Théorie communiste - Normative Geschichte und kommunistische Essenz des Proletariats (2000)

veröffentlicht am 3. November 2019

Kritik von Gilles Dauvés „Wenn die Aufstände sterben“

Wir haben uns in der Kritik der Broschüre „Catastrophe et révolution“ schon mit der “normativen“ Konzeption der Geschichte beschäftigt, im Text von Dauvé haben wir diese Konzeption im Reinzustand.

Auf der dritten Seite bringt er das Vokabular dieser Problematik in Stellung: „hat verpasst“, „war verpasst worden“. Der gesamte Text erwähnt sehr wohl den Faschismus und den Nazismus als Resultate der Grenzen der Klassenkämpfe der vorhergehenden Periode, doch diese Grenzen werden im Verhältnis zum Kommunismus definiert und nicht in den Kämpfen dieser Periode. Gleichzeitig wird die Geschichte des Kapitals auch auf einen sie übersteigenden Widerspruch bezogen, einen allgemeinen Widerspruch der Geschichte: die Trennung zwischen dem Menschen und der Gemeinschaft, zwischen menschlicher Tätigkeit und Gesellschaft. „Die Demokratie […] wird niemals das Problem der am meisten gespaltenen Gesellschaft in der Geschichte auflösen können.“ Doch das war auch nie ihre Absicht. Die Individuen sind durch die demokratische Politik nicht isolierter oder stärker miteinander verbunden, als dass sie im Feudalismus persönlich miteinander verbunden waren. Es ist jene Gesellschaft, in welcher die Beziehungen zwischen den Menschen am weitesten entwickelt und am stärksten sind, welche die Fiktion des isolierten Individuums hervorgebracht hat. Es geht nie darum, zu wissen, wie Individuen, definiert in gesellschaftlichen Verhältnissen, die durch eine Produktionsweise determiniert sind, miteinander durch eine politische Form verbunden sind, sondern weshalb diese Verbindung die Form der Politik annimmt. Genau wie das Individuum, so auch die Gemeinschaft; die Individuen bilden eine Gemeinschaft, die genauso beschränkt ist wie sie selber. Die Demokratie (der Staat allgemein) ist die Form dieser Gemeinschaft auf politischer Ebene, nicht die Antwort auf eine nicht existierende allgemeine Trennung. Wenn die Antwort der Demokratie auf diese Trennung „schlecht“ ist, so bedeutet das, dass diese allgemeine Trennung, für welche sie eine „schlechte“ Antwort liefert, die allgemeine Dynamik der Geschichte ist (weitgehend entwickelt in La Banquise).

Die Demokratie hat die Arbeiter zusammen mit den Parteien und den Gewerkschaften besiegt, doch was waren (in Italien, in Deutschland, in Spanien) die Ziele, der Inhalt der Arbeiterkämpfe, das bleibt im Text stets ungesagt. Wir sind mitten in der Problematik des „Verrats“ durch die Parteien und die Gewerkschaften. Die Arbeiter gehorchen den reformistischen Bewegungen, genau das hätte ausgehend von der Natur dieser Arbeiterkämpfe selbst erklärt werden müssen, statt die Dämonen der Manipulation und des Betrugs zu evozieren. „Die Proletarier vertrauen auf die Demokraten“, diese gleichen Proletarier, welche „mit diesen Methoden und eigenen Zielen gegen das Kapital handel[n]“, Handlungen, Methoden und Ziele, die nie präzisiert werden. Dauvé wagt die Frage „Wer hat die proletarische Energie besiegt?“, doch nie wird irgendetwas über den Inhalt, die Formen, die eigenen Grenzen dieser Energie gesagt. Es ist die proletarische Energie und das ist alles. „Wie kann die Arbeiterklasse beherrscht werden?“, doch bevor diese Frage gestellt wird, hätte eine andere gestellt werden müssen: „Was macht die Arbeiterklasse?“ Das scheint immer offensichtlich zu sein, es ist „die proletarische Energie“. Wieso war also die Beherrschung 1921 und 1943 (betreffend Italien) erfolgreich? Das sind die Fragen, welche der Text nur auf anekdotische Art und Weise beantwortet; oder aber mit einer „grundlegenden“ Erklärung, wie wir weiter unten sehen werden: Die Arbeiter sind gescheitert und geschlagen worden, weil sie nicht die Revolution gemacht haben, wir sind mitten im Reich der Tautologie.

Die gleiche Unbestimmtheit der „revolutionären Energie“ finden wir in der Analyse der Niederlage der Arbeiter und des Sieges des Nazismus in Deutschland: „Die deutsche Niederlage von 1918 und der Zerfall des Reichs lösten einen proletarischen Angriff aus [NdA: Es handelt sich wohl um eine Manifestation der „proletarischen Energie“.], der stark genug war, die Gesellschaft zu erschüttern, aber nicht stark genug, um sie umzuwälzen und der die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften zur Grundlage des politischen Gleichgewichts machte.“ Man sagt uns nicht mehr über diesen „proletarischen Angriff“. Warum ist er nicht stark genug, um die Gesellschaft umzuwälzen? Das ist nämlich die Frage, und zwar die einzige. Die Dinge scheinen offensichtlich, es genügt, „Proletariat“ und „Revolution“ zu sagen. Plötzlich liefert der Autor allerdings einen schnellen Hinweis, „die radikale Bewegung strebte eine Arbeiterwelt an“, doch diese grundlegende Anmerkung wird nicht entwickelt, sie ist eine Art Detail, die nicht als Lösung für das Scheitern fungieren kann, diese Eigenschaft wird sofort mithilfe der Allgemeinheit des „proletarischen Angriffs“ kleingeredet.

Der Schlüssel für die Gesamtheit der Problematik wird in einer fast schon beiläufigen Bemerkung gegeben: „Aber die konservative Revolution nahm auch alte antikapitalistische Tendenzen wieder auf (Rückkehr zur Natur, Flucht aus den Städten ...), welche die Arbeiterparteien, auch die extremistischen, geleugnet oder unterschätzt hatten aufgrund ihrer Unfähigkeit, die nicht-klassenbezogene und gemeinschaftliche Dimension des Proletariats miteinzubeziehen, die Ökonomie zu kritisieren und sich die zukünftige Welt anders vorzustellen denn als eine Verlängerung der Großindustrie.“ Wir werden nichts zum Kampf der Machtstrukturen der Nazis gegen die grosse Industrie sagen, uns interessiert „die proletarische Energie“. Diese Energie beruht auf dieser nicht-klassenbezogenen und gemeinschaftlichen Dimension. Gehen wir, wenn diese Dimension einmal proklamiert ist, davon aus, dass alles andere, d.h. die wirkliche Geschichte des Klassenkampfes, nur noch die Aufeinanderfolge gegenüber dieser Dimension mehr oder weniger minderwertiger Formen sein kann. Die allgemeine Mechanik ist also die folgende: Mensch und Gesellschaft sind getrennt, das ist die Grundlage aller Geschichte, alle historischen Formen menschlicher Gesellschaften gründen auf dieser Trennung und versuchen, sie aufzulösen, aber in den Formen der Entfremdung. Das Kapital ist die Gesellschaft, in welcher die Trennung ihren Höhepunkt erreicht, doch gleichzeitig (möge Hegel zu Hilfe eilen!) ist es die Gesellschaft, welche eine Klasse hervorbringt, die eine gemeinschaftliche, eine nicht-klassenbezogene Dimension hat. Das Kapital ist seinerseits gezwungen, auf die gleiche Frage der Trennung zu antworten (die, wiederholen wir es, nur eine Form der gesellschaftlichen Verbindung darstellt), durch den Staat, die Demokratie, die Politik. Das führt zur einfachen Opposition zwischen zwei Antworten auf die gleiche Frage, das Proletariat und das Kapital sind nicht mehr die Begriffe eines Widerspruches innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise, sondern die vom Proletariat getragene menschliche Gemeinschaft und die Politik (der Staat) stehen sich gegenüber, das einzige, das sie verbindet, ist die Tatsache, zwei verschiedene Antworten auf das transhistorische Problem der Trennung zwischen dem Mensch und der Gesellschaft, dem Individuum und der Gemeinschaft darzustellen. Man findet diese ganze Problematik in La Banquise, „Le Roman de nos origines“ (Nr. 2). Diese ganze Problematik verkennt das grundlegende Axiom des Materialismus: Genau wie das Individuum, so auch die Gemeinschaft.

