Ohne Zerstörung kein Aufbau – zur Auflösung der autonomen antifa [w]

veröffentlicht am 13. Dezember 2021

Abstract:
Nach 12-jährigem Bestehen haben wir innerhalb des zurückliegenden Jahres den Entschluss gefasst, das Kapitel der Politgruppe autonome antifa [w] zu schließen. Was uns von den 12 Jahren besonders in Erinnerung geblieben ist – vor allen Dingen jedoch, was uns zu dem Entschluss der Auflösung bewegt hat – könnt ihr im folgenden Text nachlesen.

Um es gleich in aller Deutlichkeit allen Faschos vorwegzunehmen: Dieser Text ist selbstverständlich keinesfalls als Ende linksradikaler (Antifa-)Politik in Wien zu verstehen. Zu zahlreich sind die Gruppen und Zusammenhänge, die sich menschenverachtender Ideologie entgegenstellen – und in denen wir als Einzelpersonen weiterhin aktiv sein werden. Es ist vielmehr das Ende des kollektiven Weges unserer Gruppe. Dabei sind wir davon überzeugt, dass die radikale Linke stärker werden muss und hoffen, dass unsere Reflexion anderen helfen kann, nicht dieselben Fehler zu machen.

TEIL I - Burschenschaften, Nazis und die Gesamtscheiße

Wir blicken auf 12 Jahre kontinuierliche politische Arbeit in unterschiedlichen Feldern mit starkem Fokus auf Antifa-Arbeit zurück. Wir haben uns 2009 als autonome antifa [w] gegründet, um der Verschlossenheit der linksradikalen Szene etwas entgegenzusetzen. Mit offenen Treffen haben wir anfangs versucht, Offenheit und Ansprechbarkeit zu vermitteln, was uns nur in Teilen gelungen ist und ein Jahr später wieder beendet werden musste. Den Spagat zwischen einer offenen linksradikalen Gruppe und Sicherheitsbedürfnissen zu schaffen ist schwierig und mit Widersprüchen durchzogen, die wir zunächst nicht auflösen konnten. Als erfolgreiches Projekt dieser Anfangszeit ist jedoch das Antifa Café zu verzeichnen, das bereits seit einigen Jahren nicht mehr nur von uns als autonome antifa [w] ausgerichtet wird, sondern von der Plattform Radikale Linke übernommen wurde und unsere Auflösung überdauern wird. Das Antifa Café bot und bietet nach wie vor die Möglichkeit, sich inhaltlich auszutauschen, Themenbereiche zu erschließen, die über klassische Antifa-Arbeit hinausweisen, und Argumente zu schärfen.
Zudem war es uns von Beginn an ein Anliegen, Antifa als Aktionsfeld mit antikapitalistischer Gesellschaftskritik zu untermauern, was uns 2010 zum Beitritt zum kommunistischen ...umsGanze!-Bündnis bewegte. Das Bündnis mobilisierte mehrmals zu massenhaften Protesten wie Gipfeltreffen oder der EZB-Eröffnung 2015 in Frankfurt, um eine linksradikale Perspektive in oftmals verkürzt kapitalismus- bzw. gar konsumkritische Agitationen zu eröffnen. Dem Beitritt zu ...umsGanze! haben wir auch eine europaweite Vernetzung durch die Plattform Beyond Europe zu verdanken, die ihre Highs und Lows zu verzeichnen hat, aber aus unserer Sicht nach wie vor viel Potential in sich trägt.

Als einzige nicht bundesdeutsche Gruppe hatten wir im ...umsGanze!-Bündnis immer schon eine Sonderrolle und nicht alle Debatten und Diskurse ließen sich auf die politische Situation in Österreich übertragen. Dennoch hat uns die Zusammenarbeit mit den Genoss:innen in unserer Praxis und Theorie immer gefordert und unsere Inhalte geschärft. Gemeinsam mit ...umsGanze!, dem NOWKR-Bündnis und der "Offensive gegen Rechts" haben wir schließlich einige Jahre lang die Proteste gegen den damaligen Ball des Wiener Korporationsrings (WKR) organisiert und den Schrecken des rechtsextremen Vernetzungstreffens in die Öffentlichkeit gezerrt. Begleitet von viel Repression konnte man jährlich mal mehr, mal weniger Erfolge erzielen, bis zu 10.000 Antifaschist:innen aus dem In- und Ausland mobilisieren und für eine große mediale Debatte sorgen. Die Öffentlichkeit empörte sich über den gewaltvollen Charakter der Demonstrationen, über unseren offenen Umgang mit unserem Hass auf Nazis und die Verhältnisse, während tausende Faschist:innen in der Wiener Hofburg tanzten, feierten und sich vernetzten. Die Mobilisierungen hatten zur Folge, dass der WKR den Ball nicht mehr ausrichten durfte, was die Veranstaltung an sich jedoch leider nicht verhinderte. Die Wiener Landesgruppe der FPÖ sprang in die Bresche und richtete von nun an den sogenannten "Akademikerball" als Ersatz aus. Anderer Name, selbe Scheiße. Der Repressionsapparat ließ auch nicht lange auf sich warten: Das NOWKR-Bündnis sah sich 2014 mit Ermittlungen wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung konfrontiert, welche letztlich ins Leere führen mussten, so lächerlich und unhaltbar waren die Vorwürfe. Im Jahr 2015 mobilisierte das Bündnis schließlich ein letztes Mal gegen den Akademikerball und löste sich anschließend auf. Die Gründe dafür können hier nachgelesen werden: http://nowkr.at/.

Feind:innenbilder im Wandel der Zeit

Als autonome antifa [w] haben wir stets versucht, zu allen Spektren der extremen Rechten zu arbeiten. Durch die starke Anbindung an die Uni lag unser Fokus zunächst bei Burschenschaften und ihren Umtrieben in der Stadt. Mit der Entstehung unterschiedlicher rechtsextremer bis neonazistischer Strukturen sahen wir uns gezwungen, ihren Mobilisierungen und Aktionen auf der Straße etwas entgegenzusetzen. Mit unterschiedlichen Mitteln versuchten wir stets, ihre Aufmärsche zu verhindern, was teilweise auch von Erfolgen begleitet war. Der Misserfolg des österreichischen Pegida-Ablegers ist einer Mischung aus konsequentem Antifaschismus auf der Straße und der Inkompetenz der traurigen Führungsfiguren der Rassist:innen zu verdanken. Die großen Aufmärsche der „Identitären“ mit internationaler, neofaschistischer Mobilisierung konnten wiederholt verhindert werden. Die Mobilisierungen der Gruppe in Wien wurden weniger und sie mussten vermehrt auf andere Städte ausweichen. Zeitweise lagen die sogenannten „Identitären“ am Boden und versanken zunehmend in der Bedeutungslosigkeit – nach 2015 war es ihnen trotz rassistischen Rückenwinds nicht gelungen, eine tatsächliche Bewegung zu formen, geschweige denn ihr Mobilisierungspotential nachhaltig auf die Straße zu tragen. Aktuell kann beobachtet werden, dass die "Identitären" erneut versuchen, sich an die Spitze einer reaktionären Formierung in Österreich zu setzen. Allerdings diesmal – im Kontext der Corona-Demos – klar als rechtsextrem in den Medien gekennzeichnet und offen Seite an Seite mit dem weitaus größeren rechtsextremen Problem Österreichs: der FPÖ.

