Solidarität ist kein leeres Wort. Unterstützt Aktivist*innen in BUR
Anmerkung zur fehlenden Solidarität mit den Menschen und vor allem Aktivist*innen in Belarus, Ukraine und Russland (BUR).
Ich kann mich noch gut an die Warnungen erinnern, die mittlerweile mehr als 20 Jahre zurückliegen. Die Warnungen vor einem Diktator*, der damals vor allem im Westen noch nicht als solcher gesehen wurde: Putin, der Kriegstreiber*, der bei verschiedenen Treffen und diversen Camps als Bedrohung beschrieben wurde, als eine Gefahr nicht nur für die Menschen im Osten Europas, insbesondere Russland, sondern als Gefahr für ganz Europa und die gesamte Welt.
Ich weiss, rückblickend sind wir immer etwas gescheiter, aber ich gestehe, dass ich damals die Gefahr zwar ernst genommen hab, aber - sagen wir mal es war weit genug weg von der eigenen Lebensrealität - mich nicht intensiv genug damit auseinander gesetzt habe. Ich war mit anderen in ein paar Soliaktionen involviert, veröffentlichte gelegentlich Informationen und besuchte bei diversen Treffen und Camps im Osten Europas. Und das war es dann.
Das Wissen um die Gefahren die von Putin ausgehen war da, das kann ich nicht leugnen, doch dass der Kriegstreiber* mit seinem Regime der Unterdrückung ein paar Jahre später unser aller Leben derartig massiv mitbestimmen wird, das habe ich mir damals nicht vorstellen können - oder besser gesagt: wollen. Es war einfach nicht im Bereich des unmittelbar vorstellbaren. Hätte ich die Warnungen ernster genommen und mich mehr damit auseinander gesetzt, was hätte das verändert? Diese Frage kann ich mir in Zusammenhang mit vielen sozialen Kämpfen stellen. Und ja, allein hätte ich wohl nicht viel anrichten können. Doch selbst als Putin nach Wien kam und die Hofburg großräumig abgeriegelt wurde, waren Leute aus Tschetschenien ziemlich alleine in ihrem Protest.
In den linken, autonomen, anarchistischen Zirkeln und Szenen hatte dies nur wenig Bedeutung. Wir hätten es besser wissen und die Warnungen unserer Freund*innen aus dem Osten ernster nehmen müssen. Das alles haben wir nicht getan, und das war ein großer Fehler. Selbst 2014, als die Krim von Putins Truppen besetzt wurde, war es zu still mit der Solidarität. Es sollte klar sein, dass das nur ein Anfang war - obwohl alles schon viel früher begonnen hat. Spätestens mit dem brutalen Krieg in Tschetschenien, der Putin half, an die Macht zu kommen.
Wir setzten uns lieber mit dem eigenen Schrebergärten auseinander, mit lokalen Problemen, die wir nicht in einen globalen Zusammenhang setzten. Es gab den Slogan: Global denken, lokal handeln. Doch wie bei so viele Parolen handelt es sich bei dieser eben auch nur um eine Parole. Wir fuhren zu diversen Gipfeltreffen und protestierten gegen die globalen Eliten, protestierten gegen globalen Kapitalismus, gegen Grenzen und Ausbeutung. Aber wir schafften es nie, die Hierarchien zwischen Ost und West aufzulösen, bzw. die Hierarchien unter den Aktivist*innen aus Ost und West. Wir blieben in unserer privilegierten Position verhangen.
Als Beispiel kann ich hier ein europaweites Netzwerktreffen in Deutschland vor etwas mehr als 20 Jahren anführen, zu dem zahlreichen Menschen aus dem Osten eingeladen wurden. Unter ihnen Aktivist*innen aus Belarus, Ukraine und Russland (BUR). Gesprochen wurde auf englisch. Doch nicht alle waren dieser Sprache gleichermaßen mächtig. Und so gab es den Vorschlag, das Treffen zumindest zweisprachig abzuhalten, auf englisch und russisch. Dies wurde von den Organisator*innen, die keinen Hehl daraus machten, wer das Sagen hat, abgelehnt: Es sei nicht genügend Zeit dafür! In einer Diskussion die sich damit brüstete gegen Rassismus zu sein, gab es keine Zeit, alle halbwegs gleichermaßen teilnehmen zu lassen. Was sagt uns das?
Die Probleme, die behandelt werden, sind halt nicht alle gleich wichtig. Es ist doch ein Erfolg für die Organisator*innen eines Treffens, wenn Menschen aus allen möglichen Winklen anreisen und teilnehmen. Ob sie verstehen, was dort diskutiert wird, das ist eine andere Frage. Dass sie vielleicht selbst Punkte einbringen wollen, Probleme besprechen, die den Menschen in BUR unter den Nägeln brennen, dafür ist in dem dichten Programm keine Zeit. Aber es gab zumindest einen tollen Borscht, also eine kulturelle Bereicherung durch ein russisches Gericht, in diesem Fall gekocht von Geflüchteten aus Tschetschenien. Das schmeckte! (Wenngleich für manche ein wenig gewöhnungsbedürftig.) Hatte aber auch einen Beigeschmack, den sich die Leser*innen dieser Zeilen selbst vorstellen können, sofern sie das wollen.
Nun ist es genug der Anektoten. Warum ich mich hinsetzte um diese Zeilen zu verfassen, hat einen Grund. Nicht um über kulturelle Aneignung zu schreiben, sondern als Akt der Solidarität. Es handelt sich nur um geschriebene Worte. Hätte ich schon vor 20 Jahren die Zeit gefunden, Kritiken öffentlich zu machen und die Warnungen vor Putin hinauszuschreien in die weite Welt, hätte ich wohl den Krieg in der Ukraine nicht verhindern können. Das Bewusstsein hätte sich aber verändern können. Und die wirtschaftlichen Verflechtungen, rund um Energie und Banken (alles dreht sich um Geld!) hätten mehr in den Blick gerückt werden können. Und es hätte Aktivitäten gegen diese Geschäfte geben können. Proteste gegen die Finanzierung und Unterstützung eines Terrorregimes. Antikapitalistisch, ökologisch, sozial, antifaschistisch usw. Überall hätte die Kritik gegen Russland eine Rolle spielen können. Bei Gipfeltreffen, bei Wirtschaftsbesuchen russischer Delegationen oder bei den zahlreichen Besuchen westlicher Politiker*innen und Wirtschaftstreibender bei Putin.
Es ist nicht zu spät. Putin hat die Welt noch nicht erobern lassen. Er bzw. sie, seine Verbündeten - in Ost und West, in Nord und Süd. Die Welt wird sich verändern. Das tut sie immer. Doch wenn es die Herrschenden nicht ganz so einfach haben, dann ist das ein Erfolg. Dazu braucht es allerdings Solidarität. Und nicht Spaltung. Solidarität u.a. mit den für Befreiung kämpfenden Menschen in Belarus, in der Ukraine und in Russland.
Hätte ich, hätten wir schon lange die Warnungen ernst genommen, hätten wir die Probleme mit Putin zumindest gleichbedeutend mit dem Erstarken der Nazis in Europa gesehen, hätten wir wohl nicht den Krieg verhindern können, aber wir wären in einer anderen Position. Und würden mehr darüber wissen, was im Kriegsgebiet vorgeht und was die Menschen unter den Diktaturen in Belarus und Russland ertragen müssen. Sie könn(t)en es uns selbst erzählen, wenn wir ihnen die Möglichkeit dazu geben und bereit sind, zuzuhören. Solidarisch, ohne ideologische Scheuklappen.
Vielen Dank!
Dieser Kommentar wurde inspiriert von: When ideology gets in the way of solidarity [en]