Nach 30 Jahren abgeschoben

veröffentlicht am 27. Juli 2019

Behörden unterstellten PKK-Aktivitäten: Familienvater aus Nürnberg in die Türkei gerbracht

Kurdische Institutionen und deren politische und kulturelle Aktivitäten stehen in Deutschland im Visier der Behörden. Zunehmend müssten deren Besucher Repressionen erleiden, kritisierte Stefan Berg, Sprecher des Bündnisses Frieden für Kurdistan, am Donnerstag gegenüber junge Welt. Die deutsche Staatsräson lasse sich dabei von Einflüssen des türkischen AKP-Regimes leiten. Politisch aktive Kurdinnen und Kurden würden auch hierzulande als »Terroristen« verfolgt – meist auf Grundlage von Verfassungsschutzerkenntnissen – mit fatalen Folgen für die Betroffenen. Ein besonders krasser Fall sei der des seit rund 30 Jahren in Deutschland lebenden Kurden und türkischen Staatsbürgers Zeki T. (Name von der Redaktion verändert), der von seiner Familie in Nürnberg getrennt und abgeschoben worden sei. Seit Anfang des Jahres sei gegen ihn wegen mutmaßlicher Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ermittelt worden, die das kurdische Gesellschaftszentrum Medya Volkshaus e. V. organisiert habe, so Berg. Dabei sei es um Kundgebungen, Feiern zum kurdischen Neujahrsfest Newroz und Spendenaktionen gegangen.

Nach bekanntem Muster sei Zeki T. aufgrund seiner Aktivität in einem kurdischen Kulturverein die Unterstützung der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) unterstellt worden. Dabei fördere die Stadt Nürnberg sogar regelmäßig Veranstaltungen in diesem Verein, wie etwa die kurdischen Kulturtage. Begonnen hätten die Repressionen gegen Zeki T. bereits im Februar. Er habe Post von der Ausländerbehörde der Stadt Nürnberg erhalten: Ausweisungsverfügung, Androhung einer Abschiebung, Meldeauflagen sowie Aufenthaltsbeschränkung auf das Stadtgebiet Nürnbergs. Bei Verstoß gegen die Auflagen wurde ein Zwangsgeld angedroht.

Die Abschiebung schilderte Zeki T.s Frau Sultan gegenüber junge Welt. Obgleich er in Nürnberg in unbefristeter Stellung als Glasreiniger arbeitete und eine Familie mit vier Kindern hat, sei er frühmorgens am 29. Mai von der Polizei abgeholt und in die Türkei ausgeflogen worden. Ihr Mann sei noch im Pyjama gewesen, habe sich gerade mal einen Jogginganzug anziehen und seinen Geldbeutel mit 30 Euro schnappen können. In Istanbul sei er sofort mit zum Verhör genommen worden. Die türkischen Behörden hätten offenbar keine Mitteilung darüber von der deutschen Ausländerbehörde erhalten, weshalb es zur Abschiebung kam. Wäre der in Deutschland gegen ihn gehegte Verdacht dort bekannt gewesen, wäre er gleich festgenommen worden, vermutet Zeki T.s Ehefrau. Weiterhin hätten Beamte ihre eigene Familie in Ankara zu den Gründen der Abschiebung befragt. Als ihr Mann davon gehört habe, sei ihm bewusst geworden, dass er sich in der Türkei vor den Behörden verstecken müsse – in einem Land, das ihm völlig fremd sei. Denn bereits mit sechs Jahren sei er nach Deutschland gekommen und hier aufgewachsen, berichtete Sultan T. – die deutsche Staatsangehörigkeit habe er nur deshalb nicht angenommen, weil er so einfacher in die Türkei habe reisen können. Da er bereits seit zehn Jahren im Besitz einer Niederlassungserlaubnis war, habe er sich völlig sicher gefühlt.

Sultan T. weiß nun nicht, wie es weitergehen soll: Ihr jüngstes Kind ist erst 14 Monate alt, das älteste 13 Jahre. An Vollzeitarbeit ist nicht zu denken. »Die Kinder fragen ständig nach ihm, vermissen ihren Vater«. Er habe sich nie etwas zu Schulden kommen lassen. In seinem ganzen Umfeld sei er respektiert. Der Firmeninhaber seiner Arbeitsstelle halte diese immer noch für ihn frei. Stefan Berg sagte, das Bündnis für Frieden in Kurdistan sei mit Anwälten im Gespräch. Allerdings hält er es eher unwahrscheinlich, eine Rückkehr nach Deutschland für Zeki T. erreichen zu können.

junge Welt, 25.Juli 2019

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