Mobilität für alle statt Klimakatastrophe! | Statement von Ende Geländewagen

veröffentlicht am 11. Juni 2019

Mobilität für alle statt Klimakatastrophe!

Statement von Ende Geländewagen zur der erfolgreichen Aktion zivilen Ungehorsams in Wien und zur massiven Polizeigewalt gegenüber unserem friedlichen und legitimen Protest.

Am Freitag, den 31.5.2019 nahmen wir symbolisch die Mobilitätswende selbst in die Hand und zeigten, dass Wien #autofrei möglich ist. Von 14:00 bis 18:00 Uhr blockierten wir mit unserem friedlichen und bunten Protest den gesamten Bereich des Franz-Josef-Kais und der Aspernbrücke. 250 Aktivist*innen sowie Kletter*innen an der Brücke und an zwei Tripods setzten ein starkes Zeichen für eine Mobilität für alle statt ein weiter so in die Klimakatastrophe.

Wir werden uns auch weiterhin in vielfältigster Weise für ein gutes Leben für alle einsetzen: Im Alltag, in Diskussionen, in politischen Debatten, bei Aktionen sowie Protesten und immer mit radikalen Zielen. Mit Theorie und in der Praxis, mit vielfältigen Ideen und in Solidarität schreiten wir fragend voran. Unsere Kämpfe haben das Gesamte im Blick und finden im Alltag genauso statt wie bei speziellen Aktionen gegen Braunkohleabbau und gegen den Rechtsruck, für offene Grenzen und für Mobilität für alle.

Unsere Kernbotschaft ist so deutlich wie unverhandelbar:

#Klimagerechtigkeit:
Unter dem Klimawandel leiden vor allem die Regionen und Bevölkerungsgruppen, die am wenigsten dafür verantwortlich sind und deren Stimmen kaum Gehör finden. Genau diese Ungerechtigkeit führt nur noch zu größerer finanzieller Armut, zu einem schlechterem Zugang zu lebensnotwenigen Ressourcen und Bildung, zur noch stärkeren Marginalisierung von Menschen und zu mehr Flucht. Der menschengemachte Klimawandel und seine katastrophalen Folgen sind durch enorme Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten geprägt.

Die Zerstörung von Natur und der Klimawandel ist jedoch nicht nur ein Umweltproblem, sondern eine komplexe Frage der globalen sozialen Gerechtigkeit und damit eine ethisch-politische Herausforderung. Daher reicht es nicht aus, lediglich die Industrien stärker zu regulieren oder Reformpakete zu schnüren. Vielmehr ist die Klimakrise ein Produkt sozialer Ungleichheit und eines ausbeuterischen kapitalistischen Wirtschaftssystems, das auf Wachstum ausgelegt ist. Rassismus und Klassendiskriminierung sind untrennbar mit dem Klimawandel verbunden.
Demnach bedarf es einer ganzheitlichen und feministischen Perspektive auf die Fragestellung wie wir eine klimagerechte Zukunft gestalten können.

#Gutes Leben für alle:
Unter dem guten Leben für alle verstehen wir eine solidarische Lebensweise und diese Vorstellung steht im extremen Kontrast dazu, wie die Welt heute aufgebaut ist. Das Wirtschaftssystem und die alltägliche Lebensweise insbesondere der Menschen im globalen Norden geht auf Kosten anderer: der Natur, zukünftiger Generationen und benachteiligter Menschen im globalen Süden und globalen Norden. Diese Ausbeutung benennen wir als imperiale Produktions- und Lebensweise. Dabei geht es nicht nur um Konsum und privaten Lifestyle sondern Lebensweise verstanden als Element in der Reproduktion kapitalistischer Gesellschaften. Die imperiale Lebensweise ist in unser aller Leben eingeschrieben, daher verstehen wir diese zum einen als eine Selbstkritik um unsere Privilegien zu reflektieren. Zum anderen möchten wir genau auf dieser Basis das Gesamte in Frage stellen, denn es geht um nichts weniger als ums Ganze.

