Wien: Staatliche Repression auf das Recht zur freien Meinungsäußerungen im öffentlichen Raum

veröffentlicht am 28. März 2020

Am Samstag, 21.03, war der internationale Aktionstag gegen Rassismus. Drei Aktivist*innen der Seebrücke Wien nahmen dies zum Anlass, vor der ÖVP-Zentrale und dem Haus der Europäischen Union das Transparent „Wien übernimm Verantwortung – Für eine solidarische Stadt“ zu fotografieren. Wir fordern damit Wien, Österreich und die EU auf, geflüchtete Menschen aus den griechischen Hotspots möglichst rasch aufzunehmen! Besonders jetzt, wo rund 40.000 Menschen auf den ägäischen Inseln unmittelbar vor einem nicht einzudämmenden Ausbruch von Covid-19 bedroht sind, ist eine schnellst mögliche österreichische und europäische Verantwortungsübernahme unbedingt notwendig. Vor dem Haus der EU wurden die betroffenen Aktivist*innen von Polizist*innen kontrolliert und hohe Strafen angekündigt. Für uns sind diese Konsequenzen im Verhältnis zur Dringlichkeit unserer Forderung und den von den Aktivist*innen getroffenen Schutzmaßnahmen zur Verhinderung einer Infektion/Ausbreitung von Covid-19 nicht nachvollziehbar. Wir möchten dazu im folgenden Text genauer Stellung nehmen.

Insbesondere aufgrund der schwierigen Eindämmung der Covid-19 Pandemie ist die Evakuierung und Aufnahme von geflüchteten Menschen aus überfüllten griechischen Hotspots dringender denn je. In Lagern wie Moria auf der ägäischen Insel Lesbos werden über 20.000 Menschen ohne medizinische Versorgung und unter absolut unzureichenden hygienischen Bedingungen sich selbst überlassen, bei einer offiziellen Kapazität von 3000 Personen. Dringend notwendige Maßnahmen wie soziale Kontaktreduktion, regelmäßiges Waschen der Hände mit Seife und eine medizinische Versorgung und Isolation im Falle einer Infektion sind nicht umsetzbar. Neben vielen Personen des öffentlichen Lebens wie Jean Ziegler fordern UNHCR, Ärzte ohne Grenzen und mittlerweile auch der österreichische Migrationsexperte Gerald Knaus eine umgehende Evakuierung und Aufnahme als einzige Möglichkeit, eine humanitäre Katastrophe durch einen drohenden Ausbruch von Covid-19 zu verhindern. Selbst das EU-Parlament drängt die EU-Kommission mittlerweile zu einer raschen Evakuierung der betroffenen Menschen.

Die Entscheidung diese Aktion durchzuführen fiel nach längerer Beratung und Überlegung, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung im öffentlichen Raum mit gleichzeitig dringend notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 kombinierbar sein könnte. Während der Aktion wurden die Empfehlungen der WHO und des Robert Koch-Instituts zur Vermeidung der Ausbreitung von Covid-19 befolgt. Neben dem Tragen von Handschuhen und Mundschutzmasken wurde ein Minimalabstand von 1,5 m eingehalten, die Aktion fand nur im Freien und in einer sehr kurzen Zeitspanne statt. Unser Aktivismus hat sich die letzten Wochen auf Social-Media-Aktivitäten begrenzt, um einer Verbreitung des Covid-19 Virus effektiv entgegenzuwirken. Auch wir fordern alle dazu auf, soziale Kontakte einzuschränken und nur das Haus/die Wohnung zu verlassen, wenn es notwendig ist! Allerdings beobachten wir mit Sorge, wie die Notlage von unzähligen geflüchteten Menschen in Europa derzeit auf allen Ebenen vergessen zu sein scheint. Wir fordern mit unserem Protest vor dem Haus der EU alle Entscheidungsträger*innen auf, endlich die notwendige Europäische Verantwortungsübernahme in dieser Krise umzusetzen. Vor 2 Wochen noch erklärten sich zahlreiche Gemeinden und Städte in vielen Staaten Europas und auch in Österreich öffentlich dazu bereit, geflüchtete Menschen aus Griechenland aufzunehmen. Seit der Ausbreitung der Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 ist der mediale Diskurs jedoch auf eine Eindämmung von Covid-19 in Österreich reduziert. Dringend notwendige europäische und österreichische humanitäre Maßnahmen, um ALLE Menschen vor einer Covid-19 Infektion zu schützen, sind aus dem öffentlichen Diskurs nahezu verschwunden. Es ist weder nachvollziehbar noch tragbar, dass die zugesagte Unterstützung und Aufnahme von Menschen in Not gerade jetzt, wo sie durch die vielfältigen Krisen der Covid-19 Pandemie am dringendsten ist, nicht geleistet wird.Es ist klar ersichtlich, dass die ÖVP für eine Aufnahme von geflüchteten Menschen in Österreich im Moment die Entscheidungsmacht hat. Daher war ein Protest vor der ÖVP-Zentrale unter Einhaltung der Schutzmaßnahmen zu Covid-19 nicht durch Social-Media-Aktivitäten ersetzbar. Wir fordern die österreichische Bundesregierung auf, endlich ihre Verantwortung in dieser humanitären Krise wahrzunehmen!

Wir betrachten mit Sorge die starke Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung im öffentlichen Raum. Es muss in Österreich möglich sein, auch in einer Krise auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen und politische Forderungen stellen zu können. Die komplette Verschiebung auf den privaten Bereich durch Social-Media-Aktivitäten auf unbestimmte Zeit ist für uns schwer mit demokratischen Grundwerten vereinbar. Deshalb fordern wir die Möglichkeit auf freie Meinungsäußerung unter Einhaltung wissenschaftlicher Schutzmaßnahmen zu Covid-19 in Österreich. Es kann nicht sein, dass ein lang erkämpftes Grundrecht wie Demonstrationsfreiheit auf unbestimmte Dauer ausgesetzt wird. Wir werden uns weiterhin für die dringend notwendige Evakuierung und Verteilung von geflüchteten Menschen einsetzen. Schutz vor einer Infektion mit Covid-19 muss besonders für vulnerable Gruppen gemeinsam ermöglicht werden. Eine humane Krisenbewältigung ist nur möglich, wenn solidarisches Handeln nicht auf Österreich beschränkt ist, sondern auch über die Nationalgrenzen hinausgeht.

Wir als Seebrücke Wien werden weiterhin daran arbeiten, eine solidarische Stadt aufzubauen, die ein gesundes Leben für ALLE Menschen garantiert!

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