Rede der Frauen*vernetzung Tirol für den 8. März 2023
*"Wer sich nicht beweget, spürt ihre eigenen Fesseln nicht!"*
Der internationale Frauen*kampftag wurde von der Zweiten Internationalen Konferenz kommunistischer Frauen in Moskau beschlossen. Das Datum soll an den großen Textilarbeiterinnen*-Streik in St. Petersburg/ Petrogard erinnern, der auf andere Sektoren übergriff und schlussendlich die Februarrevolution 1917 in Russland auslöste.
Am 8. März (nach dem alten russischen Kalender am 23. Februar) und in den darauffolgenden Tagen legten zigtausende Petrograder*innen die Arbeit nieder - Fabrikarbeiter*innen, Weber*innen, Hausfrauen* genauso wie Metallarbeiter und Soldaten. Dieser massive Streik und die unzähligen Demonstrationen mit der Forderung "Frieden und Brot" markierten den Beginn der Russischen Revolution. Der Krieg wurde beendet und der Zar musste abdanken. Die Arbeiter*innenräte übernahmen die Macht. Die Sovjetunion wurde geboren.
In Wien hatten die Vorsitzende des Internationalen Sozialdemokratischen Frauenkomitees Adelheid Popp und ihre Mitstreiter*innen schon 1911 20.000 Menschen in Wien für Frauen*rechte mobilisiert.
Die Nachricht vom Ausbruch der Revolution bestärkte die Arbeiterinnen in ganz Europa noch mehr. 1918 wurde in Österreich das Frauen*wahlrecht erkämpft. Jährlich wurde der 8. März von Massen bestritten. Die Forderungen lauteten beispielsweise: Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnabschläge, Beendigung des Krieges, Senkung der Lebensmittelpreise, Zugang zu legalem Schwangerschaftsabbruch. Auch gegen die Gefahr des Faschismus, der stärker und stärker wurde, organisierte sich die feministische Bewegung. Nach der Machtübernahme durch die Nazis, wurde der Frauen*tag verboten. Eine große Zahl Frauen*rechtler*innen und Sozialist*innen flohen ins Exil, einige schlossen sich den Partisan*innen oder der roten Armee an und leisteten Widerstand. Viele von ihnen wurden inhaftiert und ermordet.
Nach der Befreiung wurde Österreich zur Demokratie, ohne sich der Aufarbeitung seiner Mitwirkung an den Verbrechen des dritten Reichs zu stellen. Der 8. März kam zurück, die Kraft und Militanz der 10er Jahre aber nicht.
Heute ist der 8. März ein Tag, an dem Blumen geschenkt werden oder mit der Familie gefrühstückt wird.
*Aber nicht für uns! *Die Entwicklung der letzten Jahrezehnte gipfeln nun in Pandemie, Wirtschaftskrise, Umweltkatastrophe, rassistische Grenzpolitik, zunehmender patriarchaler Gewalt und Feminiziden. Begleitet werden diese Zuspitzungen von politischem Rechtsruck und Sparpolitik auf dem Rücken der Arbeiter*innen.
Die neoliberale Politik fordert pro Haushalt mehr Stunden entlohnte Arbeit und weniger staatliche Wohlfahrt. Sie treibt Familien und insbesondere Frauen, die beides Haus- und Lohnarbeit leisten müssen, an ihre Belastungsgrenzen. Armut, verwehrter Bildungszugang, soziale Isolation und psychische Krankheit sind die Konsequenzen. Die Interventionen des Neoliberalismus greifen unser Recht auf Gesundheitsversorgung, Rente und Wohnen an. Eine kleine Minderheit hat die Genehmigung private Gewinne anzuhäufen durch die Ausbeutung der viel größeren Gruppe, die zur Lohnarbeit gezwungen ist. Unser Wirtschaftssystem ist auf unseren eigenen Rücken aufgebaut.