Ebenso wie die Klimakrise denken wir auch soziale Fragestellungen in einem globalen Kontext und zusammen mit ökologischen Fragestellungen. Statt dem ewig gestrigen Gerede der Rechten auf das Konstrukt was sie Nationalstaaten nennen, setzten wir auf eine weltweite Solidargemeinschaft. Dabei geht es darum ein gutes Leben an den Bedürfnissen aller zu gestalten statt der momentanen Ausrichtung an Profitinteressen weniger. Eine Kritik der Verhältnisse muss für uns mit einer grundlegenden Herrschaftskritik einhergehen.

Mit dem Guten Leben für alle meinen wir auch wirklich alle. Und um diese Version Wirklichkeit werden zu lassen brauchen wir das Mitwirken aller.

#Mobilitätswende:
Das Auto steht sinnbildlich dem "Guten Leben für Alle" im Weg: Hier macht es die Städte weniger lebenswert und global heizt der motorisierte Individualverkehr die Klimakrise an. Autokonzerne und ihre Zulieferer machen ihre Gewinne auf Kosten von Umwelt, Gesundheit und Menschenleben - in Europa und weltweit.

Rund 30% der Treibhausgas-Emissionen sind in Österreich dem Straßenverkehr zuzuschreiben und sie nehmen weiter zu. Das Verkehrssystem ist beinahe komplett abhängig von klimaschädlichen fossilen Kraftstoffen. Für ihre Beschaffung werden ökologische Desaster sehenden Auges in Kauf genommen und Kriege um den Zugang zu Öl geführt.

Die immer größer werdenden Fahrzeuge verstopfen unsere Straßen. Flächenversiegelung, Lärmprobleme, Unfälle und Luftverschmutzung sind die Folgen einer Politik, die den öffentlichen Raum als Transitzone versteht, angepasst an die Bedürfnisse von Autofahrer*innen. Wir bewegen uns immer mehr, immer schneller, legen immer weitere Wege zurück und auch unsere Warenströme vergrößern sich. Die Automobil- und Zulieferindustrie ist eingebettet im aktuellen Wirtschaftssystem, das auf der Idee des grenzenlosen Wachstums basiert. Doch unbegrenztes Wachstum ist nicht möglich auf einer Welt, deren Ressourcen begrenzt sind.

Daher ist es an der Zeit, unser Verkehrssystem radikal zu verändern: Nur Dieselfahrverbote oder der bloße Umstieg vom Verbrennungs- auf den Elektroantrieb lösen die städtischen Missstände und die globale Klimakrise nicht. Auch Elektroautos beanspruchen wertvollen Platz in den Städten, benötigen Straßen und Energie. Außerdem werden die metallischen Rohstoffe, die in großen Mengen in jedem Auto stecken, unter oftmals katastrophalen Bedingungen für Mensch und Umwelt in Ländern des globalen Südens abgebaut. Deshalb müssen wir den Gütertransport auf das Notwendigste beschränken und vor allem den motorisierten Individualverkehr drastisch reduzieren!
Dabei geht es nicht um Verzicht sondern darum Verkehrsmittel ressourcenschonend und emissionsarm zu nutzen und sich von dem motorisierten Individualverkehr und klimaschädigenden Flugreisen zu befreien.

Die Verkehrswende darf gerne in unserem Alltag starten doch bedarf es dafür geeigneter Rahmenbedingungen für uns alle. Damit die Verkehrswende ein Gewinn für uns alle bedeutet wollen wir mit drei Kernpunkten anfangen:

1. Das Gute liegt so nah: Kurze Wege und autofreie Städte
Die Vision von Autofreien Städten ist gerade deshalb so interessant, da dies ein Mehr an Lebensqualität für uns alle bedeuten wird. Statt Lärm, Gestank und sinnlosem Flächenverbrauch ist wird so in den Städten wieder Platz zum Wohnen und Leben. Gleichzeitig soll das entspannte Leben dadurch in die Städte zurückgebracht werden, dass die notwendigen Wege sich drastisch reduzieren. Statt wie jetzt mit dem Auto lange Strecken durch die Stadt zurück zu legen bedarf es eine stadtplanerische Politik der kurzen Wege: Kooperativen im nahen Umfeld sparen Wegstrecke und können zu einer Entschleunigung beitragen.

2. Kostenlos und für alle: Leistungsfähiger und kostenfreier ÖPNV
Der Nahverkehr in den Städten soll eine uneingeschränkte und barrierefreie Mobilität für alle darstellen. Dazu zählt für uns auch, den Nahverkehr kostenfrei anzubieten um so eine wirklich sozial verträgliches Mobilitätangebot zu eröffnen.

3. Großes Netz aus sicheren Fahrradstraßen und –wegen
Für viele stellen die schlechten oder unsicheren Radwege eine großes Hindernis dar, ihre Alltagsmobilität mit dem Rad zu bewältigen. Viel zu oft mangelt es sogar generell an Radwegen. Das Angebot an sicheren Fahrradstraßen und –wegen muss daher ausgebaut werden um die Fahrradmobilität zu einer sicheren Alternative zu machen.

Unsere Analyse, dass es für die Mobilität einer radikale Wende bedarf, ist so klar wie unsere Bedingung, dass die Mobilitätswende unter dem Zeichen der Klimagerechtigkeit gedacht werden muss. Zur konkreten aus Ausgestaltung und der Verwirklichung der Mobilitätswende sind wir alle eingeladen, uns mit unseren Ideen und Kreativität einzubringen.

#Befreite Gesellschaft:
Wir wollen vor allem in einer Gesellschaft leben, in der Menschen keine Angst haben müssen. Keine Angst vor ökologischen Krisen, vor Ausgrenzung, vor Diskriminierung und vor physischer, psychischer oder struktureller Gewalt. Die befreite Gesellschaft ist vielmehr durch ein solidarisches miteinander geprägt.
Statt wie in der aktuellen Debatte Freiheit und Sicherheit gegeneinander auszuspielen bedarf es für die befreite Gesellschaft die Verknüpfung von bedingungsloser Sicherheit mit bedingungsloser Freiheit. Über die materielle Sicherheit hinaus wird jede*r auch in ihrer*seiner Persönlichkeit und Identität akzeptiert. So können wir uns auf gleichberechtigter Weise zu begegnen und gesellschaftliche Prozesse und Konflikte miteinander aushandeln. Denn die Vision von einer befreiten Gesellschaft ist insbesondere kein fertiges Produkt, vielmehr etwas, woran wir alle zusammen mitgestallten wollen.

In diesem Sinne brauchen wir nicht nur eine umfassende Mobilitätswende und den Kohleausstieg, sondern ein radikalen gesellschaftlichen Wandel. Der Kapitalismus mit seinen Ausbeutungsmechanismen und seinem Wachstumszwang muss genauso überwunden werden wie nationalistische, rassistische oder sexistische Ausgrenzungen. Anders ist weder eine ernst zu nehmende Bekämpfung der Klimakrise noch soziale Gerechtigkeit weltweit möglich.

Unseren Willen, für eine klimagerechte Zukunft zu kämpfen, wird niemand brechen!

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Wer über Polizeigewalt redet, darf zu struktureller Gewalt nicht schweigen!

Die aktuell angestoßene Debatte um Polizeigewalt ist mehr als notwendig und eine grundlegende Kritik an Polizei mehr als überfällig. Es ist uns wichtig, diesen Vorfall zu thematisieren, aber nicht nur bei der Betrachtung dieses einzelnen Vorfalls stehen zu bleiben.

Die Polizeigewalt, mit der versucht wurde, unseren legitimen Protest zu bekämpfen, ist leider etwas immer Wiederkehrendes, aber schockiert uns immer wieder aufs Neue. Wir sind betroffen und unterstützen die betroffenen Menschen und sprechen ihnen viel Kraft zu.

