenn du persönlich von der Maßnahme betroffen warst. Darunter fallen zum Beispiel wenn du Opfer eines tätlichen Angriffes durch die Polizei wurdest, oder die Vermutung hast, dass du dem Polizeibefehl gefolgt bist weil sie sonst ihren Befehl mit Zwang durchgesetzt hätte, darunter fallen zum Beispiel Identitätsfeststellungen, Anhaltungen, Festnahmen, Durchsuchungen und Wegweisungen. Beschwerden gegen die Polizei haben in der Praxis leider oft wenig Erfolg. Das Gericht entscheidet, ob das Vorgehen der Polizei rechtmäßig war oder nicht. Wenn du gewinnst, wird dir ein Aufwandsersatz zugesprochen. Rechtlich hat diese Beschwerde dennoch keinerlei Folgen, sie kann nur aufzeigen dass der Polizeieinsatz rechtswidrig war, was zum Beispiel dazu führen kann, dass weitere Verfahren wegen verwaltungs- oder strafrechtlichen Vorwürfen anders beurteilt werden. Für mehr Informationen empfehlen wir beim Rechtsinfokollektiv nachzulesen.

Ausblick

Seit dem 12. Juni 2019 werden nun die insgesamt 28 Maßnahmenbeschwerden vor dem Wiener Verwaltungsgericht verhandelt. Der zuständige Richter wird zunächst alle Beschwerdeführenden einzelnen vernehmen und ab 1. Juli alle Verfahren zusammenführen um Beweismaterialien (die von der Polizei angefertigten Videos) und Zeug_innen der Polizei gemeinsam zu behandeln. Angesetzt sind die Verhandlungstermine bis einschließlich 12. Juli.

Die Einvernahmen der Beschwerdeführenden sind erwartungsgemäß recht ident, schließlich haben alle Ähnliches erlebt. Sie berichten von einem üblichen Fanmarsch zum Spiel, mit Gesängen und dem Einsatz von Pyrotechnik. Während der zuständige Richter immer wieder fragt ob dies an dem besagten 16.12. ungewöhnlich war, sagen die betoffenen Rapidfans aus, dass das einzige ungewöhnliche das erhöhte Polizeiaufgebot war.

Zum Kessel selbst wird vor allem gefragt wann und ob es Durchsagen der Polizeibehörde gab und ob andere Fans sie davon abhalten wollten bei den Identitätsfestellungen teilzunehmen. Dies wird nicht nur verneint, viel mehr wird immer wieder klargestellt wie solidarisch und kooperativ man an dem Abend vorgegangen sei. Bedürftige Personen wurden vorgelassen, Schals und Hauben gereicht um unterkühlte Fans zu wärmen und sich gegenseitig beruhigt.

Die im Gericht anwesenden Anwält_innen der Beschwerdeführenden kritisieren von Beginn an, dass wesentliche Aktenteile der Polizei nicht vorgelegt wurden. Am Zweiten Tag der Einvernahmen der Beschwereführenden wurde außerdem klar, dass die Funkprotokolle des Polizeieinsatzes mittlerweile wegen „Kapazitätsproblemen“ und einer 3 Monate Frist gelöscht wären. Das ist nicht nur deshalb von Brisanz, da dieser Einsatz politisch und medial kritisiert wurde, sondern auch recht schnell von den Betroffenen dagegen Beschwerde eingelegt wurde und die von der Polizei angefertigten Videobeweise nach Einbruch der Dunkelheit aufhören. Demnach fehlen relevante Aufzeichnungen bezüglich der verhandelnden Amtshandlung, gegen die 28 Personen Beschwerde eingelegt haben. Außerdem merkte der Richter eher beiläufig an, dass ihm durchaus bewusst sei, dass alle 28 Beschwerdeführenden bisher strafrechtlich unbescholten wären. Das sorgte für einige Empörung im Verhandlungssaal. Schließlich fragte ein Verteidiger ganz direkt, ob es üblich sei von Personen, die sich gegen mögliches Fehlverhalten der Polizei wehren eine Strafregisterauskunft anzufordern und wenn ja warum. Die Begründung für dieses Vorgehen blieb bis heute aus.

Ort & Termine

Landesverwaltungsgericht Wien
Muthgasse 62

1190 Wien

12. – 28.06.2019: Einvernahme der Beschwerdeführenden

ab 01.07.2019: Zusammenlegung aller einzelner 28 Beschwerdeverfahren Ort: Medienzentrum, Saal 1 & 2 im Erdgeschoss

Vorläufiger Zeitplan
Mo. 01.07.2019 ab 10:00 Parteienvernehmung & Vorführung der Polizeivideos
Di. 02.07.2019 ab 12:00 Hauptberichterstatter
Mi. 03.07.2019 ab 9:30 Hauptberichterstatter & Einlatzleiter u.a.
Do. 04.07.2019 ab 9:30 zwei Kontaktbeamte u.a.
Fr. 05.07.2019 ab 9:30 Zeug_innen eines Beschwerdeführers
Mo. 08.07.2019 ab 10:00 behördlicher Leiter & ein Bezirksinspektor
Di. 09.07.2019 ab 12:00 bisher keine Zeug_innen geladen
Mi. 10.07.2019 ab 9:30 ein Revierinspektor
Do. 11.07.2019 ab 9:30 mögliche Urteilsverkündung
Fr. 12.07.2019 ab 9:30 mögliche Urteilsverkündung

Weiterführende Links

Rechtshilfe Rapid

Quelle: https://prozess.report/prozesse/rapidkessel/

Weiterlesen

zum Thema Anti-Repression: