Staatswohlgefährdende Kommunikationsguerilla: Wie unautorisierte Plakatkunst autoritäre Tendenzen aufzeigt.

veröffentlicht am 2. Februar 2021

Mit Farbe, Papier und Kleister verfremden Aktivist*innen in Berlin und Warschau Werbeposter, um politische Botschaften in den öffentlichen Raum zu tragen. Auf diese Art Kritik am Staat reagieren deutsche und polnische Strafverfolgungsbehörden jedoch empfindlich – mit Hausdurchsuchungen und Festnahmen.

English:
https://plakativ.blackblogs.org/2021/02/01/anti-state-guerilla-communication-how-unauthorized-poster-art-reveals-authoritarian-tendencies/

Kritik am Gesundheitsminister

Im Juni 2020, wenige Wochen vor der Wahl, begleiteten in Warschau Reporter*innen einer liberalen Tageszeitung eine Gruppe Aktivist*innen beim Adbusting. Während einer feministischen Aktionswoche hängten diese in Werbevitrinen an Bushaltestellen selbstgebastelte Plakate auf, die den in Korruptionsvorwürfe verstrickten polnischen Gesundheitsminister als scheinheiligen Heiligen zeigten. Der Ex-Gesundheitsminister ist auch für die unmenschliche Abtreibungspolitik der polnischen Regierung mitverantwortlich.

Ein anschließend von der Zeitung veröffentlichter Artikel über die Aktion, der auch Bilder der Plakate zeigte, löste angesichts der bevorstehenden Wahlen Entrüstung beim polnischen Etablissement aus. So kam es nur zwei Tage später zu zwei Hausdurchsuchungen, die medial inszeniert und von einem Fernsehteam begleitet wurden.

Dabei wurden eine Aktivist*in sowie eine Mitstreiter*in festgenommen und zwei Tage lang inhaftiert, ohne dass diese einen Anwalt kontaktieren durften. Außerdem wurden PCs, Handys und Bargeld beschlagnahmt.

In der Folge konstruierten die konservativen polnischen Medien aus der Aktion eine krude Verschwörungstheorie: Eine der Beschuldigten hätte bei einer Zeitung gearbeitet (Gazeta Wyborcza), welche derselben Investmentfirma (Agora) gehört, wie die Werbefirma (AMS), in deren Vitrine das Plakat aufgehängt wurde. Dies sei Beweis dafür, dass internationale Investoren versuchen würden, die Wiederwahl des Präsidenten Duda und seiner Minister zu verhindern.

https://www.fronda.pl/a/ewangelia-wg-lukasza-sz-nowe-fakty,145573.html/

Warum diese angeblichen finanzstarken und einflussreichen Mächte sich ausgerechnet einer Handvoll selbstgemachter Plakate bedienen sollten, wurde nicht erklärt. Ziel dieser abstrusen Theorien war wohl eher, jedwede Kritik am Staat zu delegitimieren und als Angriff von außen darzustellen. Übrigens war es die Werbefirma AMS (aus der oppositionellen Presse), welche die Aktivist*innen bei der Polizei denunzierte.

Strafbarkeit von Adbusting?

Dabei ist der zugrundeliegende Tatbestand eigentlich banal: Mit einem selbstgebauten Schlüssel werden Werbevitrinen geöffnet, um die selbst gestalteten oder veränderten Poster darin aufzuhängen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Anleitungen dafür findet man im Internet

https://bbsc.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/782/2020/03/anleitung.pdf

Beschädigt wird dabei nichts. Die Polizeibehörden wollen dadurch jedoch den Tatbestand des Diebstahls erfüllt sehen. Einen besonders schweren Fall sogar, den das polnische Strafgesetz mit 6 Monaten bis 10 Jahren Knast bestraft (in D-Land drohen „nur“ mindestens 3 Monate. Das hohe Strafmaß ergibt sich hierbei aus der Annahme, dass durch das Öffnen der Werbevitrine ein besonderer Schutz zur Diebstahlsicherung umgangen werde.

In Deutschland ist dies im § 243 StGB geregelt. Ein besonders schwerer Fall des Diebstahls liegt beispielsweise vor, wenn der Täter, um den Diebstahl zu begehen in ein Gebäude eindringt oder ein Schloss knackt. Jedoch schließt § 243 II StGB einen besonders schweren Fall des Diebstahls an geringwertigen Sachen aus. In einem Gerichtsverfahren 2019 in Berlin ging die Verteidigung des betroffenen Adbusters von einem Plakatwert von 5 Euro aus, auch ein kurzer Preisvergleich bei größeren Druckereien legt nahe, dass der Wert eines Plakates wohl eher überschaubar sein dürfte.

In vielen Fällen ist sogar die Verwirklichung des Grundtatbestands, also ob überhaupt ein Diebstahl vorliegt, fraglich. Viele Adbuster*innen nehmen die Plakate gar nicht mit. Sie lassen diese zusammengerollt in den Vitrinen, nachdem sie ihre eigenen Plakate aufgehangen haben, wodurch eine Strafbarkeit wegen Diebstahls bezüglich des Plakats in der Vitrine ausscheidet. Sofern die Aktivisten also eigens gebastelte oder gedruckte Plakate mitbringen, ist ein Diebstahl nicht verwirklicht.

Oft wird auch noch Sachbeschädigung in den Raum geworfen. Da die Kästen unbeschädigt bleiben, muss das veränderte Plakat für diesen Tatbestand herhalten. Auch die Staatsanwaltschaft in Berlin hat bereits anerkannt, dass wenn das vorherige Plakat unkompliziert wieder aufgehängt werden kann, eine Sachbeschädigung wohl schwierig zu bejahen sein wird.

Was die Polizei dazu motiviert, den fraglichen Straftatbestand dennoch auf dem Papier aufzupeppen, ist die Tatsache, dass ein krasser Grundrechtseingriff wie eine Hausdurchsuchung oder das Sichern von DNA-Spuren bei einem einfachen Diebstahl schlichtweg unverhältnismäßig und rechtswidrig wäre. Beim Ladendiebstahl rückt schließlich auch nicht die Spurensicherung an und wegen eines gestohlenen Kopfhörers wühlen sich die Beamten auch nicht durch eine Wohnung (außer man klaut Pflaster und wird dem Umfeld der Rigaer Straße zugerechnet. Dann ist auch hier der Staatsschutz zuständig).

Meinungsfreiheit und Staatskritik

Am Ende muss man sich also die Frage stellen, warum Adbusting solch vehemente Reaktionen der Strafverfolgungsbehörden nach sich ziehen. In Polen stellt seit 2015 mit der PiS eine sehr autoritäre Partei die Regierung. Sie ist bestrebt eine gesamtpolnische Zustimmung und Zufriedenheit mit der eigenen Politik zu suggerieren. Indem inländische Kritik kriminalisiert und als von außen gesteuert geframed wird, wird ihr nicht nur die Legitimation genommen, sie wird auch benutzt, um ein Feindbild im Ausland zu erschaffen. Gleiches passiert auch aktuell, wenn die Demonstranten gegen das Urteil zum Abtreibungsgesetz als Verbrecher beschimpft werden, die Polen zerstören wollten.
In Deutschland ist es bisher vor Allem Kritik an Bundeswehr und Polizei, die übertriebenes Vorgehen der Behörden ausgelöst hat. Weil veränderte Plakate die Bundeswehr „gar lächerlich“ machen (so das LKA in einer Begründung zur Notwendigkeit einer Hausdurchsuchung) und die Polizei nicht gerne in der Kritik steht, werden hier gegen Bagatellen große Geschütze aufgefahren.

https://emrawi.org/?Lacherlich-machen-verboten-Beschwerde-gegen-Hausdurchsuchung-nach-Bundeswehr-1060

Auch wenn in Deutschland noch keine Fernsehteams den Polizist*innen dabei live über die Schulter schauen – Wohnungsdurchsuchungen und überambitionierte Strafverfolgung kennen auch Adbuster*innen hierzulande. Plakate in Werbevitrinen sind hier sogar Fall für sämtliche Geheimdienste, diese scheinen die Kritik auf Plakaten als Bedrohung aufzufassen. Im Bundesverfassungsschutzbericht 2018 nennt das Bundesamt für Verfassungsschutz veränderte Bundeswehrplakate in einem Atemzug mit Gewalt und tätlichen Angriffen auf Beamte. Und nicht nur das, eine parlamentarische Anfrage brachte gar ans Licht, dass auch das Gemeinsame Extremismus- und Terrorabwehrzentrum von Bund und Ländern (GETZ), welches 2012 zur Bekämpfung rechtsextremistischen Terrors entstand, sich mit politischer Plakatkunst beschäftigt hat – und das 2018/2019 ganze viermal,
auch der Militärische Abschirmdienst beobachtet mindestens seit 2016 Adbustings regelmäßig.

Ein derartiges Framing, welches diese Aktionsform mit Terrorismus gleichsetzt, ist nicht nur höchst problematisch, es bleibt auch nicht ohne Folgen. Plakate in Werbevitrinen sind Fall für den Staatsschutz, neben Hausdurchsuchungen nahm die Polizei in einigen Fällen sogar DNA-Proben von sichergestellten Plakaten um den Tätern auf die Spur zu kommen und beschlagnahmte ein Telefon, wohl um Beweisfotos zu erlangen.

Dies kritisieren die Staatsrechtler Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano und Andreas Gutmann in einem Beitrag auf einem juristischen Blog der sich mit Verfassungsrecht beschäftigt.

Sie sehen die umfassende Verfolgung von Adbusting hierzulande vor Allem durch deren politischen Inhalt befeuert. So ein Vorgehen gegen ein bestimmtes Meinungsspektrum sei allerdings grundrechtlich bedenklich, da auch provokante Plakate unter die Meinungsfreiheit fielen. Wenn schließlich das Verändern von Plakaten deutlich strenger verfolgt würde als eine vergleichbare Sachbeschädigung ohne direkten Inhalt, dann verkehre sich das Recht auf politische Meinungsäußerung ins Gegenteil.

Sowohl in Deutschland als auch in Polen ist also zu sehen, dass politisch unangenehmen Meinungsäußerungen gerne mit der vollen Kraft des staatlichen Repressionsapparates begegnet wird. Wenn dabei die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit überschritten werden, wird gerne ein Auge zugedrückt. So antwortete der Berliner Senat für Inneres unter Staatssekretär Torsten Akmann und Andreas Geisel von der SPD auf eine parlamentarische Anfrage zu den Ermittlungen zu Adbusting, es handele sich zwar um „minderschwere Kriminalität“, da allerdings Themen wie Antimilitarismus und Antirepression berührt seien, wären die polizeilichen Maßnahmen in diesem Fall verhältnismäßig. Polnische Beamt*innen werden wohl kaum zu einem anderen Urteil gelangen.

Statt sich mit unangenehmer Kritik auseinanderzusetzen und Probleme anzugehen, werden so auch in Deutschland von netten freundlichen Sozialdemokat*innen und nicht nur von den Orbans in Osteuropa bestimmte Meinungsfelder unterdrückt und verunglimpft.

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