Interview mit dem indy-kollektiv

veröffentlicht am 13. Dezember 2019

* de.indymedia.org wurde dieses Jahr volljährig. Herzlichen Glückwunsch!

[A] Ach wie die Zeit vergeht. Jetzt wo Du es sagst...
[B] Wenn ich daran denke, dass wir bereits seit 2005 für Tot erklärt wurden - erstaunlich.
[D] Am Anfang waren wir Viele mit viel Enthusiasmus. Nach 2007 kam die Routine, die grossen politischen Antiglobalisierungsbewegungen waren vorbei und es gab inhaltlichen Streit über die Ausrichtung des Medienprojektes. Nach und nach sind Viele weg geblieben und einige Neue dazu gekommen. Inzwischen sind wir ein stabiles kollektiv und das fühlt sich gut an.

Fragen:

* Das internationale Netzwerk wurde vor 20 Jahren im Rahmen der Proteste gegen das WTO-Treffen in Seattle gegründet. Könnt Ihr Euch daran noch erinnern bzw. was wisst Ihr darüber?

[A] Damals war die Welt noch eine andere. Das Internet war etwas für "Checker" (ja, leider meist männlich), einen Text dort zu veröffentlichen war echt mit viel Know-How verbunden. Dann gab es eben in Seattle dieses Welthandelstreffen und massive Proteste dagegen. Und die Medien - Zeitungen, Fernsehen, Radio - und die betreibenden Konzerne veröffentlichten das, was die Herrschen vorgaben und diffamierten die Protestierenden. Dann gab es da Leute, die eine Website aufgesetzt haben, auf der quasi jedeR mit Internetzugang Inhalte veröffentlichen konnte. Die Idee des Openposting und damit Indymedia war geboren.
[D] 1992 konnten mit Hilfe eines Whistleblowers aus Kanada die Pläne der OECD zum MAI ( multilateralen Abkommen über Investitionen - nächste Stufe der Ausbeutung im Neoliberalismus) ) über Foren im Internet öffentlich gemacht werden. Der Protest war international und die Schweinerei konnte verhindert werden. Dann besetzten am 1.1.1994 die Zapatist*innen Chiapas, bewaffnet aber friedlich und publizierten es im Internet. Einzelne kamen aus den Protesten um das MAI, der Soliarbeit zu den Befreiungskämpfen der autonomen Region Chiapas, zu den Antiglobalisierungsprotesten gegen den Weltwirschaftsgipfel in Köln 1998, den sich gründenden Techkollektiven und und und und und..... Mit anderen Worten: Wir waren dabei !

* Was war damals die Hauptmotivation für die Gründung des imc (Indymedia Center) in Seattle? Und was war es dann zwei Jahre später für die deutsche Seite?

[A] In Seattle sehe ich vor allem das Schaffen einer Gegenöffentlichkeit, die unkommerziell und unabhängig sein sollte. Vor allem aber wurde das Konzept eines objektiven Berichterstatters - sprich eines Redakteurs - in Frage gestellt und dem die subjektive Wahrnehmung gegenüber gestellt. Wenn 50 Menschen über eine Demo berichten, dann können sich die Lesenden ein umfassendes Bild aus den subjektiven Berichten machen. Die Idee dahinter ist das Medienkompetenztraining - interessanterweise ist das Thema wichtiger denn je... In Deutschland schwang bei der Gründung hingegen noch die Idee der "Gegenöffentlichkeit" mit. Ehemalige K-Gruppen und deren Mitglieder haben in den 80ern linksradikale Zeitungen in Kellern in geringen Auflagen an ausgewählte Empfänger verteilt.
[D] Die WTO sollte gestoppt werden. Somit gab es auch Überlegungen, wie eine Weltöffentlichkeit informiert und einbezogen werden kann. Von da an war klar, dass der Antiglobalisierungs-Protest eine Weltöffentlichkeit braucht. Somit fanden sich Akteur*innen zu den Protesten gegen Seattle zusammen und schuffen die Medienplattform: indymedia.org
Außerderm sollte die offizielle Hofberichterstattung der Herrschenden vorgeführt werden. Alle Menschen haben ein Anrecht im Rahmen von Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit über Proteste informiert zu sein. Die prakische und inhaltliche emazipatorische Kritik an den Plänen der Zerstörung der Herrschenden muss transparent gemacht werden können - immer und überall !

* Welche Beweggründe sind heute vielleicht nicht mehr so wichtig, welche dafür wichtiger oder kamen neu hinzu?

[A] Ich glaube Medienkompetenz ist heute wichtiger, Gegenöffentlichkeit in Zeiten von sozialen Medien eher unwichtig. Wichtig kann in Zukunft wieder der unkommerzielle und unabhängige Aspekt werden. Ferner wird der Punkt der Überwachbarkeit immer wichtiger - Medien, die ihre Lesenden nicht überwachen, das wird irgendwann einmal total wichtig.
[B] Gegenöffentlichkeit finde ich in heutigen Zeiten nach wie vor wichtig. Soziale Medien sind dafür nicht geeignet, da sie nur die eigene Filterblase bedienen. Für Außenstehende an die wichtigen Informationen zu kommen und Überblicke zu gewinnen ist da nicht möglich. Auch sind die meisten sozialen Netzwerke von privaten Unternehmen gehostet, die dann dementsprechenden Einfluss darauf nehmen können.
[D] Heute ist die Fragmentierung der linken und radikalen Bewegungen viel weiter fortgeschritten. Es gibt aktuell keine Bewegung, die dazu in der Lage wäre einen Aufbruch zu iniitieren oder eine Aufbruchstimmung zu vermitteln. Das Zwangskorsett des neoliberalen kapitalischen Patriarchats hat die Spielräume für Widerstand und Emanzipation immer kleiner werden lassen, so dass erst wieder Aneignungsprozesse des radikalen Handelns erarbeitet werden müssen. Im Rahmen dessen schafft de.indymedia.org eine Option die Teilbereichsbewegungen sichtbar zu machen und in der Öffentlichkeit zu halten.
[B] Ich denke, dass vielen die Bedeutung nicht ganz klar ist. Wirklich auffallen tut es immer erst dann, wenn es auf einmal wichtig ist. Der G20 war da schon ein Vorgeschmack, was in Zukunft auf uns zukommt: Twitter hat Accounts bereits nur für Deutschland sperren lassen - ohne es den Nutzenden mitzuteilen. Dadurch posteten die Leute fleißig bei Twitter, aber es kam garnicht in Deutschland an. Wenn keine eigenen Kanäle da sind, die es ermöglichen unzensiert und repressionsfrei zu senden, dann sind wir alle auf das Wohlwollen der Firmen angewiesen, die diesen Service bieten. Und da siehts nicht gut aus - sowohl im arabischen Frühling in Ägypten als auch gerade jetzt in Chile: Whatsapp, Facebook, Twitter und Co arbeiten mit den staatlichen Repressionsorganen zusammen. Die Filterblase und gezielte Filterung wie beim G20 auf Twitter sorgen dann noch dafür, dass solche Kommunikation einfach versandet. Es bleibt dabei: The Revolution will not be televised. Ich glaube auch, dass der sogenannte Barbara-Strysand-Effekt weit überschätzt wird.

* Sowohl das deutsche imc wie auch das globale Netzwerk haben viele Höhen und Tiefen durchgemacht.
Was war denn so Eure Einschnitte, positiv wie negativ?

[A] Für mich war die Abspaltung von linksunten zum einen ein schmerzhafter Prozess anderseits gründete sich ein neues IMC, was mich persönlich immer freut. Frustrierend fand ich zeitweise die ausufernden Anti-D-Debatten. Positiv geprägt hatte mich die großen Zusammentreffen der europäischen IMCs. Das waren große Treffen mit vielen verschiedenen Aktiven.
[B] Negativster Einschnitt war wohl der Zusammenbruch des internationalen Netzwerkes, der erst schleichend passierte und dann immer schneller. Das war für mich der Tiefpunkt, der bis heute anhält. Befeuert durch das dogmatische Verhalten mancher Einzelpersonen aber wohl eher dem allgemeinen Zusammenbruch des Netzwerkes geschuldet. Viele international angedachte Projekte sind dadurch nicht mehr realisiert worden. Positiv war für mich immer, wenn es gelang, lokale Proteste zu internationalisieren und mit einem internationalen Team zu bearbeiten. Die Entstehung Indymedia-Argentiniens und die internationale Bemühung, diese lokale Revolution auch hier in Deutschland greifbar zu machen. Das spontane Aufsetzen für Server in Bolivien, Ägypten - der Ausbau und die Hilfe bei der Neugründung eines IMC... insgesamt die internationale Hilfe und Solidarität im Netzwerk - das hat mich stark geprägt und erklärt auch meine ungebrochene Lust an Indymedia. Es gab sogar mal einen Indymedia-Newsreal. All diese vielen kreativen Ideen und die Umsetzung davon - von der Indyprint an der Hauswand bis zum Kino auf öffentlichen Plätzen. Diese Art von Medienaktivismus scheint leider aus der Mode gekommen zu sein, aber der Spirit ist noch da. Und mich freut es jedesmal, wenn ich solche Ansätze sehe. Auch jetzt bei den Neugründungen von Indymedia-ähnlichen Projekten wie EmRaWi und Barrikade.info - es gibt ihn noch, den Medienaktivismus.
[D] Das Grösste war die Zusammenarbeit mit den vielen Medienativist*innen und Netzwerken, über all die Jahrzehnte. Auch wenn hier der Kreis kleiner wurde gibt es an einigen Stellen eine Kontinuität, die die Sinnhaftgikeit, die nie in Frage gestellt war, unterstreicht!
In den letzten Jahren gab es wenig konstruktive Kritik und noch weniger praktische Solidarität. Aber am meisten stört, dass der Abwanderungsprozess vieler Linker in die kommerziellen Datensammelplattformen so reibungslos von statten ging. Das nervt total!
[B] Ja das stimmt, das nervt total. Nur fraglich, was wir da machen können.

* Indymedia versteht sich ja nicht nur als Nachrichtenseite, sondern auch als Institution zur Förderung der Medienkompetenz. Konnte Indymedia da was ausrichten? Wie steht es heute damit, wenn junge Leute schon mit 12 intensiv soziale Medien benutzen?

[B] (lacht) Da müssten die jungen Leute ja schon vor ihrem 12. Geburtstag mit Indy in Kontakt gekommen sein.
[A] Ich denke da gibt es eine Menge zu tun. Nur leider sind wir da nicht gut aufgestellt gerade. Ich merke es in der Praxis immer wieder, dass GenossInnen völlig hilflos oder blauäugig in der digitalen Welt agieren. Das werfe ich ihnen nicht vor - das liegt halt an unserer kapitalistischen Gesellschaft. Da ist eben auch ein digitales Proletariat gewünscht. Ich sehe aber gerade keine Lösung für das Problem. Ausser eben: Kurse halten, Kurse halten, Kurse halten...
[B] Wir haben ja beim Relaunch extra auch das Thema Medienkompetenz fördern wollen. Um das auch auf der Seite wiederzuspiegeln wurde die Rubrik Tutorials erstellt, die ich finde noch stärker gefüllt werden könnte aber auch schon einige Perlen bereit hält. Dabei wird deutlich, dass das Interesse heutzutage eher auf sichere Kommunikation gelegt wird denn auf Tutorials, wie ich mir mein eigenes Mikro bastel. Aber ich freue mich, wenn beides weiterhin Platz findet.
[D] Wir sind wieder ganz am Anfang wie die Frage zeigt (lacht).

* Was haltet Ihr von der These, dass das Internet heute demokratisiert ist, da jedeR ohne IT-Fachkenntnisse Informationen ins Internet stellen kann? Das war 2001 noch nicht so, oder?

