Interview mit Roland Simon von Théorie communiste (2005)

veröffentlicht am 9. November 2021

Das Interview wurde in Posen, Polen am 18. August 2005 auf Französisch mit Hilfe von englischen Dolmetschern geführt.

RR: Roland, du bist Teil der Gruppe Théorie communiste in Frankreich, die seit Anfang der 1970er Jahre existiert. Könntest du uns kurz zusammenfassen, was die wesentlichen Gründe für die Gründung der Gruppe damals waren und wie sie sich allgemein über die Jahre entwickelt hat?

RS: Diese Frage wird am besten im Text „Théorie Communiste: Background and Perspective“ beantwortet, er wurde in Aufheben Nr. 11 veröffentlicht. Es ist sinnlos, zu wiederholen, was in diesem Text gesagt worden war, ausser jenen Moment zu präzisieren, wo die Problematik von TC ihren Fokus auf die Frage der Restrukturierung richtete, d.h.: eine zu Ende gehende Periode des Kapitals, der Abschluss eines Kampfzyklus und ein anderes Verhältnis zwischen den Klassen, das entsteht. All dies erschien 1979 in der Nr. 3 von TC, wo wir uns unmittelbar mit der Schwierigkeit konfrontierten, zu versuchen, die Restrukturierung zu definieren; wir verwendeten verschiedene Ansätze, verschiedene Arten der Definition.

Der erste Ansatz war allzu stark ausschliesslich auf den Arbeitsprozess fokussiert. Das war Ende der 1970er Jahre, als die Computerisierung und die Automatisierung in den Arbeitsprozess eingeführt wurden. Wir waren also stark auf diese Transformation fokussiert und wir definierten die Restrukturierung als eine Aneignung gesellschaftlicher Produktivkraft der Arbeit in fixem Kapital, d.h. Arbeitsteilung, Kooperation. Wir sprachen danach von der Restrukturierung in eher formalistischer Art und Weise als Verwertungsprozess, der die Gesamtheit seiner eigenen Bedingungen durchdringt. Wir kamen somit zu etwas, das zunehmend die Gesamtheit des Reproduktionsprozesses umfasste. Wir unterstrichen besonders die Transformation der Modalitäten der Reproduktion von Arbeitskraft und das Verhältnis zwischen dem Produktionsprozess und dem Markt. Die Schwierigkeit, mit welcher wir konfrontiert waren, war die Tatsache, dass wir die Gefahr erkannten, die Besonderheit des Arbeitsprozesses aufzulösen und alles durcheinanderzubringen. Wir standen an der Schwelle zur Ketzerei...

Nun kamen wir schliesslich zur Definition der Restrukturierung als Abschaffung von allem, was ein Hindernis für die Selbstvoraussetzung des Kapitals, seiner Fluidität, darstellen könnte. Mit diesem Ansatz erhielten wir eine Besonderheit des Reproduktionsprozesses der produktiven Arbeitskraft aufrecht, während wir gleichzeitig die Transformation des gesamten Reproduktionsprozesses im Blick behielten. Ich werde hier nicht im Detail auf die Restrukturierung eingehen, aber sie impliziert, zum Beispiel, die Auflösung der Opposition zwischen Arbeit und Arbeitslosigkeit durch die Flexibilisierung; in Bezug auf den Markt gibt es die Theorie der Flüsse; dazu kommt das Verschwinden der Trennung der Akkumulation in nationale Zonen, das Ende der Unterscheidung zwischen Zentrum und Peripherie, das Verschwinden des Ostblocks.