Gleichzeitig wollen wir zwei Punkte betonen:

Kein Einzelfall…
Videos wie das von unserem Protest schockieren. Exemplarisch sehen wir an solch einem Vorfall, wie die Polizei ihre Macht ausnutzt und Menschen misshandelt. Statt der Gewalt Einhalt zu gebieten, lassen die Polizist*innen sich gegenseitig gewähren. Ihr Fokus liegt nicht darin, die Gewalt zu verhindern, sondern zu verhindern, dass Presse und Zeug*innen die Gewalt sehen können.

Die Gewalt, die dokuentiert wurde ist aber kein Einzelfall, sondern die schockierende Realität: Gerade marginalisierte Gruppen werden immer wieder zum Objekt von Polizeigewalt. Sie leiden unter der strukturellen Gewalt der Gesellschaft und im Speziellen unter der Machtausübung der Polizei. Und mit Polizeigewalt ist nicht nur die physische Gewalt gemeint, sondern jegliche von der Polizei ausgeübte Gewalt, die die Würde und Integrität der Menschen berührt. Polizeigewalt ist sowohl einseitig als auch zielgerichtet. Ihr Charakter ist gerade der, dass sie immer in einem massiven strukturellen Ungleichgewicht stattfindet.

… sondern strukturelle Gewalt
Dass Polizeigewalt ein Teilaspekt von struktureller Gewalt ist, liegt in der Aufgabe der Polizei verankert: Polizei ist das Herrschaftsinstrument der Elite und zumeist weißen Mittelschicht, die sich gewaltvoll gegen marginalisierte Bevölkerungsteile richtet. Da ihre Aufgabe nicht darin besteht, die Verhältnisse zu hinterfragen, sondern das herrschende System zu stützen und dafür mit enormer Macht ausgestattet wird, ist sie Teil des Problems. Die Polizei setzt "Recht und Ordnung" durch. Doch dieses zerstörerische kapitalistische System ist ganz und gar nicht in Ordnung.

Die Debatte um Polizeigewalt ist ein Teil der Debatte, die wir führen müssen. Über die Betrachtung solcher Fälle wollen wir unsern Blick auf die Problematik von struktureller Gewalt richten. Das Problem ist die strukturelle Gewalt, die dem System eingeschrieben ist. Die Polizei ist ein Teil von vielen, an denen sich diese Gewalt manifestiert.

Die kapitalistische Ausbeutungslogik ist untrennbar verknüpft mit struktureller Gewalt. Dieses gewaltvolle System, das auf der Ausbeutung von Menschen und Natur beruht, steht einem guten Leben für alle im Wege. Und das ist es, was wir ändern wollen und müssen: Um die Klimakatastrophe zu verhindern und ein gutes Leben für alle zu gewinnen fordern wir einen radikalen Systemwandel.

STRONG IN SOLIDARITY WE STAND!
Wir sind uns bewusst, dass wir es nicht mit singulären Problemstellungen zu tun haben. Die Mobilitätswende ist nur ein Schritt von vielen hin zu einer klimagerechten Zukunft, einer befreiten Gesellschaft und einem guten Leben für alle.

Unsere Kämpfe sind alltäglich und so vielfältig wie unser Protest. Wir kommen aus den unterschiedlichsten Richtungen und mit den verschiedensten Hintergründen. Uns eint nicht, wer wir sind oder wo wir herkommen, sondern das, wofür wir stehen: Der Wunsch und der Wille, dass es ein gutes Leben für alle Menschen geben kann. Dafür stehen wir solidarisch Seite an Seite mit allen, die das zerstörerische kapitalistische System und die strukturelle Gewalt nicht weiter hinnehmen wollen.

Together for climate justice!

ende-gelaendewagen.org | ende-gelaendewagen@riseup.net |
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