Nach drei Monaten auf die Straße? Stadt Wien produziert Obdachlosigkeit

veröffentlicht am 23. März 2023

Völlig überraschend kam Anfang Februar eine neue Regel für das Winterpaket der Wiener Wohnungslosenhilfe. Seitdem dürfen Menschen nur mehr drei Monate in einem Notquartier bleiben. Auch in anderen Einrichtungen haben sie keine Chance mehr auf einen Schlafplatz. Sie müssen raus auf die Straße; in der U-Bahn, in einem Abbruchhaus oder in einem Park schlafen. Das ist nichts anderes als städtisch verordnete Obdachlosigkeit.

Auch wenn die ersten Erfahrungen zeigen: Es wird nicht so heiß gegessen, wie gekocht wird. Es sind nur wenige Menschen, die von der neuen Regel betroffen sind. Es gibt Ausnahmen für besonders vulnerable Personen. Es gibt Ausnahmen für besonders kalte Tage. Es gibt ein paar wenig privat geführte Quartier, die sich nicht an die Regel halten müssen.

Doch das ändert wenig. Die Regel ist einfach nur krass. Menschen, die ohnehin schon nichts haben, wird das wenige auch noch weggenommen. Was mit den Leuten passiert, interessiert offenbar niemand.

Auch die Notquartiere verlieren so einen Teil ihrer Funktion, ihre Offenheit, ihre Niederschwelligkeit. Stattdessen werden sie noch mehr Teil einer bürokratischen Maschinerie, die städtisch verordneten Ausschuss schafft. Schon bislang war das Nächtigen in einem der Quartiere kein Honigschlecken. Sie hatten nur von November bis April offen. Sie hatten nur am Abend und in der Nacht offen. Es gab große Schlafsäle. Erst langsam und mühevoll in der Coronazeit durch viele Kämpfe wurde die Situation der Nächtiger verbessert. Jetzt geht es wieder in die andere Richtung. Jetzt werden die Regeln wieder verschärft.

Einmal mehr gibt es nur eine Direktive von oben. Einmal mehr wurden die Betroffenen und die Basisarbeiter*innen in Planung und Entscheidung übergangen. Mit Anfang Februar wurden die einzelnen Einrichtungen vor vollendeten Tatsachen gestellt. Überraschend ist, dass die Initiative dieses Mal nicht von der Stadt Wien oder dem FSW kommt, sondern von der Leitung der Sozial- und Rückkehrberatung (SoRüBe) der Caritas. Doch das macht wenig Unterschied. Ohne Rücksprache und Zustimmung der politisch Verantwortlichen wäre eine Regel mit solch weitreichenden Folgen nicht vorstellbar.

Bislang gibt es zwei verschiedene, unterschiedliche Erklärungen für die neue Regel. Doch beide machen nicht besonders viel Sinn. Einmal wird auf eine EU-Richtlinie verwiesen, laut der EU-Bürger*innen höchstens drei Monate ohne Anmeldung in einem Land bleiben dürfen. Doch nach ein theoretischer oder praktischer Kurzbesuch in Bratislava würde diese Frist von neuem beginnen. Für Betroffenen wäre das Problem für weitere drei Monate gelöst. Die jetzige Regelung nimmt darauf keine Rücksicht. Drei Monate sind drei Monate, egal ob diese durchgehend in Österreich verbracht wurden oder nicht.

Das andere Argument lautet, dass so sich verfestigende Obdachlosigkeit verhindert werden soll. Doch für die allermeisten Betroffenen ist das Problem, dass es keine Alternativen gibt. In ihren Heimatländern können sie ihre Lage nicht verbessern, in Wien haben sie keinen Anspruch; höchstens ein Platz in einem Massenquartier ist frei für sie. Solange es keine Alternativen gibt, helfen auch kein strengeres Vorgehen, keine schärferen Regeln. Ganz im Gegenteil wird durch dieses Vorgehen manifeste Obdachlosigkeit gefördert und nicht verhindert.

Es ist Zufall, dass in etwa zur gleichen Zeit die OMV ihr Rekordergebnis präsentierte. Es ist aber auch eine perfekte Beschreibung der Gesellschaft, in der wir leben. Während die einen, die ohnehin schon bis oben hin vollgefressen sind, noch mehr reingestopft bekommen, wird den anderen, die schon nichts haben, auch dieses „Nichts“ noch weggenommen. Das alles passiert in einer Stadt, die so stolz auf ihren sozialen Wohnbau ist. Die gut darin ist, ihr soziales Image zu vermarkten. Dich die Wirklichkeit schaut anders aus: Obdachlosigkeit ist nicht sozial! Sie ist das Gegenteil von Sozial! Und einmal mehr gilt es festzuhalten: Stadt Wien produziert Obdachlosigkeit!

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