*Die wirtschaftlichen Verhältnisse spalten uns zusätzlich. *
Zum Beispiel durch rassifizierte Unterdrückung, denn die nicht weiße Frau*wird und muss für niedrigeren Lohn und unter miserablen Bedingungen arbeiten, währenddessen auch Kinder und Haushalt schmeißen. Sie ist gezwungen diese Umstände zu akzeptieren, um zu überleben und weil sie verantwortlich für ihre Familie ist. Dass weisse Frauen*sich durch Auslagerung von Hausarbeit auf rassifizierte Frauen von ihrer gesellschaftlichen Rolle befreien, hat für uns nichts mit Feminismus und Emanzipation zu tun.
Traditionalistische, homo- und queerphobe Ideologien haben ebenso Aufschwung - auch innerhalb der Linken. Auch andere nicht cis-männliche Geschlechter werden durch den Kapitalismus massiv ausgebeutet und durch ihr anders sein nach unten gedrückt. Deshalb ist es wichtig, dass wir als Frauen*, Lesben, Inter-, Trans- und nichtbinäre sowie Agender und queeren Personen gemeinsam für unsere Rechte und gegen das Patriarchat einstehen!
Die fortschreitende Individualisierung führt ausserdem zu wackligen sozialen Beziehungen, die uns das Gefühl geben alleine auf der Welt zu sein und niemandem vertrauen zu können.
Die aktuelle Krise des Kapitalismus ist besonders gravierend. 4 Jahrzehnte des Neoliberalismus haben die Löhne dramatisch gedrückt während eine massive Teuerung Lebensmittelpreise und Mieten in die Höhe treibt. Arbeiter*innenrechte wurden geschwächt, die Umwelt verwüstet und gesellschaftliche Ressourcen weitgehen privatisiert.
Zudem haben Neokolonialismus und Imperialismus auf brutale Art und Weise den Lebensraum schwarzer und indigener Menschen sowie von Minderheiten zerstört. Die Folgen sind Flucht und Massenmigration - auf die mit Stacheldraht geantwortet wird. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit manifestieren sich in Gesetzen und Polizei, sind aber auch gesellschaftlich im Aufwind: rassistische Übergriffe und rechter Terror stehen auf der Tagesordnung. Am Wochenende wurdebeispielsweisein Linz der Bau eines Flüchtlingsheims sabotiert - mit einem Brandangriff.
Der ökologische Kollaps, der sich als Überschwemmungen, Dürren, Insektenplagen, Übernutzung des Bodens, Verschmutzungen und ähnlichem äussert, hat unmittelbar mit dem Kapitalismus zu tun. Frauen stellen 80 % der Klimaflüchtlinge dar, aufgrund ihrer Schlüsselrolle in der Beschaffung von Lebensmitteln Kleidung und Obdach.
Wie schrecklich die aktuellen Umstände auch sind, die Geschichte zeigt: In Krisenzeiten verlieren die Massen ihr Vertrauen gegenüber den Herrschenden. Somit sind solche Zeiten auch Gelegenheiten um tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen.
Wir - und viele andere weltweit sagen „Es reicht!“ „Ya Basta“ „Edi Bese“ !
Unter solchen Bedingungen ist die Zeit für Unentschlossenheit abgelaufen, und Feminist*innen müssen Stellung beziehen und in Bewegung kommen. Denn:
Wer sich nicht bewegt spürt ihre eigenen Fesseln nicht!
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*Unter diesem Slogan der Sozialistin Rosa Luxemburg gehen wir heute auf die Strasse. *
Erinnern wir uns an den 8. März als Klassenkampftag. Es ist der Tag der Arbeiterinnen*, die unerbittlich für Gleichberechtigung der Geschlechter, internationale Solidarität und eine klassenlose Gesellschaft kämpften. Schwestern, führen wir diesen Kampf fort und geben wir uns nicht mit pinkwashing und Reformen zufrieden. Bauen wir eine Welt in der Gleichheit und Freiheit nicht Ziel, sondern Ausgangspunkt sind. Der beste Zeitpunkt ist jetzt! Mehr als hundert Jahre später bleibt die Vision Luxemburgs einer Gesellschaft ohne Krieg, patriarchaler Unterdrückung, Ausbeutung und Faschismus weiterhin unser gemeinsames Ziel!