#freeall - Sichere Fluchtwege Teil 1

veröffentlicht am 19. Dezember 2022

In den frühen Morgenstunden des 15. Dezembers 2021 haben Z. und ein Freund im sogenannten Slowenien drei Menschen im Auto mitgenommen, die am Straßenrand gestoppt haben. Nur kurze Zeit später hielt die slowenische Polizei das Auto an, woraufhin alle fünf festgenommen wurden.

Die slowenische Polizei brachte die drei Autostopper nach einigen rassistischen Beleidigungen direkt in einen Gefangenentransporter. Die drei wurden im Anschluss völlig übermüdet, dehydriert und hungrig stundenlang zuerst von der Polizei und danach vom Gericht verhört, um sie anschließend in ein Flüchtlingslager in Slowenien zu bringen.

Z. wurde nach der Anhaltung über drei Stunden von der slowenischen Polizei bei Minusgraden im Freien festgehalten. Schließlich kam sie ins Polizeieanhaltezentrum, wo sie sie in eine Einzelzelle sperrten. Der Vorwurf: Schlepperei. Nach zwei Tagen fand der Termin beim Haftrichter statt. Dieser setzte Z. vorerst auf freien Fuß bis der Senat einen Monat später endgültig entschied, dass sie nicht in U-Haft muss, da keine Fluchtgefahr bestünde. Zwei weitere Monate später wurden dann alle Vorwürfe gegen Z. fallen gelassen. Das ganze Verfahren wurde erst 10 Monate später beendet und alle Angeklagepunkte fallengelassen, nachdem Z. vor Gericht als Zeugin aussagen musste.

Gegenseitige Hilfe wird von den Staaten in und auf dem Weg in das “Friedensprojekt” EU systematisch bekämpft und unterbunden. Bei Z. ist der Fall glimpflich ausgegangen. Tausende andere Menschen sitzen wegen des selben Vorwurfs in den unterschiedlichsten Ländern für mehrere Jahre, manche bis an ihr Lebensende, im Knast.

Was ist passiert, als die Staatsgewalt euch aufgehalten hat?
Die Cops haben sich zuerst um meinen Freund gekümmert. Er musste aussteigen und bekam Handschellen. Er wurde durchwegs angeschrien. Anschließend war ich dran. Während sie mich anschrien und sexistisch beleidigten, haben andere Cops die drei Autostopper in einen Gefangenentransporter gesteckt. Da habe ich realisiert, was für ein Großaufgebot der Staatsgewalt für uns da war. Sie haben auch ganz klar gesagt, dass ich jetzt für 3 Jahre im Knast sein werde. Wir mussten bei Minusgraden mitten in der Nacht draußen warten, bis die Cops das Auto zweimal durchsucht hatten. Ich denke, sie waren auf der Suche nach Geld, Waffen und Smartphones. Es war so kalt. Jedes Mal wenn ich jetzt an den Zehen friere, bin ich in Gedanken wieder auf der Autobahnraststätte. Als endlich ein weiblicher Cop da war und mich nach Waffen abtasten konnte, wurden auch wir in einen Gefangenentransporter gesteckt, weggebracht und eingesperrt.

Wie sind die Zustände in Gewahrsam gewesen?
Ich war in einer Einzelzelle. Es war ein kleiner Raum mit Matratze, Tisch, Klo und Waschbecken. Ich habe 100 Stück Klopapierblätter und einen Plastikbecher bekommen. Es gab ein ganz kleines, vergittertes Fenster. Wenn ich auf dem Sessel gestanden bin, konnte ich ein wenig raussehen. Die Tür war eine massive Stahltür mit einer Luke, die meistens geschlossen war. Essen gab es viel, vorallem viel Schweinefleisch. Rauchen durfte ich nur in einem anderen Raum und ich musste dazu auch jedes Mal bei den Schließern klingeln. Mehr als 3 Zigaretten pro Tag waren nicht möglich. Ansonsten gab es nichts. Kein Buch, keine Musik, keine Ablenkung. Schlafen war schwer möglich, da die ganze Zeit über das Licht in der Zelle brannte. Sie haben mich auch oft aufgeweckt, sagten mir was auf slowenisch und gingen wieder.

