Gefälschte Bürgermeisterschreiben in Tegel: Eine Aktionsauswertung

veröffentlicht am 6. Juni 2020

Reinickendorfs Bezirksbürgermeister Frank Balzer und seine Pressestelle dürften die letzte April-Woche noch einige Zeit in schlechter Erinnerung behalten. Innerhalb weniger Tage verteilten wir, das Kommunikationsguerilla- und Subversionskommando West-Berlin (KSK West-Berlin), gleich zweimal gefälschten Schreiben im Namen des Bürgermeisters zum Tag der Bundeswehr in Tegel. Hier wollen wir diese Aktion auswerten und dabei einige Überlegungen teilen, die für weitere Aktionen in dieser Form lehrreich sein könnten.

Sich die Stimme des Bürgermeisters ausleihen?
Den Auftakt machten wir mit einem an Tegeler Haushalte verteilten gefälschtem Schreiben in der Nacht vom Donnerstag, den 23.4., auf Freitag, den 24.04.20. Durch die Gestaltung des Schreibens erweckten wir den Eindruck, es stamme von Bezirksbürgermeister Frank Balzer (CDU). In dem Schreiben erklärt der angebliche Bürgermeister den Bürger*innen die bedauerliche Absage des Tags der Bundeswehr. Das Kriegsministerium musste die deutschlandweite Propaganda-Veranstaltung tatsächlich wegen Corona absagen. In Berlin sollte die militaristische Show ursprünglich auf der Tegeler Greenwichpromenade stattfinden.

Bundeswehr wegen Corona abschaffen?
Das gefälschte Schreiben legt Balzer in den Mund, sich wegen Corona und der damit sichtbar gewordenen Mängel im Gesundheitssystem auch kritisch mit dem Militär auseinandergesetzt zu haben. Er wolle der Bundeswehr in Zukunft keine Plattform mehr geben. Darüber hinaus gibt der gefälschte Bürgermeister zu bedenken, ob der Staat mit dem Militäretat statt „Sachen zu kaufen, die Menschen schaden“ nicht lieber in einen zivilen Katastrophenschutz investieren sollte. Und damit das da dann nicht wie bei Feuerwehr, Polizei und THW abgeht, solle es auch Workshops zu kritischer Männlichkeit geben. Bilder mit dem gesamten Text des Schreibens finden sich auf Indymedia und emrawi.org.

Franks Sinneswandel gefällt
Mit Blick in die sozialen Medien kann man sagen, dass die Aktion bei den Tegeler Bürger*innen erstaunlich gut ankam. Eine in Tegel wohnende Mastodon-Nutzer*in namens „Cartagena“ postete ein Bild des gefälschten Schreibens am Nachmittag des 24.4. Beipielhaftes Statementes aus der Diskusion: "(...) Mich trennt vieles von Frank Balzer (#CDU), Bezirksbürgermeister Reinickendorf. Aber vor soviel lessons learnt, Einsichten und Demut habe ich allergrößten Respekt. Chapeau, junger Mann!“ und „Wow! Meinen Respekt! Mehr von solchen Menschen!“

Interaktion mit der Presse
Am Freitag haben wir auch das gefälschte Bürgermeister-Schreiben zusammen mit unserer Aktionserklärung als Brief an die Berliner Zeitungen in die Post gegeben (dafür sind die vorfrankierten Umschäge der Post besonders praktisch.Die werden dna- und fingerabdruckssicher eingepackt verkauft. Und die Marke, wo die Labore als allererstes nach DNA-Spuren suchen, ist schon spurenfrei aufgedruckt). Wir hatten die naive Vorstellung, dass das in der Hand halten des Zettels irgendwie für Interesse bei den Medien sorgen würde. Wir konnten aber keinen Effekt der Briefe feststellen.

Am Sonntag haben wir von einem anonym beschafften Einweghandy die Berliner Zeitungsredaktionen angerufen. Dabei gaben wir uns als Pressestelle der CDU Tegel aus (die CDU Tegel hat keine Pressestelle). In den Telefonaten machten wir auf die Fälschung aufmerksam. Wirerklärten im Namen der CDU, dass derart menschenfreundliche Anfälle auf keinen Fall die Politik der CDU in Tegel wiedergeben würde. Und wir forderten die Redaktionen auf, das Schreiben auf keinen Fall zu beachten. Im Nachhinein würden wir sagen, dass diese Ansage nicht clever besonders war. Unser Überlegung dahinter war, dass sie anfangen, zu recherchieren, wenn wir ihnen sozusagen von offizieller Seite nahe legen, nichts zu machen. Das unterschätzt vermutlich hart, wie autoritätshörig die Leute in den Redaktionen sind. Cleverer wäre es gewesen, ihnen zu sagen, dass sie unbedingt berichten müssen, damit der Pöbel das nicht glaubt. Also zusammen mit den Journis eine Gemeinschaft der Eingeweihten, die es von alleine geschnallt hätten, zu konstruieren, und diese gegen „die anderen“, „einfachen“ Leute abzugrenzen.

Besonders lustig war der Anruf beim Tagesspiegel. Dort versicherte man uns, dass man es sofort bemerken würde, wenn man es mit falschen Akteur*innen zu tun hätte. Beim Telefonieren erfuhren wir, dass trotz unserer Briefe noch keine der Redaktionen das Schreiben auf dem Schirm hatte. Deshalb beschlossen wir, unsere Aktionserklärung am Montag, den 27.Aprilauch auf Indymedia und via Email zu verbreiten (zu finden auf Indymedia undemrawi).

Das Bezirksamt dementiert
Die Aktionserklärung schickten wir auch an die Pressestelle des Bezirksamts. Das motivierte die offenbar auch, ebenfalls noch am Montag Spätnachmittag eine Pressemitteilung mit dem Titel „Anti-Bundeswehr-Flugblatt ist eine Fälschung“ rauszuhauen.

Das Bezirksamt schreibt: „Seit Freitag vergangener Woche ist dem Bezirksamt ein Fake-Flugblatt bekannt, das offenbar an Tegeler Haushalte verteilt wurde und in dem die Bundeswehr diskreditiert wird.“ Das zeigt: Sie haben verstanden, dass mit dem Schreiben die Bundeswehr in die Pfanne gehauen wird. Und nicht etwa der Bürgermeister Balzer, dem wir ausschließlich nette Sachen in den Mund legten, die er niemals sagen würde.

Wenn die Zeitangabe des Dementis stimmt, dann zeigt das, dass das Bezirksamt versucht hat, das Ding absichtlich medial klein zuhalten. Wir bezweifeln das jedoch. Wenn die echt das ganze Wochenende Zeit hatten, eine Reaktion vorzubereiten, dann schreiben die echt miese Pressemitteilungen. So schafft es Balzers Bezirksamt, das Kunststück fertig zu bringen, in einem Text mit lediglich drei Absätzen in das Wort „Bundeswehr“ gleich zwei unterschiedliche Schreibfehler einzubauen. Und so ein Bezirksamt fordert, das sogenannten Ausländer sich bitte integrieren und die deutsche Sprache lernen...

Weiter schreibt das Bezirksamt: „Dabei wird der Eindruck erweckt, das Flugblatt stamme vom Bezirksbürgermeister. Das stimmt nicht! Die wahren Autoren waren zu feige, sich zu erkennen zu geben.“ Das Bezirksamt scheut hier jegliche inhaltliche oder politische Auseinandersetzung.Stattdessen wird wie in der "guten alten Zeit" an deutsche Sekundärtugenden wie Mut und Tapferkeit appelliert. Das lässt tief auf Balzers Politikverständnis und zeugt von einem toxischen Männlichbild. Und wir freuten uns beim Lesen, denn genau diese Gemeinsamkeiten des Denkens aus der "guten alten Zeit" und den Ideologien von heutigen netten freundlichen Deutschen wie Frank würde unser nächster Streich aufzeigen.

Die nächsten Sätze im Dementi sind noch besser: „Die meisten Reinickendorferinnen und Reinickendorfer dürften das in Tegel verteilte Machwerk angesichts seines abstrusen Inhalts und der eher laienhaften technischen Umsetzung wohl schnell als Fälschung erkannt haben.“ Klar, und deshalb steht ja im Absatz davor auch ein Ausrufezeichen hinter der Ansage, dass es nicht stimmen würde... Die Realität dürfte eine andere sein.Menschen sind aufgrund ihres Sozialverhaltens darauf gepoltbei ihrem Gegenüber allerlei unplausibles Verhalten unterschwellig auszublenden, wie es ja auch in den sozialen Medien sichtbar wurde. Gerade Autritäten wird aufgrund ihrer Macht regelmäßig das Quasseln erheblichen Unsinns verziehen. Denn es ist nicht ja so, dass Inhalte unabhängig von ihrem Sprecher funktionieren. Hätten wir das Blatt direkt als ksk Westberlin veröffentlicht hätte es vermutlich kein Gehör gefunden und auf keinen Fall zu den positiven Irritationen der Anwohnenden, die wir oben schon erörtert haben. Dafür braucht es die gesellschaftlich legitimierte Autoritätsposition, die u.a. ein Bürgermeister*in hat.