Das Proletariat hat keine gemeinschaftliche oder nicht-klassenbezogene Dimension, es hat, durch seine Stellung im Widerspruch mit dem Kapital, die Fähigkeit, das Kapital und die Klassen abzuschaffen und die Gemeinschaft (die gesellschaftliche Unmittelbarkeit des Individuums) hervorzubringen, doch das ist nicht eine Dimension, die es in sich trägt, weder als von seiner Situation in der kapitalistischen Produktionsweise kommende Natur, noch (weniger) als endlich entdeckte historische Figur der allgemeinen Tendenz der Geschichte hin zur Gemeinschaft.

Da Dauvé in einer solchen Problematik die Geschichte der Klassenkämpfe nicht als reale Geschichte ihrer unmittelbaren Formen, ihren besonderen historischen Inhalt nicht als die Totalität des Geschehenden ausschöpfend betrachten kann (statt als historische Form von etwas anderem), sagt er uns nie, weshalb die Revolution scheitert oder weshalb die Tatsache, dass die Parteien, sogar die extremistischen, die gemeinschaftliche Dimension vernachlässigt haben, zu diesem Scheitern geführt hat, weshalb es jedes Mal funktioniert, wenn der Staat, die Parteien, die Gewerkschaften den revolutionären Elan zerschlagen wollen. „Gerade auf dem revolutionären Terrain siegt die Konter-Revolution, das ist unvermeidlich‟, das stimmt, doch in diesem Text erfahren wir nie, weshalb die Konter-Revolution im Verhältnis zu den historischen Eigenschaften der Revolution siegt. Der Autor sagt uns zwar, wie es geschieht, doch dabei bleibt es. In Anbetracht der allgemeinen Problematik ist die einzige Erklärung gezwungenermassen tautologisch: Die Revolution scheitert, weil sie nicht weitergegangen ist. Indem man das sagt, hat man nichts über das real existierende Scheitern der real existierenden Revolution gesagt. „Demokratie und Sozialdemokratie sind somit unerläßlich für den deutschen Kapitalismus, um die Arbeiter einzugliedern, den Geist der Revolte in der Wahlkabine zu töten, von den Unternehmern eine Reihe von Reformen zu erhalten und die Revolutionäre zu zerstreuen.‟ Aber man erklärt uns nicht das Verhältnis dieser Tätigkeit der kapitalistischen Klasse und der Sozialdemokratie mit dem historischen Inhalt der Revolution selbst, nur das würde uns erklären, wieso „es funktioniert‟, es handelt sich um den notwendigen toten Winkel dieser Problematik.

Im Kapitel über Spanien erreichen die Sackgassen dieser Problematik ihren Höhepunkt. Dauvé beschreibt die Konter-Revolution präzis (wir sind uns diesbezüglich einig), doch er spricht von der Revolution nur auf der Grundlage von dem, was sie nicht getan hat, im Verhältnis zu dem, was sie hätte tun sollen, und als Abfolge von „fatalen Irrtümern‟. „Nachdem sie die Reaktion in vielen Städten besiegt haben, haben die Arbeiter die Macht. Aber was sollen sie damit machen? Sie dem republikanischen Staat zurückgeben oder sich ihrer bedienen, um weiterzugehen in einem kommunistischen Sinn?‟ Wir kennen die Antwort und Dauvé erklärt uns ausgiebig den „fatalen Irrtum‟ der spanischen Revolutionäre, die nicht die legale Regierung, den Staat angriffen. Doch wieso geschah ihnen dieser Irrtum, war er nicht mit der Natur des „proletarischen Angriffs‟ selbst verbunden (freilich fatal, ein Irrtum, das ist weniger sicher)? Das sind die wirklichen Fragen, mit welchen sich diese Problematik nicht beschäftigen kann. „[Im Mai 1937 ist d]ie Fähigkeit, sich gegen den Staat […] zu erheben, […] immer noch vorhanden, aber nicht die, den Kampf zum Bruchpunkt zu führen.‟ Existierte diese Fähigkeit also im Juli 1936? Für Dauvé werden die Massen „getäuscht‟ von der CNT und der POUM, die Angst haben, den Staat aufzugeben: „Weil sie die Vermittlung ‚repräsentativer Organisationen‘ und den Rat zur Mäßigung von seiten der POUM und der CNT akzeptiert haben, weichen dieselben, die im Juli 36 die faschistischen Militärs besiegt haben, im Mai 37 kampflos vor den republikanischen Gendarmen zurück.‟ Wenn wir dieser Interpretation folgen, dann sind die spanischen Proletarier Idioten. Es ist aussergewöhnlich, Ausdrücke wie „die Massen vertrauen‟, „fataler Irrtum‟, „glauben die meisten Proletarier, daß sie trotz allem die wirkliche Macht behalten können‟, „weil sie die Vermittlung […] akzeptiert haben‟ zu benutzen, ohne auch nur einen Moment zu zweifeln und sich eine Frage der Art zu stellen: Aber wieso funktioniert es? Wieso vertrauen sie? Wieso dieser Irrtum? Wieso dieser Glauben? Obwohl diese Fragen im Text nicht einmal gestreift werden, müssen wir uns hingegen fragen, wieso diese Fragen nicht gestellt werden.