Das Jahr 2015 und der sogenannte „Sommer der Migration“ stellten uns vor neue Herausforderungen. In der Vernetzungsarbeit mit Betroffenen und antirassistischen Strukturen waren wir von Beginn an nachlässig. Gleichzeitig sahen wir uns unzähligen rassistischen Mobilisierungen gegenüber, denen man nur mehr hinterherrennen konnte. Als Erfolg zählen wir die antirassistische Mobilisierung nach Spielfeld, die wir in Zusammenarbeit mit anderen Strukturen auf die Beine stellten. Während einige hundert Faschist:innen an der Grenze zu Slowenien aufmarschierten und sich als Grenzwächter:innen inszenierten, konnten wir mit vier Bussen aus Wien zum Gegenprotest beisteuern. Nachdem der Aufmarsch kurzzeitig gestoppt wurde, mussten die angereisten Nazis feststellen, dass über 80 ihrer Autos schlagkräftig von Antifaschist:innen kommentiert wurden. Dennoch kann der Erfolg der antifaschistischen Aktionen in und um Spielfeld nicht darüber hinwegtäuschen, dass der allgemeinen rassistischen Stimmung und den unzähligen faschistischen Mobilisierungen nachhaltig kaum etwas entgegenzusetzen war – zumindest als kleine, schlecht zugängliche linksradikale Szene. Auch die FPÖ sowie der rassistische Grundkonsens der österreichischen Mehrheitsgesellschaft sind für eine einzelne Antifagruppe kaum zu bearbeitende Gegner:innen. Unsere Erfahrungen im Jahr 2015 führten uns in weiterer Folge zu dem Entschluss, eine größere linksradikale, österreichweite Vernetzung anzustoßen. Das Projekt der Plattform Radikale Linke wurde entwickelt und versucht, in die Tat umzusetzen. Leider scheiterte der Versuch einer österreichweiten Vernetzung rasch – einzig in Wien konnten wir das Konzept umsetzen und linksradikale Politik bis heute mit unseren Genoss:innen bündeln.

Eine weitere Konsequenz aus dem Ohnmachtsgefühl gegenüber einer rassistischen Hegemonie war es, ab 2015 kleinere öffentlichkeitswirksame Aktionen durchzuführen. Beispielsweise blockierten wir 2016 die Wiener Ringstraße (eine der größten und meistbefahrenen Straßen der Stadt), um auf das mörderische Grenzregime aufmerksam zu machen. Durch die mediale Begleitung auf Social-Media-Plattformen konnten wir durch eine einfache Aktion, die nicht von vielen Personen durchgeführt werden musste, für relativ großes Aufsehen sorgen. Zu den medial wirksamen Aktionen dieser Episode kann sicherlich auch die Enthüllung des Transparents "Österreich du Nazi!" auf dem Heldenplatz nach der Bundespräsidentenwahl 2016 verstanden werden, das entlarvenderweise nicht nur Herbert Kickl, sondern auch weite Teile des linksliberalen Bürgertums in Erregung versetzte.1

Kritisch zu betrachten ist das Fehlen eigenständiger feministischer Schwerpunkte bzw. Mobilisierungen bis zum Jahr 2017. "Make Feminism A Threat Again" war unsere erste eigenständige Mobilisierung zum feministischen Kampftag am 8. März und legte den inhaltlichen Fokus auf materialistische Zugänge innerhalb feministischer Debatten.2
Im selben Jahr noch haben wir gemeinsam mit der Plattform Radikale Linke gegen die Angelobung der FPÖ-ÖVP-Regierung mobilisiert, welche letztlich im Dezember 2017 stattfand und relativ große Proteste sowie die Wiederauferstehung der Donnerstagsdemos mit sich brachte.3 Doch auch im Vergleich zu den Protesten anlässlich der schwarz-blauen Regierungsbildung im Jahr 2000 zeigte sich die zunehmende Akzeptanz rechtsextremer Ideologie bis ins linksliberale Spektrum.

In unseren letzten Jahren gab es noch vereinzelte Aktionen und Mobilisierungen, die positiv hervorzuheben wären, so z.B. der Exportschlager "Nazis Abschirmen" 2018, der von vielen Antifas aus unterschiedlichen Städten erfolgreich übernommen wurde.4 Oder auch unsere Mobilisierung am 1. Mai 2019 zur damals 20 Jahre zurückliegenden Ermordung Marcus Omofumas durch die Wiener Polizei.5 Zwei Mobilisierungen, die uns als Gruppe nochmal zusammenwachsen ließen, waren zum einen die antifaschistischen Auseinandersetzungen an der Universität Wien rund um den rechtsextremen Professor Lothar Höbelt Anfang 2020, als Faschist:innen kläglich versuchten, die Uni für sich zu vereinnahmen.6 Zum anderen die Geschehnisse in Favoriten (10. Wiener Gemeindebezirk) im Sommer 2020, als im Juni eine feministische Kundgebung sowie das örtliche Autonome Zentrum (EKH) von türkischen Faschist:innen angegriffen wurden, was tagelange Mobilisierungen und physische Auseinandersetzungen im Bezirk nach sich zog und uns im Nachhinein zum Versuch einer differenzierten analytischen Aufarbeitung veranlasste.7

Hervorzuheben ist, dass insbesondere in den letzten Jahren alle Mobilisierungen niemals nur von uns alleine ausgingen. Wir waren und sind unseren Genoss:innen, mit denen uns teils jahrelange gemeinsame Kämpfe verbinden, dankbar für die gemeinsame Zusammenarbeit. Bis heute waren und sind wir nicht die einzige linksradikale (Antifa-)Gruppe Wiens. Neben der Plattform Radikale Linke bildeten und bilden sich immer wieder autonome Zusammenhänge und Bezugsgruppen, die ebenso an Planung und Durchführung von Aktionen beteiligt waren und sind.
Unser politisches Engagement hat sich in den vergangenen Jahren auch weiter in die Plattform Radikale Linke verlagert. Die Erfahrung zeigt, dass die kleingruppenübergreifende Vernetzung nicht nur dem Erfahrungsaustausch dient, sondern sich so auch größere Projekte, beispielsweise in feministischen und antifaschistischen Kämpfen, besser realisieren lassen.

Die autonome antifa [w] war jedoch über weite Strecken ihres eigenen Daseins auch immer wieder Projektionsfläche für kontroverse politische Debatten. So handelte uns unsere klare Positionsbestimmung gegen jeden Antisemitismus den Ruf ein, eine „antideutsche“ Gruppe zu sein, während sich die Wiener Antideutschen an unseren antinationalen Standpunkten abarbeiteten.
Als auf Social-Media stark wahrgenommene Gruppe im deutschsprachigen Raum hat sich an dieser Rolle im Allgemeinen wenig geändert. Im Speziellen zeigte sich dies an Anfeindungen unserer materialistischen Kritik aus Kreisen, die vermehrt Identität und Betroffenheit in den Vordergrund ihres eigenen Engagements rücken. Leider haben wir es nicht (mehr) geschafft, uns theoretisch ausführlicher mit dieser Kritik auseinanderzusetzen, ein eigenes Positionspapier zu dieser Konfliktlinie zu veröffentlichen und unsere eigenen Positionen im Zuge dessen systematisch zu reflektieren.

TEIL II - Neoliberales Teambuilding, Afterwork Beer und Burnout

Die Auflösung der Gruppe geschieht logischerweise nicht aus heiterem Himmel oder aus einer Laune heraus, sondern hat sich – wenn wir ehrlich sind – schon längere Zeit angekündigt. Allein die zähe Arbeit an diesem Auflösungstext, die sich über viel zu lange Zeit hinweg zog, lässt diese Entscheidung definitiv als die richtige erscheinen. An dieser Stelle wollen wir einen Einblick geben, woran es letztlich gelegen hat, dass es uns als der richtige Schritt erscheint, das Kapitel "afa [w]" für beendet zu erklären. Wir wollen dadurch zum einen selbst unsere Politik- und Umgangsformen der letzten knapp 12 Jahre kritisch hinterfragen, zum anderen gemachte Erfahrungen zugänglich machen.

We’re the cool kids on the block

Insbesondere in den ersten zwei Dritteln unseres Bestehens gefielen wir uns innerhalb der linken und linksradikalen Szene als unbeliebte Stänkerin, die mit markig-selbstverliebten Sprüchen den Finger in die Wunde legte, wo es ihr wichtig erschien. Konkret sichtbar wurde dies der Wiener Linken beispielsweise durch die Verteilung von Texten bei der Aufbruch-Konferenz8 oder dem Text in Richtung Besetzer:innenmilieu9. Unser Anspruch an uns selbst, bloß nicht in reformistische Politik abzugleiten, sondern eine tiefgreifende Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse in den Vordergrund zu stellen, führte zur Ausformung einer ganz bestimmten Gruppenidentität: Dieses Dasein lässt sich in einem Spannungsfeld zwischen der Selbstdarstellung als permanent marginalisierte und isolierte Position einerseits und andererseits als wichtige Stichwortgeberin und Initiatorin begreifen. Marginalisiert, weil man sich kaum Mühe gab, mit seiner Kritik tatsächlich auf breites Verständnis innerhalb der Wiener Linken zu treffen. Gleichzeitig konnte einem kleinen Teil – maßgeblich der uni-nahen linksradikalen Szene – Debattenanstöße geben werden, an denen sich in weiterer Folge abgearbeitet wurde. Jedoch führte dieser Rollenbezug dazu, nach außen in den allermeisten Fällen beinahe misstrauisch all jene Aktionen oder Politikformen zu beäugen, die nicht ganz genau unserem Geschmack entsprachen; zugleich ergab sich daraus auch ein ständiger Rechtfertigungsdruck die eigenen Positionen betreffend. Eine Gruppe, die ständig andere Positionen angreift, zementiert diese Meinung nach außen hin fest. Nur so ließ sich für die einzelnen Genoss:innen die immer wieder Unmut auslösende Haltung auch im Alltag behaupten und gleichzeitig die eigene Analyse in der Szene wirklich stark verankern. Mit sich brachte dies jedoch eine "Parteimeinung", eine dicke Haut, die die Gruppe sich selbst über die Jahre aneignete. Gleichzeitiger Emporkömmling einer solch harten Weise, einen linken Diskurs zu führen, sind Konkurrenzgedanken anderen Teilen der Szene gegenüber. Einer wirklichen Debatte auf Augenhöhe mit anderen linken Strukturen stand diese Haltung tendenziell im Weg.

Ein solch hartes Auftreten gegen Kritik nach außen hinterlässt zwangsweise auch im Inneren bei den einzelnen ihre Spuren. Zum einen bestärkt sich eine Gruppe, die sich äußerer Kritik verstärkt ausgesetzt sieht, nach innen in ihrer eigenen Haltung. Zum anderen hält ein derartiger sozialer Zusammenschluss interne Widersprüche schwer aus. So wurde Kritik innerhalb der Gruppe z.T. heftig entgegengetreten – konnte fast als Verrat wahrgenommen werden –, was einer tatsächlich lebendigen Debatte (die durchaus hart in der Sache geführt werden kann) in einigen Situationen im Weg stand. Nicht nur eine inhaltliche Selbstkritik wurde durch diese Dynamik erschwert, auch mackriges Verhalten innerhalb der Gruppe wurde so intern kaum thematisiert.

Antifa GmbH – oder: wie gut sich blind die herrschenden Zustände reproduzieren lassen

Ganz grundsätzlich kann die autonome antifa [w] während weiter Teile ihres eigenen Wirkens auf einer Form-Ebene als quasi professionalisiert bezeichnet werden: Explizit wurde sich sehr früh dazu entschieden, dezidiert kein Freund:innenkreis zu sein. Es sollte politisch, der gemeinsamen Sache wegen, zusammengearbeitet werden. Ein Auseinanderbrechen der Struktur – und damit ein Wegfall der eigenen Arbeitsfähigkeit – aufgrund von Loyalitäts- bzw. Beziehungskonflikten jeglicher Art sollte es mit uns nicht geben. Als Genoss:innen ging man zum Plenum, holte sich die ToDos, und arbeitete diese möglichst effizient über die nächsten Tage ab. Als Genoss:innen ging man so zwar auch zum gemeinsamen Biertrinken danach – die Beziehungen innerhalb der Gruppe ähnelten nichtsdestotrotz in weiten Teilen eher denen von Arbeitskolleg:innen, die sich in ihrem Arbeitsverhältnis eben so sehr verstehen, dass die meisten auf ein gemeinsames Bier danach noch Lust haben. Klar gab und gibt es Freund:innenschaften, auch Freund:innenkreise innerhalb der Struktur; eine gruppeninterne, gemeinsame soziale Verantwortung, der sich jede:r verpflichtet gesehen hätte, existierte aufgrund des fragwürdigen Verständnisses von Genoss:innenschaft jedoch nie. Zwar hat unsere Organisationsform zu einem tatsächlich recht hohen Output geführt – die Bearbeitung der eigenen und kollektiven Emotionen sowie sich über die politische Zusammenarbeit hinaus umeinander zu kümmern, wurde dabei jedoch verlässlich ins "Private" ausgelagert. Dass diese Auslagerung emotionaler Arbeit letztendlich bedeutete, dass sie vor allem von Frauen bzw. FLINTA-Personen erledigt wurde und sich die (cis-)Typen entspannt zurücklehnen konnten, wurde ausgeblendet.

