Erfahrungen von Ableismus,Ageismus in radikal linken Bewegungen im deutschsprachigen Raum

veröffentlicht am 29. Juli 2023

Ein Beitrag zur anarchistischen Aktionswoche gegen die Linke Einheit

Ich bin Sofie, weiblich, Anarchist*in und älter. Das ist ein Text von mir, über meine Erfahrungen und meinen Blickwinkel. Ich bin nicht links, darauf lege ich wert, denn abgesehen von den Verbrechen in der Geschichte, die auch in sozialistischen Diktaturen begangen wurden, sind Linke ein Grund, weshalb es im deutschsprachigen Raum trotz der unerträglichen, gesellschaftlichen Zustände und Entwicklungen so ruhig ist.
Meine Betrachtungen hier beziehen sich aber nicht allein auf Linke, es sind einfach persönliche Erfahrungen, die nicht für alle sprechen.

Ich bin eine Ausgegrenzte in meinem Ort aufgrund von Alter, Behinderung, meiner politischen Haltung und meiner Position zur linken, autonomen Bewegung an meinem Ort .
Sozialisten und Kommunisten dominieren hier fast alles an Demos, Veranstaltungen und alternativen Räumen. Für mich als Anarchist*in, die sich dem nicht anbiedern will, bleibt da nicht viel.

Hier gibt es Leute, welche von sich sagen, dass sie Anarchist*innen sind, einer arbeitet jetzt sogar für die Partei "Die Linke", aus Pragmatismus, wie er sagt, weil er ja sonst nix bewegen könnte. So sieht es hier aus. Ich bin in ganz jungen Jahren zu den Sozialisten und Kommunisten gekommen und habe bald bemerkt, dass sie eher ein Übel als die Lösung sind. Die Erfahrungen damals und die meines Lebens haben mich zur überzeugten Anarchist*in gemacht.
Aufgrund chronischer Erkrankung und damit verbundenen Einschränkungen kann ich nicht mehr so oft an Protesten oder Veranstaltungen teilnehmen, wie ich möchte. Wenn ich aber in radikalen Räumen oder bei Demos auftauche, passiert mir mitunter schon Kurioses. Mir begegnen immer wieder misstrauische oder verwunderte Blicke, auch schon mal Ablehnung. So ist es mir einmal passiert, dass ich ausgelacht wurde, als ich zu einer Demo kam oder ein anderes Mal wurde ich gar als Spionin verdächtigt. Das ist sehr verletzend für mich als Anarchist*in und gleichzeitig absurd.

Nun, dieses Verhalten sagt am Ende nichts über meine Person, sondern viel über die Armut und Unfähigkeit der antiautoritären linken Bewegung, Menschen aus allen Gesellschaftsschichten und Lebenswelten einzubeziehen und mitzudenken.
Mittlerweile handhabe ich es so, wenn ich zu einer Demo gehe, und mir komische Blicke begegnen, sage ich öfter, ,, was guckst Du so, ich gehöre hierher, Punkt." Das reicht meistens. Eine wirkliche Bezugsgruppe habe ich hier nicht, wie auch. Ich habe mich inzwischen schon damit abgefunden, als Solitär herumzulaufen und achte darauf, Situationen, die für mich gefährlich werden könnten, zu meiden, da ich ohne Bezugsgruppe auch keinen Schutz einer solchen habe. Aber so ist es.

Am schlimmsten war es während der Pandemie, als diese autoritären Maßnahmen des Staates zunahmen und diese von den radikalen Linken mit übernommen und abgefeiert wurden. Als fast überall diese 2G-Regel eingeführt wurde, konnte ich noch nicht mal mehr den ÖPNV (öffentlicher Personennahverkehr) benutzen, denn ich kann seit Jahren aufgrund einer medizinischen Indikation die meisten Impfungen nicht mehr machen, auch wenn ich das gern möchte. Ich hatte zu der Zeit gerade große Geh-Probleme, wegen eines kranken Fußes, der höllisch schmerzte. Wie zum Arzt, zur Bestrahlung oder auch mich versorgen? Das war alles andere als prickelnd und dazu kam die Hetze der Linken gegen Personen wie mich, die autoritäre Maßnahmen kritisieren. Ich habe erlebt, wie Gefährt*innen, die Angehörige marginalisierter Menschengruppen sind, angegriffen wurden von radikalen Linken, als rechts, Impfgegner*innen, Pandemieleugner*innen, Querdenker*innen und schlimmer beschimpft, abgestempelt wurden. Das wurde von vielen der radikal linken Bewegung bis heute nicht reflektiert und ist bei vielen bis heute so in den Köpfen. Seither bin ich immer misstrauisch und ich bekomme unangenehme Gefühle, wenn ich im Netz bei Accounts dieses" Anti" oder diese" Katze" im Profil sehe.