Die hauptsächliche Folge dieser Restrukturierung ist somit die Überwindung des Widerspruchs, welcher den gesamten vorhergehenden Zyklus charakterisiert hatte. Das bedeutet, den Widerspruch zwischen einerseits einer Produktivkraft der Arbeit, die vom Kapital auf immer gesellschaftlichere und kollektivere Art und Weise erschaffen, reproduziert und zum Arbeiten gebracht wird. Und gleichzeitig die Form der Aneignung durch das Kapital dieser gesellschaftlichen/kollektiven Produktivkraft der Arbeit, die ab einem gewissen Punkt als begrenzt erscheint. Sie erscheint zum Beispiel als Hindernis auf der Ebene des Arbeitsprozesses in den Problemen, die in den Produktionslinien entstehen, und auf der Ebene der Reproduktion in der Krise des Wohlfahrtsstaates. Somit hat das Kapital gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit erschaffen, die zu einem Hindernis für die Verwertung geworden ist. Das bedeutet, dass, da die Formen dieser gesellschaftlichen Macht starr werden (das könnten die Widerstandsformen in der Produktionslinie, die Probleme des Wohlfahrtsstaates sein), die vergesellschaftlichte Reproduktion der Arbeitskraft durch das Kapital ab einem gewissen Punkt zu einem Hindernis für seine Verwertung wird. Im vorhergehenden Kampfzyklus manifestierte sich diese antagonistische Situation als eine Arbeiteridentität, welche die Grundlage aller Determinierungen des vorhergehenden Zyklus war. Eine Arbeiteridentität, die darüber hinaus durch die Reproduktion des Kapitals in der Kluft zwischen der vom Kapital erschaffenen gesellschaftlichen Kraft und den Formen, durch welche es sie sich aneignete, bestätigt wurde. Es war diese Situation, welche die Restrukturierung abschaffte.

RR: Gibt es andere theoretische Traditionen, abgesehen von der deutsch-holländischen Linken, die euch inspiriert haben, wie der Operaismus/autonome Marxismus oder vielleicht die Regulationsschule? Und was konnte (oder nicht) bei Bordiga und der italienischen Linken gefunden werden?

RS: Die hauptsächliche Zugehörigkeit von TC ist die deutsch-holländische Linke. Um noch einmal auf die erste Frage Bezug zu nehmen, die Leute, welche TC gründeten, kamen von einer rätekommunistischen Tradition. Wir erklärten in TC Nr. 14 unser Verhältnis zur Ultralinken und ich kann die Definition der Ultralinken geben, die wir formulierten:

„Wir können als ultralinks jegliche Praxis, Organisation und Theorie bezeichnen, welche die Revolution als Affirmation des Proletariats setzt. Gleichzeitig wird diese Affirmation als eine Kritik und Negation von allem betrachtet, was das Proletariat in seiner Verstrickung mit dem Kapital und dem Staat definiert, letztere werden nur als integrierende Vermittlungen gesehen. In diesem Sinn ist die Ultralinke ein prozessierender Widerspruch. Weshalb? Weil die Revolution sich mit der Stärke der Klasse selbst als Klasse der kapitalistischen Produktionsweise konfrontieren muss. Als Illustration dafür: Das ist die Tragödie der deutschen Revolution. Weil diese Affirmation einerseits ihre Stärke in ihrer eigenen Rechtfertigung und Daseinsberechtigung findet. Andererseits ist es dieses gleiche Wesen innerhalb des Kapitals, das ein Wesen für das Kapital ist, das seine Autonomie verlangen muss, zu einem Wesen für sich werden muss. Das ist der extreme Punkt, wo wir fast die Möglichkeit finden können, die Revolution als Selbstnegation des Proletariats zu formulieren. Doch auf ihrer eigenen Grundlage kann sie nicht weitergehen. Es ist wie Moses vor dem versprochenen Land.“

Was die italienische Linke betrifft, dieser Punkt, fast fähig zu sein, die Revolution als Verschwinden der Klassen zu sehen, ist etwas, das in der deutsch-holländischen Linken sehr wichtig ist, aber in der italienischen Linken fast nicht existiert – nur in sehr marginalen Texten, die mehr oder weniger klandestin bleiben. Ihr Ansatz ist unfähig, zu diesem Punkt zu gelangen.

Operaismus: Wir haben manchmal gewisse Formulierungen des Operaismus wie zum Beispiel die zentrale Arbeiterfigur und die Klassenzusammensetzung übernommen. Doch wir brauchen sie als bedeutsame Bilder, nicht als strikte theoretische Kategorien. Vor TC, zu Beginn der 1970er Jahre, hatten wir eine Zeitschrift namens Intervention communiste und einer der ersten Texte war eine Kritik des Konzepts des politischen Lohnes. Somit will ich sagen, dass m.E. der Operaismus nie über seine Wurzeln in der italienischen Linken hinausgegangen ist [Linke des Mainstreams, z.B. KP, CGT, Anmerkung von Roland]. Auf polemische Art und Weise könnte man den Operaismus als radikalen Syndikalismus definieren, der auf ein politisches Wunder hofft. Ich denke, dass die von ihnen erstrebte „Entgegenständlichung“ nichts anderes als eine Veränderung des Standpunktes war. Nur weil wir etwas nicht mehr von der gleichen Seite betrachten, bedeutet das nicht, dass die Sache selbst sich ändert. In Bezug auf die gegenseitige Verstrickung des Proletariats und des Kapitals sahen sie diese nie als Totalität. Für sie blieb sie immer eine Interaktion.

In Bezug auf die Regulationsschule: Auch hier übernehmen wir gewisse Begriffe und sogar gewisse Analysen, zum Beispiel den Fordismus, die Krise des Fordismus. Aber obwohl wir den Begriff „Fordismus“ aufgreifen, sind wir gegen die Idee der Verteilung/des Teilens der Produktivitätsgewinne. Es geht nicht um ein Teilen der Produktivitätsgewinne, sondern um eine Transformation innerhalb des Werts der Arbeitskraft, der Wert der Arbeit wird auch historisch definiert und die Transformationen des Kapitals transformieren ihrerseits diesen historischen Charakter des Werts. In der Regulationstheorie gibt es eine methodische Falle: Ein Prinzip des Verständnisses der Wirklichkeit, das im Nachhinein konstruiert wird, wird in ein Prinzip zum Vornhinein verwandelt. Die Regulationstheorie ist nicht auf ein Prinzip der Interpretation der wirtschaftlichen Prozesse beschränkt; doch diese Kohärenz, welche ein Prinzip des Verständnisses ist, wird der kapitalistischen Produktionsweise als immanente Wirklichkeit gewährt. Diese Kritik der Regulationsschule wäre nicht sehr interessant, wenn sie bloss eine Kritik bliebe, doch wir sehen in zeitgenössischen Ausdrücken die Reproduktion dieser Falle. Anstatt die Restrukturierung als real existierenden Kapitalismus und als konstituierend für ihn als System zu betrachten, liegt der Fehler darin, in der Definition der Restrukturierung die bestmögliche Kohärenz (zwischen den wirtschaftlichen Prozessen) zu suchen. Um es geradeheraus zu sagen, ich denke, dass das der Fehler Dauvés ist, wenn er die Frage der Restrukturierung aufnimmt.

Der andere wichtige Einfluss für uns war die Situationistische Internationale. Sie gehörten zu den Ersten, die fähig waren, von Revolution als Abschaffung aller Klassen zu sprechen. Aber sie taten es inmitten einer ganzen Reihe von Widersprüchen. Zuerst, indem sie gleichzeitig von Arbeiterräten sprachen, aber auch, indem sie durch den Diskurs über die Aufhebung und Verwirklichung der Kunst nach einem Ausweg suchten. Ich denke, dass die SI den Programmatismus zu seinem Explosionspunkt gebracht hat. Zum Beispiel in der doppelten Definition, welche die Situationisten vom Proletariat hatten: Sie sahen sich selber tief in der „alten Arbeiterbewegung“ verwurzelt und waren sogar stolz darauf, dieses Erbe zu beanspruchen, doch gleichzeitig offerierten sie einen alternativen Aspekt der Definition des Proletariats als all jene, welche keine Kontrolle über ihr Leben haben und es wissen. Und mit der Theorie des Proletariats und seiner Repräsentation, die es ihnen erlaubt, alles, was die Existenz der Klasse innerhalb des Kapitals sein könnte, in der Kategorie der Repräsentation zu platzieren, und damit eine Art innerer Widerspruch innerhalb des Proletariats zu kreieren, der erklärt, dass es sich selbst als Klasse überwinden kann. Es ist der am weitesten entfernte Punkt, wohin man innerhalb des Programmatismus der SI gelangen konnte. Dieser Explosionspunkt zeigt sich in der Unmöglichkeit für Debord, seine Theorie des Spektakels zusammenzuschnüren. Er versucht immer, zu sagen, dass das Spektakel keine Maske, keine Illusion ist, es ist Realität. Doch woher kann ab diesem Punkt die Überwindung (die Revolution) kommen? Meiner Meinung nach ist das das Problem, mit welchem Debord in der Gesellschaft des Spektakels durchgehend ringt. Denn innerhalb der Theorie des Spektakels der SI gibt es eine Theorie, die wir vulgär nennen können, die Theorie der Illusion. Es ist der von Vaneigem, Theo Frey und Jean Garneau repräsentierte Ansatz und er entspricht nicht der Theorie des Spektakels, die wir in Debords Buch finden können. Das ist sein ganzes Problem: Debord will aus dem Spektakel nicht eine Maske oder eine Illusion machen. Aber tatsächlich war die Theorie, mit welcher die SI praktisch funktionierte, die vulgäre Theorie.