[A] Es stimmt schon, dass heute meine Oma einen Beitrag veröffentlichen kann. Andererseits haben wir uns aber damit dann eine Infrastruktur geschaffen, bei der wir in Filterblasen leben, da die Informationsflut so zugenommen hat, dass der durchschnittliche Nutzer da nicht mehr mitkommt und so sich von Algorithmen vorgefertige Informationshäppchen servieren lässt. Wir haben das Problem verlagert. Es gibt jetzt neben der Welt der oldschool-Medien noch die sozialen Medien. In der einen hat sich nichts geändert - die Welt ist immer noch von Kommerz bestimmt, gerät aber zunehmend durch die Umsonstkultur und den sozialen Medien unter Druck. Diese wiederum schaffen eigene kleine Parallelwelten, in denen sich Nazis usw. problemlos tummeln können. Darauf ist unsere Gesellschaft nicht vorbereitet. Was wurden die ((i))-ModeratorInnen wüst beschimpft, wenn irgendetwas gelöscht oder verändert wurde. Aber genau solche Strukturen fehlen den sozialen Medien und werden derzeit gefordert.
[D] Die These halte ich für totalen Quatsch. Schau dir die Auseinandersetzung um den §219a StGB - Informieren über Schwangerschaftsabbruch - an. Nur das, was patriarchal konform und kommerziell verwertbar ist oder der Hofberichterstattung (Snowden, Greenwald) dient, ist erlaubt.
[B] Sehe ich auch so. Als ob das Internet demokratisiert wäre... Der einzige Bereich, wo vielleicht annähernd davon geredet werden kann ist doch das Dark-Web. Denn nur dort ist es möglich, sich eine "Domain" zu holen, ohne jemanden dafür bezahlen zu müssen oder seine Identität preis zu geben. In einem demokratischen Internet gäbe es das Problem nicht, da könnte auch die Oma ihren eigenen Server mit eigener Domain im Internet betreiben. Ansonsten bestimmen jetzt kommerzielle Anbieter weitestgehend das Internet. Aber es ist auch ein ständiger Kampf, der noch längst nicht abgeschlossen ist. Alternativen gibt es ja Viele, die aber auch genutzt und unterstützt werden wollen. Sei es Diaspora anstelle Facebook, Jabber anstelle Whatsapp... Wir hinken aber auch technisch inzwischen oft hinterher, wo wir früher Vorreiter waren. Nicht selten hängt das aber mit den damit verbundenen Kosten zusammen. Dafür ist mit der Einführung von DSL damals die Empfangsgeschwindigkeit von der Sendegeschwindigkeit entkoppelt worden. Das Internet wurde so mehr zu einem Konsumwerkzeug umgestaltet, indem der Konsum wichtiger ist als das Bereitstellen eigener Informationen. Dadurch sind kleine Server in Eigenregie praxisuntauglich geworden und sind es teilweise bis heute. Ein demokratisches Internet hätte eher auf Glasfaser gesetzt, wodurch auch die Uploadgeschwindigkeit so hoch gewesen wäre, dass ein eigener Server zu Hause kein Problem gewesen wäre.
[D] Stärkt die Einrichtung und Betreibung von TOR-Servern !

* Ihr seid ja jetzt älter als die meisten Teilnehmer von f4f (fridays for future). Was habt ihr der jüngeren Generation zu bieten?

[D] Wort, Witz (lacht), Erfahrung und subversives.
[B] (lacht) Nicht nur wir als Personen sind älter - sogar Indymedia selbst ist älter als die meisten Teilnehmer von f4f. Ich denke aber, dass wir der jüngeren Generation nach wie vor einiges zu bieten haben. Aber noch schöner fände ich es, wenn die jüngere Generation das ganze in Eigenregie neu denkt und gestaltet. Nicht sich von alten Macher*innen was erzählen lässt.

* Dienste sogenannter sozialer Medien sind auch in linken Kreise gern genutzt. Wie steht Ihr dazu?
Kann sich daran Indymedia anpassen, kann es bestimmte Möglichkeiten nachziehen?