Eine Folge dieses politischen Irrwegs war es, dass das "Buddy-System", in dem es darum gehen sollte, neue Genoss:innen in die eigenen Strukturen einzuführen und eine Ansprechperson an die Seite zu stellen, um Sorgen, Unklarheiten und Ängste thematisieren zu können, konsequent äußerst lückenhaft umgesetzt wurde. Andere Beispiele waren die blinde Voraussetzung, dass neue Genoss:innen vor Aktionen sowieso schon wüssten, was auf sie zukommt, wie sie sich verhalten müssten etc. "Wer zur afa [w] kommt, muss ja schließlich schon fehlerlose:r Expert:in sein", scheint hier der dahinterliegende Gedanke gewesen zu sein. Diese „gespielte Perfektion“ endete in völlig ungenügenden Vor- und Nachbereitungen von Demos, Aktionen und Bezugsgruppen („Wir wissen ja eh, wie wir tun“) und führte notwendigerweise zu Überforderung, Unsicherheit und Einschränkung von Aktionsfreudigkeit.
Auch im Umgang mit Repression wurde möglichst rational vorgegangen: Natürlich wurde allen Betroffenen alle materielle und politische Unterstützung entgegengebracht, die notwendig war. Emotionen, Ängste und Bedürfnisse der Betroffenen wurden jedoch nur sehr begrenzt wahrgenommen und dabei die "rationale" Sichtweise, die die Gruppe selbst durch ihren Umgang produzierte, auch von den Betroffenen implizit und teils auch explizit eingefordert.

Und so reproduzierte unsere Gruppe, im festen Glauben daran, kritisch der eigenen Szene und unversöhnlich den herrschenden Zuständen gegenüber zu agieren, verlässlich die Organisationsform, die sie doch mit am meisten verachtete (und auf die sie spöttelnd herabblickte): die hippe (Polit-)Agentur im Spätkapitalismus. Flache Hierarchien, flexible Arbeitszeiten und gemeinsames After-Work-Beer inklusive. Polemisch ausgedrückt war und ist, wer die Organisierungsform in der autonomen antifa [w] erfolgreich überstanden hat, für den Arbeitsmarkt perfekt vorbereitet: Angeeignet wurden sich Konkurrenzfähigkeit, Durchsetzungsvermögen, Teamfähigkeit, Organisierungskompetenz, Leistungsfähigkeit, projektförmiges Arbeiten (Kampagnenarbeit), Kreativität, die Akzeptanz einer nicht vorhandenen Trennung von Arbeit und Freizeit sowie das in Kauf nehmen schlechter (keiner) Bezahlung.

Ein Auslagern emotionaler Arbeit ins "Private" führte auch zu dem Phänomen, dass immer wieder Genoss:innen "auf Pause" gingen – sich also für eine bestimmte Zeit aus der aktiven Politarbeit verabschiedeten, weil sie dem Workload, der kollektiv von ihnen erwartet wurde, nicht mehr gerecht wurden oder zumindest glaubten, dass dies so sei. In weiterer Folge spielten die Personen "auf Pause" kollektiv auch keine Rolle mehr – es sein denn, sie meldeten sich am Plenum zurück und nahmen wieder aktiv an der Polit-Arbeit teil. Im Vordergrund stand für die Gruppe also nie sich so zu organisieren, dass der immanente Leistungsdruck des Kapitalismus mit politischer Arbeit vereint werden kann. Im Vordergrund standen die Leistungsfähigkeit und der Output der Gruppe nach außen bei gleichzeitiger Austauschbarkeit derjenigen, die intern die (Polit-)Arbeit machen.
Auch der interne Umgang mit Übergriffen von Genossen spricht hier Bände: Weithin wurde (durchaus effektiv) versucht, technische Lösungen zu verfolgen. So folgte ein sofortiger Ausschluss des Täters, Unterstützung und Beteiligung in Betroffenen-, als auch Tätergruppen, sowie die umgehende Umsetzung der Wünsche der Betroffenen. Die eigenen Gefühle, der emotionale Umgang und Reflexion mit dem und über das Thema fanden keinen Raum. Vielmehr lag es auch hier wieder an den einzelnen, sich bei Vertrauenspersonen oder in Therapie Möglichkeiten des Umgangs zu suchen.

Als Einzelpersonen sind auch wir auf – leider allzu bekannte – Probleme und Grenzen linksradikaler (Szene-)Politik gestoßen. Neben einem starken Uni-Bezug stellte unser oben beschriebener "Antifa-Lifestyle" ein inkompatibles Lebenskonzept zu den schwer zu vermeidenden Sachzwängen der Lohnarbeit und den – zumindest vermeidbaren – Verpflichtungen familiärer Natur dar. Veränderte Lebensumstände, z.B. nach dem Studium, vor allem das Wegbrechen von zeitlichen Ressourcen, stellten uns vor Herausforderungen, an denen wir als Gruppe – wie ganz grundsätzlich weite Teile der linksradikalen Szene – leider gescheitert sind. Dieser Auflösungstext, der nach unserem Geschmack viel zu kurz und sehr lückenhaft geraten ist, zeugt u.a. von diesen Problemen. Unsere individuellen, sich verändernden Lebensumstände gerade im Prozess des Älterwerdens mit dem Anspruch politisch aktiv zu sein in Einklang zu bringen, ist eine Aufgabe, für die wir in Zukunft Lösungen brauchen.

Ausblick: Die Alternativlosigkeit des Antifaschismus in der Spätmoderne

Zuletzt ist noch zu erwähnen, dass obwohl wir den politischen Weg der autonomen antifa [w] schlussendlich beendet haben, viele Einzelpersonen der linksradikalen Arbeit erhalten bleiben. Allen unseren Genoss:innen, die uns ihre Kritik zukommen ließen und allen, die uns bei unserem Prozess der Auflösung unterstützt haben, sei an dieser Stelle unser herzlichster Dank ausgesprochen!
Und um es ganz deutlich zu sagen: Dieser Text ist für Nazis und Bullen kein Anlass zum Feiern. Wir sind weiter da, wir bekämpfen euch in anderen Zusammenhängen. Für alle anderen hoffen wir, dass wir euch einen – wenn auch limitierten und unvollständigen – Einblick in unsere Arbeit und unser Scheitern geben konnten. Der Antifaschismus bleibt nach Auschwitz der notwendige Versuch, das erneute Abgleiten in die Barbarei zu verhindern. Zu dieser Notwendigkeit, und über sie hinaus, hat unsere Gruppe versucht, ihren Beitrag zu leisten.

Um es mit Herbert Marcuse zu sagen: weitermachen!

1 https://autonome-antifa.net/index.php/2016/12/04/kommunismus-oder-barbar...

2 https://autonome-antifa.net/index.php/2017/01/19/make-feminism-a-threat-...

3 https://autonome-antifa.net/index.php/2017/09/20/gegen-die-normalisierun...

4 https://autonome-antifa.net/index.php/2018/04/18/faschistinnen-abschirme...

5 https://autonome-antifa.net/index.php/2019/04/06/demonstration-1-mai-201...

6 https://autonome-antifa.net/index.php/2020/01/07/antifaschistisch-ins-ne...

7 https://autonome-antifa.net/index.php/2020/06/29/erste-einschaetzungen-u...

8 https://autonome-antifa.net/index.php/2016/06/06/von-partei-sprache-und-...

9 https://autonome-antifa.net/index.php/2017/04/21/ueber-das-elend-im-bese...
autonome antifa [w]

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