Und im Verhältnis zur italienischen Linken… Wie ich gesagt habe, wir nahmen nicht sehr viel. Ihre Kritik der deutschen Linken natürlich; die Kritik der Revolution als Selbstverwaltung und ihr Beharren auf den Inhalt der Revolution als Abschaffung des Werts und der Lohnarbeit. Aber es ist eine Kritik, die leninistisch bleibt in dem Sinne, dass man weiterhin von staatlicher Planung und von einer Übergangsphase spricht. Eine andere wichtige Sache ist die Kritik der Demokratie. Doch es ist eine Kritik, die formal und abstrakt bleibt, d.h. sie kritisiert den Bürger bloss als eine Form, die auf der Existenz des Werts und der Ware gegründet ist – sie geht nicht bis zum Punkt des Kapitalfetischismus selbst. Denn im Kapitalfetischismus wird dieser Fetischismus des Individuums des Handels, des Werts, der Ware, welches das demokratische Individuum ist, im Fetischismus der Elemente des Produktionsprozesses aufgegriffen, d.h. im Kapitalfetischismus selbst, was erklärt, wie wir innerhalb der Demokratie, der Funktionsweise der Demokratie, unter diese fetischisierten Formen, die Klasse wiederentdecken können.

Der andere Punkt der italienischen Linken wäre die Kritik des Antifaschismus, doch das finden wir auch in der deutschen Linken und auf die fast gleiche Art und Weise.

Schliesslich die Theoretiker, die für uns wichtig sind:

Lukács: Die Theorie der Verdinglichung, die wir manchmal benutzen, um die Selbstvoraussetzung des Kapitals zu definieren, es besteht ein Verhältnis zwischen den beiden Konzepten.

Korsch: Besonders wenn er den Überblick verliert und Fehltritte macht, dann ist er am interessantesten – zum Beispiel in den „Zehn Thesen über den Marxismus heute“. Denn dort sieht er wie einige andere Theoretiker die Grenzen, die Sackgasse des Programmatismus, doch ist gleichzeitig an der Schwelle dazu, jegliche Klassentheorie aufzugeben.

Und dann ist da noch Mattick mit seinen ökonomischen Texten. Sonst, in seinen politischen Texten, bleibt er auf der absolut klassischen Ebene der Ultralinken. Doch seine ökonomischen Texte sind wesentlich, allen voran seine Kritik von Rosa Luxemburgs Die Akkumulation des Kapitals: Dort argumentiert er, dass die Krise gleichbedeutend mit dem tendenziellen Fall der Profitrate ist – es ist nicht eine Frage der Märkte; es ist nicht eine Frage der Realisierung.

Und schliesslich mit viel Vorsicht Althusser mit seiner Kritik des hegelianischen Marxismus und des Humanismus. Ich denke, dass diesbezüglich Althusser, Balibar und manchmal Rancière wesentlich sind. Deswegen werden wir nicht seine Theorie des epistemologischen Bruches aufgreifen oder den Marxismus als Wissenschaft behandeln. Aber man kann viel lernen von der Kritik des Humanismus.

RR: Wie siehst du das Verhältnis zwischen einerseits „Revolutionären“/theoretischen Gruppen, wie eurer, und andererseits der Arbeiterklasse und ihren Kämpfen?

RS: Wir denken, dass Klassenkampf notwendigerweise theoretisch ist. Jeder Kampf produziert Theorie. Natürlich müssen wir unterscheiden zwischen Theorie im weiten Sinne, wovon ich hier spreche, und Theorie im engen Sinne, die das Produkt von einigen Leuten in einer Gruppe irgendwo ist. Im weiten Sinne ist der Punkt, dass das Proletariat sich immer bewusst ist, was es tut, und ich nenne dieses Bewusstsein theoretisch, denn es kann kein Selbstbewusstsein sein. Und dieses Bewusstsein verläuft immer über eine Kenntnis des Kapitals, die Vermittlung des Kapitals. Eben weil es über ein Anderes verläuft, kann ich es nicht Selbstbewusstsein nennen, deshalb nenne ich es theoretisches Bewusstsein. Dieses theoretische Bewusstsein, das innerhalb der globalen Oppositionsbewegung gegen das Kapital existiert, endet in der Reproduktion des Kapitals. Und zu diesem Zeitpunkt wird Theorie in einem engen Sinn artikuliert. Diese enge Theorie wird zur Kritik der Tatsache, dass das Bewusstsein der Opposition in der Reproduktion, in der Selbstvoraussetzung des Kapitals endet. In diesem Sinne ist Theorieproduktion in all ihrer Vielfalt und in all ihren Verschiedenheiten genauso Teil des Klassenkampfes wie jede andere Tätigkeit, die ihn konstituiert. An diesem Punkt hat die Frage „Was tun?“ überhaupt keinen Sinn mehr; wir versuchen nicht mehr, als Theoretiker oder Aktivisten mit einer konstituierten Theorie in Kämpfe zu intervenieren. Das bedeutet, dass, wenn wir selber in einen Konflikt verwickelt sind, wir auf der gleichen Ebene handeln wie alle anderen; und obwohl wir nicht vergessen, was wir sonst tun, ist die Art und Weise, wie wir es nicht vergessen, indem wir anerkennen, dass der Kampf, in den wir verwickelt sind, selbst Theorie neu bearbeitet, umformuliert und produziert. Ich denke, dass wir auf diese Art und Weise in einen Kampf verwickelt sein können, ohne zu vergessen, was wir sonst tun: Fähig sein, den Kampf selbst als etwas zu sehen, das Theorie produziert. Dazu muss gesagt werden, dass Theorie nie präexistent als Projekt oder fertiges Verständnis sein kann. Zum Beispiel, während den Streiks 2003 war ich ziemlich aktiv involviert in einem Streikkomitee an meinem damaligen Arbeitsplatz. Und das gab mir die Gelegenheit, zu sehen, wie die Positionen des Bürgersinns und des radikalen Demokratismus eine notwendige Form war, die der Kampf annahm, und nur wenn man diese Notwendigkeit versteht, kann man sie kritisieren und sich ihr nicht einfach als etwas schlichtweg Falsches entgegensetzen.

Um zum vorhergehenden Punkt zurückzukommen: Was ich damit meine, dass das Proletariat nicht ein unmittelbares Selbstbewusstsein ist – dass es sich selber nicht einfach auf seiner eigenen Grundlage kennt, sondern nur in der Vermittlung des Kapitals und durch sie –, das könnte man von der Bourgeoisie auch sagen. Der Unterschied ist, dass das Kapital Arbeit subsumiert und nicht umgekehrt, was bedeutet, dass in diesem Gegensatz das Selbstbewusstsein der Bourgeoisie wirklich zu einem Selbstbewusstsein werden kann, weil es den Anderen in seinen Pol integriert hat, was in Bezug auf das Proletariat nie geschehen könnte und nicht der Fall ist.

RR: In den Diskussionen zwischen Aufheben und TC kann man sehen, dass eure historische Periodisierung des Kapitalismus auf der Grundlage der Konzepte formelle/reelle Herrschaft des Kapitals über die Arbeit – besonders die Idee einer zweiten Phase der reellen Subsumtion – scheinbar ein Hindernis war. Kannst du kurz erklären, auf welchen Grundlagen ihr die verschiedenen Phasen unterteilt und auch welche Kontinuitäten und Unterschiede zwischen eurem und dem Marxschen Gebrauch dieser Terminologie bestehen?

RS: Diese Frage enthält drei Punkte. Der erste ist die Frage der Periodisierung. Der zweite ist, weshalb diese Periodisierung im Verhältnis zu Aufheben zu einem Hindernis geworden ist. Der dritte Punkt ist die Frage des Verhältnisses zu den kanonischen Texten von Marx und den Definitionen von formeller und reeller Subsumtion.

1. Betreffend der Frage der Periodisierung kann ich auf die Diskussion mit Aufheben verweisen, wo die Restrukturierung, die Veränderungen und ihre Gründe diskutiert werden. Und ich kann auch auf meine Antwort auf die erste Frage verweisen, wo ich erklärte, wie die Restrukturierung zuerst definiert worden war und die Schwierigkeiten, die wir hatten, um sie zu definieren.

2. Die Frage der Periodisierung war nicht ein Hindernis; sie war sogar der zentrale Punkt der Diskussion im Verhältnis mit Aufheben. Was, so denke ich, mit Aufheben geschah, war, dass der zentrale Punkt der Periodisierung einen anderen Punkt traf und das wurde zu einem Hindernis. Dieser versteckte Punkt, dieser andere Punkt war die Definition des laufenden Kampfzyklus, der Autonomie, der Selbstorganisation, um das ging es in Wirklichkeit. Zuzugeben, dass die von uns vorgeschlagene Periodisierung diese politischen Punkte in Frage stellte und nicht nur einige theoretische, allgemeine und abstrakte Fragen zur Periodisierung des Kapitals. Sie stellte auch eine gewisse Konzeption der Revolution als ein zu sich selbst zurückkehrendes Subjekt in Frage, als eine gewisse humanistische Konzeption der Revolution. Sie wurde zu einem Hindernis, weil die Frage der Periodisierung alle Fragen der Autonomie auf den Tisch brachte, das zu sich selbst zurückkehrende Subjekt, die Selbstorganisation und das kam letztendlich bei den jüngsten Diskussionen mit Aufheben heraus und das war der eigentliche Ursprung unserer Austausches.

3. Es scheint mir, dass die Diskussionen der reellen Subsumtion bei Marx stets ambivalent sind. Reelle Subsumtion basiert auf der Theorie der relativen Mehrwertextraktion. Somit auf der Entwicklung des Maschinenbetriebs, der Steigerung der Produktivität. Gleichzeitig kann relativer Mehrwert nur existieren, wenn die Waren, welche für die Reproduktion der Arbeitskraft notwendig sind, selbst auf kapitalistische Art und Weise produziert werden. Somit kann in diesem Sinn reelle Subsumtion nicht einfach auf der Grundlage der Transformation des Produktionsprozesses definiert werden. In diesem Sinne, dass der Begriff der reellen Subsumtion das impliziert, was ich eine kapitalistische Gesellschaft nenne (es ist nicht eine exzellente Formulierung); was die Integration der Reproduktion der Arbeitskraft in den Kapitalzyklus selbst und sogar die Transformation des Konflikts zwischen Kapital und Arbeit als Dynamik des Kapitals bedeutet. Und das war nicht historisch mit dem Erscheinen der Maschine gegeben und deshalb scheint es, dass die Definition der reellen Subsumtion in den Texten von Marx höchst ambivalent ist. Marx war ein Kind seiner Zeit, die Tatsache, dass er diese Ambivalenz schon wahrgenommen hat, ist schon als solche aussergewöhnlich, aber wir können nicht mehr verlangen. Man kann nicht mehr als sein Letztes geben…

RR: Für dieses Sommercamp habt ihr einen Text für einen Workshop vorbereitet, „Kommunisierung vs. Selbstorganisation“. Kannst du uns ein bisschen mehr über diesen Text und über deine Erwartungen an die Diskussionen des Workshops erzählen?

RS: Dieser Text ist etwas ziemlich Neues in der Problematik von Théorie communiste. In diesem Text, durch diese Diskussionen hier, ist Théorie communiste dabei, ein bisschen optimistisch zu werden. Das heisst, bis vor kurzem betrachteten wir das, was als Dynamik dieses Kampfzyklus definiert werden kann – dass das Proletariat sich selbst in seinem Verhältnis mit dem Kapital in Frage stellt –, komplett mit der Frage des Handelns als Klasse, das die Grenze dieses Kampfzyklus ist, verstrickt war. Somit sahen wir das Konzept der Grenze und jenes der Dynamik als fast identisch in unserer Sichtweise auf die Kämpfe bis jetzt. In diesem Text erscheint eine Trennung zwischen dem Konzept der Grenze und jenem der Dynamik. Sie wird in verschiedenen Beispielen unter dem Titel „Angekündigter Bruch“ entwickelt:

„Dieser Bruch kündigt sich mit der zunehmenden Trennung innerhalb des Klassenkampfes an. Als Klasse zu handeln, als Klasse zu kämpfen, ist die heutige Grenze des Klassenkampfes, doch diese Handlung ist einerseits die Reproduktion des Kapitals und die Lohnkämpfe innerhalb der Kategorien des Kapitals und andererseits die Infragestellung seiner eigenen Existenz als Klasse innerhalb des Widerspruchs mit dem Kapital durch das Proletariat. Diese Trennung zwischen den beiden Seiten ist die Trennung zwischen Grenze und Dynamik.“ [1].