Bis heute haben sie nicht kapiert, dass repressive, autoritäre Maßnahmen jene Menschen am schlimmsten treffen, die schon immer ausgegrenzt oder verfolgt werden und am meisten unter diesem System leiden, also Geflüchtete, Illegale, Staatenlose, Obdachlose und alle die sich nicht einfach mal so ausweisen können.
Anstatt Menschen Zugang und Hilfe und Schutz zu verschaffen , wurde genau diesen Menschen der Zugang zu antiautoritären Räumen durch die Übernahme autoritärer Maßnahmen verwehrt. Das nicht zu reflektieren, Menschen, welche das kritisiert haben, bis heute zu verurteilen und auch das Verhalten gegen der erstarkenden Rechten auf der Straße zu Pandemiezeiten, vor allem so unsäglich übergriffige Parolen wie, " wir impfen euch alle" , disqualifiziert diese radikale linke Bewegung für mich für die Bewältigung zukünftiger Krisen.
Ich erlebte nicht nur in Zeiten der Pandemie, sondern erlebe es immer wieder, dass nicht mit alten, behinderten oder chron.kranken Menschen gesprochen wird, sondern über sie und dass ihnen die Fähigkeit, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen, abgesprochen wird. Was für eine übergriffige Haltung. Ich denke, dass es vielen auch anderen marginalisierten Menschen ebenso geht.

In der aktuellen Situation der Zunahme von Konflikten zwischen Staaten und deren Regierungen, Machtinhabern und der Zunahme von Verteilungskämpfen durch die Klimakatastrophe wird die Frage, welche Befreiung, immer wichtiger.
Für Anarchist*innen kann es nur eine Befreiung in allem sein und die Zerstörung von allem, was dieses patriarchale, kapitalistische System in den vergangenen Jahrhunderten an Hierarchien, Unterdrückung, Gewalt und Zerstörung hervorgebracht hat, einschließlich der Konstrukte Staat und Nation. Ich erinnere mich immer wieder, was ich über indigene Gemeinschaften gelesen, gelernt habe. Dass ein Staat, eine Regierung und die Gesetze, die dort verhandelt werden, niemals der Kompromiss aller Einwohner eines Gebietes sind, sondern es sind Kompromisse einer kleinen privilegierten " Elite" und die Gesetze und Regeln, worauf sie sich einigen, hat dann die Mehrheit zu befolgen. Dieses setzen sie dann mithilfe von Gerichten, Polizei, Gefängnissen, Militär, Milizen etc. durch. Die Rechte, welche sie gewähren, können sie jederzeit nehmen.

Für indigene Gemeinschaften gelten jene Grenzen, die der Kolonialismus und Nationalismus gezogen hat, bis heute nicht. Noch weniger sind der Staat und seine Rechte eine Lebensgrundlage für indigene Menschen und alle BI PoC. Ja sie gefährden ihre Lebensräume und töten sie. Daraus sollten wir lernen und darum müssen sich Anarchist*innen von den Linken, Sozialisten, Kommunisten abgrenzen, da diese nicht die Abschaffung von Staaten, sondern nur ein anderes, ein sozialistisches Staatsmodell propagieren mit allen hierarchischen, patriarchalen Strukturen, die uns so verhasst sind. Es ist auch wichtig, dass die Befreiung nicht nur als weiße Befreiung gesehen werden darf. Denn auch unter Anarchist*innen, besonders europäischen Anarchist*innen denken viele zu sehr aus weißer eurozentrierter Sicht. Das aber ist kolonialistisch und rassistisch.