„Das Bezirksamt hat umgehend darauf reagiert und bei der Polizei Strafanzeige wegen Urkundenfälschung erstattet.“ Hier sind sie wieder: Die gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Aber geschenkt: Von Feigheit reden, aber staatlich bezahlte Gewalttäter*innen in einer diskursiven Auseinandersetzung als schlagkräftige Verstärkung rufen…

Doch das Bezirksamt äußert sich auch kurz inhaltlich: „Bezirksbürgermeister Frank Balzer (CDU) würdigt in diesem Zusammenhang die jahrelangen, partnerschaftlichen guten Beziehungen zur Bundewehr und dem in der Julius-Leber-Kaserne stationierten Wachbataillon.“ Damit unterstreicht die Pressemitteilung, dass von Frank echt kein Umdenken zu erwarten ist. „Der Bezirk Reinickendorf weiß um die Bedeutung einer modernen Parlamentsarmee, damit wir alle in Frieden, Freiheit und Demokratie leben können.“ Den Quatsch erzählen Rechte immer, und Sozialdemokrat*innen und Grüne glauben es. Das beliebte Gequatsche von der angeblichen Parlamentsarmee ist selten dumm und reine Ideologieproduktion. Was soll das heißen? Das die Parlamentarier*innen in Tranfleck durch den Schlamm kriechen? Dass im Parlament alles voll mit Bundis ist?

Selbst wenn man das Argument mit der parlamentarischen Kontrolle ernst nimmt, dann bleibt nur Ideologieproduktion. Der sogenannte Parlamentsvorbehalt ist bespielsweise ein Witz. Die laufenden Auslandseinsätze werden einfach abgenickt, und neue kann die die Regierung fast beliebig neu auf die Liste setzen. Und wie viel Kontrolle das Parlament über die Armee hat, zeigt sich exemplarisch an den Nazi-Preppern von Kommando Spezialkräfte. Was die im Ausland tun, weis keiner. Und was die im Inland machen, erst recht nicht.

Nichtmal das Budgetrecht, das Herzstück der parlamentarischen Macht, gilt bei der Bundeswehr. Das zeigen die vielen Beschaffungs- und Korruptionsskandale bei Aufrüstungsprojekten. Das ist alles kein Zufall: Schon die Gründung der auf allen Ebenen mit Nazis durchseuchten Bundeswehr fand als Geheimprojekt mit Schattenetat am Parlament vorbei statt.

Auf die Geschichte beruft sich auch das nächste Argument im Dementi: „Wir sind zudem dankbar für die vielfältige Unterstützung, die die Bunderwehr (sic!) bei zeremoniellen Anlässen wie unseren diversen Kranzniederlegungen leistet.“ Der abstruseste Satz im ganzen Dementi. Das von uns gefälschte Schreiben postulierte, dass Frank „the Tank“ in der Corona-Krise aufgegangen sei, dass der Militäretat für Sachen ausgegeben werde, die Menschen schaden, statt ihnen zu helfen. Und alles, was dem realen Frank als Unterstützung in der Krise durch die Bundeswehr einfällt, sind die geschichtsklitternden Krieg und Diktatur verherrlichenden Kranzniederlegungen? Deutlicher kann man das Gelabere, dass die Bundeswehr für den Katastrophenschutz wichtig sei, nicht entlarven.

Mediale Reaktionen
Als einzige Tageszeitung berichtet am Dienstag, den 28.4.20, die Morgenpostüber das gefälschte Schreiben und das Dementi (mit bugmenot@doublemail.de und dem Passwort "bugmenot" kommt man hinter die Paywall).

Der Artikel enthält neben einer kommentierenden Einleitung eine sachliche Darstellung des Inhaltes des Flugblattes einschließlich der Weiterverbreitung eines Zitats. Danach kommt eine sachliche Zusammenfassung des Dementis einschließlich des Blabla mit "abstrus" und "Parlamentsarmee".

„Da dürften die Menschen nicht schlecht gestaunt haben, als sie in den vergangenen Tagen ihren Briefkasten öffneten. Darin ein Schreiben von Bezirksbürgermeister Frank Balzer (CDU). Zumindest sah es so aus, als sei es von ihm, schließlich war dieses mit Foto und Unterschrift versehen[...]. Bei dem Schreiben, das an etliche Haushalte in Tegel ging, handelt es sich um eine Fälschung. Einige Leser erkannten sofort, dass es sich um eine Lüge handeln musste, es gab aber auch welche, die sich über ein derartiges Umdenken des Bezirksbürgermeisters freuten und aufriefen, diese positiven Nachrichten zu verbreiten.“

Die Morgenpost zitiert auf der einen Seite aus dem Dementi, dass es "abstrus" sei, den Wehretat für einen zivilen Katastrophenschutz zu verwenden. Gleichzeitig bezeichnet die Zeitung diese Ankündigung aber auch als "positive Nachricht“.Das zeigt, wie unterschwellig einleuchtend die Forderung nach der Abschaffung der Bundeswehr bis heute ist. Hier zeigt sich auch, wie gut die Taktik der Yesmen, einfach mal politische Gestalten gute Nachrichten, die sie nie sagen würden, verkünden zu lassen, funktioniert.

Reaktionen bei Facebook
Interessante Kommentare fanden sich auch unter einemFacebook-Beitrag der Morgenpost Reinickendorf. Die Kommentare sind deutlich unaufgeregter als der Widerruf des Bezirksamts. Die Strafanzeige stößt nicht wirklich auf Verständnis:„Da wurde Herr Balzer doch glatt (ge)Steffelt!“ oder „Seh ich auch so - gesteffelt und sonst nix“.

Damit stellen sie einen Bezug zum Reinickendorfer CDU-Bundestagsabgeordneten Frank Steffel her. Dieser hat ebenfalls bereits Erfahrungen als Autor gefälschter Schreiben gesammelt. Zur letzten Bundestagswahl hat er sich einen Brief der Kanzlerin an seine Wähler*innen ausgedacht, ihre Unterschrift von Wikipedia kopiert und hinterher das Ganze als "Missverständnis"abgetan.

Das Kanzler*innenamt ließ ihn erst medial auflaufen, und ließ ihn angesichts strafrechtlicher Konsequenzen aufgrund eines angeblichen „Missverständnis“ dann doch vom Haken. Es ist erstaunlich, dass sich die Menschen noch an den Vorfall aus 2017 erinnern. Und es zeigt, dass Frank ein Problem hat. Denn er muss erklären, warum es ok sei, sich die Stimme von Kanzler*in Merkel aus zuleihen, sie es aber ganz schlimm finden, wenn sich wer die Bürgermeister*in borgt.

Das gefälschte Dementi
Einen Tag nach der offiziellen Pressemitteilung des Bezirksamts Reinickendorf zu dem gefälschten Schreiben war in den Briefkästen von Tegel am 28.04. ein zweites gefälschtes Schreiben (gibts auf Indy undemrawi). Dieses zweite Schreiben trägt ein Bild und ein verändertes Wappen des Bezirks. Statt Ähren sind Granate, Helm und Gewehr abgebildet. Das gesamte Layout ist deutlich konservativer als bei der vorhergegangenen Fälschung und statt Einfachfalz ist es mittels Wickelfalz gefaltet. Diesen optischen Unterschied haben wir bewusst gewählt um das Schreiben von dem technisch etwas einfacher gehaltenen ersten Schreiben abzuheben und ihm somit mehr Autorität und Glaubwürdigkeit zu verleihen. Wichtig angesichts dessen, dass wir hier ja denselben Gag aus der Vorwoche im Prinzip nochmal bringen.

Auch unsere Variante des Frankschen Dementiserklärt das voran gegangene Flugblatt für inhaltlich unzutreffend. Es sei falsch, dass Frank den „Tag der Bundeswehr 2020“ und den „Tag des Ehrenamtes“ abgesagt habe, um Menschenleben zu schützen. Das Verteidigungsministerium habe abgesagtund er würde lediglich Befehle befolgen. Nun brächten„Linksextreme Chaoten“ in der Corona-Krise eine erhebliche kriminelle Energie auf, um die Bevölkerung zu verunsichern. Frank habe Anzeige wegen Urkundenfälschung, übler Nachrede und wegen „staats- und volksfeindlicher Hetze“ erstattet.

Der Clou des Schreibens: Der Rest des Textes besteht größtenteils aus leicht veränderten, satirisch überspitzten echten Zitaten des echten Franks und seines Kumpels, General Andreas Henne. Nur-drei-Sterne-General Kampfhenne ist wichtig in der Reinickendorfer Juliuis-Leber-Kaserne und auf Seiten des Militärs für die Ausrichtung des Tags der Bundeswehr verantwortlich. Bei der Erstellung des gefälschten Dementis haben wir uns inhaltlich der echten Aussagenin einem Interview, mit dem sich die beiden in der Bezirksbroschüre „Stadt. Land. Fuchs. 100 Jahre Reinickendorf“ wirklich im Frühjahr an die Bevölkerung gewendet haben, bedient. Diese haben wir lediglich neu kombiniert und teilweise überspitzt. Sowas in der Richtung funktioniert ziemlich oft und macht viel bitteren Spaß, wenn man bei Äußerungen von Politikern mal zwischen den Zeilen liest.

Zwei konkrete Beispiele: So heißt es im gefälschten Dementi: „Mit dem Tag der Bundeswehr und dem Tag des Ehrenamtes wollte der Bezirk Reinickendorf demonstrieren, dass die Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Wir werden beim Nachholtermin allen Besucherinnen und Besuchern ein tolles und anspruchsvolles Programm bieten. Es wird für alle Alters- und Interessensgruppen ansprechend sein, die dem Militär und damit unserer Gesellschaft nicht von vornherein kritisch gegenüberstehen. Ich bin dankbar, dass wir in Berlin mit der Bundeswehr zusammenarbeiten können, denn Militär und Gesellschaft sollten wieder viel enger miteinander verknüpft sein. Deswegen finde ich es nach wie vor sinnvoll, den „Tag des Ehrenamtes“ mit militärischer Präsenz zu überschatten.“ Lediglich der letzte Satz ist erfunden, der Rest sind originale Sätze von Frank, die wir lediglich neu kombiniert und grammatikalisch angepasst haben.

Auch im folgenden Absatz ist auch fast alles echt, wir haben nur die Buzzwörter eingefügt. : „Ich glaube, dass wir so eine tolle Dynamik für das Gemeinwohl entwickeln (Frank). Gerade in Zeiten wie diesen kann es nur gut sein, mit militärischen Prinzipien wie Tugend, Pflichterfüllung, Gehorsam und Uniformität die deutsche Gesellschaft wieder zu stabilisieren (wir). Der Grundgedanke, sich wie unsere Soldatinnen und Soldaten ohne persönliches Interesse für Volk und Gemeinschaft zu engagieren, ist im Ehrenamt genauso verankert wie in der Bundeswehr (der Satz ist von Frank, wir haben nur "Volk" eingefügt). Nur als reine Werbeveranstaltung würde ich das nicht sehen (Henne). Wohl aber wollen wir, dass sich die Bürgerinnen und Bürger Gedanken über die Durchdringung der Gesellschaft durch das Militär machen (Henne,nur "Durchdringung der Gesellschaft" ist von uns). Wir werben wie gesagt zusammen mit der Bundeswehr für eine ideologische Formierung, die in unterschiedlichen Ansätzen sehr nah dran an dem Konzept der Volksgemeinschaft ist (erster Teil Frank, zweiter Teil wir). Ich sehe daran nichts verwerfliches (Henne)“.

Glitzersterne für den General
Unsere Aktionserklärung haben wir am Morgen des 28.4. nach dem erfolgreichen Verteilen wieder als Postwurfsendung an Berliner Medien aufgegeben. Einen Effekt konnten wir wieder nicht feststellen. An den Nur-Drei Sterne-General Kampfhenne haben wir es auch geschickt. Dem Schreiben haben wir ca. zwanzig neue Klebesternchen beigelegt. Falls er noch ein bisschen mehr Glitzerkram auf seiner Uniform möchte, kann er die sich jetzt auch selber ankleben.

