Wo bleibt der Hass auf die schöne neue Lagerwelt?

veröffentlicht am 29. August 2019

In den US-Auffanglagern für Migrant*innen eingepferchte Kinder haben, so entschied ein US-Gericht diese Woche, Anspruch auf Seife.

Lassen Sie sich den Satz auf der Zunge zergehen. In den US-Auffanglagern für Migrant*innen eingepferchte Kinder haben, so entschied ein US-Gericht diese Woche, Anspruch auf Seife. Es brauchte einen richterlichen Beschluss, um wegen nichts als ihrer Herkunft inhaftierten Minderjährigen den Zugang zu Seife zu garantieren.

Die Lager, die Washington als Abschreckung gegen nicht-weiße Mittellose aller Altersklassen, eingerichtet hat, sind überfüllt, Inhaftierte werden in Käfigen gehalten, Transgender-Gefangenen wird hormonelle Behandlung verweigert. Die medizinische Versorgung ist mangelhaft und die sanitären Umstände gesundheitsgefährdend. Gefangene müssen tagelang stehen oder auf dem blanken Boden schlafen. Ein Bericht des Department of Homeland Security wies aus, dass ein für 125 Personen ausgerichteter Raum von 900 Menschen belegt wurde. 24-Stunden-Bestrahlung mit Licht und Schikanen von Wärtern erinnern an Guantanamo – mit dem Unterschied, dass den in den ICE-Camps eingekerkerten nichts als ihre Herkunft vorgeworfen wird.

Während in den USA eine Koalition aus jungen jüdischen Aktivist*innen und radikalen Linken gegen die Einrichtungen mobil macht, erschöpfte sich die kurze Aufmerksamkeit in der hiesigen Social-Media-Szene in einer philologischen Debatte darüber, ob man die ICE-Camps Konzentrationslager nennen darf oder nicht. Keine Massendemonstrationen vor der US-Botschaft, keine militanten Aktionen, kein tief empfundener Hass gegen diejenigen, die Kinder wegen ihrer Hautfarbe in Käfige sperren.

Dabei könnten selbst diejenigen, denen die USA aus irgendwelchen Gründen zu weit vom eigenen Empörungskosmos entfernt sind, gut in der deutschen Regierung einen Adressaten ungezügelter Wut finden. Die Lager, die Berlin in Libyen ermöglicht, verdienen den Titel Konzentrationslager nämlich zweifellos. Folter in jeder erdenklichen Form, sexualisierte Gewalt, Sklavenhandel sind an der Tagesordnung in den EU-gesponserten Höllenlöchern Libyens.

Was ist eine angemessene Reaktion auf diese Zustände? Vielleicht noch am ehesten die Verzweiflungstat Willem van Spronsens, jenes Antifaschisten, der am 12. Juli bei einem Angriff auf ein US-ICE-Lager von Bullen erschossen wurde. Er habe eine „unerschütterliche Abscheu vor Ungerechtigkeit“ gefühlt, schreibt Miriam Marauders in einem Nachruf für das Commune Magazine und fragt: „Willem van Spronsen konnte nicht länger zusehen. Aber was werden wir übrigen tun?“

Die Frage ist berechtigt. Nicht allein wegen der im Krieg gegen die aus dem Trikont Fliehenden mörderischen Grenzregimes. Faschisierung, Krieg, Umweltzerstörung – auf sie alle reagieren wir mit einem gut informierten Schulterzucken und routinierten gelegentlichen Meinungskundgebungen zur Gewissensberuhigung.

Soll das so weitergehen? Und wenn ja, was wollt ihr in ein paar Jahrzehnten den Nachgeborenen sagen? Wie hast du auf den Massenmord im Jemen reagiert? Ich habe einen Tweet retweetet. Was hast du getan, als die Nazis anfingen, Waffen zu horten? Ich habe grün gewählt und mir ein Schild gebastelt. Und wie hast du reagiert, als sie Menschen wegen ihrer Hautfarbe in Folterlager sperrten? Ich habe hart diskutiert, ob man sie Konzentrationslager nennen darf oder nicht.

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