Radio Dreyeckland-Prozess: Bericht über den sechsten und siebenten Prozesstag
Sonntag, den 19.05. erschien hier1 ein Bericht über die ersten fünf Verhandlungstage des Strafprozesses vor dem Landgericht Karlsruhe (BRD) gegen einen Journalisten von Radio Dreyeckland (Freiburg [ebenfalls: BRD]). Inzwischen fanden zwei weitere Verhandlungstage statt – am Dienstag, den 14. und Donnerstag, den 16.05. –, die in dem Artikel vom 19.05. noch nicht berücksichtigt waren.
Sechster Verhandlungstag (Di., d. 14.05.)
Bei de.indymedia wurde über den sechsten Verhandlungstag berichtet, dass die Staatsanwaltschaft beantragt hat, „doch noch Handy-Daten auszuwerten, die im Nachgang zu Haussuchungen am Beginn des vergangenen Jahres gespiegelt worden“ waren. Der Artikel bei de.indymedia wurde in einer kürzeren (als html-Text) und in einer längeren (als pdf-Anhang) Version veröffentlicht.
Die kürzere Fassung1 stellt vor allem die (vorläufige) Reaktion der Verteidigung und des Gerichts auf den Beweisantrag der Staatsschaft dar; die längere Fassung2 erläutert zusätzlich die Rechtsgrundlage, auf der das Gericht demnächst seine Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft treffen wird.
Siebenter Verhandlungstag (Do., d. 16.05.)
Über den siebenten Verhandlungstag berichtete von Radio Dreyeckland selbst, dass erneut der vom Gericht für den Fall beauftragte IT-Sachverständige gehört worden sei. Dieser habe gesagt, dass das Archiv bereits am 16.01.2020 veröffentlicht worden sei3 (so hatte es am 29.09.2020 auch die tagesschau berichtet4); dagegen hatte die Staatsanwaltschaft am vorhergehenden Prozesstag behauptet, die Archivveröffentlichung sei erst am 01.02.2020 erfolgt5.
Presse- und Rundfunkfreiheit unter Beschluss
Weitere Informationen über den staatsanwaltschaftlichen Beweisantrag sowie den siebenten Verhandlungstag enthält der ausführlich Bericht von Minh Schredle in Kontext: Wochenzeitung vom 22.05.2024: Der Anklagevertreter, Staatsanwalt Graulich, habe sich mit der „von jeglichen Fakten befreite Unterstellung“ profiliert, „dass ein womöglich krimineller Verein sympathisierende Berichterstattung ‚bestellt‘ und sich ein Redakteur bereitwillig als Sprachrohr einspannen lässt“. Das sei „aber noch lange nicht das dreisteste, was sich Graulich hat einfallen lassen. So sieht der Staatsanwalt noch etwas, das er als ‚objektiven Anknüpfungspunkt‘ [für seinen Beweisantrag] ausgibt, und zwar dafür, dass ‚der Angeklagte sich selbst weniger als einen am ›Pressekodex‹ orientierten Journalisten, sondern als einen der linken Szene zuzuordnenden politischen Aktivisten einordnet“.6
Nun spricht nichts dagegen, sondern alles dafür, politisch auf der Linken aktiv zu sein – zu betonen ist allerdings, dass das Genre „Journalismus“ nicht nur aus (objektiven) Berichten, sondern auch (parteilichen) Kommentaren besteht – und bei Geltung von Pressefreiheit auch bestehen darf (wie am BRD-Verfassungstag, dem 23. Mai, bei scharf-links ausführlich dargelegt wurde7).