Was waren die Strategien der Cops?
Eine Strategie ist sicher das nicht-schlafen-lassen. Wenn du völlig übermüdet bist, sind deine Gedanken nicht klar und es kann schnell passieren, dass du Dinge sagst, die du dann bereust. Sie haben echt viele 0815-Tricks ausprobiert. Hier ist es natürlich von großem Vorteil, wenn du vor so einer Situation das neue Buch des Project-Evasions "Wie die Polizei verhört und wie wir uns dagegen verteidigen können" gelesen hast :)
Ein Cop hat kurz vor der Vernehmung sowas gesagt wie "hey, mal so zwischen uns. mir kannst du es ja sagen. ich bin einfach nur neugierig - das kommt nicht in die offizielle Aussage rein". Nachdem er dann gecheckt hat, dass ich nix sagen werde, ist er ausgerastet und hat mich angeschrien. Dann war der andere Cop wieder ur nett. Erdniedrigt und abgewertet haben sie mich aber alle immer wieder. Ein anderer Cop hat mir gesagt, dass die drei Autostopper eh schon alles gestanden hätten und ich jetzt an der Reihe wäre. Ein anderer hat mir gesagt, dass ich meinen Freund verraten soll, dann käme ich hier raus. Telefonieren durfte ich prinzipiell nicht. Schließlich konnte ich bei einem Cop aber erfolgreich auf die Tränendrüse drücken. Er hat mich dann aber genau beobachtet und natürlich auch zugehört beim telefonieren. Einer hat mir auch gesagt, dass ich mich nicht so deppat anstellen soll und die Sachen einfach unterschreiben soll. Es würde ihnen Arbeit ersparen und sie müssten sich dann beim Haftrichter nicht rechtfertigen. Außerdem würde ich netter behandelt werden.
Was sie aber alle und jedes Mal gesagt haben war ein Angebot für einen Deal.

Sie haben dir einen Deal angeboten?
Ja, sie bieten allen Menschen dort, die wegen Schlepperei angeklagt sind, den gleichen Deal an: "Lege ein Geständnis ab und dein Strafmaß wird sich erheblich verringern".
Wir haben später rausgefunden, dass fast alle diesen Deal eingehen, weil sie dann schneller in den echten Knast kommen, nicht auf Gerichtsverfahren warten müssen und statt maximal 10 Jahre eben nur 1-3 Jahre kriegen. Sie haben es mir richtig oft angeboten und wurden auch sauer oder traurig oder mitfühlend oder was auch immer, wenn ich dieses "Angebot" ausgeschlagen hab.

Möchtest du noch was ergänzen?
Ich bin richtig froh, dass ich mich vorher schon viel mit den Themen Knast und Cops auseinandergesetzt hab. Viele lernen "sag nichts, unterschreib nichts. dann passiert dir nichts". Aber ganz so einfach wie das klingt, ist es nicht. Du musst echt viel aushalten dafür, weil es die Cops richtig sauer macht. Außerdem war ich richtig überrascht davon, was es mit mir gemacht hat, so lange alleine zu sein und in dem Glauben, 3 Jahre in den Knast zu gehen. Ich hab mir oft überlegt, ob ich nicht doch was sagen soll. Ob ich den Deal annehmen soll. Ich war für die kurze Zeit da drinnen richtig oft in den Situationen, dass ich entweder voll stabil oder es eben gar nicht war.
Eine Sache hat mir definitiv die Zeit dort erleichtert: Sport. Es sagen alle und ich hasse es, aber es stimmt bei mir. Es hat mich beruhigt. Ein bisschen aufwärmen, Krafttraining, dehnen und somit an was anderes denken hilft richtig viel!

In den letzten Jahren haben sich die Gesetze im sogenannten Slowenien vor allem Rund um Artikel 308 (Unterstützung von illegealisierten Menschen) massiv verschärft, wodurch mittlerweile fast jegliche Unterstützung für PoM (People on the Move) kriminalisiert wurde.
Diese Verschärfungen wurden vor allem vom Faschisten und ehemaligen Verteidigungsminister sowie dreimaligen Premierminister Janez Janša vorangetrieben. Janša ist auch für seine enge Zusammenarbeit mit dem ungarischen Faschisten Viktor Orbán bekannt.

Das Strafmaß für "Schlepperei" wurde 2020 von bis zu 5 Jahren Haft auf mindestens 3 bis 10 Jahre gehoben. Noch dazu wurde beschlossen, dass jegliche Unterstützung von illegalem Aufenthalt für auch nur eine Person mit diesem Strafmaß geahndet wird - bis 2017 galt dieses Strafmaß erst bei "Schlepperei" von 2 oder mehr Menschen.

Nicht nur diese Verschärfungen, sondern auch die Einberufung einer eigenen Autobahnpolizei 2021 und der Ausbau aller Repressionsorgane führte dazu, dass im sogenannten Slowenien unfassbar viele Menschen wegen dem Vorwurf der "Schlepperei" im Knast sitzen.

Dazu kommt auch, dass es bei dem Vorwurf von "Schlepperei" die höchste Rate von Geständnissen gibt. Laut einer Anwältin sind es sogar über 90% aller Beschuldigten.
Das kommt vor allem auch daher, dass das Strafmaß so hoch ist und allen Angeklagten vor Beginn des langwierigen Gerichtsprozesses eine Strafmilderung bei Geständnis angeboten wird. Dadurch wird das Urteil auf 1-3 Jahre Haftstrafe herabgesetzt. Das "Zuckerl" neben der (vermeintlich) kürzeren Haftstrafe: Für Angeklagte fällt die Angst weg, monatelang in U-Haft auf den Prozess warten zu müssen und die enormen Gerichtskosten zu zahlen, um dann ziemlich sicher für bis zu 10 Jahre in den Knast gesteckt zu werden.

Im sogenannten Slowenien sitzt ein Großteil der Menschen wegen dem Vorwurf der Schlepperei im Gefängnis. Die meisten Menschen haben keine slowenische Staatsbürger*innenschaft und oft keine Unterstützung außerhalb des Gefängnisses, da ihre Freund*innen und Familien hunderte Kilometer entfernt sind.
In Koper zum Beispiel waren 2019 86% aller Inhaftierten, die keine slowenische Staatsbürger*innenschaft haben, wegen dem Vorwurf der Schlepperei im Knast.

Im Kapitalismus liegt es auf der Hand, dass Menschen, die in die Prekarität gezwungen werden, alles dafür tun, um an Kohle zu kommen. Um irgendwie auch ein Stück vom Kuchen zu bekommen. Das Problem sind aber nicht primär die Menschen, die aus den von der EU "gesperrten" Fluchtrouten Profit schlagen wollen. Das Problem ist die EU und dass sie eben keine sicheren Fluchtrouten schafft. Das Problem ist der rassistische und patriarchale Kapitalismus. Die EU finanziert und führt Kriege, beutet Menschen im globalen Süden aus und tut alles dafür, um die Probleme, die sie verursacht und verschärft, so weit wie möglich fern zu halten. Jeder Mensch, der den tödlichen Weg in die Festung Europa einschlägt, ist für die EU einer zu viel.

Es ist unbedingt notwendig, sichere Fluchtwege zu schaffen! Die EU hat Platz. Die EU muss Platz für all die Menschen machen, die ihretwegen alles hinter sich lassen müssen. Das ist das absolut Mindeste!

Teil2 - https://emrawi.org/?freeall-Sichere-Fluchtwege-Teil-2-2457

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