Nachruf auf Linda Bilda

veröffentlicht am 30. Oktober 2019

Paralysiert von der Nachricht, daß Linda viel zu früh für immer aus dem Leben gerissen wurde, mußten erst etliche Wochen verstreichen, um einen Umgang mit dieser Tatsache zu finden. Alle Menschen sterben und gerade als AnarchosyndikalistInnen wissen wir, daß nach dem Tod nichts mehr kommt. Das Wirken auf der Welt, die gelebte Solidarität, machen uns Menschen aus. Und da wir nur in den Erinnerungen unserer Mitmenschen eine gewisse Zeit weiterleben, gehört auch das Wirken von Linda gewürdigt, weshalb wir hier nun einen verspäteten Nachruf versuchen möchten.

Wir, das damalige »Allgemeine Syndikat Wien« lernten Linda zu einem Zeitpunkt kennen, als wir gerade begannen »die Soziale Hängematte«, unsere frühere anarchosyndikalistische Zeitung, herauszugeben. Es war eine Zeit, in der für Linda ihr Wirken in ihrer eigenen Zeitung »Die Weiße Blatt« (siehe karges Interview von 1999 diesbezüglich) ein prägender Abschnitt ihres Lebens war. Linda ist rund drei Jahre von 2005 bis 2007 einen Teil ihres Weges mit uns gemeinsam gegangen.

Dabei hat sie immer auf herrschaftsfreier Augenhöhe mit uns interagiert. Daß sie es im Kunstbetrieb zu einem gewissen Bekanntheitsgrad gebracht hat, wußten wir lange Zeit gar nicht. Sie war sich nie zu schade, um gleichberechtigt mitzumachen, auch mitanzupacken oder ihre geringen Ressourcen für herrschaftsfreie Organisierung zu teilen.

Als anarchosyndikalisitsche Gewerkschaft haben wir natürlich nur einen sehr selektiven Blick auf ihr Leben erhalten. Wir sind dennoch davon überzeugt, daß ihr Handeln in allen Bereichen immer vom Wunsch nach Herrschaftsfreiheit und libertären Alternativen vorangetrieben wurde. Daher seien einige wenige spezifischen Begebenheiten und Erinnerungen hier erwähnt, um ein Bild von Lindas Leben, wie wir es erhalten haben, nachzuzeichnen und für eine gewisse Nachwelt begreifbar zu machen und auch ein Stückweit festzuhalten.

Zeit ihres Lebens waren beispielsweise Comics eine zentrale Kunstform für Linda. Nicht nur hat sie selbst etliche Comics geschaffen und der »Sozialen Hängematte« auch einige eigene Werke gewidmet oder zur Verfügung gestellt, nein, sie hat auch manchen von uns diese Kunstform überhaupt erst näher gebracht; beispielsweise das herausragende Werk »Maus« überlassen. Linda teilte ihre spärlichen Ressourcen mit uns, wo sie konnte. Als wir sie kennengelernt haben, wohnte sie, wie vermutlich bis zuletzt, in einem Gemeindebau nahe des 12-Februar-Platzes im 19. Bezirk.
Sie hat sich selber damals mehr als Anarchistin denn als Anarchosyndikalistin und Arbeiterin gesehen. Die Verbindungen zur Arbeiterklasse waren jedoch auf vielfältige Weise einfach da. Beispielsweise hat sie 1982 eine Buchhändlerlehre vor dem Studium absolviert.

Sie hat zu der Zeit auch ein sehr kleines Atelier im Gemeindebau auf der Engerthstraße vis á vis vom Gasthaus Kopp gehabt. Dort in der Dachkammer des »Rosaroten Kakaobaus« (so der Name einer regelmäßig erscheinenden kommunistischen Zeitschrift in der Zwischenkriegs für diesen speziellen Gemeindebau – außen tatsächlich rosa, innen braun) sind auf 20qm abertausende „Hängematten« entstanden, da sie ihr Atelier mit uns und unserer ersten Druckmaschine geteilt hat. Wir denken daß so wenig Raum selten so gut für die Verbreitung der Anliegen der ArbeiterInnenklasse genutzt wurde. Und wie haben wir uns gut gefühlt, im Kammerl eines Gemeindebaus die herrschaftsfrei-sozialistische Zeitung mit Hilfe Lindas herzustellen!
Revolutionsromatik ahoi! Die Anfänge in Lindas Atelier haben zum heutigen Druckraum in Ottakring geführt, der als anarchosyndikalistische Infrastruktur auch vom WAS ausführlich genutzt wird.