Erneutes Dementi des Bezirks
Mit unserer erneuten Postwurfsendung provozierten wir ein erneutes Dementi des Bezirks. Es trägt den Titel „Erneute Anzeige gegen anonyme Bundeswehrgegner.“ Die waren also durch unser erstes Schreiben schon so aufmerksam, dass sie ganz ohne unsere Beihilfe von dem zweiten Schreiben Wind bekommen haben. Das erneute Dementi ist so kurz, dass wir es im Volltext wiedergeben können: „Anonyme Bundeswehrgegner haben erneut Fake-Flugblätter in Hausbriefkästen verteilt, die angeblich vom Bezirksbürgermeister stammen sollen. Wie bei der ersten Fälschung vor wenigen Tagen hat das Bezirksamt Anzeige wegen Urkundenfälschung erstattet. Die Verwaltung weist darauf hin, dass derzeit keine amtlichen Postwurfsendungen aus dem Bezirksamt zu erwarten sind.“

Das neue Dementi sagt im Prinzip dasselbe, wie das erste, es verzichtet bloß obendrein auf jeglichen Inhalt. Das ist besonders spannend, weil Frank sich von den menschenfreundlichen Aussagen aus dem ersten Blatt distanziert hat. Im zweiten Schreiben haben wir ihm rechte Tendenzen untergejubelt und er hält es nicht nötig sich dazu inhaltlich zu äußern? Das bestätigte uns leider in unseren Annahmen, lässt aber dennoch tief blicken. Aber wie soll sich Frank auch von seiner eigenen Politik und den größtenteils von ihm stammenden Sätzen distanzieren? Also versucht es sein Bezirksamt erst gar nicht. Und es zeigt die Doppelmoral, wenn Frank und seine Leute uns feige nennen: Anstatt zu ihrer Politik zu stehen, die Militär über Menschen stellt, ducken sie sich inhaltlich weg.

Erneute Medienreaktionen
Die Morgenpost und die Reinickendorfer Zeitung (RAZ) geben einen Tag später lustlos die Meldung des Bezirksamts wieder und verweisen auf den Artikel vom Vortag. Die RAZ ist sogar so autoritätshörig, dass sie über das Bild des gefälschten Schreibens einen Filter mit verwischendem Effekt legt, damit ja niemand auf die gemeinen Infos reinfällt…

Intervention mittels Adbusting und Plakatierungen
Und dann passierte noch was ziemlich ungewöhnliches, was wir weder geplant noch erwartet hatten: Eine „namenlose Bezugsgruppe“ hat lautindymedia aufgrund unserer Aktionen beschlossen, ebenfalls in den Konflikt hinein zu intervenieren. Die „namenlose Bezugsgruppe“ schreibt in ihrer Aktionserklärung, dass sie unsere Aktion witzig fand. Deshalb beschlossen sie, sich um die optische Lücke mit dem fehlenden fancy Bildmaterial zu kümmern. Sie sind spontan in der Nacht vom 30.4. auf den 1.5. durch Tegel gezogen und haben mit Kleister und mit sprechenden Silhouetten aus Papier auf unsere Flyer aufmerksam gemacht. Rund um die U-Bahnstation Alt-Tegel versuchten sie, Adbustings aus selbstgemachten Plakaten in Werbevitrinen zu hängen. Dabei wurde eine Person von der Polizei ziemlich heftig verhaftet.

Fazit: Was haben wir gelernt?
Der große Knall nach unserer Aktion in der öffentlichen Wahrnehmung und der haupstätischen Medienlandschaft ist ausgeblieben. Dennoch verbuchen wir es als Erfolg, dass die Flyer eine Diskussionen angeregt haben, der einzelne Leute ordentlich ins Grübeln gebracht hat. Frank and Kampfhenne waren offensichtlich sehr verunsichert, was ihre Untertanen den nun so denken und glauben. Denn die beiden trafen sich bereits am Mittwoch, den 6.5. zu einem PR-Termin in der Kaserne.

Das Propaganda-Bild des Termins zeigt Frank und Henne beim Kumpeln (nur der Handshake fehlt Corona-bedingt). In der RAZ und in der Berliner Woche findet man das Bild in einer besseren Qualität. Das legt den Schluss nahe, dass das Bezirksamt dafür gesorgt hat, dass der Artikel den Leuten im Bezirk mittels auflagenstarker und viel gelesenen Gratis-Zeitungen nahe gebracht wird. Denn aus der offiziellen PM können die Redaktionen das bessere Bildmaterial nicht haben.

Der Text der PM unterstreicht das Gekumpel auf dem Foto. Frank "the Tank": „Die Bundeswehr leistet wertvolle Hilfe bei der Bereitstellung und Sicherung von Lagerkapazitäten für Schutzausrüstungen und medizinische Güter, hilft beim Entladen und dem Transport, unterstützt den Aufbau des neuen Corona-Behandlungszentrums auf dem Messegelände. Im Namen des Bezirks Reinickendorf möchte ich der Bundeswehr für diese Hilfeleistung ausdrücklich danken.“ Man sieht hier deutlich, wie Frank unseren Corona-Spin mit der humanitären Hilfe aufnimmt, anstatt sein dummes Zitat mit den Kranzniederlegungen zu wiederholen.

