Staatsanwaltschaft Karlsruhe contra Radio Dreyeckland (Freiburg) – ein neuer Repressionsfall in der Bundesrepublik

veröffentlicht am 23. Februar 2023

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ermittelt gegen zwei Redakteure des ältesten freien Radiosenders in der Bundesrepublik wegen angeblicher Unterstützung einer verbotenen Vereinigung durch Setzen eines Links in einem Artikel (https://rdl.de/beitrag/ermittlungsverfahren-nach-indymedia-linksunten-verbot-wegen-bildung-krimineller) – und versuchte dafür auch die IP-Adressen aller LeserInnen der rdl-Webseite seit 15. Juli 2022 zu erhalten.

„Die Staatsanwaltschaft [Karlsruhe] wollte die IP-Adressen der Menschen haben, welche die Webseite des Senders [Radio Dreyeckland] besucht hatten“ (z.B. netzpolitik.org vom 07.02.2023). Zu diesem Vorgang an dieser Stelle eine kurze Zusammenfassung der technischen und rechtlichen Details dazu.

Die Staatsanwaltschaft sagt, sie habe bloß nach „personenbezogene[n] Bestandsdaten“ über rdl im Sinne der §§ 172 ff. Telekommunikationsgesetz gefragt und dazu gehöre die „– beschränkt auf administrative Zugriffe – abgefragte zugeteilte letzte IP-Adresse“.

Zum Unterschied zwischen Telekommunikation und Webhosting (Bereithaltung eines Telemediums)

In dem bekannten Ausschnitt des Schreibens der Staatsanwaltschaft in Karlsruhe steht aber nichts von „administrativen“ Zugriffen oder der „letzte[n]“ zugeteilten IP-Adresse, sondern da wird ganz allgemein nach „IP-Zugriffen“ auf die rdl-Webseite gefragt.

Obendrein hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ihre Anfrage an die Strato Aktiengesellschaft geschickt. Diese ist aber nicht die Telekommunikationsvertragspartnerin von rdl, sondern die Webhosting-Vertragspartnerin von rdl.

Das heißt also, Radio Dreyeckland hat mindestens zwei Verträgen:
• einen mit Strato über die Bereithaltung eines Telemediums und
• einen Vertrag mit einer anderen Firma über Telekommunikationsdienste.
Wenn sich die Staatsanwaltschaft Karlsruhe für rdl-Bestandsdaten in Bezug auf Telekommunikationsvertäge interessieren würde, dann wäre sie bei Strato also von vornherein schon mal an der falschen Adresse.

Außerdem hat die Staatsanwaltschaft ja auch ganz konkret nach „Zugriffen“ auf die Webseite gefragt. – Das heißt: Es ist ganz fernliegend, dass die Staatsanwaltschaft nur deshalb Strato gefragt hat, weil sie vielleicht nicht wusste, mit welcher Firma Radio Dreyeckland seine Telekommunikationsverträge abgeschlossen hat.

Für Zugriffe auf die Webseite von rdl, wonach die Staatsanwaltschaft gefragt hat, war sie dagegen bei Strato genau an der richtigen Adresse – nur, dass es sich dabei, soweit es Strato anbelangt, nicht um Telekommunikation handelt und deshalb die Berufung auf das Telekommunikationsgesetz zur Begründung der Anfrage ungeeignet war.
Zwar hat auch der Server von Strato eine IP-Adresse, aber um diese zu erfahren, hätte die Staatsanwaltschaft nicht erst Strato oder andere fragen müssen. Diese IP-Adresse ist vielmehr öffentlich bekannt, da der Server ja erreichbar sein muß, wenn Leute die Webseite von rdl lesen können sollen.

Außerdem hat die Staatsanwaltschaft nicht nach einer bestimmten IP-Adresse (z.B. des Servers von rdl) gefragt, sondern ganz allgemein nach Zugriffen auf die Webseite von rdl.

