Österreich - Die Grenzen (der Ansteckung) verlaufen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen Oben und Unten

veröffentlicht am 13. Dezember 2020

Es wird immer behauptet, dass Alle potentiell im gleichen Ausmaß von „dem Virus“ bedroht sind, dass jetzt Alle zusammenhalten müssten. Dass es keine Unterschiede bei der Ansteckung gäbe, es würden die Reichen genauso krank und sterben, wie es die Armen tun würden. Das ist eine Lüge und war es auch schon immer.
Wir versuchen hier eine kleine „Bestandsaufnahme“ der aktuellen Situation in Österreich vorzunehmen, denken aber, dass sie auch darüber hinaus zumindest für den deutschsprachigen Raum zutreffend und evtl. hilfreich sein könnte. In Anbetracht der Gewissheit, dass die „Krise“ nicht nach der Verteilung eines Covid19-Impstoffs vorbei sein wird und vor allem eine wirtschaftlich (aber auch politisch) harte Zeit für die Ausgebeuteten bevorsteht. Und in der Gewissheit, dass in jedem Moment der Geschichte Widerstand und Rebellion vorhanden waren und sind. Kultivieren wir sie!

Umverteilung nach Oben
Abstand zu anderen halten und zu Hause bleiben zu können, ist ein Privileg, das Vielen von dieser Gesellschaft entzogen wird: in den Knästen, Kliniken, Schulen und Fabriken gibt es kaum die Möglichkeit dazu. Obdachlose können nicht zu Hause bleiben, weil sie keins haben. Oft ist es in Zeiten der Pandemie das gehobenere Gesellschaftssegment, das daheim bleibt zum Arbeiten und weiter Geld verdient. Aktuell ist der größte Teil der Lohnabhängigen beispielsweise in der Gastronomie und im Tourismusbereich zu Hause und sind durch die oft beschissenen Anstellungsverhältnisse nicht mal berechtigt, Arbeitslosengeld zu beziehen und paradoxerweise zu einem guten Teil dadurch auch nicht krankenversichert. Verschiedene Statistiken, die sich mit den ökonomischen Realitäten bezüglich der Coronakrise auseinandersetzen, kommen alle zu dem selben Schluss: dass es etliche Gewinner*innen gibt - diejenigen, die schon zuvor mehr als genug hatten, gehen mit jedem Tag reicher aus der Krise hervor. Unterschiede im Einkommen haben sich schon immer auf die Lebensqualität und die Lebenserwartung niedergeschlagen, das ist eine Binsenweisheit. Warum sollte sich das auf einen Schlag im Jahr 2020 geändert haben - wo sich doch die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse kontinuierlich zuspitzen?

Einzige Lösung: Impfung?
Die einzige Lösung, die uns der Staat und die Wissenschaft für den Umgang mit der Pandemie anbieten, ist zu warten bis ein Impfstoff auf dem Markt ist und dann den größten Teil der Bevölkerung zu impfen. Dabei steht sich der demokratische Staat nach den eigenen Prinzipien zum Teil selbst im Weg. Denn nachdem laut Gesetz ja „Alle gleich seien“, hätten auch Alle den gleichen Anspruch auf eine Impfdosis, die das Leben retten soll. Nun wurde allerdings heftig diskutiert, wer zuerst geimpft werden soll. Wenig überraschend soll damit zuallererst mit der „kritischen Infrastruktur“ begonnen werden, die unumgänglich für das weitere Funktionieren dieser Gesellschaft ist: Ärzt*innen und generell Gesundheitspersonal, Polizei und staatliche Strukturen, usw. Oder eben auch jene, die das nötige Kleingeld haben – auch wenn das zumindest keine offen ausgesprochene Wahrheit ist. Aber so funktioniert diese Welt eben. Ich finde dazu vor allem ein aktuelles Zitat eines Politikers aus Deutschland sehr aussagekräftig und lasse es daher für sich selbst sprechen: „Wir verteilen Lebenschancen mit den Impfdosen und die sind eben begrenzt“. Wie alles andere auch wird im Kapitalismus Gesundheit und Krankheit zu einer Ware umgewandelt, die verkauft werden kann. Angenommen, die erste Knappheit des Impfstoffs ist überwunden. Um in dieser Logik einen wirksamen Schutz gegen das Virus zu erlangen, müssen große Teile (der Großteil) der Bevölkerung geimpft werden, was die viel zitierte „Herdenimmunität“ zur Folge haben soll. Dagegen gibt es bereits jetzt Widerstand aus der Bevölkerung aufgrund unterschiedlicher Faktoren. Einerseits ist da eine große allgemeine Skepsis gegenüber Impfungen, die in den aktuellen allseits bekannten Debatten um die „Impfpflicht“ natürlich genährt werden und zum Teil sicher auch verschwörungstheoretische Elemente beinhaltet. Andererseits gibt es natürlich auch medizinische Bedenken gegen einen Impfstoff, der durch ein Eilverfahren auf den Markt geworfen werden soll und zu dem es keine Langzeitstudien gibt - und zu dem wenig bis nichts über Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und andere Schädigungen bekannt ist. Normalerweise braucht ein Impfstoff durchschnittlich etwa zehn Jahre an Tests und Untersuchungen, um schlussendlich auf dem Markt zugelassen zu werden und so die Langzeitfolgen bestimmen zu können. In diesem Fall soll das nun innerhalb eines knappen Jahren nach Auftreten des Virus geschehen. Die Skepsis ist also nicht unbedingt unbegründet. Wie auch immer: es werden sich nicht Alle freiwillig impfen lassen und damit ist in gewisser Weise auch das staatliche Monopol auf den „richtigen“ Umgang mit der Pandemie bedroht, was sich auch schon an der – sagen wir überschaubaren – Beteiligung an den Massentests im Moment ausdrückt.
Mit Sicherheit wird das Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche auch in diese Richtung angewandt werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es zukünftig Bereiche geben wird, in die man ohne Impfnachweis gar nicht eintreten darf (Krankenhäuser, bestimmte Betriebe, Flugzeuge, Fernzüge, ...). Auch wird bereits über bestimmte Einreisebestimmungen in Staaten diskutiert, ähnlich wie es aktuell mit den Einreisebeschränkungen aufgrund der Fallzahlen gehandhabt wird. Noch ist das (meiste davon) Zukunftsmusik, sicher ist aber, dass „Anreize“ geschaffen werden sollen, sich „freiwillig“ impfen zu lassen, wenn es denn unter Zwang nicht gehen sollte. Und das kann eben von einem Jobangebot (oder -verlust) mit besserem Verdienst über die Möglichkeit zu reisen bis hin zu bestimmten Freizeitmöglichkeiten reichen, welche ohne Impfung nicht mehr möglich sein könnten.

Wirtschaftsnationalismus
Bereits während des ersten Lockdowns im April 2020 hat sich das neue/alte Gesicht der Wirtschaft offenbart: Die Knappheit steigert den Preis. Damals ging es ähnlich wie heute um den vor allem in Ländern wie Österreich und Italien enorm wichtigen Faktor Tourismus. Und in der jetzigen Diskussion um den Wintertourismus und die Öffnung der Skigebiete sieht es ähnlich aus: die Staaten „bekriegen“ sich gegenseitig auf wirtschaftlicher Basis durch immer neue Einreisebeschränkungen und Quarantäneregeln, die es Tourist*innen aus den Nachbarländern faktisch unmöglich machen, einzureisen oder ohne größere Probleme wieder auszureisen. Es geht natürlich nach wie vor um den Standortvorteil der einzelnen Länder und darum, möglichst lange auszuharren und durchzuhalten, damit die Anderen vorher wirtschaftliche Einbußen haben und man selbst nachher finanziell besser dasteht und gegenüber den Anderen noch ein Ass im Ärmel hat. All das war von Anfang an von teils nationalistischen Kampagnen begleitet, die zum „shoppen daheim“ und zum Geldausgeben für die „eigene“ Wirtschaft aufgerufen haben. Begleitet von Populismus und Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft von Seiten der Politik. Alles nichts neues. Dabei handelt es sich lediglich um die nächste logische Konsequenz, die sich daraus ableitet, wie diese Wirtschaftsordnung funktioniert und die Gesellschaft strukturiert ist. Auch die sowohl nationalen als auch globalen Klassenverhältnisse haben sich nicht grundsätzlich verändert, es lässt sich lediglich eine weitere Verschärfung beobachten (die Schere zwischen Arm und Reich, globaler Norden und globaler Süden, Produktion vs. Dienstleistungen, …), die auch nicht überraschend ist.

Grenzen
Nationalstaatsgrenzen waren auch vor dieser Pandemie bereits recht willkürlich gezogen und sind eben von den Staaten umkämpftes Territorium. Im Moment zeigt sich einmal mehr, was tatsächliche Reisefreiheit genießt: das Kapital und seine Waren. Für Menschen gibt es wie immer Begrenzungen und Einschränkungen bezüglich des Übertritts einer Grenze. Sei dies durch das Fehlen eines bestimmten Passes, durch (rassistisch) motivierte Grenzkontrollen oder eben nun durch die Einreise aus einem „Risikogebiet“. Auch wenn die Konsequenzen durchaus unterschiedlich (hart) sein können, erleben nun doch zum ersten Mal ganze Generationen von „EU-Bürger*innen“ zum ersten Mal in ihrem Leben eine gewissen Einschränkung ihrer „Bürger*innenrechte“ und das verunsichert natürlich Viele. Dass Viren (übrigens genauso wenig wie nukleare Strahlung, Treibhausgase, Biowaffen, …) wohl kaum an willkürlichen Grenze stehen bleiben, brauche ich nicht zu betonen. Die Staaten kontrollieren lediglich weiterhin „ihr“ Territorium und verschärfen eben im Moment das Regime. Das ist eben eine der wenigen Möglichkeiten, die Staaten haben: die Ein- und Ausreise zu überwachen. Ändern wird das in dieser Hinsicht freilich nichts.
Anstatt nun den logischen Schritt zu machen, Grenzen als solche und damit die staatlichen Befugnisse generell in Frage zu stellen, versuchen die „Bürger*innen“ ihre „Rechte“ geltend zu machen und sich oft auch gegenüber Anderen weiter abzugrenzen, die es noch beschissener erwischt haben (Geflüchtete). Dieses soziale Phänomen trägt weiter zu der Abwärtsspirale bei und treibt jene „Bürger*innen“ zu Scharen in die ideologischen Hände von Autoritären jeglicher Art.

Der staatliche Umgang: Aufstandsbekämpfung & Befriedung
Was wir seit dem Beginn der Pandemie und aller damit verbundenen Konsequenzen vor einem knappen Jahr erleben, kann auf medizinischer Ebene lediglich als totales Versagen des Staates beschrieben werden.
Durch die weiter voranschreitende Rationalisierung (und dadurch oft Privatisierung) von Angelegenheiten der öffentlichen Hand wie beispielsweise im Pflegebereich, in den Krankenhäusern und in der Verwaltung wurde die letzten Jahrzehnte immer mehr eingespart und dadurch wichtige Infrastruktur (wie die vielgerühmten „Intensivbetten“) systematisch weggespart. Diese fehlen natürlich jetzt. Man könnte sagen, dass das die generelle Entwicklung der letzten Jahrzehnte war, aber auch wenn wir uns lediglich die Entwicklung seit dem ersten Lockdown im März/April 2020 bis heute ansehen, haben alle staatlichen Strukturen versagt (mit Ausnahme des scheinbar perfekt funktionierenden Repressionsapperats). In den mehr als 7 Monaten zwischen beiden Lockdowns hat es der Staat nicht einmal ansatzweise geschafft, mehr Geld, mehr Krankenhausbetten, mehr Rettungs- und Pflegepersonal usw. zur Bekämpfung der Pandemie zur Verfügung zu stellen. Er hat es weitestgehend nicht geschafft, neue Konzepte zum damit verbundenen Umgang zu entwickeln. Man denke dabei nur an das Chaos des Schulunterrichts oder die fehlenden Konzepte bezüglich der Lohnarbeit. All das wurde und wird nach wie vor auf die nächst tiefere Ebene abgewälzt, also vom Gesundheitsamt zu den einzelnen Ressorts, vom Krankenhausleiter an das Personal. All das funktioniert aktuell nur durch die massive kostenlose Mehrarbeit, die Arbeiter*innen jeglicher Branchen leisten (übrigens eines der Merkmale dieser patriarchalen Gesellschaft, die nur durch - oft „weibliche“ - kostenlose Arbeit läuft).
Die einzigen nennenswerten enormen Ausgaben, die von Seiten des Staates gemacht wurden, waren Investitionen in die Aufrechterhaltung der direkten oder indirekten Ordnung: Polizei, massiver Einsatz des Bundesheeres für „Contact Tracing“ usw., teilweise soziale Befriedung/Abwenden der ärgsten finanziellen Not durch Einmalzahlungen und Sondertöpfe, riesige Werbe- und Imagekampagnen für die herrschende Regierung, … Und nach mehr als 8 Monaten werden nun als „Gesundheitssofortmaßnahme“ FFP2-Schutzmasken an Hochrisikopersonen über 65 Jahren verschickt. Na herzlichen Dank!

