Feminizide und Ableism

veröffentlicht am 1. April 2024

Eine Analyse der nationalen Dokumentationsstelle „Feminizide, Trans*izide, Lesbizide“ - NON UNA DI MENO

Die Dokumentationsstelle „Feminizide Lesbizide Trans*izide“ (FLT) der Bewegung Non Una Di Meno in Italien beobachtet systematisch die Berichterstattungen über Tötungen, die möglicherweise als Feminizide, Lesbizide und Trans*izide qualifiziert werden können, also Tötungen in welchen die Ermordung einer Person im erkennbaren Zusammenhang mit Machtverhältnissen und geschlechtsspezifischer sowie hetero-cis-patriarchaler Gewalt steht.

Im Jahr 2023 hat die Beobachtungsstelle 120 Feminizide, Lesbizide, Transizide und Ermodungen von Sexarbeiter*innen („puttanocidi“) registriert. Von diesen 120 Feminiziden betrafen 16 Fälle be_hinderte Frauen im Alter zwischen 67 und 90 Jahren.

Es wurden 170 Berichterstattungen über diese 16 Feminizide von be_hinderten Frauen veröffentlicht, in denen aber wenig über die Ermordeten zu lesen war. Meistens griffen die Berichterstattungen auf Narrative zurück, in denen Krankheit und ökonomischen Problemen als die Ursache der Tötungen identifiziert wurden, während vorangegangene körperliche oder psychische Gewalt gegen die Ermordeten in der Berichterstattung ignoriert werden. Die Beziehung zwischen Ermordeter und dem Mörder werden nicht in den Blick genommen, hingegen ziehlt das Narrativ darauf ab, die Vorstellung einer „zerbrochenen Familie“ zu retten und zu reproduzieren, indem es den Mörder als „altruistische“ und „aufopfernd“ in seiner Verrichtung von vermeintlicher Fürsorgearbeit bis zum Moment der Tötung darstellt und ihn so letztlich von seiner Verantwortung los spricht.

Feminizide an be_hinderten Frauen, vor allem ältere, be_hinderte Frauen, die von ihren Familienangehörigen, Partnern oder Söhnen ermordet werden, werden nicht als Feminizide betrachtet und werden unsichtbar gemacht. In den meisten Fällen stehen diese Fälle im Kontext häuslicher Pflege, im welchen die Fürsorge/ Betreuung/Pflege für die Frau als Belastung wahrgenommen wird.

Diese Feminizide blieben im Schatten. Das Wort Feminizid aber erscheint in diesem Zusammenhang weder vor Gericht noch in der Berichterstattung, stattdessen werden die Fälle unter dem begriff „Familientragödien“ subsumiert.
Vielen dieser Fälle, die ältere Frauen betreffen, werden als „erweiterter Selbstmord“ (omicidi-suicidi) ad acta gelegt. Die Gründen für die Tötungen der Frauen werden nicht nachgegangen, stattdessen wird von einer einer „Verzweiflungstat“ und „Heldentat“ gesprochen und die Tötung verharmlost. Sehr oft in der Berichterstattung, werden die Mörder – Söhne und Partner - als gut und liebevoll inszeniert. Die Infantilisierung und Pathologisierung von be_hinderten Frauen in den Diskursen stützt dieses Narrativ.
Neben dem ableistischen Faktor kommt auch ein ageistischer Faktor hinzu: Die Morde an älteren Frauen verschwinden sehr viel schneller aus der Berichterstattung.

Im Jahr 2024 wurden bisher zwei be_hinderte Frauen ermordet: Teresa Sartori, 81 Jahre alt, ermordet von ihrem Sohn und Alessandra Mazza, 35 Jahre alt, ermordet von ihrem Vater am 14. Februar.
Die Feminizide von Teresa und Alessandra wurden in der Öffentlichkeit unterschiedlich verhandelt: Im Falle von Teresa gab es 7 Berichterstattungen voller ageistischer Narrative und mit einem Fokus auf die Erschöpfung und dem Stress ihres Sohnes der sie pflegte. Teresa wurde durch Messerstiche getötet.
Alessandras Fall wurde in einen sozialdarwinistischen Kontext gesetzt: Patriarchale und ableistische Narrative verfälschten die Tat ihres Vater. Vor allem in den TV Sendungen wurden Informationen manipuliert und Alessandra aufgrund ihrer geistigen Be_hinderunge pathologisiert und infantilisiert: Ihr Körper wurde als problematisch verhandelt, da er aus patriarchaler Sicht weder für die Inwertsetzung in der Sphäre der Produktion noch in der Sphäre der sozialen Reproduktion geeignet wäre.
In beiden Fällen aber wurden die Feminizide als altruistische Taten dargestellt, die in den Kontext der Fürsorge und Pflege gesetzt wurden.

Be_hindete Frauen wurde ein weiteres Mal als Last für eine patriarchale Gesellschaft, die die Körper von nicht be_hinderten Frauen in Wert setzt dargestellt. Aus patriarchaler Perspektive, ist die Existenz von Frauen nur dann legitim, solange sie an den Prozessen der Produktion und Reproduktion teilhaben. In dem Moment, in denen sich Frauen dieser Rolle entziehen oder keinen Zugang zu diesen Rollen haben, werden Frauen zu einer „unnützen Last“. Ihr Leben verliert dermaßen an Wert, das es von jedem beendet werden darf, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Wenn dieses Analyse auf alle als Frauen sozialisierte Menschen zutrifft, dann in besonderer Weise auf be_hinderte Frauen.

DIY Übersetzung von Genoss*innen aus Wien, hier zum Orginal: https://nonunadimeno.wordpress.com/2024/03/20/femminicidi-e-abilismo/

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