Dies war weder rechtmäßig, noch nur eine Begriffsverwechslung. Hypothetisch lässt sich vielmehr vermuten: Die Staatsanwaltschaft hat die Begriffe Webhosting und Telekommunikation nicht verwechselt, sondern sie hat absichtlich die Begriffe und Gesetze vertauscht, um die Rechtswidrigkeit ihres Ansinnens zu verschleiern.

Wegen zweier Umstände lässt sich diese Hypothese untermauern (1.) Die Staatsanwaltschaft hat nach „IP-Zugriffen“ (im Plural) auf die Webseite – und nicht nach einer einzelnen Adresse – von rdl gefragt. Das ist eindeutig – da lässt sich nicht drumherum reden. (2.) Auch für derartige Datenabfragen gibt es eine Norm, aber die hat deutlich strengere (engere) Voraussetzungen als eine einfache Bestandsdatenabfrage.

Was war eigentlich der Anlaß für die von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe verursachten ‚IP-Adressen-Affäre‘

Zwei Redakteure von Radio Dreyeckland sollen eine verbotene Vereinigung dadurch unterstützt haben sollen, dass das Archiv der Webseite linksunten.indymedia in einem Artikel auf der Webseite von Radio Dreyeckland verlinkt wurde. Der Straftatbestand der Unterstützung einer „unanfechtbar“ (bestandskräftig) verbotenen Vereinigung steht in § 85 Absatz 2 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB); Strafrahmen: bis zu 3 Jahren Knast. Außerdem gibt es weitere Tatvarianten in § 85 StGB: mitgliedschaftliche Betätigung (der gleiche Strafrahmen – ebenfalls in Absatz 2) sowie einen höherer Strafrahmen von bis zu fünf Jahren in Absatz 1 für sog. „Rädelsführer“ (‚das Zepter schwingen‘) und „Hinterm[ä]nner“ (‚von außen Steuernde‘) – das Lächerliche daran: Weder das deutsche Innenministerium noch die Staatsanwaltschaft Karlsruhe behauptet, daß die angebliche unterstützte Vereinigung überhaupt noch existiert [*].

Hinzukommt: In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird – jedenfalls teilweise – vertreten, dass eine „erhebliche Bedeutung“ im Sinne von § 100k Absatz 1 Satz 1 der deutschen Strafprozessordnung (StPO) erst ab einer Strafobergrenze von mehr als 3 Jahren gegeben sei [**]. Letzteres trifft – wie gerade schon gesehen – nur auf die Tatvariante in Absatz 1 von § 85 StGB zu, aber nicht auf die ‚Unterstützung’, die den rdl-Redakteuren vorgeworfen wird.
Dies stellt die Hintergründe sowohl der Durchsuchung der Redakteure wie der Radio-Redaktion und noch mehr natürlich die „IP-Adressen-Abfrage“ in ein ziemlich ungünstiges Mißverhältnis zum Tatvorwurf selbst.

Als Informationsgrundlage für diesen Artikel diente:
https://www.freitag.de/autoren/peter-nowak/ip-daten-bei-radio-dreyeckland-weiss-die-staatsanwaltschaft-karlsruhe-nicht-was-ein-telekommunikationsvertrag-ist,
wo sich auch weitere Details und Quellenangaben finden.

Siehe außerdem auch meinen Artikel:
https://publikum.net/staatsanwaltschaft-karlsruhe-strapaziert-die-logik.

[*] Sie dazu de.indymedia vom 17.02.2023: https://de.indymedia.org/node/260109.

[**] Eine „erhebliche Bedeutung“ der in Rede stehenden Straftat ist aber gem. § 100k Absatz 1 Satz 1 StPO Voraussetzung dafür, daß sog. „Nutzungsdaten“ (z.B. IP-Adressen von BesucherInnen von Webseiten) bei Webhostern erhoben werden dürfen: „Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung […] begangen hat […], dürfen von demjenigen, der geschäftsmäßig eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithält […] erhoben werden, soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts erforderlich ist und die Erhebung der Daten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht.“

Weiterlesen

zum Thema Anti-Repression: