„Wir geben jetzt keine Ruhe mehr“ - Erlebnisbericht von den Protesten gegen Rheinmetall in Berlin

veröffentlicht am 5. Juni 2019

Ein Bericht über aktuelle Aktivitäten gegen den Rüstungskonzern "Rheinmetall". Für die nächsten Monate sind ebenfalls Proteste geplant, u.a. Aktionstage vom 1. bis 9. September 2019 in Unterlüß bei Celle in Niedersachsen: ein Camp mit Workshops, einer Blockadeaktion am 6. September und einer Demonstration am Samstag 7. September!

Ich habe das Gefühl, am 28. Mai 2019 hat etwas begonnen. Schon länger hört und liest man, dass eine neue Antikriegsbewegung nötig sei, die es zustande bringt, der gesellschaftlichen Ablehnung von Rüstungsexporten auch auf der Straße einen angemessenen Ausdruck zu verleihen. Jetzt kamen am Morgen des 28. Mai zwar nicht die Massen zur Demonstration gegen die Rheinmetall-Hauptversammlung, aber die gut 200 Leute haben – großteils mit Masken vermummt – für prächtige Stimmung in Berlins Botschafterviertel gesorgt. Die Stationen der Demo-Route waren gut gewählt, weil damit auch die Inhalte in der Berichterstattung gesetzt waren: Der Krieg im Jemen und die Drohungen des türkischen Despoten Erdogan gegen Rojava. Jeweils haben vor Ort Frauen kämpferische Redebeiträge gehalten.

Schon die Demonstration wurde von einem neuen Bündnis von NGOs (von Urgewald über Kritische Aktionäre bis zur DFG/VK) und Bewegungslinken (von Anarchist*innen über IL bis zur Rojava-Solidarität) durchgeführt. Und als wir am Hotel ankamen und dort das riesige Transparent („Rheinmetall-Bomben töten im Jemen“) und die Menschen von Greenpeace an der Hotelfassade herunterhingen sahen, da erinnerte es mich an Blockupy: Auch zum Thema europäische Krisenpolitik kamen die unterschiedlichsten politischen Spektren zusammen und gestalteten auf ihre Art und Weise den vielfältigen, bunten Protest. Ja, auch die Themen Krieg, Waffenproduktion und -export, die militärische Aufrüstung an den europäischen Außengrenzen haben heute ein solches Potential für mehr.

Aktionärsversammlungen sind in der Regel äußert langweilig. Eine regelrechte Szene von Kleinaktionären gehen dorthin, nur weil es an diesem Tag kostenfrei Häppchen und Imbisse gibt. Gegen Ende darf dann auch ein*e kritische*r Aktionär*in ein paar Minuten sprechen, das gehört dazu, aber öffentliche Aufmerksamkeit bekommen diese Konzernkritiker*innen in der Regel nicht. Bei anderen Aktiengesellschaften gab es in den vergangenen Jahren vereinzelt Störungen, Zwischenrufe, kurze Interventionen, Versuche ein Transparent aufzuspannen. Bei Rheinmetall gab es so etwas zuvor noch nicht.

Beherzter Protest in der Aktionärsversammlung

Als der oberste Chef von Rheinmetall, Armin Papperger, seine Rede begann, standen einige Personen im Saal auf und riefen für alle unüberhörbar: „Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt“. Sie hielten eine Fahne der syrisch-kurdischen YPG in die Höhe. Und sie riefen weiter: „Jemen, Rojava, Türkei – bei jeder Schweinerei ist Rheinmetall dabei“. Papperger musste seine Rede unterbrechen.

Was dann geschah, war beeindruckend. Plötzlich war eine Energie im Raum spürbar. Wie durch ein Sog zog es viele Menschen aus der Mitte des Saals nach vorne Richtung Redepult und mit einem Mal stand die Bühne voller Aktivist*innen mit Transparenten („Rheinmetall Entwaffnen“, „Rüstungsexporte stoppen“, „war starts here, let‘s stop it here“, „Rheinmetall liefert Fluchtursachen und die Grenzen gleich mit“ u.a.m.). Sie bestimmten von nun an das Bild, aber auch den Ton. Sie riefen: „Deutsche Panzer – raus aus Kurdistan“, „Eure Waffen, Euer Geld morden mit in aller Welt“, „Blut, Blut, Blut an euren Händen“, „War starts here, let‘s stop it here“, „Rheinmetall Entwaffnen – Super Aktion. Alle zusammen für die Revolution“, „Hoch die internationale Solidarität“. Es hörte nicht mehr auf. Ununterbrochen wurden neue Parolen angestimmt – für fast eine ganze Stunde. Auf und vor der Bühne standen und saßen die Frauen und Männer jeden Alters. Und sie blieben.