In diesem Text ist das Proletariat nämlich von Natur aus revolutionär oder, noch besser, kommunistisch. Man weiss, dass die Geschichte jene der Trennung zwischen dem Menschen und der Gesellschaft ist, die Proletarier sind „ als Ware behandelte Wesen, die nicht mehr als Ware existieren können noch wollen, und deren Revolte die kapitalistische Logik zum Platzen bringt‟. Die Proletarier sind in sich selbst widersprüchliche Wesen und dadurch tragen sie die Gemeinschaft, den Kommunismus in sich. Daraus folgt, dass, wenn sie nicht die Revolution machen, sie sich täuschen oder getäuscht werden. Damit wird das, was nicht geschehen ist, zur Erklärung für das, was geschehen ist.

„Als Ware behandelte Wesen‟ usw., die Formulierung lässt höchst schwierige und determinierende Fragen im Dunkeln. Die Proletarier sind hier der Sitz eines inneren Widerspruches, wovon einer der Begriffe nicht ausgesprochen wird und selbstverständlich zu sein scheint: Ware auf der einen Seite, aber im Namen welches Anderen wollen sie es nicht mehr sein? Grundlegend: Sie sind Menschen. Die gesellschaftliche Definition des Proletariats in einer bestimmten Produktionsweise lässt Raum für eine hybride Definition: Ware und Mensch. Doch was ist also dieser Mensch, der nicht die Gesamtheit dieser gesellschaftlichen Verhältnisse ist, durch welche er nur eine Ware ist? Wir verweisen hier auf die Kritik der Positionen von Carlos in der Debatte über den „zerstreuten Fordismus‟.

Vom Moment an, wo man eine revolutionäre Natur des Proletariats wie diese widersprüchliche Hybridisierung von Mensch und Ware konstruiert, verschwindet die Geschichte der Klassenkämpfe und präziser jene der Revolution und des Kommunismus. Der Kommunismus ist ein für allemal in der Natur des Proletariats eingetragen. Die Tatsache, dass das Proletariat nicht mehr bleiben will und kann, was es ist, ist nicht ein innerer Widerspruch seiner Natur, eine Gegebenheit seines Wesens, sondern Ausdruck seines widersprüchlichen Verhältnisses zum Kapital in einer historisch spezifischen Produktionsweise. Es ist das Verhältnis dieser besonderen Ware, welche die Arbeitskraft darstellt, zum Kapital als Ausbeutungsverhältnis, welches das revolutionäre Verhältnis ist. So gesetzt ist es gezwungenermassen eine Geschichte, jene dieses Widerspruches. Der Klassenkampf in Barcelona im Mai 1937 war nicht die Bewegung des Kommunismus im allgemeinen (nicht einmal unter besonderen Bedingungen), welche aus Gründen nicht zu Ende gebracht wurde, welche man nie wird hervorbringen können, sondern die Revolution so wie sie real existierte. D.h. als Affirmation des Proletariats, das die Kraft und den Inhalt seiner Autonomie aus den Bedingungen innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise selbst schöpfte. Die „Irrtümer‟ erscheinen dann als das, was sie sind, inhärente Grenzen in jenem Sinne, als dass die Revolution selbst ihre Konter-Revolution impliziert. Die Affirmation der Autonomie des Proletariats impliziert die Affirmation dessen, was es ist im Kapital, dort findet es seine Macht und die Daseinsberechtigung seines Handelns und gleichzeitig wird die wesentliche Verbindung dieses Handelns mit der Konter-Revolution hervorgebracht.

Die Behauptung eines „nicht-klassenbezogenen‟, „gemeinschaftlichen‟ Aspekts des Proletariats ist nur das Resultat eines falschen Verständnisses einer Epoche des Klassenkampfes (bis zu den 1840er Jahren) und nicht einer revolutionären Natur des Proletariats. Sie erlaubt es jedoch, die Proletariat als Figur der Menschheit zu konstruieren, als Repräsentation eines Widerspruches, der einen weiten Weg hinter sich hat. Der Kommunismus wird auf Anhieb als Spannung vorausgesetzt, welche sich schon in der kapitalistischen Produktionsweise dem Kapital widersetzt und nach seiner Zerstörung strebt. Was sich von der Behauptung unterscheidet, gemäss welcher der Kommunismus die Bewegung der Aufhebung der bestehenden Bedingungen ist, d.h. die Bewegung des inneren Widerspruches dieser Bedingungen. Ausserdem ist der historische Prozess des Klassenkampfes, wenn man dem Proletariat diese Dimension verleiht, nicht mehr wirklich notwendig im Verhältnis zur Revolution, er ist nur ein Prozess der Verwirklichung, das verursacht das Abgleiten der Analyse hin zu einem Widerspruch zwischen dem Kommunismus und dem Kapital, welcher den Widerspruch zwischen Proletariat und Kapital ersetzt.

Um auf den Spanischen Bürgerkrieg zurückzukommen, so wie er im Text dargestellt wird, ist das Frappierende die Benutzung der Möglichkeitsformen: „Hätten sie die Revolution aus den republikanischen Gebieten hinaustragen wollen, so hätten sie auch diese Zonen selbst revolutionieren müssen.‟ Was nicht geschehen ist, ist stets die Erklärung für das Geschehene: „Aber selbst Durruti ist sich nicht über die Tatsache im klaren, daß der Staat fortbesteht.‟ Es ist, als ob ein grosses, bis zur Kommunistischen Revolution (menschliche Gemeinschaft) kalibriertes Thermometer existierte, man taucht es in einen sensiblen Punkt der Ereignisse und man schaut, bis wo das Quecksilber steigt, dann erklärt man, dass es nur bis dorthin gestiegen ist, weil es nicht höher gestiegen ist.

Doch „Durruti und seine Genossen verkörpern eine Energie, die nicht auf 1936 gewartet hatte, um sich an die Erstürmung der Welt zu wagen.‟ „Die proletarische Energie‟ spielt eine grosse Rolle in dieser Sichtweise der Geschichte, sie ist das, was das Quecksilber im Thermometer steigen lässt. Sie ist, wie in der alten Physik, eine dieser unnennbaren Kräfte, die dazu dienen, alle Tautologien zum Abschluss zu bringen. Es soll beiläufig angemerkt werden, dass „die Energie‟ verkörpert wird, genau wie „der Elan‟. Indem Dauvé nicht erklärt, weshalb die spanische Revolution nicht weitergeht und was ihr wesentliches Verhältnis zur Konter-Revolution ist, akkumuliert Dauvé alle „wie‟, die absolut zutreffend sind, doch ohne uns je den Beginn einer Erklärung zu liefern, ausser im Konjunktiv, was gemacht hätte werden müssen:

- „[D]ie Proklamierung der sofortigen und bedingungslosen Unabhängigkeit des spanischen Teils von Marokko [hätte] zumindest Durcheinander unter den Stoßtruppen der Reaktion gesät.‟

- „Die gesellschaftlichen Veränderungen, ohne die die Revolution ein leeres Wort ist, müssen sich, um sich zu konsolidieren und auszuweiten, in ein antagonistisches Verhältnis zum Staat setzen, der eindeutig als Gegner bestimmt ist. Nun war aber die Existenz einer Doppelherrschaft nach Juli 36 nichts als Schein. Die aus dem Aufstand hervorgegangenen proletarischen Organe und die, die danach die Vergesellschaftungen durchführten, tolerierten nicht nur den Staat, sondern sie gestanden ihm auch den Vorrang im antifaschistischen Kampf zu, als ob der Weg, Franco zu besiegen, notwendigerweise taktisch über den Staat laufen müsse.‟

- „Kommunistische Maßnahmen hätten die Grundlagen beider Staaten (des republikanischen und des nationalistischen) unterminieren können, wenn nur mit der Lösung der Agrarfrage begonnen worden wäre: in den 30er Jahren war mehr als die Hälfte der Bevölkerung unterernährt. Eine subversive Bewegung brach los, allen voran die am meisten Unterdrückten, die am meisten vom ‚politischen Leben‘ Ferngehaltenen (zum Beispiel Frauen), aber sie schaffte es nicht, bis zum Äußersten zu gehen und die Dinge an der Wurzel zu packen.‟

Weshalb? Um diese Frage zu beantworten, muss die Natur der Revolution anders definiert werden denn als „revolutionärer Elan‟, „revolutionäre Energie‟, „kommunistisches Potential‟, „abgetriebene Revolution‟. Man muss den Widerspruch zwischen Proletariat und Kapital als Verhältnis der gegenseitigen Verstrickung verstehen und somit die Revolution und den Kommunismus als historische Hervorbringungen und nicht als Einheit, die zur Natur der revolutionären Klasse gehören, welche ein für allemal als solche definiert wird.

Für Dauvé zeugen die deutsche, russische oder spanische Revolution von „einer kommunistischen Bewegung, die die ganze Gesellschaft verändert‟. Doch es ist eben genau die Natur dieser kommunistischen Bewegung zu diesem Zeitpunkt der Geschichte des widersprüchlichen Verhältnisses zwischen Proletariat und Kapital, welche definiert werden muss, wenn man ihre Grenzen und ihre Beziehung zur Konter-Revolution anders, als durch das, was hätte getan werden müssen und nicht getan worden ist, erkennen will. Der Autor liefert jedoch eine Erklärung der Grenzen der Revolution, aber er scheint sie selber nicht für sehr aussagekräftig zu halten: „Der Krieg in Spanien beweist sowohl die revolutionäre Energie der gemeinschaftlichen Formen und Verbindungen, die vom Kapital durchdrungen, aber noch nicht direkt reproduziert werden, als auch ihre Machtlosigkeit, aus sich selbst heraus eine Revolution zu sichern. Ohne Angriff auf den Staat und die Schaffung anderer Verhältnisse auf landesweiter Ebene waren sie zu einer bruchstückhaften Selbstverwaltung gezwungen, bei der Wesen und sogar Formen des Kapitalismus weiterbestanden, besonders das Geld und die Aufteilung in Unternehmen.‟ Und falls es diese Verbindungen und Formen gewesen wären, welche eben genau „den Angriff‟ verhindert hatten? Und falls wir es bloss mit einer besonderen Form der Affirmation des Proletariats zu tun hätten? Dauvé stellt sich nicht diese Art von Fragen, denn für ihn sind die besonderen Bedingungen immer nur Bedingungen im Verhältnis zu dem, was die Revolution tun muss, und nicht die Form der Revolution selbst zu einem gegebenen Zeitpunkt. In dieser kurzen, sehr interessanten Passage überwindet er die Problematik objektive Bedingungen/revolutionäre Natur nicht. Diese besonderen Bedingungen, welche er beschreibt, hätten jene sein sollen, unter welchen allerdings ein Angriff gegen den Staat hätte stattfinden sollen. Als Konsequenz wird diese Erklärung der Grenzen gegeben, doch sie interveniert nicht in das allgemeine Räsonnement. Wenn sie interveniert hätte, wäre Dauvé gezwungen gewesen, „die revolutionäre Energie‟, den „revolutionären Elan‟ historisch zu spezifizieren, und hätte nicht mehr von „abgetriebener Revolution‟ oder „kommunistischem Potential‟ sprechen können. Er könnte nicht mehr das, was getan worden ist, mit dem erklären, was nicht getan worden ist, und all die „hätten müssen‟ hätten keinen Sinn mehr. Er begnügt sich damit, eine ahistorische Sichtweise der Revolution und des Kommunismus und die historischen Bedingungen, die ihr Form und Gestalt geben, nebeneinander zu stellen. Die Geschichte des Klassenkampfes ist hier stets doppelt: Einerseits das kommunistische Prinzip, der revolutionäre Elan oder die revolutionäre Energie, die das Proletariat antreiben, eine transzendente Geschichte; andererseits die begrenzte Manifestation dieser Energie, eine anekdotische Geschichte. Zwischen diesen beiden Aspekten existiert eine Hierarchie. Die transzendente Geschichte ist die „reale‟ Geschichte und die reale Geschichte ist nur die zufällige Form ersterer, so dass erstere konstant die Richterin über letztere ist.

Man kann der Bemerkung Dauvés über den Zustand der gesellschaftlichen Verhältnisse im Spanien der 1930er Jahre nur beipflichten, doch entweder war es möglich, das zu tun, was er sagt, dass man hätte tun müssen, und somit hätten diese Bedingungen überwunden werden können oder es war nicht möglich und somit verlieren die Konjunktive Dauvés jegliche rationelle Bedeutung. Eine solche Situation wäre überwunden worden, wenn der revolutionäre Elan jener gewesen wäre, welcher er für seine Analyse voraussetzt. Doch es handelt sich um einen programmatischen Kampf, eine solche Situation (gemeinschaftliche Verbindungen) ist ein Rohstoff, der dieser gemäss seiner eigenen Natur bearbeitet.

Man kann davon ausgehen, dass die Gesamtheit dieses historischen Texts ein Nachdenken darüber ist, was die Revolution jetzt sein muss und kann. Doch das Problem Dauvés ist, dass er das auf ewige und zeitlose Weise präsentiert, so dass, wenn wir danach auch mehr wissen, wir bezüglich der wesentlichen Frage nicht wirklich weiter gekommen sind: Wieso könnte die Revolution jetzt etwas sein, das sie zuvor nicht war?
Man soll uns nicht falsch verstehen, wir sind absolut einverstanden mit der Abfolge der Tatsachen, welche uns Dauvé präsentiert, sowohl bezüglich Deutschland als auch bezüglich Spanien (einige Vorbehalte bezüglich Russland). Seine Konzeption der kommunistischen Revolution teilen wir vollständig bezüglich ihrem Inhalt und den kommunistischen Massnahmen, bezüglich ihres Verständnis als Kommunisierung und nicht als Vorbedingung für diese Kommunisierung. Wo wir uns hingegen überhaupt nicht einig sind, ist bezüglich dem Verständnis des Verlaufs des Klassenkampfes als Gegenüberstellung von einem gegebenen, bekannten Prinzip des Kommunismus, das im Wesen des Proletariats verankert ist, und eine Geschichte, die sich damit begnügt, es auf partielle, konfuse, abgetriebene Weise auszudrücken. Es ist nicht eine Frage der Analysemethode der Geschichte, es handelt sich nicht um einen Streit zwischen Geschichtsphilosophen. Wie immer steht das Verständnis der gegenwärtigen Periode auf dem Spiel. Die Methode Dauvés macht das Verständnis einer Überwindung des Programmatismus, der Revolution als Affirmation des Proletariats unmöglich. Die kommunistische Revolution, so wie wir sie heute konzipieren können, so wie sie sich in diesem Kampfzyklus präsentiert, ist für ihn in der russischen, deutschen und spanischen Revolution schon da (beschränkt, abgetrieben, mit Irrtümern, Illusionen usw.). So dass, wenn wir sagen, dass wir einverstanden sind mit der Konzeption der Revolution, die er am Ende seiner Broschüre präsentiert, dann ist das so, weil ihm nicht bewusst ist, dass diese Revolution nicht, nicht mehr das ist, was die russische und die anderen Revolutionen waren. Es waren Revolutionen dieses Kampfzyklus, jener der Affirmation des Proletariats, das ist heute nicht mehr der Fall. Die Verwirrung ist nicht folgenlos bezüglich der Theorie, die man vom Verhältnis zwischen Proletariat und Kapital in der gegenwärtigen Situation machen kann, bezüglich dem Verständnis der gegenwärtigen Kämpfe und der Revolution als hervorgebrachte Überwindung dieses Kampfzyklus. D.h. bezüglich der Art und Weise, wie man diese Kämpfe als wirklich ihre Überwindung hervorbringend erörtert (praktisch und theoretisch) und nicht als etwas, das man in Bezug auf diese schon als Norm gesetzte Überwindung beurteilen muss. Die Geschichte des Klassenkampfes ist Hervorbringung, nicht Verwirklichung.

Übersetzt aus dem Französischen von Kommunisierung.net

Quelle

Englische Übersetzung

Spanische Übersetzung

Italienische Übersetzung

Anmerkung der Moderation

Wir fordern alle Autor*innen dazu auf, ihre Beiträge in geschlechtergerechter Sprache zu formulieren. Wenn in einem Text nur die männliche Form verwendet wird, sehen wir darin eine Form von Sexismus. Zu Details wie geschlechtergerechte Formulierung aussehen kann verweisen wir auf den Leitfaden “Was tun?” http://feministisch-sprachhandeln.org/ sowie auf das Genderwörterbuch auf https://neu.geschicktgendern.de/

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