Gedanken zu WG’s mit radikalen, anarchistischen, feministischen, queeren Ansprüchen

veröffentlicht am 29. Dezember 2020

Dieser Text ist nicht ausgefeilt oder sprachlich sonderlich gut formuliert. Der Text ist aus einer wütenden, enttäuschten, müden Position geschrieben. Aus einer queer-fem WG an queer-fem WG’s.

Liebe Mitbewohnis
Wieso packt ihr euch so voll mit politischer Arbeit, dass ihr in der eigenen Wohnsituation keine Energie mehr für eure anderen Mitbewohnis und eure Umgebung habt?
Ich versteh nicht, wieso ihrs geil findet, euch mit polit Arbeit voll zu laden, nur damit ihr erzählen könnt wo ihr überall dabei seid und wo ihr wieder kleistern gegangen sind und fast von den Bullen erwischt worden seid. Mich erinnert euer nonstopp Arbeiten sehr fest an eine Haltung die wir eigentlich hinter uns lassen wollen. Eine Arbeitshaltung, die einem selber schadet und dazu führt, dass man seine Umgebung nicht mehr wahrnehmen kann und will und nur noch an seine Arbeit denkt. Mich nervt es zum sechsten Mal in dieser Woche das Geschirr vom Lavabo wegzuräumen oder den Herd zu putzen. Wann checkt ihrs, dass ich keinen Bock mehr hab euch hinterherzuputzen? Es nervt und ich fühl mich dann scheisse. Ich räum auf, während ihr, «nices», «revolutionäres», «queer feministisches» Zegus macht. Beobachte mal, wer die Küche zuletzt verlässt und die Küchenabdeckung sauberwischt, oder das Lavabo ausspült.
Mir ist bewusst, dass Bedürfnisse bezüglich Sauberkeit und Ordnung verschieden sind. Aber Haare in der Dusche, verkrusteter Herd und Wäsche die zwei Wochen im Gang hängt sind einfach nervig und können vermieden werden. In dem man nicht drei Sitzungen am Tag hat. Sondern sich auch mal Zeit nimmt in der WG zu chillen. Und da mal aufräumt, oder kocht, oder den Kühlschrank rausputzt, oder den Gang aufnimmt, das Altglas entsorgen geht oder oder oder oder. WG’s sind Orte die genauso Zeit brauchen wie irgendwelche andere aktivistischen Projekte. WG’s sind für viele mehrfach marginalisierte Menschen wichtige Rückzugsorte. Orte an denen wir viel Zeit verbringen wollen/müssen weil so viele von euren Polit-Orten unsafe sind für uns. Vor allem jetzt, während einer Pandemie im Winter.
Wir können nicht alle Hausarbeit übernehmen. Wir sind darauf angewiesen, dass ihr zumindest euren eigenen Shit wegräumt.

Bitte überlegt euch ernsthaft, über was ihr die ganze Zeit schwafelt und gleicht das mal ab mit dem was ihr macht. Nicht dass sich das zu 100 Prozent decken muss, das wäre ein unrealistischer Anspruch, aber überlegt euch das einfach mal für euch selber. Ihr könnt nämlich so viel polit Arbeit machen, weil eure Mitbewohnis schauen, dass ihr nicht in eurem eigenen Dreck hockt, oder dass ihr nices Essen habt, das ihr zwischen den Sitzungen mal in euch reindrücken könnt. Ich bin ziemlich done mit diesem ganzen Gehabe, deshalb auch dieser Text.

Was mir an dieser Stelle noch wichtig ist zu sagen: ich bin mir bewusst, dass es viele Menschen gibt, die aus verschiedenen Gründen (Neurodiversitäten und Behinderungen) anders mit diesen Arbeiten umgehen und dass zwei Wochen Wäsche im Gang nicht immer heisst, dass sich Menschen die Zeit nicht nehmen. Ich rede hier über Menschen, die immer von der Revolution im Alltag und von Care Arbeit und so weiter, reden, ihre Prioritäten aber Null an das ganze anpassen. Und ja, da spreche ich nicht nur von cis Dudes, sondern auch von cis Frauen. In meiner Erfahrung sind es eigentlich immer rassifizierte, dicke, migrantische und trans Personen, die diese Care Arbeit übernehmen, damit die anderen ihr Aktivismus Life leben können. So sollte das leider nicht laufen.

Deshalb ein Aufruf an alle WG’s die irgendwie den Anspruch haben eine sicherere Umgebung zu sein und nicht nur eine random, coole, aktivismus-WG sein wollen: reflektiert zum Beispiel euer Sitzungs-Verhalten, checkt ein mit euch selber wie oft ihr die Spülmaschine ausräumt, beobachtet mal, wer als letztes die Küche verlässt oder wer noch kurz vor Ladenschluss in die Migi fährt um WC-Papier zu kaufen.
Checkt das und verändert euer Verhalten.
Ade, merci

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