Weisse Verteidigungslinie

veröffentlicht am 12. Februar 2020

In einer dreiteiligen Serie wollen wir Mechanismen darlegen, wie sich weisse Vorherrschaft und damit Rassismus innerhalb der weissen Linken reproduziert, anhand eines rassistischen Vorfalls in Zürich. Der erste Teil beschäftigt sich mit Argumentationslinien, um Rassismus zu legitimieren. Von den Linken PoC.

Der Auslöser war eigentlich trivial: An einer Demonstration soll jemand aus dem Umfeld der sich selbst als «revolutionär» bezeichnenden linken Szene in Zürich einen Hitlergruss gegenüber der Polizei gezeigt haben. Der Hitlergruss ist augenscheinlich als Kritik gegenüber dem repressiven Verhalten der Bullen ausgeübt worden, also klar ohne rassistische Intention. Dabei ist zu betonen, dass die so genannte «revolutionäre Linke», die sich teilweise mit der Sprayer-/Fussballszene überschneidet, zumindest in Zürich übermehrheitlich weiss ist ([exil-]migrantische revolutionäre Organisationen nicht dieser Szene zurechnen).
Von People of Color* wurde dieser Hitlergruss in der Folge als rassistisch und damit problematisch bezeichnet. Dieser Vorwurf wurden grösstenteils innerhalb der «revolutionären» Linken bestritten, soweit sie über den Vorfall informiert waren: zu einem bedeutenden Teil mit Verhalten, dass hier nicht benannt werden sollte, und zu einem anderen – aber geringeren – Teil mit Argumenten. Soweit Argumente vorgebracht worden, wollen wir sie hier aufgreifen.
Dabei wollen wir den Hitlergruss als Beispiel nehmen, um daran Muster von Verteidigungsstrategien von weisser Vorherrschaft und Rassismus aufzuzeigen, da sich Rassismus-Vorfälle jeweils mit gleichen Argumentationsmuster in Zürich (zum Beispiel bei diesem Partyflyer: https://barrikade.info/article/1233) wiederholten.
Grundlage für die unterschiedlichen Auffassung zu diesem Vorfall bildet meist ein falscher, nämlich moralischer, Rassismusbegriff: Dass Rassismus individuelles, absichtliches und moralisch vorwerfbares Handeln darstellt. Im Gegensatz dazu steht ein wissenschaftlicher und struktureller Rassismusbegriff: Rassismus ist ein tief in der Gesellschaft, Kultur und Insitutionen verankertes Herrschaftssystem, welches die weisse Vorherrschaft ermöglicht und begünstigt, und sich in allen Bereichen des Lebens reproduziert, also in uns allen wiederzufinden ist.
Die auf diesem falschen Rassismusbegriff vorgebrachten Argumente lassen sich häufig in zwei Kategorien unterteilen: die erste Kategorie zielt darauf ab, die Zuschreibung als «rassistisch» in Frage zu stellen. Die zweite Kategorie zielt darauf ab, dass sich ein Rassismusvorwurf aus Opportunitätsgründen nicht rechtfertigt.

Weisse Verteidigungslinien

Der Hitlergruss ist nicht bloss ein ausgestreckter Arm. Es steht für den praktizierten und geforderten Massenmord an allen PoC und rassisfizierten Menschen, welches in einem Kontext geschah, wo Rassismus normalisiert war. Dies auszusagen war vorliegend klarerweise nicht die Intention (die Absicht), was wir auch nie behauptet haben, sondern es ging darum, die Polizei zu denunzieren.. Deshalb wollen wir das Intentions-Argument hier auch nicht behandeln.

1. Normalitätsargument
Am häufigsten begegnen wir dem Argument, dass halt rassistische Witze, Sprüche und so weiter normal sind, also dem Status quo entsprechen, und deshalb nicht rassistisch sind. Jede*r habe sie schon mal gemacht, also sind sie nicht weiter schlimm, so die Aussage. Dem halten wir entgegen, dass der Status quo, also die Normalität, halt eben tief rassistisch ist. Menschen werden aufgrund fehlender Papiere ins Gefängnis und in Lager gesteckt, und werden in allen Aspekten ihres Lebens – von der Jobsuche bis ins private Leben – damit konfrontiert. Und zumindest in den Kreisen, in welchen wir uns bewegen, sind Hitlergrüsse halt wirklich nicht normal. Dieses Narrativ der Normalität kann dazu dienen, den alltäglichen und nicht-alltäglichen Rassismus zu normalisieren, und das Benennen von Rassismus zu pathologisieren.

2. «This for that»
Ebenfalls sind – vor allem PoC-Männer – mit dem Vorwurf konfrontiert, zu sagen: «Du hast dann und dann einen sexistischen Spruch gemacht, und warst dann und dann sexistisch», um damit zu sagen, «es ist okay, dass du sexistisch bist, also ist es okay, dass ich rassistisch bin.» Also es dann okay war, dass jemand einen Hitlergruss gemacht hat. Die richtige Antwort darauf sollte sein: «Es ist nicht okay, wenn ich sexistisch bin, und es ist nicht okay, wenn du rassistisch bist.» Beides gehört reflektiert und geändert.