Brigadegeneral Andreas Henne: „Es ist ein gutes Gefühl für die Angehörigen der Bundeswehr, vom Bezirk Reinickendorf verstanden, geachtet und unterstützt zu werden. Gegenüber dem Verteidigungsministerium habe ich mit Nachdruck darum gebeten, Berlin als Austragungsort für den Tag der Bundeswehr 2021 fest einzuplanen. Mit dem zeitgleich geplanten Tag des Ehrenamtes würde ein deutliches Zeichen in die Gesellschaft gesendet werden.“ Also alles wie immer. Henne fordert in netten Worten mehr Militärpropaganda und fordert den Kern jeden Militarismus’: Die Bürger*innen mögen doch bitte die Militärs achten und unterstützen. Wie im Kaiserreich und bis 1945...

Frank ist nicht wichtig genug?
Schade finden wir, dass die Arbeit für das neue Bezirkslogo und die Arbeit des Editierens von Franks Originalsätzen medial relativ doll verpufft ist. Wir denken, dass das u.a. daran liegt, dass Frank nicht wichtig genug ist. Balzer ist Bürgermeister eines unbedeutenden Bezirks und mäht bloß den politischen Vorgarten in der Peripherie der Hauptstadt. Na spannend. Neukölln, Mitte oder Friedrichshain-Kreuzberg sind die spannenderen Bezirke, wo aus Sicht der bürgerlichen Mitte viel mehr Scheiße passiert und daher der Rechtfertigungsdruck auf genauso windige zwielichtige Gestalten wie von Dassel, Herrmann und Hikel sich entsprechend in einer größeren Aufmerksamkeit niederschlägt.

Dabei würde es lohnen, auch in Reinickendorf genauer hinzuschauen. Zum Beispiel hat der AfD-Stadtrat Maack hat die Mieter*innenberatung des Bezirks einem neuen Trägerverein zugeschanzt. Diesen hat er selbst mitgegründet. Und der neue Verein rechnet dreimal so viel Bezirkskohle ab wie der alte Träger. Und Bürgermeister Frank Balzer redet den Korruptionsskandal klein. Kein Wunder: Seine Leute stimmen regelmäßig zusammen mit den Nazis von der AfD ab.

Dieser Perspektive lässt sich allerdings entgegenhalten, dass es ja dann gerade dort in diesem diskursiven Vakuum einfach sein müsste, eine Agenda zu setzen. Wie man Tegel in die Presse bringt, hätte man dabei ausgerechnet von den beiden Franks und ihren Kumpan*innen bei der CDU Tegel lernen können. Über deren gefälschtes Merkel-Flugblatt von 2017 wurde dank dpa deutschlandweit berichtet. Wenn man so eine Aktion noch einmal macht, sollte man sich also eine richtig wichtige Person nehmen, die sich an die Tegeler Bürger*innen wendet, und ähnlich wie die angebliche Merkel in einen lokalen Konflikt eingreifen.

2000 Flyer sind genug.
Tegel hat ca. 40.000 Einwohner*innen. Beide gefälschte Schreiben wurden 2000 mal gedruckt und in Tegeler Briefkästen gesteckt. Diese Auflage war völlig ausreichend, um den ganzen Bezirk auf den abgesagten Tag der Bundeswehr aufmerksam zu machen und Diskussionen auf Twitter und Facebook anzuzetteln. Damit dies trotz der relativ geringen Zahl an Kopien gelingt, haben wir vor der Aktion versucht, das politische Netzwerk der Franks in Form von Adressen recherchiert. Wichtig ist die Recherchearbeit im Vorfeld, um sich einen Überblick zu verschaffen, in welchen Straßen die „wichtigen“ Leute wohnen. „Wichtig“ steht an dieser Stelle für Leute, die Ressourcen und Zugänge zur Öffentlichkeit haben und solche, die sich über gefälschte Schreiben von Chaot*innen aufregen, weil sie z.B. zu Franks politischen Kumpan*innen gehören.