Ihr Handeln war nie von »Wichtigtuerei« oder Präsentation bestimmt, ob sie jetzt ihre Rückprojektionsleinwand zur Hausbesetzungsparty für 1000 Menschen geschleppt hat oder unsere Zeitung zu Archiven gebracht hat oder um Spenden in Anarchistischen Zusammenhängen gekümmert hat oder oder oder … Nie forderte sie groß Aufmerksamkeit ein, ihre Ideen wuden von ihr mit einer gewissen Unbeschwertheit umgesetzt. Und das, wo wir uns nicht in allen Bereichen immer einig werden konnten. Legendär war beispielsweise die Debatte, ob das Werk »Die Hängematte« von Gustave Courbet als ein Titelbild für »Die Soziale Hängematte« dienen könnte. Etliche von uns waren der Ansicht, daß Curbets Wirken in der Pariser Kommune und seine klar sozialistische Ausrichtung dies sehr wohl rechtfertigen, sowie daß das Gemälde im damaligen Zeitgeist betrachtet werden muß und rein hedonistisch ohne patriarchale Gesellschaftsabbildung gesehen werden kann. Linda war nach ihrer – für sie immer sehr wichtigen – feministischen Analyse, der Meinung, daß dieses Werk 2006 nicht mehr im Original gezeigt werden kann, da speziell im Kunstdiskurs die jedenfalls vorhandene sexistische Komponente als »ausdiskutiert« gilt. Die Debatte endete erst, als ein Genosse die Frau aus dem Bild rausretouchiert hat und das neue Bild augenzwinkernd als »Courbet von Courbet befreit« betitelt präsentiert hat. Keines der Bilder wurde schlußendlich genutzt. 😉

Dank ihr konnten wir auch das seit langem bestehende Dauerproblem, daß Anarchosyndikalismus – anscheinend strukturell – für viele Frauen unattraktiv scheint und überall, also auf der ganzen Welt, viel mehr Männer anarchosyndikalistisch organisiert sind, mit einer Frau, die dem Anarchosyndikalismus sehr wohlgesonnen war, ausführlich besprechen. Ein Output war unter Anderem unten stehendes Comic, das wir diesbezüglich veröffentlicht haben.
Eine weitere, retrospektiv betrachtet interessante Episode war beispielweise, daß sie schon zu einem Zeitpunkt gegen »geplante Obsoleszenz« aufgetreten ist, als der Begriff noch nicht einmal geschaffen war. Linda hatte Mitte der 0er-Jahre einen G3-Mac-Computer von 1997, der damals noch per 56k-Modem ans Internet angebunden war. Zu einer Zeit, als der Großteil der Menschen schon Standleitungen nutze. Nicht nur einmal haben wir anfänglich Fotos über unsere Mailingliste geschickt und sie dadurch gezwungen, sie 25 Minuten lang herunterzuladen. Sie hat geduldig darum gebeten, mit Ressourcen schonend umzugehen und an Jene zu denken, die nicht jeden technischen »Fortschritt« mitmachen wollen oder in anderen Fällen auch gar nicht könnten. Ausgehend von ihrer Lebenssituation hat sie unsere Wahrnehmung für den Nicht-Mainstream, Minderheiten und Ressourcenschonung erfolgreich geschärft. Der G3-Mac selbst mit Mac OS 9 wurde noch sehr lange weitergenutzt, zu einer Zeit als »Mac« noch kein Livestyle-Produkt darstellte, sondern ein gut durchdachtes intuitives Werkzeug war.

Der Kontakt zu Linda Bilda hat sich dann Ende der 0er-Jahre – ohne Anlass oder Drama – immer spärlicher gestaltet. In ihrem Wirken war der Anarchismus jedoch weiterhin zentrales Thema. Als Beispiele seien hier ihr Werk »Die verkehrte Welt« genannt, eine sogenannte »Psyche«/ Schreibtisch, die mit Texten von John Holloway kombiniert ist. Auch die Arbeit im Öffentlichen Raum »ARBEITE NIE – Raumgefüge und Plakazin zur Studie ›Die Arbeitslosen von Marienthal‹«, unter Anderem gemeinsam mit Reinhard Müller im Jahr 2013 in Gramatneusiedl, ist sehr erwähnenswert und in Erfassung und Andenken der Situation jener, die nichts hatten, als ihre Arbeitskraft zu verkaufen, zu betrachten.

Noch 2018 haben wir mit Linda ein Projekt besprochen, gegen die faschistoiden Tendenzen der ÖVP/ FPÖ-Regierung etwas im Öffentlichen Raum zu unternehmen. Sie hatte großflächige Installationen von Comics mit klar (anti-)politischen Aussagen und Erklärungen zu den Handlungen der Herrschenden im Sinne und wir haben über die technische Realisierbarkeit nachgedacht. Zur Verwirklichung dieses Projektes ist es leider nicht mehr gekommen. Zu diesem Zeitpunkt hat sie zwar schon »persönliche Schicksalsschläge« angedeutet, der Hintergrund mußte aber, bis Dato, rein spekulativ bleiben. Gejammert oder sich überhaupt nur in den Mittelpunkt gestellt, hat sie auch damals nicht, sondern die Tatsache, daß man gegen den Hass, die Ausbeutung und die immer offener zu Tage tretenden frauenfeindlichen und faschistischen Tendenzen in dieser Gesellschaft jetzt etwas öffentlich unternehmen muß, in den Vordergrund gerückt.
Möge einst, wenn der herrschaftsfreie Sozialismus von uns Allen umgesetzt wird, daran gedacht werden, daß Linda Bilda, ihren Teil dazu beigetragen hat.

Möge die Erde ihr leicht sein.
Übernommen von: wiensyndikat.wordpress.com

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