[A] Ich kann die Beweggründe verstehen. Es ist natürlich bequemer Algrorithmen die Auswahl der Adressaten meiner Mobilisierung zu überlassen und damit eine Menge Aufwand und Ressourcen zu sparen (Flugblätter drucken, in Kneipen verteilen, Leute ansprechen und anrufen...). Nur weiss ich, ob die Algorithmen das in einem Jahr immer noch tun? Was ist, wenn sich die linke Bewegung nicht mehr für die Unternehmen lohnt, wenn z.B. die Aktionen nicht mehr spektakulär genug sind und die Lesenden nicht lange genug fesseln. Wenn dann keine eigenen Medien mehr zur Verfügung stehen und niemand mehr weiss, wie man solche aufbaut, dann wird es recht schwierig.
[B] Sau gefährlich und dumm ist das. Sie verkaufen ihre Informationen für einen billigsten Preis und der vermeintliche Gewinn der Reichweitenerhöhung ist bis auf Portale wie Youtube überhaupt nicht da. Die Filterblase verhindert das. Auch wenn rein theoretisch Milliarden auf dein Facebook-Post klicken könnten sind es dann doch nur wenige, die den Facebook-Post über die Filterblase präsentiert kriegen. Die vermeintliche größere Reichweite entpuppt sich als Irrtum. Das erhoffte "viral" gehen eines Posts (also dass er von möglichst vielen Menschen geteilt wird und so eine enorme Reichweite bekommt) ist äußerst selten, ähnlich einem Lottogewinn. Stattdessen werden die Nutzenden einem Konzern ausgeliefert der dafür berühmt ist mit der NSA zusammen zu arbeiten. Na vielen Dank. Ich kann es ja verstehen, wenn die Möglichkeiten sozialer Netzwerke genutzt werden wollen. Aber momentan sieht es so aus, als ob alle einfach unreflektiert beim größten Anbieter posten und hoffen oder naiver weise davon ausgehen, dass das keine negativen Konsequenzen hat. Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern das ist weltweit so. Und ob jetzt Facebook durch Instagramm abgelöst wird (wie in Chile bei den Protesten beispielsweise) ist dann nicht weiter dramatisch. Gehört eh beides derselben Firma. Immerhin gibt es langsam einen Trend, Whatsapp durch Telegramm zu ersetzen. Telegramm ist zwar auch nicht der Weisheit letzter Schluss - aber imho meilenweit besser als direkt zur NSA zu gehen. Aber Diaspora ist nach wie vor nicht genutzt - weil da ist ja keiner. Tja... Aber hilft ja nichts, sich drüber aufzuregen. Ich glaube aber auch, dass unsere Meinung dazu schon lange und gründlich kommuniziert wurde und daher bekannt ist. Und ob Indymedia solche Möglichkeiten nachziehen sollte? Es gibt doch bereits einen alternativen Ansatz zu sozialen Netzwerken wie Facebook, nämlich Diaspora und auch we.riseup.net. Ich denke aber, dass das etwas anderes ist als der Indymedia-Ansatz und habe persönlich keine Lust, da Energie und Zeit rein zu investieren.

* Glaubt Ihr, dass "eure kleine Schwester" linksunten den Prozess gewinnen kann und wieder kommt?

[A] Ich hoffe es, rechtlich bewegt sich die staatliche Seite auf dünnem Eis.
[B] Ich finde es inhaltlich falsch, sich überhaupt auf diesen Prozess einzulassen. Klar, gut, wenn die GenossInnen freigesprochen werden. Aber rechtlich ein zensurfreies Indymedia durchzusetzen ist nicht möglich. Daher finde ich es falsch, diesen Weg überhaupt so weit zu beschreiten. Aber ich wünsche den GenossInnen trotzdem viel Glück. Ist ja ihre Entscheidung dass sie diesen Weg gehen wollen, nicht meine.
[D] JA !

* Ihr habt ja eure Moderation stark umgestellt und setzt inzwischen auf die anonyme Mitarbeit der Lesenden, Stichwort "User*innenmoderation". Seid ihr zufrieden damit?

[B] Ich moderiere ja nicht mehr so viel wie früher, aber ich habe das Gefühl, dass nach einer langen Durststrecke die UserInnenmoderation inzwischen funktioniert. Und zwar schneller als eine normale Moderation das gekonnt hätte. Hier mal meinen Dank an alle, die da fleißig als UserInnen mit moderieren. Ihr seid großartig!
Der Erfolg lässt einen natürlich nachdenken, ob wir die UserInnenmoderation nicht auch noch ausweiten können. Da fehlt es aber noch an schlüssigen Konzepten, wie das funktionieren kann. Ideen sind da gerne gesehen. Langfristig denke ich ist das der einzig gangbare Weg - alleine schon um der Repression etwas entgegen zu halten.
[D] Ja, wir sind sehr zufrieden damit, obwohl wir gerne hätten, dass sich noch viele mehr beteiligen.

* Seit der Schließung von Linksunten tauchen auf de.indymedia.org verstärkt BekennerInnen-Schreiben auf. Wie seht ihr das?

[B] Beschissen. Ehrlich, ich verstehe das nicht. Anstelle irgendwelche Lehren aus dem Verbot von linksunten zu ziehen wird so getan, als ob wir einfach so weiter machen könnten. BekennerInnen-Schreiben enden oft in nicht legalen Aufforderungen, es ihnen nach zu tun und bringen uns als Veröffentlichende damit in eine rechtlich doofe Situation. Das war vor linksunten genauso und ist einer der Gründe, warum sich Linksunten damals abgespalten hat - sie wollten es probieren, ob sie es können. Haben sie auch über Jahre gekonnt - bis es dann zur damit begründeten Schließung und dem Verbot kam. Jetzt einfach sowas bei de.indy zu veröffentlichen ist für mich einfach nur ein unsolidarischer Scheiß. Und wir werden dafür dann angemacht, wenn wir solche Sachen wieder rausnehmen. Dabei sind es die Veröffentlichenden, die auf uns scheißen und das Risiko auf uns abladen. Und es gibt längst Strukturen, die genau dafür arbeiten, dass soetwas bei ihnen veröffentlicht wird: Bspw. https://chronik.blackblogs.org Das Abladen auf de.indy ist daher doppelt unsolidarisch: Uns gegenüber, die wir einen anderen Schwerpunkt haben und der Zensur nicht widerstehen können wenn es Hart auf Hart kommt und den anderen gegenüber, weil sie von ihrer Zielgruppe einfach ignoriert werden.
[D] Bekenner*innenschreiben sind Teil einer Öffentlichkeit, die ein Anrecht darauf hat informiert zu sein. Bekenner*innenschreiben sind eine freie Meinungsäußerung. Da de.indymedia.org genau das mit dem OpenPostimg ermöglicht, geben wir den Menschen sowie dem emanzipatorischen Widerstand ihre Rechte zurück, obwohl ein herrschender repressiver Staat genau das zu unterdrücken versucht. Gegenöffentlichkeit unterscheidet sich fundamental von Hofberichterstattung. Das Dokumentieren stellt zu keinem Zeitpunkt ein Werben dar.
[B] Das mag medientheoretisch alles stimmen - aber rein legal siehts halt leider bisher anders aus. Für mich stellt sich daher die Frage nicht, ob ich BekennerInnen-Schreiben veröffentlichen will, sondern ob ich das auch durchstehen kann. Linksunten konne es ja leider nicht. Das geht nicht nur bei BekennerInnen-Schreiben so sondern ist ein generelles Problem. Solange wir es nicht schaffen, zensurfrei anzubieten, müssen wir uns den Umständen leider anpassen. Ich denke, es macht daher Sinn, dass sich Projekte um solche sensiblen Sachen explizit kümmern und so das Risiko verteilt wird. Denn wenn alles an einer zentralen Stelle ist, dann ist bei einem erfolgreichen Angriff direkt alles mit getroffen. Daher begrüße ich es, wenn sich Projekte wie chronik.blackblogs.org explizit darum kümmern. Das finde ich sehr gut. Ähnliches bräuchte es bspw. für die Outing-Geschichten und ähnliche heikle Informationen. Diese sollten sozusagen outgesourced werden. Ich fürchte sogar, sie müssten sich im Darkweb verstecken um überhaupt Zensurresistent zu sein. Aber das würde ich für einen Fortschritt halten, weil es Lehren aus dem Verbot von Linksunten zieht, anstelle so zu tun, als ob nichts passiert wäre und dann kommt der große Crash. Diese Diskussion ist auch viel älter als das Verbot von Linksunten - spätestens seit der Beschlagnahmung von Ahimsa, unserem damaligen Bildserver, ist das doch Thema und wir haben immer noch keine adäquate Lösung gefunden.

* Es laufen ja laut Presse Ermittlungen gegen de.indymedia.org. Macht euch das Angst?

[B] Angst ist ein schlechter Ratgeber. Aber vorsichtiger macht mich das schon. Ich glaube aber, wenn sie tatsächlich bereits Verwertbares gegen uns in der Hand hätten hätten sie uns ebenfalls mit Linksunten damals attackiert und verboten.
[D] Ja. Und wir stehen jeden Tag auf und widerstehen dem.

* Stichwort Repression: Die Repression gegenüber Indymedia hat im Laufe der Jahre zugenommen und fand ihren bisherigen Höhepunkt in dem Verbot "eurer kleinen Schwester". Was bedeutet das für euch?

[B] (lacht) Kleine Schwester, die uns über den Kopf gewachsen ist. Spaß beiseite, Indymedia ist ja ein wenig älter und diese Sichtweise ist sehr deutschlandzentristisch. Indymedia ist weltweit schon immer einer harten Repression ausgesetzt. Den Höhepunkt sehe ich in der Ermordung der zwei Indymedia-Aktivisten Brad Will und Lenin Cali Najera. Diese wurden in ihrer Funktion als Indymedia-Aktivisten ermordet. Insofern wohl die härteste Repression gegenüber Indymedia.
Ansonsten ist Indymedia ja beständig Repression ausgesetzt - gestürmte Indymedia-Center bei Gipfeln, gezielte Verhaftungen auf Demonstrationen, Schläge auf Kamera und filmende AktivistInnen, die Türkei blockiert Indymedia in ihren DNS Servern, und schließlich die gezielte Beschlagnahmung von Servern. Das hat auch de.indymedia damals stark getroffen, als in England der Ahimsa-Server beschlagnahmt wurde. (http://de.indymedia.org/2004/10/96036.shtml ) Dort war unser Bildserver gehostet und dementsprechend gab es keine Bilder mehr zu sehen bis wir einen Ersatz gefunden hatten. Seit dem hosten wir lieber im außereuropäischen Ausland.
Daher: Repression ist ein ständiger Begleiter von Indymedia. Leider. Müssen wir mit leben. Aber natürlich ist seit dem Verbot von Linksunten das Damokles-Schwert des Verbots auch über uns am schweben. Das führt vor allem dazu, dass es schwerer geworden ist, neue Leute zu integrieren. Vertrauen muss erst mühselig aufgebaut werden und es gibt keine offenen Treffen mehr soweit ich weiß.
[D] Außerdem werden an Punkten Konfliktfelder konstruiert, wo keine sind. Die Veröffentlichung von Bekenner*innenschreiben ist ein ganz normaler Vorgang, um dem Recht auf Information in die Öffentlichkeit zu tragen. Es soll jede praktische und inhaltliche Kritik an der Zerstörungspolitik der Herrschenden unterdrückt werden. Dafür sind Verfolgungs- und Ermittlungsparagrafen wie z.B. der 129a/b ... StGB geschaffen worden, die die Grundrechte auf freie Meinungsäußerung - was über OpenPosting gewährleistet wird - und die Presse- und informationsfreiheit außer Kraft setzt. Vom 1. Tag an gab es Repressionen und den Versuch das Projekt mit Zivis und Spitzeln zu unterwandern. Außerdem posteten Polizisten Falschnachrichten während der Berichterstattung zu den Protesten und Blockaden der Castortransporte, um die Glaubwürdigkeit von indymedia zu untergraben oder Aktivist*innen in Fallen zu locken.
Weiterhin gab und gibt es die - auch techn. - Angriffe der Rechten und Anderer - z.B.: DDOS-Attacken, Spam .... : Wir lachen über sie ! ( Alle lachen )
[B] Sonst wär es ja auch nicht auszuhalten.

* Linksunten ist ja seit der Schließung faktisch aus dem Netz verschwunden und damit auch viele der dort geposteten Artikel. Welche Lehren zieht ihr daraus für die Zukunft und wie bereitet ihr euch auf eine eventuelle Schließung de.indymedias vor?

[B] Technisch sind wir besser vorbereitet auf eine Schließung als Linksunten es war. Linksunten hat sich hinter einem DDoS-Schutz versteckt. Das kann ich verstehen, aber das hat leider dazu geführt, dass die Wayback-Machine von Archive.org nicht mehr die Artikel von linksunten lesen konnte. Die imho überstürzte Entscheidung, die Seite direkt offline zu nehmen und nirgendwo gesäuberte Datenbanken zu veröffentlichen, hat in der Kombination nun zu diesem dramatischen Verlust an Artikeln geführt. Ich denke, wenn de.indy, aus welchen Gründen auch immer, offline geht, sind aber die Artikel über archive.org weiterhin erreichbar.

* Technisch hinkt ihr ja kommerziellen Plattformen inzwischen hinterher. So gibt es beispielsweise keine Möglichkeit, auf Indymedia Videos zu publizieren. Woran liegt das und wird sich das in Zukunft ändern?

[B] Da wir aus rechtlichen Erwägungen dazu gezwungen sind, vor allem in für die Europäische Union nicht so gut zu erreichenden Ländern zu hosten, müssen wir uns deren Preisen beugen. Die sind weit höher als in der EU oder den vereinigten Staaten. Vor allem Bandbreite ist dort ein Problem. Und die braucht es, wenn wir Videos anbieten wollen. Wir arbeiten mit Technik der 3. Welt, da sind wir leider eingeschränkt. Aber wenn die Bandbreite steigen sollte oder wir doch mal Server kriegen, die das leisten können, werden wir Videos bestimmt anbieten.
[D] Geld, Rechtslage und Infrastruktur verhindern das. Sobald sich alles ändert schieben wir das sofort an ! :)

* Was sind Eure Ziele und Herausforderungen für die nächsten Jahre?

[B] Überleben und Hoffen, dass ein neuer Schwung kommt. Die Zahlen momentan machen mir Lust mich wieder stärker einzubringen. Die Seite braucht dringend wieder ein wenig Pflege. Herausforderung ist für mich, dass wir zensurresistenter werden. Der erfolgreiche Angriff des Staates auf Linksunten und die Verantwortung, das letzte deutschsprachige Indymedia zu sein bedeuten für mich, dass ich gerne Indymedia sicherer sehen würde. Der Weg, mehr Server in unterschiedlichen Ländern zu haben, mag zwar in der Vergangenheit erfolgreich gewesen sein. Aber ich denke, dass wir uns da auf noch härtere Repression einstellen müssen in Zukunft. Schön wäre es, wenn wir frei entscheiden können, was wir hosten und was nicht. Momentan ist es ja immer auch eine Abwägung ob wir das durchstehen können. Und daher brauchen wir eine neue Art Technik, die uns stärker macht gegen Zensurbemühungen. Ich muss leider sagen, dass ich da inzwischen rein auf eine technische Lösung setze. Die existierende Solidarität mit Linksunten nach dem Verbot und so mag ja da sein. Aber Linksunten wurde definitiv nicht verteidigt auf der Straße. Daher setze ich bei uns erst recht nicht drauf. Müssen wir uns erstmal selbst schützen und daher ja, technische Lösungen.
[D] Die Anzahl der inhaltlichen Postings hat seit der Schließung von linksunten wieder stark zugenommen. Aber es werden auch wieder mehr Aufrufe gepostet. Dann gehen wir durch bestmögliche Schätzung, da wir immer noch nicht loggen, davon aus, dass die Millionengrenze der realen Klicks im Jahr überschritten wurde, dass und die Dezentralisierung soll ausgebaut werden.

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