Wir denken auch, dass wir nur eine gemeinsame Aktionserklärung für beide Schreiben hätten machen sollen. Die Frechheit, dass wir sogar ein gefälschtes Dementi verteilt haben, statt nur dem Bürgermeister ein Flugblatt in den Mund zu legen, wäre so vermutlich besser zur Geltung gekommen. Damit hätten wir vermutlich die Totschweigestrategie der PR-Abteilung des Bezirksamtes besser aushebeln können.

Wir denken im Nachhinein, dass es auch gut gewesen wäre, wenn wir uns mit der Verschickung der zweiten Aktionserklärung mehr Zeit hätten lassen können. Wir hätten den Gesprächen und viralen Effekten im Bezirk ähnlich wie beim ersten Schreiben ein, zwei oder sogar drei Tage Zeit geben sollen, sich zu entfalten. Beim ersten Zettel ist der Verzögerungseffekt eher zufällig entstanden, weil unsere postalisch verschickte Aktionserklärung wirkungslos blieb. Wir glauben, dass man solchen Aktionen zwei Tage Zeit für virale Effekte in der Online- und der Offlinewelt geben sollte, bevor man sie aufklärt. Durch das schnelle zweite Dementi des Bezirksamtes war diese Überlegung beim zweiten Zettel hinfällig. Wenn sowas passiert, muss man na klar aufspringen. Denn über das Dementi schreiben Zeitungen. Wenn da auch die Aktivisti-Perspektive abgebildet sein soll, macht es Sinn, zu versuchen, den Medien diese zeitnah anzubieten.

Zum Abschluss wollen wir festhalten, dass es spannend war, Henne und Balzer, aber auch Bürgis in Reaktion zu beobachten und uns dabei immer wieder in unserer Einschätzung bestätigt zu sehen. Insbesondere das Überspitzen von deren eigenen Aussagen hat super funktioniert und sie so in Erklärungsnot gebracht, dass sie es gar nicht erst versucht haben. Medien zu spielen, müssen wir noch ein bisschen üben, aber da kommen uns unter anderem durch die Intervention der namenlosen Bezugsgruppe viele Ideen. Das nächste Mal produzieren wir auf jeden Fall vorm Flyern gute Bilder, die dann von der Presse verwertet werden können und den Diskurs im Kiez schonmal anstoßen. Und es soll mal keiner sagen, dass das mit dem Flyern in der analogen Offline-Welt total out und oldschool sei.

Das erste gefälschte Schreiben. Frank Balzer verkündet den Weltfrieden:
https://de.indymedia.org/node/79311

Das echte erste Dementi des Bezirksamtes:
https://www.berlin.de/ba-reinickendorf/aktuelles/pressemitteilungen/2020/pressemitteilung.925940.php

Reaktionen in den sozialen Medien:

https://norden.social/@cartagena/104053617498445568

https://de-de.facebook.com/morgenpostreinickendorf/posts/1628457037307236?__tn__=-R

Das von uns gefälschte Dementi:
https://de.indymedia.org/node/79633

Das Interview mit Frank the Tank und Nur-drei-Sterne-General Kampfhenne, aus dem wir die Zitate abgeschrieben haben:
https://bc.pressmatrix.com/de/profiles/2e6a73da31ae-berlin-broschuren/editions/stadt-land-fuchs-100-jahre-bezirk-reinickendorf/pages/page/6

Das zweite echte Dementi des Bezirksamtes, dass das gefälschte Dementi dementiert:
https://www.berlin.de/ba-reinickendorf/aktuelles/pressemitteilungen/2020/pressemitteilung.926455.php

Die Adbustings der "namenlosen Bezugsgruppe" und die Verhaftung:
https://de.indymedia.org/node/80655

Zeitungsberichte:

https://www.morgenpost.de/bezirke/article228996373/Angebliches-Flugblatt-von-Bezirksbuergermeister-ist-Faelschung.html

https://www.morgenpost.de/bezirke/reinickendorf/article229009825/Bezirk-erstattet-weitere-Anzeige-wegen-gefaelschtem-Flugblatt.html

https://www.raz-zeitung.de/2020/04/27/fake-flugblatt-in-tegel-verteilt/

https://www.raz-zeitung.de/2020/04/28/bezirksamt-erwirkt-weitere-anzeige-wegen-flugblaettern/

https://www.berliner-woche.de/tegel/c-politik/buergermeister-balzer-erstattet-anzeige-wegen-gefaelschter-flugblaetter_a263641

PR-Termin von Frank und Henne nach der Aktion:
https://www.raz-zeitung.de/2020/05/15/amtshilfe-in-der-pandemie/

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zum Thema Anti-Militarismus: