Für echte Befreiung

veröffentlicht am 16. Oktober 2023

Ein Appell an die radikale Linke in Innsbruck

TW: Erwähnung von (sexualisierter) Gewalt

Was ist geschehen?

Am 7.10.2023 wurde Israel in den frühen Morgenstunden u.a. von der Hamas, PLFP und vom Islamischen Djihad mit Unterstützung vom iranischen Mullah-Regime und der Hisbollah (Libanon) angegriffen. Tausende tote Zivilist*innen, massive Menschenrechtsverletzungen, zahllose Vergewaltigungen, Schändungen von Leichen, Entführungen mit Geiselnahmen und ein weltweiter Aufschrei waren die Folgen. An einem Tag wurden so viele Juden und Jüdinnen getötet wie seit der Shoah nicht mehr. Das ist schwer zu begreifen und einfach nur entsetzlich. Viele hier haben Angehörige, Freund*innen und Bekannte in Israel und Palästina.

Auf einem Musikfestival in der Negev-Wüste zeigten Aufnahmen von Kameras in geparkten Autos, wie Festivalbesucher*innen von Hamas-Terroristen gejagt und erschossen werden. Allein dort wurden 260 Leichen gefunden. Laut Augenzeug*innen wurden zahlreiche Frauen vergewaltigt, bevor sie getötet oder verschleppt wurden. Sie sind immer noch in Gefangenschaft der Hamas, so wie ca. 150 weitere Personen.

Im Angesicht dieser beispiellosen Barbarei, solch fanatischen Hasses und entmenschlichender Gewalt ist es völlig normal, mit nichts als blankem Entsetzen zu reagieren. Mit Angst, mit Trauer, mit Wut. Es ist quasi unmöglich, diese Bilder zu verstehen oder zu erklären. Es ist auch verständlich, keine Erklärung dafür zu haben, aber:

Es ist unbegreiflich, wie es Teilen der Innsbrucker Linken gelingt, die Augen vor diesen Geschehnissen zu verschließen. Auf Social Media werden die Terrorakte wahlweise als Widerstand, Befreiungskampf oder antikoloniale Praxis verklärt, mit Verweisen auf Gewalt und Menschenrechtsverletzungen Israels legitimiert und sich mehr oder weniger offen mit der Hamas und anderen islamistisch-faschistischen Terrororganisationen solidarisiert. Eine auf irgendeine Art empathische Reaktion in Bezug auf die Opfer und deren Angehörige suchte man vergebens. Dass es keine Empathie für ermordete Juden und Jüdinnen gibt, hat in Österreich und Deutschland Tradition - aber von internalisiertem Antisemitismus will man hier bis heute nichts wissen. So findet in Innsbruck am Sonntag, den 15.10.23 ein Vortrag von den beiden Gruppierungen "Samidoun Deutschland" und "BDS Austria" im Il Corvo statt.

Das Problem mit Samidoun Deutschland

Ein Netzwerk, welches die Hamas unterstützt, ist Samidoun Deutschland. Als Reaktion auf den Angriff der Hamas verteilten sie Süßigkeiten an Passant*innen in Berlin und feierten freudig den Angriff auf Israel mit Parolen wie "Der Widerstand erhebt sich". Bereits am Montagabend gab es Freudenfeste in München und Duisburg auf der Straße. Auch in Wien und in Innsbruck finden Protestveranstaltungen zum Thema statt. Bei vielen Solidaritätskundgebungen für die palästinensische Bevölkerung kam es zu antisemitischen Äußerungen, sowie Verherrlichung von islamistischem Terror und der Verklärung der unsäglichen Hamas-Gewalt als Befreiungskampf. Diese unerträglichen und widerwärtigen Solidaritätskundgebungen mit dem islamistischen Terror der Hamas kann nie die Position einer radikalen, emanzipatorischen Linken sein.

Was ist die Hamas?

Die Hamas ist eine islamistische Terrororganisation, die seit 2007 im Gaza-Streifen an der Macht ist. Ursprünglich 1987 als Unterarm der ägyptischen Muslimbruderschaft gegründet wird sie heute zu großen Teilen durch das iranische Regime finanziert und unterscheidet sich von diesem auch nicht nennenswert im politischen Programm. Für den Iran ist die Hamas ein wichtiges Instrument, um eigene politische sowie militärische Ziele im Nahen Osten durchzusetzen. Teil dieser ist nicht zuletzt ein offener Vernichtungsantisemitismus gegenüber Israel und allen Juden und Jüdinnen weltweit. Erklärtes Ziel der Hamas ist also die Vernichtung Israels und damit dem einzigen Schutzraum für jüdisches Leben und in diesem Zuge die Errichtung eines islamistischen Staates auf dem Territorium. Auch die palästinensische Bevölkerung, besonders im Gazastreifen, hat unter der Terrorherrschaft der Hamas zu leiden. Neben der kompletten Ablehnung einer friedlichen Lösung des Nahostkonflikts (hier ist natürlich auch Israel in die Verantwortung zu ziehen) wird Widerstand und linker Protest der Zivilbevölkerung gegen die Hamas unterdrückt.

Feministische Solidarität!

Zahlreiche Kurd*innen schreiben online, dass die "Allahu Akbar" Rufe der Hamas und die Schändungen von Frauen sie an den IS erinnern. Große Teile der kurdischen Freiheitsbewegung distanzieren sich deutlich von der Hamas. "Selbst nach einem Genozid und unbeschreiblichen Verbrechen hast du in fünf Jahren kurdischem Krieg gegen den IS niemanden gesehen, der mit toten Kämpfern posiert, geschweige denn mit toten Zivilisten." (Dastan Jasim, Twitter) Niemals haben kurdische Befreiungskämpfer*innen sich mit geschändeten Frauenleichen trophäenartig präsentiert. An solchen widerlichen, patriarchalen Taten wird der Unterschied zwischen Befreiungskampf und Terror deutlich.

Der islamistische Terror der Hamas äußerte sich auch in brutaler Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Es wurden viele Menschen entführt, besonders junge Frauen. Auf dem überfallenen Festival wurden Frauen neben den Leichen ihrer Freund*innen vergewaltigt und dann entführt oder ermordet. Ahnen kann man, dass tanzende FLINTA* Personen für die Hamas eine Verkörperung westlicher Moralvorstellungen darstellen. Die geschändeten weiblichen* Körper wurden zur Schau gestellt, bejubelt und bespuckt. Das zu hören ist absolut entsetzlich, solche Taten stellen den Gipfel patriarchaler Gewalt dar. Sexualisierte Gewalt wird als Kriegswaffe genutzt, das ist nicht nur zutiefst menschenverachtend und sexistisch, sondern auch eine Strategie, um die Zivilbevölkerung nachhaltig zu schwächen. Bewegungen, die solche widerwärtigen Taten gezielt einsetzten, können niemals als Teil eines Befreiungskampfes verstanden werden. Die befreite Gesellschaft kann nur in einer Welt ohne Patriarchat existieren. Befreiung muss immer intersektional gedacht und erkämpft werden. Es sind immer auch in erster Linie Minderheiten im Mittleren Osten, die unter islamistischer Herrschaft leiden. Die radikale Linke muss sich klar gegen Islamismus positionieren und alle Menschen als politische Subjekte wahrnehmen. Aus einem falsch verstandenen Antirassismus heraus dürfen keine Abstriche bei der Kritik an islamistischen Gruppen wie der Hamas gemacht werden.

Widersprüche aushalten: Gegen die vereinfachte Darstellung einer komplexen Welt

Manche Teile der Linken behaupten, man müsse ja die Geschichte der Unterdrückung Israels gegenüber den Palästinenser*innen sehen - es wäre ja kein Wunder, dass sich die Palästinenser*innen wehren würden. Von "logischer Konsequenz" ist die Rede, von Widerstand gegen die Besatzungs- bzw. Kolonialmacht. So ein Diskurs erweckt den Anschein, als gäbe es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man ist für solch einen "Befreiungskampf" Palästinas, der zur Not auch von islamistischen Motiven geprägt sein kann oder man macht sich des Rassismus schuldig, weil man die Politik Israels unterstützen würde.

Es ist kein Widerspruch, das Leiden beider "Seiten" zu beklagen. Es ist nicht sinnvoll, unsere komplexe Welt in "immer die Guten" und "immer die Bösen" zu unterteilen, wie es oft in postkolonialen Theoriekreisen passiert.

Es ist falsch, die Verantwortung für den Terror bei der palästinensischen Zivilbevölkerung zu suchen und es ist keine logische Konsequenz, auf Unterdrückung mit Massenmord und Vergewaltigung zu antworten. Zahlreiche israelisch-palästinensische Initiativen, die für eine friedliche Lösung des Konfliktes kämpfen, bezeugen dies und wollen mit der Hamas nichts zu tun haben. Wer auf den Tod von Menschen nur mit dem Verweis auf den Tod von anderen Menschen antwortet, zeigt nur seine*ihre eigene Menschenfeindlichkeit.

Zeichen von reflektiertem, kritischem Denken ist auch Widersprüchlichkeiten wahrzunehmen und auszuhalten. Die momentane israelische Regierung ist rechtsextrem und hat faschistische Tendenzen, sie ist zu bekämpfen wie jede andere rechtsextreme und faschistische Regierung auch. Bekämpfen heißt hierbei aber nicht islamistischen Terror zu unterstützen, gutzuheißen oder zu tolerieren.

Aus linker Perspektive ist jeder Nationalstaat zu kritisieren. Als einziger Schutzraum für Jüdinnen und Juden darf eine emanzipatorische Bewegung aber nicht das Existenzrechts Israels in Frage stellen. Die jahrhundertelange Verfolgung von Jüdinnen und Juden und die Shoah begründen die Notwendigkeit eines solchen Projekts.

Staatskritik

In einer staaten- und klassenlosen Welt würden Jüdinnen und Juden keinen Nationalstaat als Schutzraum brauchen. Die nationalstaatliche verfasste Welt und die kapitalistische Vergesellschaftung, die aus sich heraus immer wieder Antisemitismus als reaktionäre Ideologie hervorbringt, machen den jüdischen Nationalstaat erst notwendig. Eine Staatskritik im Sinne einer emanzipatorischen Bewegung muss die gewaltvollen Unterdrückungsmechanismen jedes Staates aufzeigen und kritisieren. Wenn sie sich aber "zufällig" am einzigen jüdischen Staat abarbeitet, liegt der Verdacht zumindest nahe, dass es sich dabei nicht um den Versuch der Überwindung von Herrschaft handelt, sondern schlichtweg um antisemitische Hetze.

Wie andere Unterdrückungsformen auch, entsteht und wirkt Antisemitismus auch im Unbewussten und aus diesem heraus. Dass die radikale Linke in Innsbruck es versäumt hat, sich mit eigenem Antisemitismus auseinanderzusetzen, wird deutlich erkennbar, wenn in einem der wenigen linken Räume dieser Stadt Organisationen wie Samidoun und BDS eingeladen werden.

Wenn sie ihrem emanzipatorischen Anspruch gerecht werden will, muss sich die radikale Linke Innsbrucks mit ihrem Antisemitismus auseinandersetzen.

Das Il Corvo darf keine Veranstaltungen mit Unterstützer*innen der Hamas machen und muss sich gegen Antisemitismus positionieren!

Gegen jeden Antisemitismus!

Gegen jeden religiösen Fundamentalismus!

Gegen patriarchale Gewalt!

Gegen die vereinfachte Darstellung einer komplexen Welt!

Für etwas Besseres als den kapitalistischen Nationalstaat!

Für die befreite Gesellschaft!

Für das Leben!

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