Abschluss-Statement zum Ende des Antifa-Ost-Prozesses in Dresden
Nach 98 Verhandlungstagen äußere ich mich in diesem Abschlussstatment zum sog. Antifa-Ost-Verfahren vor dem Oberlandesgericht in Dresden.
Dieses Statment wurde während der Urteilsverkündung bei der Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude schon einmal verlesen.
Als Angeklagter im sogenannten Antifa Ost-Verfahren durfte ich mit meinen Mit-Angeklagten, Companerxs, 98 Verhandlungstage, im Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts Dresden verbringen.
Dort sollte festgestellt werden, ob wir zwischen 2018 und 2021 als kriminelle Vereinigung an mehreren Angriffen auf organisierte Nazis in Thüringen und Sachsen beteiligt waren.
Konkrete Beweise konnten in der ganzen Zeit, trotz jahrelanger Soko-LinX-Ermittlungen und eines Kronzeugen, weder Staatsanwaltschaft noch Gericht präsentieren.
Verurteilt wurden wir trotzdem. Das stand schon fest, bevor die Anklage überhaupt erhoben wurde.
Es scheint paradox, ist aber bezeichnend, dafür verurteilt zu werden, sich gegen diejenigen zu stellen, welche die faschistische Vergangenheit Deutschlands wiederbeleben möchten.
Auch wenn jeder Staat und jedes sogenannte Volk ein faschistisches Potential in sich trägt, hat insbesondere das deutsche Volk eindrucksvoll seine herausragende Unmenschlichkeit unter Beweis gestellt.
Solange wir in rassistischen, auf einer Verwertungslogik basierenden Verhältnissen leben, besteht grundsätzlich eine Wiederholungsgefahr.
Ganz zu Schweigen von existierenden nationalbefreiten Zonen bundesweit.
Es ist unsere Pflicht, alles dafür zu tun, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.
Ziel und Funktion von Behörden wie der Bundesanwaltschaft oder des Bundeskriminalamts(BKA) ist die Aufrechterhaltung der herrschenden Ordnung dieses Staates.
Wie alle staatlichen Repressionsbehörden sind sie keine neutralen Instanzen und waren es auch nie.
Die Bundesanwaltschaft wurde in der unmittelbaren Nachkriegszeit von Juristen des ehemaligen NSDAP-Machtapparats aufgebaut, die sich bis ins Pensionsalter großzügig gegenseitig Posten zuschoben. 1966 waren zehn von damals elf Bundesanwälten ehemalige NSDAP-Mitglieder.
Das gleiche gilt für das BKA. Dieses wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von den ehemaligen SS-Mitgliedern Paul Dickkopf und Rolf Holle aufgebaut. Entsprechend entspannt war der Umgang mit Nazis in den Chefetagen. Noch 1959 waren zwei Drittel der Beamten im BKA-Führungsstab ehemalige SS-Mitglieder, drei Viertel gehörten zuvor der NSDAP an.
Dieser „Rechtsstaat“, der sich hier vor Gericht durchgesetzt hat, lässt sich nicht ohne die Geschichte seiner Behörden beurteilen.
Die ideologischen Wurzeln dürfen niemals vor den Erzählungen angeblicher Einzelfälle und Einzeltäter in Vergessenheit geraten.
Es gab nie den Punkt, an dem deutscher Faschismus der Vergangenheit angehörte und „wir“ uns allein dem Gedenken widmen könnten.
Zu vielen Morden sehen wir uns jedes Jahr gegenüber und zu vielen, die auf deutschen Straßen, ganz zu Schweigen von Fluchtrouten nach und durch Europa, niemals in Sicherheit leben können.
Wir leben in der BRD nicht mehr im Faschismus, aber in einer Gesellschaft, in der es vielen von uns möglich ist, die Gewalt nicht wahrzunehmen, die dennoch all unsere Verhältnisse durchzieht.
Es wäre unmöglich all das aufzuzählen, was für den Reichtum hier woanders zerstört werden muss.
Der Zerstörung des Klimas liegt ein verschwenderisches System zugrunde, das den Meisten hier in Zentraleuropa ein sehr bequemes Leben ermöglicht.
Ausbeutung und Klimazerstörung führen all dort zu Tod oder Flucht, wo Menschen keine Alternativen bleiben.
Für tausende Menschen bleibt so nur einer der gefährlichsten Wege der Welt, über das Mittelmeer, um am Leben zu bleiben.
Doch danach folgen Knäste, Lager, Abschiebungen und die neokolonialen Einteilungen nach Herkunft und Hautfarbe.
So wie vor dieser Gewalt die Augen verschlossen werden können, so wurde in diesem Prozess alles dafür getan, die konkrete Gewaltausübung von Neonazis auf ostdeutschen Straßen nicht zu thematisieren. Vor diesem Hintergrund ist die Forderung nach Gewaltfreiheit zynisch, geschichtsvergessen und lebensfern.
Gewalt ist ein fundamentaler Teil jeder Gesellschaft, es gibt aber einen Unterschied zwischen der Gewalt, die Unterdrückung bekämpft und der Gewalt, die benutzt wird,um zu unterdrücken.
Gewalt ist für mich kein Selbstzweck, sondern ein Mittel welches leider notwendig und legitim ist im Kampf gegen Unterdrückung und Herrschaft.
Die Konsequenz daraus ist, dass sich Gewalt auch gegen Personen und Institutionen richten muss, die diese Unterdrückung ausüben.
Antifaschistisches Engagement geht daher nicht nur gegen Nazis, sondern zwangslaufig gegen den Staat, mit einer emanzipatorisch revolutionären Perspektive.
Dieses Verfahren war eine harte aber auch sehr lehrreiche Zeit. Sie hat mich gelehrt, mehr Ansprüche an mich selbst und meine Companer@s zu stellen.
Das heißt für mich, dass eine kritische Auseinandersetzung mit uns selbst, unseren Beziehungen und Dynamiken untereinander ein fortlaufender Teil jeglicher politischer Arbeit sein muss.
Das hätte unter anderem vielleicht zu einem anderen Umgang mit Johannes Domhöver geführt, der nicht so katastrophal unverantwortlich gewesen wäre, wie es hier gelaufen ist.
Ich habe außerdem erfahren, wie wichtig es ist, sich gemeinsam frühzeitig mit Repression auseinander zu setzen, im Idealfall bevor sie einen selbst erwischt und bereits einen gemeinsamen Fahrplan im Hinterkopf zu haben.
Das hätte mir, beziehungsweise uns, möglicherweise ermöglicht, eine andere offensivere Prozessstrategie zu fahren, die uns zum Schluss politisch gestärkt zurück gelassen hätte. Leider ist uns das nicht gelungen.
Dabei wäre dieses Gerichtsverfahren meiner Meinung nach prädestiniert für einen offensiven politische Umgang auch im Gerichtssaal gewesen.
Zum einen, weil der Staat mit der Abgabe des Verfahrens an die Bundesanwaltschaft und das Oberlandesgericht seinen politisch motivierten Verurteilungswillen offen klargestellt hat.
Zum Anderen hätte so das Verfahren für uns wegweisend für die zahlreichen anderen 129Verfahren, die noch kommen werden, sein können.
In Situationen, in denen wir Angriffen des Staates ausgesetzt sind, eine konfrontative Haltung zum Staat und seinen Repressionsorganen zu haben und diese auch mit den Mitangeklagten zu teilen, hilft einen klaren Kopf und unsere politische Identität zu bewahren. Das kann uns sogar gestärkt aus diesen hervorgehen lassen.
Dennoch haben wir es als Angeklagte zu jeder Zeit geschafft, einer gemeinsamen Prozessstrategie zu folgen.
Und wir haben uns gegenüber dem Staat, trotz Versuchen seitens des Gerichtes, weder unter den Angeklagten oder den Solistrukturen spalten lassen.
Und das lässt mich/uns ungebrochen auf das Verfahren zurück schauen.
Ich hoffe, dass dies die Basis in den kommenden Reppressionsfällen bleibt und daraus ein offensiveres, stärkendes Signal für militanten Antifaschismus und den Kampf für eine freie selbstbestimmte Gesellschaft hervorgeht.
Until all are Free.
Danke für eure Solidarität.