Abschiebezentren in Serbien geplant - Regierung hält sich bedeckt

veröffentlicht am 22. April 2020

Ein Brief an das serbische Flüchtlingskommissariat: Geflüchtete aus einem Lager bieten ihre Hilfe im Kampf gegen den Coronavirus an. "We are brothers in humanity"

Vor kurzem durch eine parlamentarische Anfrage an die Öffentlichkeit gekommen sind die Pläne der Regierung, Abschiebezentren in Serbien zu eröffnen. Das Abkommen wird aus unbekannten Gründen vor Staatsbürgern und Parlamentariern unter Verschluss gehalten – offiziell: „Über die wechselseitigen Rechte und Verpflichtungen in der Arbeitsvereinbarung wurde einvernehmlich Stillschweigen vereinbart.“

Mladen Savić, österreichischer Schriftsteller und Philosoph, berichtet in seinem Gastkommentar.

"Tarnkappenpolitik" - Gastkommentar von Mladen Savić*

Schutzsuchende und Flüchtlinge, deren Asylantrag in Österreich behördlich abgelehnt wird, sollen künftig nach Serbien deportiert werden können. Es existiere ein entsprechendes bilaterales Abkommen beider Länder, heißt es. Nationalratsabgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic kontert vergebens: „Rücknahmeabkommen sind, wie der Begriff verrät, nur mit Herkunftsländern vorgesehen.“ Das Deportationsabkommen, auf dem Mist des FPÖ-Politikers Herbert Kickl gewachsen und von der vorigen Kurz-Regierung am 24. April 2019 unterzeichnet, wird aus unbekannten Gründen vor Staatsbürgern und Parlamentariern unter Verschluss gehalten – offiziell: „Über die wechselseitigen Rechte und Verpflichtungen in der Arbeitsvereinbarung wurde einvernehmlich Stillschweigen vereinbart.“ Der Anstoß zur Veröffentlichung ist von außen gekommen. Inhaltlich sind die Informationen darüber sehr dünn und dürftig. Von den Grünen ist es, da sie mittlerweile mitregieren, herrschaftstechnisch abgenickt worden.

Eine parlamentarische Anfrage der NEOS-Abgeordneten Stephanie Krisper vom 14. Februar 2020 dazu hat zwei Monate später, am 14. April, eine schriftliche Beantwortung des Innenministers Karl Nehammer gefunden, der schon seit Beginn der Corona-Epidemie mit einer martialisch-autoritären Sprache unangenehm auffällt – und nun mit vagen Antworten und problematischen Aussagen. Unlängst erst hat er verlautet, die österreichische Polizei sei eine „Flex, die die Infektionskette durchtrennen“ solle, und darum werde sie „Corona-Infizierte aufspüren“, damit „die Glutnester“ rasch und polizeilich „gezielt gelöscht werden“. Was man mit dem faschistoiden Bild der Löschung von betroffenen Asylberechtigte, Werktätigen, Ärztinnen und Ärzte, Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger und Pensionären in Altersheimen bloß anfangen soll, außer sich zu gruseln, weiß niemand so recht. Da wundert es kaum, dass mitten in der Staatsquarantäne das Innenressort im Info-Formular für Asylwerbende prompt weglässt, dass auch ihnen das Spazierengehen erlaubt sei, es indes illegaler Weise droht, ihnen notfalls die Leistungen der Grundversorgung zu kürzen.
Man vergisst im traditionell gewohnten Legalismus allzu leicht, dass es sich hierbei um Menschen handelt.

Es ist kaum zu glauben, dass Nehammer, ehemaliger Generalsekretär der ÖVP, als Absolvent des Universitätslehrgangs „Politische Kommunikation“ nicht nur kein kommunikatives Feingefühl besitzt, sondern auch ein beunruhigendes Rechtsverständnis. Aus der besagten Anfrage erfährt man wenigstens, wie er sich und seine Rolle als ministeriell-staatlicher Gewaltmonopolist versteht und verortet: „Das österreichische Bundesministerium für Inneres ist eine monokratisch eingerichtete Behörde, an deren Spitze“ – er selbst stehe. Monokrat bedeutet übrigens Alleinherrscher auf Deutsch. Dies zu erwähnen scheint angebracht, weil die eigentliche Frage zu dieser schmissigen Antwort doch gelautet hat, wer denn das mysteriöse Abkommen zwischen Serbien und Österreich tatsächlich unterschrieben habe. Die Namen der Verantwortlichen bleiben „aus Datenschutzgründen“ geheim. Schließlich ist die Regierung samt ihren Mitgliedern auf dem besten Wege, so etwas wie eine verfassungsunabhängige Geheimorganisation zu werden. Sogar Kanzler Kurz pfeift in den Medien ganz ungeniert auf den Verfassungsdienst und die Vereinbarkeit seiner Verordnungen mit gesetzlichen Grundlagen. Lieber soll der Verfassungsgerichtshof nachbessern. Die Nichteinbindung des fachkundigen Verfassungsdiensts, so des Kanzlers Zirkelschluss, ergebe sich daraus, die gesetzlich vorgesehenen Begutachtungen eben weggelassen und stattdessen seine Verordnungen erlassen zu haben.

Wie aus der unbefriedigend beantworteten Anfrage, die mehrere Dutzend konkreter Fragen und präziser Unterpunkte beinhaltet hat, des Weiteren hervorgeht, wird man auch sonst nicht erfahren, was der genaue Inhalt des Vertrags sei: wie die Garantien für Menschenrechtskonformität und würdige Unterbringung in serbischen Asylzentren aussehen würden, zu welchen finanziellen Gegenleistungen sich Österreich verpflichtet habe, usw. Der Wind politischer Willkür wird getrost weiter wehen. Dabei hat bereits 2011 der Europäische Gerichtshof rechtskräftig darüber geurteilt, damals im Falle Belgiens zugunsten eines afghanischen Klägers, dass EU-Staaten keine Asylbewerber in Drittländer abschieben dürfen, wenn diese zuerst EU-Territorium betreten haben.

Nehammer aus seiner monokratischen Institution interessiert es nicht: „Darüber hinaus weisen durch die Flucht über die Westbalkanroute viele Fremde einen ausreichenden Bezug zu Serbien auf.“ Was hat das mit der europäischen Gesetzeslage und österreichischer Rechtsstaatlichkeit noch zu tun? Nichts.

Können die Flüchtlinge etwa an der bulgarischen, griechischen, spanischen oder italienischen Grenze legal einen Asylantrag stellen, wie es in den Genfer Konventionen zum Recht auf Schutz vorgesehen ist? Nein. Regelmäßig ist in Europa diese Möglichkeit einfach missachtet und ausgesetzt worden. Sind diese Konventionen durch das Bundesgesetzblatt denn Teil des österreichischen Rechts? Ja. Ändert das irgendetwas? Nein. Tarnkappenpolitik bedeutet, dass unterhalb des Radars öffentlicher Aufmerksamkeit eine schwarz-grüne, liberale Regierung, auch ohne es so zu nennen, blaue, rechtsextreme Politik gegen „die Umvolkung“ betreiben kann – ohne einen Aufschrei der Bevölkerung, die sich unter Umständen sogar freut, dass nicht „die Heimat“ Österreich, sondern „das Ausland“ Serbien ein Sammellager für asiatische und afrikanische Flüchtlinge werden soll. Ungarn hat vor Jahren schon die serbische Grenze zur Sicherheit gänzlich eingezäunt.

Sensationalistisch und zum Teil zur Ablenkung vor grundlegenderen gesellschaftlichen Problemen haben seit der deutschen Wende 1989 die kapitalstarken Medien tagein, tagaus die Ethnisierung von Diskursen geschürt und seit der Finanzkrise 2007, hüben wie drüben, systematisch auch die Angst vor Migrationswellen geweckt. Das nennt sich Vorurteil: 2019 haben gerade einmal 9723 Menschen in Österreich das Asylrecht zuerkannt bekommen, und in Serbien befinden sich laut dortigem Flüchtlingskommissariat im gleichen Zeitraum nicht mehr als 8835 Flüchtlinge landesweit in Aufnahmezentren. Doch die „besorgten Bürger“, die ihre Führer ins Verderben und ihre Ausbeuter anbeten und um Macht und Reichtum beneiden, haben angeblich Angst vor „Flüchtlingsströmen“. Stimmt das überhaupt? In Wirklichkeit ist es die Angst vor dem sozialen Abstieg, die ihnen in den Knochen sitzt, aber zum Aufbegehren gegen Kapital und Lohnabhängigkeit sind sie in Summe entweder zu dumm oder zu feige.

Und die Flüchtlinge selbst im echten Leben, die vielerorts als Bedrohung gelten? Am 30. März erhält Slobodan Savović vom Flüchtlingskommissariat im südserbischen Bujanovac einen Brief der syrischen und anderen arabischen Flüchtlinge vor Ort, worin steht, dass diese um die schwierige Lage des Landes Bescheid wissen und daher helfen wollen, beispielsweise durch Nähen von Masken und Desinfizieren im Krankenhaus: „Wir sind alle Menschen. Der Virus macht keinen Unterschied zwischen einem Staatsbürger und einem Geflüchteten.“ Ist das vielleicht bedrohlicher als die Geheimniskrämerei und Kungelei von Regierungen und Staatsbeamten? In der großen Politik greift derweil die Anomie um sich, eine willkürliche Aushebelung bestehender, bindender Gesetze beim Schaffen rechtsfreier Räume im Namen der Staatsräson. Diese Aufweichung der Gewaltenteilung und Rechtstaatlichkeit darf niemals „neue Normalität“ werden, auch in Zeiten des Ausnahmezustands nicht, denn normal ist es keineswegs, hinter dem Rücken der Bevölkerung zu werkeln, sondern als „neues Paradigma des Regierens“ höchstens gefährlich.

Wenn die blinde Macht der Verhältnisse allgegenwärtig und allmächtig wird, schrumpfen sowohl der menschliche als auch der demokratische Handlungsspielraum schneller, als allen lieb wäre. Die Menschlichkeit ist dann das Erste, das man opfert, und das Letzte, das sich mühelos wiederherstellen ließe.

*Savić ist ein österreichischer Schriftsteller und Philosoph. Sein neues Buch “Narrenschiff auf großer Fahrt” ist im März 2020 im Drava-Verlag erschienen.

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