Adbusting-Sonderkommision jetzt auch in NRW

veröffentlicht am 7. Mai 2020

Nach Berlin gibt es in Nordrhein-Westfalen die bundesweit zweite Sonderkommission für Adbusting. Adbusting ist eine politische Aktionsform, bei der Werbung im öffentlichen Raum mittels kleiner Veränderungen minimalinvasiv bis zur Kenntlichkeit entstellt wird. Die Strafbarkeit ist in vielen Fällen hoch umstritten, weil meistens kein oder nur sehr wenig Schaden entsteht. Trotzdem richtete nach Informationen der Funke-Mediengruppe die Polizei in Dortmund eine „zentrale Ermittlungskommission“ für das ganze Bundesland ein. Zuvor hatte ein Künstler*innenkollektiv satirische Poster mit SPD-Logo mit im Baumarkt erhältlichen Steckschlüsseln in Werbevitrinen platziert. „Wenn man im Dortmund, wo die SPD den Bürgermeister und den Polizeipräsidenten stellt, der SPD satirisch den Spiegel vorhält, dann wird auch ne Sonderkommission wegen des Veränderns von Werbung gegründet“ fasst Klaus Poster, Sprecher*in der Soligruppe plakativ die Geschehnisse zusammen.

Werbevitrinen geöffnet
In der letzten April-Woche hingen in vielen Städten im Pott in den Werbevitrinen Poster, die augenscheinlich von der SPD stammten. Mittels Rohrsteckschlüsseln aus dem Baumarkt lassen sich Werbevitrinen beschädigungsfrei öffnen (Wie gehen Werbevitrinen auf?
http://maqui.blogsport.eu/2019/01/03/wie-oeffnet-man-werbevitrinen/ ). Diesen „Life-Hack“ machten sich die SPD-Kritiker*innen zunutze, um ihre Meinungsfreiheit vor einem breiten Publikum zu nutzen.

Passende SPD-Inhalte?
Auch die Inhalte der Poster passten zur Politik der SPD. Sie zeigten z.B. Außenminister Heiko Maas in staatstragender Pose neben dem Slogan „Prioritäten jetzt: Spargel vor Menschenleben. Wir zuerst. SPD.“ Ein weiteres Motiv zeigte ein Boot voller Geflüchteter mit dem Slogan: „Bleib zuhaus. Meide Kontakt. Halte Abstand. Wir zuerst. SPD.“ Vor einen Bild des Lagers in Moria findet sich der Slogan: „Großveranstaltungen in Deutschland: Abgesagt. Massenlager in Moria: Jeden Tag. Wir zuerst. SPD.“ Ein weiteres Plakat sagt: „Mehr Geflüchtete aus Moria retten? 134 von 152 SPD-Abgeordneten stimmten dagegen! Wir zuerst. SPD.“ Auf ein weiteres SPD-Plakat hatten sich neben Heiko Maas-Anzug auch Ministerpräsident Laschet (CDU) und Kriegsministerin Krupp-Knarrenbauer (CDU) verirrt. Das Bild zeigt alle drei mit Corona-Schutzmasken, geschlossenen Augen und dem Slogan: „Masken auf, Augen zu. Wir zuerst. SPD.“

Angesichts dieser äußerst treffenden Beschreibung der sozialdemokratischen Politik auf vielleicht insgesamt zwei dutzend Postern flippte der Genossen-Klüngel im Ruhrpott richtig aus: „Die Plakataktion in mehreren deutschen Städten zeugt von hoher krimineller Energie. Mit professionellen Motiven in abgeschlossenen kommerziellen Werbekästen werden der SPD zynische Botschaften zur Flüchtlingspolitik in den Mund gelegt.“ In den Sozialen Medien betonten Mandatsträger*innen, dass sie sich doch ach so sehr dafür eingesetzt hätten, dass die böse böse Kanzler*in immerhin 50 Minderjährige rettet. „Wir verurteilen diese Verleumdungskampagne aufs Schärfste und distanzieren uns entschieden von allen auf den Plakaten getätigten Aussagen.“
https://www.spdessen.de/2020/04/23/essener-spd-verurteilt-verleumdungskampagne-mit-gefaelschten-plakaten/

Folgt man der SPD, dann steht es um die Demokratie im Land sehr schlecht. Denn sie ist bereits durch ein paar Poster zu beschädigen: „ Diese gezielte Verbreitung von Fake News beschädigt den demokratischen Diskurs.“ Zudem verbreiteten Gonoss*innen die angesichts der politischen Inhalte der Slogans absurde Verschwörungstheorie, es würde sich um eine Aktion von Rechtsextremen handeln, die bloß der AfD helfe.

„Zudem kann man fragen, ob es Zufall ist, dass ausgerechnet in der SPD-geführten Stadt Dortmund unter einem Polizeipräsidenten mit rotem Parteibuch eine Sonderkommission eingerichtet wird, die Leute jagen soll, die Plakatwerbung verändern“ gibt Klaus Poster von der Soligruppe plakativ zu bedenken. Indirekt gibt die SPD das Druck ausüben auf die Polizei sogar in einer Pressemeldung zu: „Wir haben Strafanzeige erstattet und stehen gemeinsam mit dem SPD-Landesverband NRW in ständigem Austausch mit der Polizei (...) Wir vertrauen auf die Arbeit der Behörden bei der Aufklärung der Hintergründe dieser Aktion.“
https://www.spdessen.de/2020/04/23/essener-spd-verurteilt-verleumdungskampagne-mit-gefaelschten-plakaten/