3. Reverse Racism
Gleichermassen wird gesagt, dass PoC untereinander noch viel rassistischer – gerade gegenüber Weissen – sind, und deshalb eine nicht-absichtlich rassistische Handlung wie ein Hitlergruss nicht weiter schlimm sei. Rassismus ist aber eben nicht ein individuell vorwerfbares, moralisch falsches Verhalten, sondern ein Macht- und Herrschaftssystem, welches Weissen Privilegien vergibt und PoC diese verweigert. Dieses System kann man entweder reproduzieren oder nicht. Demnach ist ein umgekehrter («reverse») Rassismus nicht möglich, schlichtweg, weil Rassismus Weisse, und nicht PoC, in die Position der Macht stellt. Wenn ein PoC also abfällige Bemerkungen über Weisse macht, dann kann das diskriminierend, verletzt, unangebracht et cetera. sein. Aber es ist nicht rassistisch. Konkret heisst das: Wenn ein PoC eine weisse Person zum Beispiel Bünzlischwizer nennt, steht dies nicht auf der gleichen Stufe, und ist keine Rechtfertigung, wie wenn eine weisse Person einen Hitlergruss macht.

4. Moral
Die Person sei links, gegen Rassismus, eine sehr gute, und nette Person. Damit sei der Hitlergruss auch nicht rassistisch. Ersteres wird auch in keinster Weise bestritten. Dennoch muss gesagt werden, dass dies ein Trugschluss ist. Denn man muss nicht ein böser Mensch sein, um rassistisch zu sein. Vielmehr werden wir alle in rassistischen Mustern erzogen, und werden diese reproduzieren, wenn wir sie nicht reflektieren. Damit gehen wir davon aus, dass eine gute und nette Person, welche einen Hitlergruss ohne rassistische Intention macht, dies nicht wiederholen wird. Und anzumerken ist, dass Personen, die nach Kritik von Hitlergrüssen, absichtlich, als Provokation und als Bekräftigung einer «Entitilement to Racism» (Berechtigung, rassistisch zu sein) noch weitere Hitlergrüsse machen, halt wirklich keine guten und netten Personen sind.

5. Farbenblindheit
Der Hitlergruss wurde auch damit rechtfertigt, dass auch eine jüdische Person dabei gesehen wurde, wie sie den Hitlergruss mache. Das ist das gleiche Argument, wie dass Weissen des N_-Wort sagen dürfen, weil Schwarze das Wort für sich brauchen würden. Dieses farbenblinde («colorblind») Narrativ ist falsch: Wenn eine weisse Person sich einer rassistischen, geschichtlich aufgeladenen Wortes oder einer Gestik bedient, ist dies immer eine Aggression. Da von Rassismus Betroffene immer am empfangenden Ende von Rassismus stehen, können sie auch nicht gegen sich selbst rassistisch sein, sondern sich diese höchstens aneignen. Gestiken und Worte finden immer in einem Kontext von Macht- und Herrschaftsverhältnissen statt, und man kann nicht so tun, also würden diese nicht existieren.

6. Ironie
Es fiel noch das Argument, dass man mit einem ironischen und satirischen Verwenden des Hitlergrusses einer Person, die gegen Rassismus ist, ja genau dessen Absurdität aufzeigen würden.
Es ist halt wirklich nicht so, dass wir in einer Gesellschaft leben, wo Rassismus überwunden ist, sondern wo rassistische Denk- und Verhaltensmuster noch tief in der Gesellschaft und bei uns allen verankert sind. Damit kann sich auch keine Person darauf berufen, für sich Rassismus überwunden zu haben, sondern muss immer darauf achten, rassistische Strukturen nicht zu reproduzieren. So weit sind wir noch nicht.

7. Hypersensitivity
Zum Schluss ebenfalls eines der häufigsten Argumente: Wir sind übersensibel, und würden mit unseren übertriebenen Forderungen nach politischer Korrektheit politisch Interessierte vertreiben. Demnach wird als Antwort auf diesen Text mit Sicherheit der Vorwurf kommen, dass dieses Beispiel eines trivialen und vagen Vorfalls vor mehr als zwei Jahren viel zu sehr aufgebläht ist. Dem ist zu entgegnen: Aufgebläht wird es nicht durch uns, sondern durch die Weigerung der weissen Linken, Rassismus anzuerkennen, wenn er passiert. Eben wie im Fall dieses Hitlergrusses. Und solange dies der Fall ist, sind unsere Reaktionen auf solche Vorfälle auch nicht übertrieben.

Mit all diesen Argumenten wird schlussendlich alltäglicher und nicht-alltäglicher Rassismus legitimiert, wo wir ihn denunzieren sollten. Nicht, um einzelnen Personen zu schaden, sondern und das Bewusstsein («Awareness») anzueignen, um Rassismus effektiv bekämpfen können. Dies ist dann aber halt häufig nicht im Interesse jener, die von weisser Vorherrschaft implizit oder explizit profitieren.
Bei allen Argumenten ist aber ersichtlich, dass das Narrativ umgekehrt wird: also versucht wird, das Narrativ gegen jene Person zu kehren, welche Rassismus benennt. Damit ist es für diese Person ermüdend, frustrierend, und sie gefährdet sich selber , wenn sie rassistisches Verhalten benennt. Es wird darauf gespielt, dass dann diese Person aufhört, Rassismus zu benennen, womit sich weisse Vorherrschaft und damit Rassismus ohne Widerstand legitimieren und reproduzieren kann.
Auf welche Weise Rassismus verteidigt wird (White fragility), schreiben wir im nächsten Teil.

P.S.

*People of Colour bezieht sich auf alle rassifizierten Menschen die in unterschiedlichen Anteilen über afrikanische asiatische lateinamerikanische arabische jüdische indigene muslimische westasiatische roma jenische Balkan- oder pazifische sowie über andere rassifizierte Herkünfte oder Hintergründe verfügen.

gefunden auf: https://barrikade.info/article/3073

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