Pressemitteilung zur Delegation der Jugendorganisation Young Struggle

veröffentlicht am 26. Februar 2023

Symbolfoto

Als Young Struggle haben wir in der letzten Woche eine Delegation in die Erdbebengebiete organisiert. Für eine Woche waren neun Genoss:innen in der Region Hatay, die für ihre Widerständigkeit und ihre kulturelle Vielfalt bekannt ist und von den Erdbeben schwer getroffen wurde. Dort leben vor allem Araber:innen, Kurd:innen und Türk:innen gemeinsam. Durch diese Vielfalt ist die Gegend dem Staat gegenüber sehr skeptisch eingestellt und die Menschen haben eine starke Widerständigkeit in sich.

In einem Viertel, etwas außerhalb des Zentrums, haben Mitglieder der ESP (sozialistische Partei der Unterdrückten) gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung eine Anlaufstelle für die Menschen organisiert, die beim Erdbeben alles verloren haben. Dort übernachten Menschen, die keine Unterkunft mehr haben und es werden Lebensmittel, Medizin, Klamotten und Hygieneartikel an alle verteilt, die es brauchen. In dieser Arbeit haben wir die Freund:innen unterstützt und unseren Teil dazu beigetragen, eine selbstverwaltete Alternative zu der Politik des Staates zu schaffen. Ein Rettungssanitäter und eine Pädagogin waren auch Teil der Delegation und haben sich vor allem um die verletzten und traumatisierten Menschen gekümmert. Gleichzeitig ist die Delegation mit der ansässigen Bevölkerung in Kontakt getreten, um die Situation der betroffenen Menschen aus erster Hand zu erfahren und nach Deutschland tragen zu können. Was dort beobachtet wurde, zeigt die Dringlichkeit der Aufklärung über die Politik des türkischen Staates.
Nachdem die staatlichen Hilfsstrukturen in vielen Gebieten tagelang gar nicht aufgetaucht sind, gibt es noch immer Regionen, wo die Menschen völlig auf sich allein gestellt sind. Zusätzlich werden immer öfters Lastwagen mit Hilfslieferungen gestoppt und die Hilfsgüter beschlagnahmt. Immer wieder wird die Hilfe von Freiwilligen in den ländlichen Gebieten zu verhindern versucht, indem die Menschen an der Anreise in die betroffenen Gebiete von Polizei und Militär gehindert werden. Immer wieder werden selbst verwaltete Hilfsstellen unter Zwangsverwaltung gestellt, die fortschrittliche Organisationen in Zusammenarbeit mit der ansässigen Bevölkerung aufgebaut haben, damit die Menschen in ihren Regionen bleiben können. Der Handel in den betroffenen Regionen ist völlig zusammen gebrochen. Die Menschen können nichts mehr selbst produzieren und somit nicht mehr selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. So stehen sie vor dem ökonomischen Ruin. Sie werden bald kein Futter mehr für ihre Tiere und kein Saatgut mehr haben, dann bleibt ihnen nichts anderes übrig als ihr Land dem Staat zu überlassen und in die Städte zu gehen. Dasselbe gilt für die Jugend, während viele junge Menschen sowieso schon Familienmitglieder und ihr Zuhause verloren haben, sind jetzt auch noch die Schulen und andere Freizeitangebote geschlossen. Wenn sie weiter Bildung erhalten wollen, um später einmal zur Uni gehen zu können, um eine Chance auf ein gutes Leben haben zu können, müssen sie in die Städte gehen. Hier müssen sie dann selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen und bei einer Inflationsrate von weit über 100 Prozent bedeutet das, dass sie so viel arbeiten gehen müssen, dass sie keine Zeit mehr für ihre Bildung oder sonstige Aktivitäten haben.
Was die Delegation gesehen hat, ist eine traurige Realität. Die Situation in der Türkei ist schlecht, es fehlt an vielen Mitteln, um die lebenswichtigen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen und diese Situation wird für lange Zeit genau so bleiben. Der Staat verschlimmert diese Situation noch weiter, indem er LKW’s mit Hilfsgütern abfängt und die Güter verschwinden lässt, die für die Betroffenen überlebenswichtig sind. Gleichzeitig kommen ärztliche Hilfen nicht in den betroffenen Regionen an.
Die Menschen werden dazu gedrängt, in die Zeltdörfer in den großen Städten zu ziehen. Dort haben sie aber keine Perspektive und sind jeglicher Willkür völlig ausgeliefert. Schon um das Jahr 2015 haben wir gesehen, wie die Menschen, die aus Syrien in die Türkei flohen, in genau solche Zeltdörfer gezwungen wurden. Dort wurden ihre grundlegenden Freiheitsrechte beschränkt, sie durften die Dörfer nicht ohne Genehmigung verlassen und waren Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt. Die gleiche Politik ist nun zu befürchten.
Es ist also keine Alternative für viele Menschen, ihre Dörfer zu verlassen. Sie brauchen vor Ort Hilfe, diese wird ihnen aber systematisch verweigert und sogar bekämpft. Die Hilfsgelder, die viele Staaten senden, ebenso wie die Spenden an die staatlichen Hilfsorganisationen, kommen nicht an der richtigen Stelle an.
Eine wirkliche Hilfe in den betroffenen Regionen schaffen zurzeit nur die fortschrittlichen Kräfte. Sie organisieren Spendenausgaben, bieten den Menschen ein Dach über den Kopf, versuchen medizinische Hilfe zur Verfügung zu stellen und versuchen selbst Zeltdörfer zu errichten, allerdings an den Orten wo die Menschen sich wirklich befinden und ihr Lebensmittelpunkt liegt. Es wird versucht so gut wie möglich Normalität zu organisieren und die Menschen in ihrer Wut und dem Widerstand auf die Politik des Staates zu unterstützen.
In vielen Städten wurden Hilfskommissionen gegründet, die sich aus Gewerkschaften, linken und sozialistischen Organisationen und Freiwilligen vor Ort zusammen setzen. Sie gehen dorthin, wo sie gebraucht werden, auch wenn der Staat immer öfters gegen sie vorgeht. Ihnen fehlt es allerdings an Mitteln, um die Arbeit dauerhaft weiterführen zu können. Sie können vom Staat keine Hilfe erwarten, sind also vor allem auf Hilfen aus dem Ausland angewiesen. Wir rufen deshalb alle Menschen dazu auf, an genau diese Kräfte zu spenden. Um für die
Menschen in den Erdbebengebieten möglichst schnell eine gewisse Normalität herzustellen. Um ihnen eine Perspektive zu geben und nicht noch weiter ins Unglück zu stürzen, muss ihnen vor allem in ihren Heimatorten geholfen werden. Unterstützen wir die Freund:innen dabei, diese Arbeit fortzuführen, spenden wir nicht an den türkischen Staat, sondern an die fortschrittlichen, nicht staatlichen Kräfte in der Türkei und Kurdistan. Es braucht außerdem eine ehrliche Berichterstattung über die Politik des Staates. Nur so kann den Menschen vor Ort wirklich geholfen werden.
https://young-struggle.org/pressemitteilung-zur-delegation-der-jugendorganisation-young-struggle/

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