Außerhalb der mündlichen Verhandlung: Ein weiteres Ermittlungsverfahren im linksunten-Zusammenhang wurde bekannt
Bei den taz-Blogs wurde am Samstag, den 25.05. berichtet, dass die Staatsanwaltschaft preisgab, dass sie ein weiteres – bisher unbekanntes – Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem linksunten-Verbot führte. Wie dieses Verfahren ausging, blieb aber unklar: „Diese[s] wurde entweder nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt oder (wohl eher) an eine andere Staatsanwaltschaft abgegeben. Dies war dem Dezernenten nicht mehr erinnerlich, ebenso wenig das Aktenzeichen o.ä. (mit dessen Hilfe ich die Frage Einstellung vs. Abgabe hätte klären können). Zeitlich war dies aber vor dem RDL-Verfahren,“ so der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Karlsruhe.8
Außerdem wurde in dem taz-Blogs-Artikel der Frage nachgegangen, „Warum hat die Karlsruher Staatsanwaltschaft nach Veröffentlichung des linksunten-Archivs zunächst kein Ermittlungsverfahren eingeleitet?“
Der Artikel zeigt mehrere hypothetische Gründe auf, von denen die ersten beiden hier zitiert seien:
„++ Die Staatsanwaltschaft hatte die Archiv-Veröffentlichung zunächst gar nicht mitbekommen. Das mag sein – aber spätestens bei Einleitung des Ermittlungsverfahren gegen Kienert wegen dessen Archiv-Verlinkung wußte sie ja von der Archiv-Veröffentlichung. – Weshalb damals also nicht auch gleich ein Ermittlungsverfahren wegen der Archiv-Veröffentlichung selbst?
++ Vielleicht weil die Staatsanwaltschaft – richtigerweise – keine tatsächlichen Anhaltspunkt dafür sah, daß die Archiv-Veröffentlichung durch den verbotenen ‚Verein‘ erfolgte. – Aber warum dann überhaupt das Ermittlungsverfahren und die Anklage gegen Kienert?“ Wie könne die Verlinkung von etwas (hier: die Verlinkung des linksunten-Archivs), dessen Veröffentlichung nicht strafbar ist (oder weswegen jedenfalls kein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird), trotzdem strafrechtlich verfolgt werden?! Die bloße Verlinkung von etwas eh schon Vorhandenem ist doch allemal harmloser, als die erstmalige Veröffentlichung!
Weiter unten in dem taz-Blogs-Artikel wird die Staatsanwaltschaft Karlsruhe mit folgenden Worten zitiert: „Nachdem diese Voraussetzungen [Vorliegen eines Anfangsverdachts] nach Beurteilung des Dezernenten (Stichwort: ‚kritische Masse‘) erfüllt waren, hat er mit Verfügung vom 19.06.2023 ein neues Ermittlungsverfahren gegen mehrere in den hiesigen Zuständigkeitsbereich fallende Beschuldigte […] eingeleitet.“
Der/die Artikel-AutorIn kritisiert allerdings, die „zentrale Leerstelle der Antworten der Staatsanwaltschaft“ auf die Warum-Frage sei: „Worin soll die angebliche ‚kritische Masse‘ für die Einleitung des neuen Ermittlungsverfahrens bestanden haben? Was hatte sich [im Sommer 2023] – angeblich – gegenüber vorher geändert, als keine bzw. nur versandete Ermittlungsverfahren eingeleitet worden waren? Stochert die Staatsanwaltschaft einfach nur im Nebel?"
In Karlsruhe folgen mindestens noch zwei weitere Prozesstage: am Dienstag, den 04. und Donnerstag, den 06.06.2024.9
1] https://emrawi.org/?Vorlaufige-politischen-Bilanz-im-Verfahren-gegen-Fabian-Kienert-Radio-3114.
2] https://de.indymedia.org/node/360913.
3] https://de.indymedia.org/sites/default/files/2024/05/Sechster_Tag_d_RDL-Prozesses.pdf.
4] https://rdl.de/beitrag/wenn-aufgeblasene-wursth-llen-platzen-der-siebte-verhandlungstag-im-prozess-gegen-rdl.
5] ttps://www.tagesschau.de/inland/indymedia-verbot-101.html.
6] https://theoriealspraxis.substack.com/p/die-staatsanwaltschaft-karlsruhe.
7] https://www.kontextwochenzeitung.de/medien/686/staatsanwalt-hat-sich-verhoert-9552.html.
8] Pressefreiheit, die Versuchung des etatistischen und moralisierenden Antifaschismus sowie Radio Dreyeckland-Prozeß; https://www.scharf-links.de/news/detail-topnews/pressefreiheit-die-versuchung-des-etatistischen-und-moralisierenden-antifaschismus-sowie-radio-dreyeckland-prozess.
9] https://blogs.taz.de/theorie-praxis/ein-bisher-unbekanntes-versandetes-ermittlungsverfahren-im-linksunten-kontext/.