Vielleicht liegt es am Alter, dass ich mehr nachdenke. Wenn ich auf mein Leben sehe, welches nie privilegiert oder leicht war, schon mit 14 Jahren bin ich vor Gewalt geflohen, kam ich zu der Ansicht, dass ich mehr Anarchist*in war und bin, als jene " Experten", denen ich in radikalen Kontexten begegnet bin, die ihr intellektuelles Fachwissen und ihr Anarchist*in sein oder Radikalität als Lifestyle wie eine Monstranz vor sich hertragen. Ich hatte dazu oft einfach nicht die Zeit, da ich gerade um mein Überleben kämpfen musste und auch um die Existenz von mir und die meines Kindes. Da hat man dann nicht so viel Zeit und Kraft über, um sich lange, tiefschürfende Literatur reinzuziehen, so wichtig Hintergrundwissen ist. Es ist auch eine Frage von Chancen und die sind im System einfach sehr ungerecht verteilt, besonders auch in der Bildung. Menschen deshalb abwertend zu begegnen oder sie gar zu verdächtigen, was mir auch immer wieder in der radikal linken Bewegung passiert ist, disqualifiziert diese ebenfalls. Die linke, radikale Bewegung gibt immer vor, für benachteiligte Menschen kämpfen zu wollen, aber mir kommt es oft vor wie eine Farce.

Mir war vieles lange nicht bewusst. Erst durch den Kontakt mit ehrlichen, anarchistischen Menschen, die mich annahmen, wie ich bin, konnte ich reflektieren, dass ich mich ein Leben lang gegen autoritäre, patriarchale Strukturen auflehnte und sie nicht akzeptierte, ja ich musste das tun, um leben und atmen zu können. Deshalb bekam ich auch so oft Probleme. Ständig versuchte man mir einzutrichtern, dass etwas mit mir nicht stimmt. Dass es mich als weibliche Person noch ganz anders betraf, das kam dann dazu.

Ich rechnete aber nicht damit, dass mir vieles davon so oft auch in antiautoritären Bewegungen oder bei Menschen, die sich als progressiv fortschrittlich bezeichnen, begegnen würde. Es ist viel Zeit vergangen, seit ich jung war und ich habe aktuell das Gefühl eines Rückschritts überall und das macht mich wütend und traurig zugleich. Wie sonst konnte der deutsche Staat so viele alternative Räume, die einen Schutz- und Rückzugsort bildeten, zerstören? Allein in Berlin wurden die meisten autonomen Häuser geräumt und alternative Räume, die in den Achtzigern erkämpft wurden, zerschlagen und die Bewegung massiv geschwächt. Das liegt auch am Verhalten in der radikal linken Bewegung selbst, an den teils hierarchischen Strukturen, den Zerfleischungskämpfen und der Unfähigkeit, Taktiken zu entwickeln, die den jeweiligen Situationen entsprechen. Es ist meistens ein Reagieren als aktives Agieren und mit seinen Angriffen, die Bewegung zu spalten, haben die Repressionsorgane des Staates hier leichtes Spiel. Ironischerweise hat der Staat die Zeit während der Pandemie sehr effektiv genutzt im Gegensatz zur linken, radikalen Bewegung, die sich zum großen Teil zu seinem Büttel gemacht hat.

Sehnsüchtig sehe ich oft auf anarchistische und radikale Bewegungen und deren Wirkungen in den letzten Jahren vor allem in Frankreich, USA, Griechenland oder anderswo, die sich gegen den Abbau von Rechten und Repression wehren. Wenn auch nicht nachhaltig siegreich bis jetzt, so sind sie dennoch kraftvoll und haben das Feuer, die Inspiration einer befreiten Gesellschaft und diese Hoffnung auf ein anderes Leben in sich. Mit jeder neuen Revolte entwickeln sie sich weiter, lernen und passen Taktiken an. Davon sind wir im deutschsprachigen Raum weit entfernt.
Die Reproduktion alter hierarchischer, patriarchaler Verhaltensweisen in Bewegungen kann niemals zur Befreiung führen. Sie generiert das Alte. Darum muss es eine neue anarchistische Initiative geben, die sich nicht von Linken dominieren lässt.

Für die Anarchie, Für Befreiung in allem, Niemals links
Fuck States, Fuck Patriarchy

Ich liefere diesen Text als einen Beitrag zum Aufruf von Breaking the Spell.

Sofie

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