Um nicht falsch verstanden zu werden: wir erwarten uns nichts von diesem Staat, der ja doch nur seine eigenen Strukturen und die Wirtschaft schützen will. Darauf werde ich hier nicht näher eingehen, ich denke unser Verhältnis zum Staat hat sich in den vergangenen 5 Jahren seit Bestehen dieser Publikation allzu deutlich gezeigt. Dennoch will ich hier das Versagen der langsamen und bürokratischen staatlichen Systeme aufzeigen, um eine andere Perspektive darauf zu eröffnen. Denn die eigene Unfähigkeit versucht der Staat durch brutale Repression gegen jegliches eigenverantwortliche Handeln von Anderen zu verschleiern. Und erstickt dabei alles Andere im Autoritarismus. In angsterfüllten Zeiten versteht es der Staat stets sehr gut, (vermeintliche) Sicherheit zu verkaufen. Er zeigt sich somit als das, was er ist und immer war: der Garant zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Ordnung um jeden Preis. Und in diesem Sinne sind auch die meisten staatlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit dieser Pandemie zu sehen: als Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen.
Hier zeigt sich nun, was unsere sogenannten „Rechte“ und „Privilegien“ die ganze Zeit über waren: Zugeständnisse, die uns jederzeit entzogen werden können, wenn es die veränderten Umstände erfordern. Und in vielen Fällen mit wenig bzw. kaum wahrnehmbaren Reaktionen unsererseits. Plötzlich erfährt eine ganze Generation, was es heißt, wenn die Grenzen wieder geschlossen werden und eine freie Reisebewegung nicht mehr möglich ist oder extrem erschwert wird. Was „früher“ nur denjenigen ohne (die richtigen) Papiere verwehrt wurde, ist längst zum Normalzustand für Alle geworden. Die Möglichkeit, jederzeit einen halbwegs gut bezahlten Job zu bekommen, hat sich aufgrund der höchsten Arbeitslosigkeit in Österreich seit 1945 schlagartig verändert – was vorher ebenfalls hauptsächlich für Migrant*innen, Asylwerber*innen und nicht- oder schlechtqualifizierte Arbeiter*innen gegolten hat. Ebenso lichtet sich für Viele zum ersten Mal in ihrem Leben der Schleier, der zuvor über der brutalen Realität der Ausbeutung gelegen hatte und nun fortgerissen wird. Unsere erwünschte Rolle in dieser Gesellschaft zeigt sich nicht zuletzt daran, was während eines Lockdowns erlaubt ist: zur Arbeit gehen, arbeiten, zum Supermarkt gehen, einkaufen und maximal einmal eine Runde um den Block zur physischen Erholung drehen. Arbeiten, Konsumieren, Sterben. Eine erstaunliche Parallele zum einstündigen Hofgang in den Gefängnissen. Durch diese „Offenbarung“ und den oben genannten Entzug von Privilegien verspüren viele „Bürger*innen“ eine unbestimmte Angst vor der Zukunft. Durch eine teils radikale Wandlung des Alltags (im negativen Sinne) in weniger als einem Jahr, haben Viele verständlicherweise das Gefühl, dass der Boden unter den Füßen weggerissen wurde und wird.