Vorstand und Aufsichtsrat warensichtlich überrascht und teilweise geschockt. Dass ihr großer Tag versaut war, konnte man aus ihren Gesichtern lesen. Siesahen bis zum Ende der Aktionärsversammlung am Nachmittagangefressen aus. Die Aktion hat auch bei ihnen etwas Bleibendes hinterlassen. Womöglich ist ihnen klar geworden: Wer mit Waffenexporten andere bedroht, wer mit dem Bau von Waffen und Munition Massenmord in Kauf nimmt, wird fortan selbst nicht mehr sicher sein und keine Ruhe mehr vor Protesten haben. Ich habe mich gefragt, was in den Köpfen der beiden IG-Metall-Vertreter im Rheinmetall-Aufsichtsrat, Rudolf Luz und Daniel Hay, vor sich geht. Begeisterung haben sie jedenfalls nicht gezeigt. Auch sie werden nicht darum herum kommen, sich weiter mit der Kritik der Kriegsgegner*innen auseinanderzusetzen. Die etwa 200 anwesenden Aktionär*innen mussten sich nun statt der erwarteten Rede von Papperger die Anti-Kriegs-Parolen anhören. Und das so lange bis die herbeigerufene Polizei die letzte Protestierende aus dem Saal getragen hatte.

Rheinmetall – ein Unternehmen der globalen Tötungsindustrie

In den Redebeiträgen der Demo und der Kundgebung vor dem Berliner Maritim-Hotel wurde der Rheinmetall-Vorstandsvorsitzende Armin Papperger verantwortlich gemacht für das mörderische Geschäft des Rüstungskonzerns. Mit Bomben von Rheinmetall führt die saudi-arabische Kriegsallianz den Krieg im Jemen gegen die Zivilbevölkerung. Als Konzernchef macht er sich mitschuldig.

Nach dem Erwerb von Bombenfabriken in anderen Ländern wie auf Sardinien und aufgrund Kooperationen wie mit dem südafrikanischen Denel-Konzern umgeht Rheinmetall die deutschen Rüstungsexportbestimmungen. So kommen die Bomben von Rheinmetall an die saudische Kriegsallianz. De facto gibt es also keinen Rüstungsexportstopp nach Saudi-Arabien. Und die Profite der Waffenkonzerne steigen, auch dank des NATO-Ziels, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Rüstungsausgaben zu stecken. Das weist auf die internationale Bedeutung der Themen und der Proteste hin. In den Ländern, in denen Rheinmetall produziert, nahmen Friedensfreund*innen und Kriegsgegner*innen laut Social Media die Berliner Proteste mit Entzücken auf.

Mut und Hoffnung

Die Frauen und Männer, die das Podium der Aktionärsversammlung besetzten, haben Freude ausgestrahlt. Sogar während der anschließenden Personalienfeststellung sollen sie noch Freiheitslieder gesungen haben. Respekt.

Ihre Entschlossenheit und ihre Ernsthaftigkeit hatten etwas Beeindruckendes. Es war regelrecht zu spüren, dass sie genug haben, dass sie die Verbrechen von Politik und Konzernen nicht mehr weiter ertragen können. Ihr Handeln war eine Selbstermächtigung, kompromisslos und unverhandelbar. So wundert es nicht, dass aus dieser Motivation etwas gelang, was zuvor noch bei keinen anderen Protesten auf Hauptversammlungen geglückt ist. Die fast einstündige Besetzung des Podiums, die massive Störung und Unterbrechung der Hauptversammlung haben aufgezeigt, dass etwas neues begonnen hat. Und dass noch mehr zu erwarten ist.

Es war nur ein Anfang

Wenn man dem Bündnis „Rheinmetall Entwaffnen“ Glauben schenkt, will es die Kriegstreiber zur Rechenschaft ziehen, gesamtgesellschaftliche Bündnisse gegen Rüstungsexporte und ihre Profiteure gründen und damit eine neue und internationalistische Antikriegsbewegung für eine befreite Gesellschaft ins Leben rufen.

So kündigten Aktivist*innen an: „Das war erst der Anfang. Das nächste Mal blockieren wir eine Rheinmetall-Fabrik“. Anfang September sind an einem Rheinmetall-Produktionsstandort in Niedersachsen Aktionstage angekündigt: Camp, Blockade und Demo in Unterlüß vom 1. bis 9. September: rheinmetallentwaffnen.noblogs.org

Der zeitlich nächste Termin, den ich gefunden habe, ist eine Veranstaltung in Berlin-Kreuzberg mit Vertreter*innen von Menschenrechtsorganisationen und Linken, wo die Frage debattiert werden soll, inwieweit es sinnvoll ist, auch mit dem Rechtsstaat gegen Rheinmetall und andere Waffenproduzenten vorzugehen: Information und Diskussion in Berlin-Kreuzberg, Vierte Welt, am Freitag 14. Juni, 19 Uhr: interventionistische-linke.org

Dazu erschien ein Hintergrundartikel in analyse und kritik

Dieser Artikel wurde von de.indymedia.org übernommen.

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