RR: Die letzte Frage betrifft das Verhältnis zwischen deiner Gruppe und Gilles Dauvé. Wir veröffentlichten 2004 ein Buch mit schwedischen Übersetzungen von verschiedenen Texten Dauvés, u.a. „Kapitalismus und Kommunismus“, „Leninismus und die Ultralinke“ und „Wenn die Aufstände sterben“. Zuvor hatten wir auch den Text „Arbeiten oder nicht arbeiten? Ist das die Frage?“ übersetzt, er ist eine implizite Kritik von TC. Und in der letzten Ausgabe unserer Zeitschrift veröffentlichten wir eine Korrespondenz zwischen Mitgliedern unserer Redaktion und Dauvé, die sich viel um TC drehte. Nun denken wir, dass es nichts als fair ist, dich über deine Sicht zu den Meinungsverschiedenheiten zwischen deiner Gruppe und Dauvé zu befragen.

RS: Zuerst, wenn wir so viel mit Dauvé streiten, dann weil wir schon so viel gemeinsam haben, z.B. den Begriff Kommunisierung und das Bedürfnis, zu einem synthetischen Verständnis der Periode zu gelangen, die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Transformation des Kapitals und dem Klassenkampf zu stellen usw. Es ist, weil wir beide einen Ansatz haben, den ich als theoretisch bezeichnen würde, dass wir so viel streiten können. Nachdem das gesagt ist, die hauptsächliche Meinungsverschiedenheit mit Dauvé ist seine Konzeption der Invarianz des Kommunismus als Streben nach der menschlichen Gemeinschaft. Ich denke, dass diese Konzeption Dauvés, die Invarianz des Strebens nach der menschlichen Gemeinschaft, in Wirklichkeit das ist, was ich eine Arbeiterrevolution mit menschlichem Antlitz der Periode von Ende der 1960er bis Anfang der 1970er Jahre nennen würde. Es ist eine Sichtweise, die einer spezifischen historischen Periode entspricht und die Dauvé als Invarianz des Kommunismus auffasst. Verbunden mit dieser Problematik ist die Frage des Determinismus und die Frage der Revolution als freie Tätigkeit. Wenn Dauvé z.B. sagt, der Kommunismus sei, dass wir unsere Leben in unsere eigenen Hände nehmen, was wäre eine Revolution wert, zu welcher wir trotz uns selbst gedrängt werden? Es ist diese Art von Satz, die für mich keinen Sinn hat und mit der Problematik des Kommunismus als mehr oder weniger ewiges Streben nach der menschlichen Gemeinschaft verbunden ist, denn wenn ich als Proletarier gedrängt werde, dann nicht trotz mir selbst. Alle Meinungsverschiedenheiten zwischen TC und Dauvé lassen sich von diesem grundlegenden Punkt ableiten, denn vom Moment an, wo man das als Streben nach Kommunismus definiert, hat die Periodisierung der kapitalistischen Produktionsweise keinen Sinn mehr. Wir können also sagen, dass gegenwärtig das Kapital das gleiche ist wie 1860, das ist es, was Dauvé sagt, und es ist m.E. absolut wahr, aber absolut nutzlos, denn von diesem Punkt an wird jegliche Periodisierung des Kapitals zu einer einfachen Affäre der Verknüpfung gegebener Momente und jegliche Versuche der Periodisierung des Kapitals werden somit als deterministisch verurteilt.

Ein andere Konsequenz dieser Sichtweise des Kommunismus, die in Wirklichkeit jene des Endes der 1960er und des Anfangs der 1970er Jahre ist, ist die Unmöglichkeit, das Kapital jenseits des Fordismus zu verstehen. Somit, wie ich es in Bezug auf die Regulationsschule gesagt habe, die Unmöglichkeit, die real existierende Restrukturierung als Restrukturierung zu sehen. Es gibt kein Modell der Restrukturierung. Da TC alle Theorien des Kommunismus als revolutionäres Wesen des Proletariats oder als menschliches Streben nach Gemeinschaft aufgeben hat, wird die Frage „Wie kann es geschehen?“ nur an TC gerichtet. Es scheint, dass alle anderen Theorieproduktionen davon dispensiert sind, diese Frage zu beantworten. Wir fragen sie nicht, weil sie, ob sie nun an das revolutionäre Wesen, das Streben nach der menschlichen Gemeinschaft oder eine Form der eines Tages triumphierenden Selbstorganisation glauben, die Lösung schon haben und somit davon dispensiert sind, die Frage „Wie kann es geschehen?“, zu beantworten. Weil sie in ihrem revolutionären Wesen, in ihrem Streben nach der menschlichen Gemeinschaft oder in ihrem grossen historischen Bogen der Entfremdung, in ihrer Formulierung schon ihre Antwort gegeben haben. Es ist, weil TC nicht die Antwort schon innerhalb der Frage platziert hat, dass wir uns tatsächlich diese Frage stellen können und wie immer wir sie auch beantworten mögen, werden wir immer des Determinismus bezichtigt, weil wir Geschichte berücksichtigen. Somit haben wir uns, indem wir all diese Formulierungen aufgegeben haben, das Leben kompliziert gemacht, denn wir haben nichts mehr ausser die Ausbeutung als den Widerspruch zwischen dem Proletariat und dem Kapital, ihre gegenseitige Verstrickung und die Geschichte des Kapitals als Geschichte dieses Widerspruchs. Und nur damit können wir arbeiten.

Somit kann es im Verhältnis zur Revolution keine normative Haltung mehr geben. Kommunismus und Revolution sind historische Hervorbringungen. Wenn du eine normative Haltung hast, kannst du in Bezug auf den Prozess des Klassenkampfes sagen, dass da oder dort etwas fehlt – all die „sie hätten das tun sollen“ oder „sie taten das nicht“, die man im Text „Wenn die Aufstände sterben“ findet. Was bedeutet, dass du weisst, was die Revolution sein muss. Und das, was du weisst, dass die Revolution sein muss, ist auf jede Epoche anwendbar. Du wirst sagen, dass die Aufständischen im Juni 1848 dieses oder jenes nicht tun konnten, die deutschen Arbeiter 1919/1920 dieses oder jenes hätten tun sollen, und wenn du versuchst, zu verstehen, was sie unter den gegebenen Bedingungen taten, an und für sich, wird du unmittelbar des Determinismus bezichtigt. Ab diesem Punkt scheint das Problem des Determinismus gelöst zu sein, denn wir haben alles getan, um zu verhindern, dass das Problem der Geschichte auf den Tisch gebracht wird. Was bedeutet, dass das Werden, die Geschichte selbst eliminiert wird. Und m.E. ist das der Punkt, wo man zu einer wahrhaft deterministischen Position kommt. Denn wir warten auf nichts anderes, als darauf, dass ein Zufall geschieht. Aller Determinismus wird im revolutionären Wesen des Proletariats platziert und Geschichte ist von da an nur noch da, um von Zeit zu Zeit eine Trennung zwischen der Wirklichkeit, eines Zeitpunkts oder einer Bewegung und dem Modell zu zeigen. Dann kann man natürlich, wie dies Dauvé und Nesic tun, viele Beispiele aufführen, aber was bemerkenswert ist, wenn man z.B. „Arbeiten oder nicht arbeiten?“ liest, ist die Tatsache, dass diese Beispiele klar chronologisch geordnet sind, aber wenn sie irgendwie anders geordnet wären, würde das an der Demonstration überhaupt nichts ändern.

Nur um die Frage zu beenden, es gibt auch ein grosses Missverständnis über die Art und Weise, wie wir die Möglichkeit der Kommunisierung präsentieren: Wenn wir sagen „Jetzt zeigt sich die Revolution auf diese Art und Weise“, sagen wir gewiss nicht „Schliesslich zeigt sie sich, wie sie sich immer hätte zeigen sollen“, wir sagen auch nicht, dass das Kapital die Probleme an Stelle der Proletarier gelöst hat, denn um sich das vorstellen zu können, wäre es notwendig, dass diese Probleme schon vor der Restrukturierung existierten und die vorhergehende Periode determinierten. Aber z.B. das Problem der Unmöglichkeit des Programmatismus, das von der letzten Restrukturierung auf den Tisch gebracht worden ist, war kein Problem während der Periode des Programmatismus selbst, wo er der eigentliche Kurs der Revolution war, und wenn das Kapital das Problem des Programmatismus gelöst hat, dann sollte man nicht vergessen, dass es durch eine Restrukturierung geschah, d.h. durch eine Konterrevolution, die Lösung ist gegen die Proletarier hervorgebracht worden und nicht als Geschenk des Kapitals. Und heutzutage impliziert die Problematik der Revolution als Kommunisierung Probleme, die nicht minder furchtbar sind als jene des Programmatismus, denn wenn das Handeln der Klasse zur eigentlichen Grenze des Klassenkampfes wird, und du kannst die Revolution nur mit diesem Handeln und durch dieses Handeln machen, dann hast du einige beschissene Probleme.

Übersetzt aus dem Englischen von Kommunisierung.net

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