Ist Adbusting strafbar?
Dabei ist die Strafbarkeit der Aktion mindestens zu bezweifeln. In Erfurt kam es 2018/19 nach einem Auftritt des AfD-Politikers Bernd Höcke zu einem ähnlichen Verfahren. Damals störte sich der AfD-Fanclub in der Erfurter Polizei an selbst gemachten Postern in Werbevitrinen, auf denen Bernd als „nationalistischer Rattenfänger“ bezeichnet wurde. Die Beamten beschlagnahmten die Poster, und ließen Fingerabdrücke und DNA-Spuren nehmen und bestanden auch noch nach über einem Jahr auf einem Verfahren, obwohl die Staatsanwaltschaft sie schon nach wenigen Tagen zurück gepfiffen hatte. Nachdem die linke Fraktion im Erfurter Landtag das Thema aufgriff, nahm Staatsanwalt Grüneisen gegenüber der Presse ganz klar Stellung: „Wir haben das eingestellt, weil das nicht strafbar ist.“

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1128063.zentrum-fuer-politische-schoenheit-ermittlungen-die-es-nie-haette-geben-duerfen.html

Auch in Berlin kein Urteil
In Berlin liefen Kriminalisierungsversuche ähnlich. In Berlin kam es 2018 zu Adbusting mit Werbepostern der Berliner Polizei. Diese wurden rund im den Berliner Polizeikongress wieder aufgehängt. Statt Slogans wie „Da für 5003 Demonstrationen pro Jahr und 1 Meinungsfreiheit“ hieß es nun „Da für 5003 Schlagstockeinsätze und die beste G20-Party.“ Laut einer kleinen Anfrage der linken Fraktion im Abgeordnetenhaus führte dies dazu, dass zeitweise drei Beamte sich bis ins Detail mit dem Verändern von Werbung auseinander setzten, über 1200 Seiten Akten produzierten und zwei Hausdurchsuchungen veranstalteten.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1129263.werbeplakate-polizei-mit-kackbratze-beschaeftigt.html

Dabei fanden sie zwar nicht die Werbung verändernden Polizeikritiker*innen. Aber sie bekamen den Namen einer Person, die sie verdächtigten, selbstgebastelte Plakate gegen Nazis und zu Konsumkritik in Werbevitrinen gehängt zu haben. Der Gerichtsprozess wegen Sachbeschädigung und angeblichen schweren Diebstahls endete mit Einstellung. Dies kommentierte die von der Substanzlosigkeit der Anklage sichtlich genervte Richter*in mit: „Wenn ich Ihnen ein Tipp gegen darf: Wenn man schon Plakate austauscht, dann nimmt man die Originale nicht mit."

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1126842.adbusting-unschuldige-protestkunst.html

Die Frage der Strafbarkeit scheint keine große Rolle zu spielen, wenn man die Mächtigen eulenspiegelt. Das Bundesamt für Verfassungsschmutz listet die oben erwähnten Polizei-Adbustings im aktuellen „Verfassungsschutzbericht“ gleich neben Gewalt gegen Polizist*innen auf, weil die Adbustings die Verunsicherungsbehörden „in der Öffentlichkeit diskreditieren“ und sammelt Informationen dazu. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) führt akribisch Buch über Adbustings mit Bundeswehr-Werbung, weil es eine Aufgabe sei „die Sicherheit der Anlagen der Bundeswehr und ihrer Verbündeten“ sicher zustellen, und im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern (GETZ) war Adbusting in 2018/19 gleich viermal Thema. Begründung: Die unsachliche Kritik, die mit den Adbustings geäußert wurde. Das ergab eine Kleine Anfrage der linken Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke. „Leider hat Frau Jelpke nicht gefragt, was die Betreffenden auf ihren gemeinsamen Meetings so rauchen oder einwerfen, und wo man das gute Zeug kaufen kann“ schmunzelt Klaus Poster von der Soligruppe plakativ.

https://www.ulla-jelpke.de/2020/02/diskreditierung-kritischer-plakatkunst-durch-geheimdienst-ist-unverhaeltnismaessig/

Ob nationalistische Rattenfänger, Schlagstock schwingende Party-Polizist*innen oder die „Wir zuerst!“-Sozialdemokratie: Sie alle reagieren allergisch, wenn ihnen in der Öffentlichkeit der Spiegel vorgehalten wird. Dann schrecken sie auch nicht davor zurück, die Exekutive zu instrumentalisieren, um Kritikerinnen wegen Aktionsformen, die das Strafgesetzbuch nicht sanktioniert, zu kriminalisieren. „Wie viel sich die Leute mit Zugang zur Staatsanwalt rausnehmen können, hängt auch im Rechtsstaat davon ab, wie viel gesellschaftliche Kritik sie ertragen müssen“ erklärt Klaus Poster. „Diese wichtige Kontrollfunktionen nehmen u.a. Adbustings wahr, die den Mächtigen in der Öffentlichkeit den Spiegel vorhalten.“

Mehr Infos:

Die Funke-Mediengruppe berichtet über die Zentrale Ermittlungskommission:
https://www.waz.de/staedte/duisburg/gefaelschte-spd-wahlplakate-zentrale-ermittlungskommission-id228989607.html

Staatsanwalt Grüneisen, Erfurt: „Nicht strafbar“:
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1128063.zentrum-fuer-politische-schoenheit-ermittlungen-die-es-nie-haette-geben-duerfen.html

Gerichtsprozess wegen Adbusting eingestellt:
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1126842.adbusting-unschuldige-protestkunst.html

Kleine Anfrage von Ulla Jelpke im Bundestag zu Adbusting und Geheimdienst:
https://www.ulla-jelpke.de/2020/02/diskreditierung-kritischer-plakatkunst-durch-geheimdienst-ist-unverhaeltnismaessig/

Wie gehen Werbevitrinen auf:
http://maqui.blogsport.eu/2019/01/03/wie-oeffnet-man-werbevitrinen/

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