Autoritäre Rattenfänger
Diese (emotionale) Situation nutzen die Rattenfänger aller möglichen autoritären Strömungen für ihre Agendas und versuchen, die verunsicherten Leute in ihre Reihen zu rekrutieren oder zu drängen. Ein üblicher Mechanismus, der historisch immer wieder beobachtbar war. Eine verunsicherte und verängstigte Bevölkerung lässt sich viel leichter regieren und kontrollieren. Und in solchen „Extremsituationen“ lassen sich Leute auch viel leichter auf „extreme“ Lösungsvorschläge ein, die leider oft autoritärer Natur sind und damit der erwünschten Freiheit zuwider laufen. Rechte Gruppierung haben vom Beginn der Pandemie an versucht, einfache (und damit extrem vereinfachende) Lösungen für die komplexe Realität zu liefern, was ihnen auch mehr oder weniger gut gelungen ist. Ebenso sind Verschwörungstheorien nichts anderes, als der unzulängliche Versuch, die Realität „festzuhalten“ und sich selbst und anderen das Unverständliche verständlich zu machen. Solchen Theorien folgen vor allem diejenigen, welche auch vor der Pandemie keine besonders solide Analyse ihrer Umwelt aufgestellt haben – aus welchen Gründen auch immer. Natürlich gab es die letzten Monate auch für uns Momente des Schocks, in denen sich die Ereignisse überschlagen haben und man mit dem eigenen Verständnis der Situation nicht immer gleich „hinterher kommt“. Jedoch überrascht uns kaum eine der staatlichen Maßnahmen, da wir bereits vor dem pandemischen Ausnahmezustand eine anti-staatliche Analyse hatten und klar Stellung bezogen haben.
Wie dem auch sei, auch die Linke in all ihren Ausprägungen (auch die radikale) hat dem bisher nichts Interessantes hinzuzufügen, bzw. dem rechten Pendant entgegenzusetzen. Ein Teufelskreis, denn durch das Fehlen von „Antworten“ von Seiten der Linken werden sich noch mehr Leute der Rechten zuwenden, usw. Man kann den berechtigten, wachsenden Unmut eines Teils der Bevölkerung nicht – wie es die Linke tut – unbeachtet lassen und sich stattdessen darauf konzentrieren, gegen diejenigen zu demonstrieren, die diesen Unmut spüren und auf die Straße gehen. Natürlich halte ich es nicht für sinnvoll, gemeinsam mit organisierten Nazis, Reichsbürgern und ähnlichem Gesindel die Straße zu teilen oder sich der FPÖ-Opposition anzuschließen, die jetzt eine neue Chance wittert. Jedoch wird es einer tieferen Analyse bedürfen und dem Aufzeigen eigener Ansätze, um mit der komplexen Realität umzugehen. Und das Befürworten von staatlichen Repressalien gegenüber diesen „Coronazis“ ist auch nur das was es ist: das Befürworten von staatlichen Repressalien. Auch wenn die Linke nun zum ersten Mal das Gefühl hat, dass es „die richtigen getroffen hat“.

Klassenkampf von Unten
Wir sind Anarchist*innen. Das heißt wir kämpfen gegen jede Form der Unterdrückung und für eine Welt, in der Alle ihr Leben frei leben können. Wir haben kein Programm, dass man wählen kann und keine Petition, die man unterschreiben kann. Wir wollen nicht, dass die Leute unserer Fahne nachlaufen, denn wir haben keine. Was uns in der jetzigen Situation interessiert, ist vielmehr die Frage, ob es anti-autoritäre Perspektiven schaffen können, in diesem gesellschaftlichen Gewirr klar Position zu beziehen und damit dem immer autoritärer werdenden Staat und den Rechten etwas wirkungsvolles entgegen zu setzen. Denn aktuell ist die „Fahrtrichtung“ dieser Gesellschaft nicht gerade berauschend in diesem Sinne. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Proteste gegen die Regierung und ihre Maßnahmen uninteressant für uns sein sollten, weil auch Nazis & Co. gegen die Regierung protestieren. Man könnte sagen, dass Anarchist*innen „traditionell“ sehr gut bei jeder Form von Widerstand gegen die Regierung aufgehoben sind. Ich denke es kann also durchaus sinnvoll sein, zu den bereits stattfindenden Demos, usw. zu gehen und eigene Positionen zu verbreiten – auf welche Art auch immer. Dabei finde ich es wie bereits erwähnt wichtig, eigene antiautoritäre Positionen herauszuarbeiten, um nicht in der Masse derer unterzugehen, mit denen man womöglich inhaltlich große Probleme hat. Oder um nicht von ihnen instrumentalisiert zu werden, ohne es womöglich überhaupt zu bemerken. Dennoch ist meiner Meinung nach das Beste, was in der aktuellen Situation unternommen werden kann, eigene Kämpfe zu entwickeln und zu verschärfen.
Dazu ist es unerlässlich, die sich beinahe täglich verändernden Umstände durch eine klassenbewusste Perspektive zu betrachten und so zu analysieren, was hier von statten geht. Es stimmt natürlich, dass die (heilige, vermeintlich unantastbare) Wirtschaft direkt oder indirekt alle Lohnabhängigen „ernährt“ und daher die Lohnabhängigen auch direkt oder indirekt vom Funktionieren dieser Wirtschaft abhängig sind. Dies jedoch mit zunehmendem Ausmaß, da kaum noch etwas im modernen Leben – vor allem in Städten – ohne die direkten Konsequenzen einer hoch technologisierten Wirtschaft funktioniert. Man denke dabei an Versorgungsketten, Abhängigkeit von Internet und Elektrizität, um die einfachsten Alltagsdinge zu erledigen, usw. Ich denke, Details können wir uns hier sparen, ihr versteht was ich meine. Durch die erhöhte Abhängigkeit wird uns sozusagen auch ein eigenes Interesse in die Schuhe geschoben, dass es der Wirtschaft gut gehen solle. Wo doch genau jener wirtschaftliche Druck unser Leben reguliert und uns die Luft raubt. Um ein wirklich freies Leben führen zu können, müssen wir uns von dieser Wirtschaft lösen – schlussendlich heißt das natürlich, dass das kapitalistische System zerstört werden muss und noch tiefgreifender die Logik des Tauschens von Waren im Sinne der Steigerung des Profits. Und dazu müssen wir eigene Strukturen aufbauen, um uns mit dem nötigsten zu versorgen, uns gegenseitig zu unterstützen und uns unabhängiger von den staatlichen, gesellschaftlichen, technologischen Strukturen zu machen – soweit dies eben möglich ist. Wir haben also keinen „neuen“ Vorschlag, sondern lediglich das, was wir schon immer vertreten haben: Revolte, Sabotage und Subversion gegen alles was unser freies Leben behindert. Was uns dabei im Moment helfen kann sind einerseits der Aufbau (und die Pflege!) von rebellischen Beziehungen und Strukturen, in denen wir uns materiell, emotional und kämpferisch gegenseitig unterstützen können. Und andererseits braucht es dazu einen Schuss Mut, um die Gebiete des Kampfes zu betreten, die vermeintlich oder tatsächlich von unseren Feinden dominiert werden.

Richtung Totalitarismus oder Richtung Freiheit?
Die neue (permanente) Realität hat eine Wendung genommen: vom vermeintlichen Leben zum lediglichen Überleben um jeden Preis. Darüber gibt es zweifellos großen Unmut. Eine der großen Fragen für die Zukunft wird sein, ob sich dieser Unmut im Sinne der Herrschaft kanalisieren lässt oder sich in Richtung des chaotischen, dezentralen Kampfes für Freiheit bewegen wird. Und darauf können wir Einfluss nehmen und mit unseren konfrontativen Vorschlägen und Attacken unseren Teil dazu beitragen, den Kampf in eine interessantere Richtung zu schieben. Es ist dies eine Chance, die wir auf alle Fälle nutzen sollten.

Was wir jetzt erleben ist eine Restrukturierung der kapitalistischen Realität und dadurch die Fortführung des brutalen Krieges zwischen dem Kapital und dem Leben. Und in Zeiten wie diesen, in denen die politischen Entwicklungen und der Alltag so verdammt lähmend wirken und wir oft genug das Gefühl bekommen, wenig erreichen zu können, ist es enorm wichtig zu betonen: das Kapital lässt sich mit einfachen Mitteln überall identifizieren und angreifen, wenn wir nur gewillt sind, es anzugreifen...
Das hat sich durch die Pandemie in keinster Weise geändert.

Anarchist*innen im Dezember 2020

https://revolte.blackblogs.org/

schreibt uns: revoltezeitung ät riseup.net

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