Dies ist ein Artikel, der auf englisch und französisch veröffentlicht wurde und die Geschichte der französischen Bewegung Aufstände der Erde, Soulèvement de la Terre erzählt. Die Autorin Christine Dann stammt aus Neuseeland und ist selbst seit den 1970er Jahren in sozialen und ökologischen Bewegungen aktiv, für die sie auch schreibt. Sie stammt ursprünglich aus Aotearoa in Neuseeland und ist Mitglied des Kernteams des Global Tapestry of Alternatives.

In diesem Artikel versucht sie die Bewegung der Soulèvement de la Terre nachzuvollziehen, lässt französische und andere intellektuelle Denker*innen zu Wort kommen, welche die Bewegung selbst unterstützen oder in ihr aktiv sind. Sie analysiert den Unterschied der französischen zu anderen Klimarechtsbewegungen und die Aussagen zu Taktik und Unterschieden sind äußerst lehrreich nicht nur für Frankreich und über die Klimabewegungen hinaus.

Im Artikel selbst gibt es Querverweise und im Anhang des Originals findet ihr zahlreiche weitere Texte und links zur Bewegung der Soulèvements de la Terre u.a.
Damit bietet dieser Beitrag einen sehr umfangreichen und guten Einblick.

"Wir sind Bewohner im Kampf, die an ihr Territorium gebunden sind."
Erdaufstände [2023]

,,Ein gemeinsamer Faktor ist die Territorialisolierung der Bewegungen-das heißt, sie haben Wurzeln in Räumen, die durch (offene oder unterirdische) Kämpfe zurückerobert oder auf andere Weise gesichert wurden." [Hervorhebung hinzugefügt] [Zibechi 2012, S14]

Im Jahr 2012, dem Jahr, in dem Raúl Zibechis Analyse der ,,neuen " sozialen Bewegungen Lateinamerikas (spätes 20.und frühes 21.Jahrhundert) auf Englisch veröffentlicht wurde, kämpfte eine Gruppe von Einwohner*innen auf der anderen Seite des Atlantiks in Frankreich darum, ein Territorium zu verteidigen, die Zone à Défendre (ZAD) von Notre-Dame-des-Landes. Im Jahr 2009 schlossen sich Dutzende neuer ,,Nachbar*innen" [Einwohner*innen] den Landwirt*innen an, die auf Teilen des 1650 Hektar großen Gebiets in der Nähe von Nantes lebten und arbeiteten und dachten, dass es nicht zu einem zweiten Flughafengebiet für die Stadt werden sollte.
Die Neuangekommenen bauten im gesamten Gebiet eine Reihe kreativer Wohnhäuser und arbeiteten mit den ursprünglichen Bewohner*innen zusammen, um die Flughafenpläne anzufechten. Im Oktober wurden sie von Hunderten Polizist*innen angegriffen, die dreizehn Wohnungen zerstörten und die Bewohner vertrieben.

Die ZAD- Protestbewegung entfachte den Funken für die Verteidigung von Territorien in Frankreich als Bürger-und Umweltrecht.
Aber das war nur der Anfang der Geschichte...Im November 2012 kamen etwa
40 000 Menschen, um die Zone zu verteidigen und Tausende von Polizist*innen, die Tausende von Granaten warfen, konnten sie nicht aufhalten. Der Kurzfilm Rear Window-Zone à Defendre (zu verteidigende Zone) zeigt, wie alles passiert ist. ( der link zum Film ist im Originaltext)
Außerdem, wie die Zadist*innen" siegten und wieder in der Zone lebten und sie beschützten.

Als 2021 in Frankreich eine neue Bewegung zur Verteidigung von Territorien entstand( les Soulévements de la Terre)/Erdaufstände/SDLT) und 2023 so effektiv war, dass der französische Staat ein Dekret zu ihrer Auflösung erließ, begann ich mich zu fragen, ob es Gemeinsamkeiten und Faktoren gibt, die diese unabhängigen ( und einander unbekannten) Verteidigungen von Territorien in verschiedenen Teilen der Welt verbinden. Insbesondere: Warum und wie kamen die Aktivist*innen, die sich für die Abwehr extraktivistischer Industrien und den Schutz des menschlichen und nichtmenschlichen Lebens in ihren Heimatbezirken einsetzen dazu, die Verteidigung von la terre/la terra (Land/Erde) als grundlegendes Leitprinzip in deren Aktionen festzulegen? Anhand der Arbeit von Autor*innen zu diesen Themen untersuche ich im Folgenden einige der Antworten auf diese Fragen.

Definition der Territorialverteidigung

Wenn man wissen möchte, was derzeit in Bezug auf die Verteidigung französischer Territorien geschieht, ist es sehr hilfreich, französisch lesen zu können ( und/oder Online-Übersetzungssysteme) nutzen zu können. Bevor ich einen ersten Entwurf dieses Artikels schrieb ( im Mai 2023) habe ich drei Wochen lang online nach einer guten Darstellung dessen auf englisch gesucht, ohne eine zu finden. Die erste Erwähnung, die ich gefunden habe, war tatsächlich irreführend. Sie kam vom schwedischen Professor für Humanökologie Andreas Malm, der mit Sicherheit am rechten Fleck ist, wenn es um die Dringlichkeit geht, Maßnahmen gegen die ökologische Zerstörung zu ergreifen, die der mit fossilen Brennstoffen betriebene Industriekapitalismus anrichtet. Allerdings ist seine Darstellung der Entstehung von SDLT falsch und auch sein Verständnis dafür, warum und wie SDLT das tut, was es tut, fehlt.

Am 21. April 2023 berichtete der Guardian über Malms Ansichten wie folgt:
,,Aber die aufregendste Entwicklung im Umweltprotest, sagt Malm, gab es in Frankreich, wo Aktivisten unter dem Banner von Les Soulèvements de la Terre
Sabotagekampagnen gegen umweltzerstörerische Ziele gestartet haben".
Letzten Monat kämpften Tausende mit der Polizei in Saint-Soline im Westen Frankreichs, um ein neues Megaprojekt zur Gewinnung von Grundwasser für die industrielle Landwirtschaft zu verhindern. Les Soulèvements de la Terre haben die Taktik der Klimacamps entwickelt, die erstmals in GB erfunden und in Deutschland mit Ende Gelände, der deutschen Bewegung gegen Kohlebergbau, vollständig ausgearbeitet wurde und sie mit langjährigen gallischen Traditionen des politischen Kampfes und der Konfrontation kombiniert. ,,Die taktische Agenda von Les Soulèvements de la Terre besteht tatsächlich darin, Sabotage zu betreiben," sagte Malm. ,,Das war der Zweck dieser Aktion, dass sie dieses Wassereservoir sabotieren wollten, was sie schon bei früheren Gelegenheiten getan haben", sagte er.

Diese Geschichte ist nicht korrekt. SDLT ist Teil einer Bewegung zur Verteidigung von Territorien, die sich in Frankreich unabhängig und auf einer völlig anderen Grundlage als das Klimacamp-Phänomen im Vereinigten Königreich entwickelte. (Diese Initiative dauerte nur fünf Jahre, von 2006 bis 2011 und hatte ihren Ursprung bei einem Protest gegen das G8-Gipfeltreffen in Schottland im Jahr 2005) Es ging auch Ende Gelände voraus, das erst 2015 gegründet wurde. Und während der Autor ,, How to Blow a Pipeline" natürlich sehr daran interessiert ist, wie es für ihn aussieht, Sabotage als Taktik einzusetzen, ist dies nicht das was SDLT selbst sagt.

Die Aktion von Saint-Soline im Jahr 2023 stand bevor. Ihr Plan bestand immer darin, mit den ankommenden Demonstrant*innen die Bassins zu umzingeln, außerdem organisierten sie einen Traktorkonvoi und viele Bildungs- und Musikveranstaltungen, die sie als ebenso wichtig erachteten. Leider wurden diese, wie SDLT selbst zugibt, von der Heftigkeit des Angriffs der Polizei und der Notwendigkeit der Verteidigung Priorität einzuräumen, überschattet.

Was ist also die wahre Geschichte von Soulèvement de la Terre und wie sieht die Tätigkeit aus?

Französische Bewegungen zur Verteidigung des Territoriums

Der starke Widerstand gegen die Ausbeutung von Heimatorten hat in Frankreich eine lange Geschichte. Die jüngsten Beispiele, die SDLT-Aktionen vorausgingen, waren der erfolgreiche ( nach zehn Jahren, 1971-1981) Widerstand gegen die Pläne zur Erweiterung der Militärbasis auf dem Larzac-Plateau und die erfolgreiche fünfjährige Kampagne (1976-1981) gegen ein geplantes Atomkraftwerk in Abmelden. José Bové, ein Aktivist, der an der Besetzung von Larzac teilnahm ( und dort Schafe züchtete und Käse herstellte) , spielte weiterhin eine herausragende Rolle bei der Verteidigung des Landes und seiner Produkte und verbrachte deshalb Monate im Gefängnis. Er war einer der Gründer*innen (1987) der Confédération Payasanne, einer Gewerkschaft, die KLeinbauer*innen vertritt, die sich gegen die industrielle Landwirtschaft aussprechen. Dazu gehört der Widerstand gegen Pestizide, die genetische Veränderung von Pflanzen und Tieren und zuletzt gegen die Mega-Bassins, die riesigen Wasserreservoirs, die von industriellen Landwirtschaftskonzernen erschlossen werden, um Monokulturen von Mais und andere Getreidesorten in immer wärmer und trockener werdenden Landschaften zu bewässern.

Gegen solche extraktivistischen Konstruktionen ist auch die Bewegung von "Bassins Non Merci!" aktiv, die 2017 gegründet wurde, ursprünglich um die Region Deux-Sèvres vor unregulierten und übermäßigen Bassin-Bau zu schützen.
Seit 2012 ist auch die ZAD-Bewegung in Frankreich gewachsen. Seit Notre-Dame-des-Landes wurden über ein Dutzend ZADs gegründet. Einigen gelang es, die Gebiete die sie verteidigen, vor Ausbeutung zu schützen; andere sind gescheitert; einige versuchen es immer noch. Die Zadist*innen haben in der Regel Bündnisse mit den örtlichen Ablegern der Confédération Paysanne geschlossen und gemeinsame Sache gemacht. Im Januar 2021 kamen Vertreter aller drei Aktionsbewegungen der Territorialverteidigung mit anderen Ökoaktivist*innen zusammen, um zur Bildung von Les Soulèvements de la Terre beizutragen.
In einem undatierten (13. Mai 2023) Blogbeitrag in englischer Sprache beschrieb SDLT seine Ursprünge und seinen Zweck folgendermaßen:

"Die französische Bewegung Erdaufstände ( Soulèvements de la Terre) bringt Klimaaktivist*innen, Bauern, Gewerkschafter*innen, autonome antikapitalistische Gruppen sowie Menschen zusammen, die an lokalen Territorialkämpfen und ZADs beteiligt sind. Die Bewegung begann im Januar 2021 und ging aus der Beobachtung hervor, dass nur eine radikale Veränderung - ein tatsächlicher Aufstand den Klimawandel und das sechste Massensterben, das derzeit im Gange ist, stoppen könnte. Die Ziele von Earth Uprisings bestehen darin, Kollektive direkte Aktionen zu ergreifen, ein Netzwerk lokaler Kämpfe zu knüpfen und gleichzeitig eine größere Bewegung des Widerstands und der Landverteilung zu fördern."

Seitdem hat SDLT in Zusammenarbeit mit nationalen und lokalen Partner*innen, die sich zweimal jährlich zu Planungsversammlungen treffen, mehrere Aktionen organisiert. SDLT lädt öffentlich dazu ein, sich in einem bedrohten Gebiet zu versammeln und richtet auf dem Gelände eine Base Arriere ( hinterer Stützpunkt) ein, um sich um die Unterstützer*innen der örtlichen Verteidiger*innen zu kümmern. Diese Unterstützer*innen kommen aus ganz Frankreich und sogar
darüber hinaus. Die großen Aktionen finden in den wärmeren Monaten normalerweise zwei bis drei Tage im Monat statt. Bei allen geht es darum, sich zusammenzuschließen, um bei der Verteidigung bestimmter Gebiete zu helfen, die durch Megabecken, Autobahnausbauten, Minen, Flughäfen und andere Formen des industriellen und kommerziellen Extraktivismus auf Kosten der lokalen Bewohner*innen- Menschen und Nichtmenschen- bedroht sind.

Frankreich hat eine schreckliche Bilanz bei der Entfesselung staatlicher Gewalt gegen legitime Proteste der Bevölkerung.
Diese Aktionen waren unterschiedlich erfolgreich und keine davon erregte außerhalb Frankreichs große Aufmerksamkeit, bis im März 2023 eine große Aktion gegen die Mega-Bassins in Saint-Soline sehr hässlich wurde. Tausende Polizist*innen griffen Zehntausende friedlich Demonstrierende mit Trännengas und Blendgranaten an und warfen in nur zwei Stunden 5 000 Granaten.
Hunderte wurden verletzt und zwei wurden lebensgefährlich verletzt.

Sabotage? Oder Abrüstung?

Diese übermäßige Reaktion der Polizei [die in Frankreich leider weder ungewöhnlich noch beispiellos ist] hat in französischen Aktivist*innenkreisen viele Debatten darüber ausgelöst, ob, wann und wie die Beschädigung von Privateigentum eine angemessene Taktik ist. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sowohl die Geschichte solcher Taktiken in Frankreich als auch die Art und Weise zu verstehen, in der SDLT als ,,Bewegung von Bewegungen" organisiert ist, um die Rolle der Sabotage als Verteidigungsform zu bewerten. Ein Teil der Geschichte wurde oben dargelegt und in Richtung auf letzteres muss man wissen, dass geeignete Taktiken nicht auf nationaler oder bewegungsweiter Ebene festgelegt werden, sondern als Reaktion auf lokale Bedingungen von denjenigen getroffen werden, die direkt an der Aktion beteiligt sind, wie es die SDLT selbst in der politischen Ökologie-Rezension-Terrestres am 17.April 2023 erklärte.

,,Wenn wir Baustellen nicht immer vollständig stoppen können, können wir dazu beitragen, dass eine unüberschaubare Situation entsteht, die für unsere Gegner zu kostspielig ist. Von den sechzehn in Deux-Sèvres geplanten Becken wurden nur zwei in Betrieb genommen. Bisher wurde noch kein weiteres Projekt gestartet, mehrere sind jedoch geplant. Wir können dies als direkte Folge der von den Organisator*innen durchgeführten Demonstrationen sehen, aber zweifellos auch als Folge der anonymen Arbeit nächtlicher Handwerker*innen, die dreizehn Becken in der Region entwaffnet haben, gepaart mit der kolossalen Arbeit wissenschaftlicher Gegenuntersuchungen, welche die Argumente gegen diese Agrarwirtschaft ermöglicht haben. Beachtet, dass die SDLT die Sabotageaktionen in der Region Deux-Sèvres nicht für sich in beanspruchten, sondern sie auf die ,,anonyme Arbeit nächtlicher Handwerker*innen" zurückführt. Sie würdigt jedoch die Demonstrationen, die organisiert wurden und würdigt die Wissenschaftler, die geforscht haben, was mit den Mega-Bassins nicht stimmt. Doch im Juni 2023 veröffentlichte sie eine Erklärung und Verteidigung der ,,Abrüstung" als Taktik, in der es hieß: ,,Gegenüber dem Begriff ,, Sabotage" bietet der Begriff,,Abrüstung" den Vorteil, die ethische Tragweite der Geste und die Art der Ziele direkt zu erklären, Zweck und Mittel zu verknüpfen. Während sich Sabotage im Strafgesetzbuch auf die ,,Zerstörung lebenswichtiger Infarstruktur für das Land" bezieht, zielt Abrüstung auf giftige und zerstörerische Infrastruktur ab. Es ist die Frage der Selbstverteidigung, eine lebenswichtige Notwendigkeit angesichts einer Katastrophe."

,,Aus Sicht des französischen Staates gilt jedoch ein Angriff einer großen Anzahl von Menschen auf eine Zementfabrik der Lafarge-Firma in La Malle im Dezember 2022 und der damit verbundene Schaden als ,,Öko-Terrorismus."
Obwohl diese Aktion nicht von der SDLT organisiert wurde, beteiligten sich Unterstützer*innen der SDLT auch an ,,Öko-Tagen", und dies war einer der Gründe, die Innenminister Pierre Damarin für seine Entscheidung anführte, die Auflösung der SDLT einzuleiten, die er am 28.März 2023 dem französischen Parlament bekannt gab. Am 21.Juni wurde das Auflösungsdekret erlassen und am 28.Juni verhaftete die Polizei acht Aktivist*innen mit der Begründung, sie hätten die eine oder andere der beiden großen Demonstrationen in Sainte-Soline organisiert oder daran teilgenommen. Bedeutet das, dass die Taktik der Sabotage aufgegeben werden sollte? Viele französische Aktivist*innen denken nicht. Dass es wünschenswert sei, unterschiedliche Formen des Handelns zu ergreifen und nicht eine gegenüber der anderen zu bevorzugen, brachte der Philosoph Baptiste Morizot bei Terrestres im April 2023 zur Antwort, weshalb er SDLT unterstützt. Er sagte, dass frühere Intellektuelle, die gebeten wurden, eine Bewegung zu unterstützen, zwischen Handlungsweisen -,,gewalttätig" oder ,,gewaltlos" wählen und sich an diese Linie halten mussten.
Aber zu SDLT sagte er,,...eine große Originalität der Aufstände der Erde besteht darin, zu berücksichtigen, dass diese beiden Fragen zweitrangig sind" .
Da es beim Kampf um bestimmte Orte geht, werden Bindungsbeziehungen zum Land aktiviert. Sobald eine kollektive Position in Bezug auf den Ort geklärt ist (z.B. wie Wasser geteilt werden soll und welche Absurdität Mega-Bassins haben), müssen sich nicht alle einer einschränkenden politischen Ideologie anschließen. Wir können einfach wir selbst sein und eine gemeinsame Front bilden, um die Bewegung zu unterstützen. Eine solche Pluralität, die sich auf territorialisierte Themen konzentriert, ist Teil der politischen Intelligenz der Earth Uprisings.
Ebenso besteht eine Notwendigkeit grundsätzlich Stellung zu beziehen zu der Frage der Wirkungsweise, da es in dem jeweiligen Kontext und dem Gebiet, in dem man sich bewegt, von der örtlichen Zusammensetzung [der Kräfte] und der kollektiven Intelligenz abhängt. Wähle die Aktion, die Sinn macht. Das Projekt, sich mit denen auseinanderzusetzen, die in diesen Umgebungen leben und denen diese Orte, ob menschlich oder nichtmenschlich, am Herzen liegen, verändert die Art der Kämpfe völlig."

Territorium versus Staat

Morizot ist nicht der einzige französische Denker und Aktivist, der feststellt, dass die Aktionen von SDLT in erster Linie durch ihre Beziehung zum Territorium und nicht durch die verwendeten Aktionsweisen definiert werden können. In dieser Hinsicht unterscheidet sich SDLT deutlich von den meisten anderen Umweltaktivistibewegungen des 21.Jahrhundert und insbesondere von denen, die auf nationaler und/oder globaler Ebene agieren. Die Maßnahmen von SDLT werden eher auf lokaler als auf nationaler (geschweige denn internationaler) Ebene initiiert. Der Anstoß für große Aktionen kommt von den Menschen, die an Orten leben, an denen die Aktion stattfindet und die auf loklae Provokationen durch Pläne wie Flughäfen oder Mega-Bassins reagieren. Eine große Anzahl reist möglicherweise an, um Demonstrationen und andere Aktionen an diesen Orten zu unterstützen, aber sie tun dies auf Einladung der Einheimischen, die vor Ort bleiben und den Kampf fortsetzen, nachdem die Gäste nach Hause gegangen sind.

Im Gegensatz dazu ist die derzeit prominenteste Klimaschutzbewegung im Vereinigten Königreich ( Extinction Rebellion) international aktiv und basiert nicht auf Verteidigung lokaler Gebiete. Nach eigenen Angaben gibt es 1070 Gruppen in 86 Ländern. Sie sind auch staatsorientiert. Alle drei Kernforderungen beginnen mit ,,Regierungen müssen..." und fordern die Menschen auf, ,,unserer globalen und politisch überparteilichen Bewegung beizutreten, in der wir gewaltfreie direkte Aktionen nutzen, um Regierungen davon zu überzeugen, im Klima-und Umweltnotstand gerecht zu handeln." Auch die älteste und größte Klimaschutzbewegung der USA, 350 org. ist eine globale Organisation mit über 100 Mitarbeiter*innen auf der ganzen Welt. Ihre drei Kernforderungen sind nicht regierungsorientiert und zwei von ihnen erwähnen gemeinschaftsbasierte Maßnahmen, aber sie gehen nicht von der Verteidigung eines Territoriums aus und priorisieren sie auch nicht. Dies bedeutet, dass es Meinungsverschiedenheiten über die Taktik geben kann, obwohl Nicolas Hearinger, stellvertretender Direktor für Bewegungspartnerschaften bei 350 org.
in Frankreich am 4.Juli 2023 behauptete, der zweiseitige Aufstand, der Frankreich erfasst, sollte keine Rolle spielen. Er weist darauf hin, dass ,,.....Allianzen nicht auf taktischen Diskussionen aufbauen.
Debatten und Streitigkeiten über Taktiken neigen dazu, das ganze Gespräch zu stehlen, wenn wir strategisch den Überblick verloren haben. Später bleibt immer genügend Zeit, um einer anderen Meinung zuzustimmen. Allianzen enstehen aus etwas anderem: einer gemeinsamen Erfahrung ( oder einer gemeinsamen Wut), eine Reihe von Forderungen, die so formuliert werden können, dass sie stärker werden; ein gemeinsamer Horizont; oder eingemeinsames politisches Projekt."

Bildet sich rund um Earth Uprising ein gemeinsamer Horizont oder ein gemeinsames politisches Projekt? Im April 2023 fragte Terrestres vierzehn französische Denker*innen und Intellektuelle, warum sie Earth Uprising unterstützen, was sie davon halten, dass der Innenminister die intellektuelle und mediale Unterstützung für SDLT als ,,intellektuellen Terrorismus der extremen Linken" bezeichnet und ob sie die aktivistische politische Ökologie für gefährlich halten.

Den Lebensunterhalt zurückgewinnen

Sophie Gosselin, Philosophie Lehrerin und Autorin ( zusammen mit ihrem Philosophenkollegen David gé Bartoli) von La Condition Terrestre ( Seuil 2022) gab die ausführlichste Antwort auf diese Frage. Sie sieht in den Erdaufständen eine neue Phase der politischen Aktivität, die ,,.....die Notwendigkeit bekräftigt, unsere materiellen Lebensbedingungen zurückzugewinnen und die irdischen Gemeingüter zu verteidigen, von denen unsere Existenz und die anderer Lebensformen abhängen: Wasser, Erde, Luft, Tierwelt..."
Um dies zu erreichen, sagt sie:,,.....beinhaltet eine Territorialisierung der Kämpfe, welche die Frage nach den Orten aufwirft, an denen wir leben und wohnen und die auf konkrete und kollektive Weise gestellt wird ( und nicht durch Berichte, Anhäufung von Zahlen, großartigen Reden von Experten für Experten) die Frage der terrestrischen Bewohnbarkeit." Ein weiteres und neues Merkmal, das sie identifiziert, ist ,,....der Bruch mit einer im Wesentlichen wirtschaftlichen Interpretation sozialer Probleme." Das beinhaltet,,...wir stellen eine Wirtschaft in Frage, die auf globalisierten Produktions- und Konsuminfrastrukturen basiert, die uns von unserem Lebensumfeld abschneiden, indem sie es auf ausbeutbare ,,Ressourcen" redzuzieren." Dies hat dazu geführt, dass sich Menschen in Frankreich,,...in der gleichen Situation befinden wie die kolonisierten indigenen Völker, die das von den Kolonialstaaten im Namen des Fortschritts aufgezwungene wirtschaftliche und politische Modell ablehnen."
Was diese Völker verteidigten und noch immer verteidigen: Land, Wasser, Kontrolle ihrer Lebensbedingungen, politische Autonomie und Ernährungsautonomie."

Das spiegelt wider, was Sherri Mitchell in ,,Sacred Instructions: Indigenous Wisdom for Living Spirit Based Change" sagt. in Kapitel 17 skizziert sie die ,, vier Grundlagen selbstbestimmter Gesellschaften". Dies sind Wasser-, Nahrungsmittel-, Energie- und Bildungssouveränität. Bildungssouveränität ist der vierte Faktor, den die von Zibechi untersuchten lateinamerikanischen territorialen Bewegungen gemeinsam haben. Er widmet Kapitel 2 von "Territories in Resistance" der Beschreibung von ,,Sozialen Bewegungen als Räume des Lernens ". Mitchell betont die Notwendigkeit, die Kontrolle über den eigenen Lebensunterhalt und die eigenen Lernmethoden und deren Ergebnisse zu übernehmen, anstatt abzuwarten oder sich darauf zu verlassen, dass der Staat das bereitstellt, was erforderlich oder gewünscht ist.
Menschen die als Bewohner*innen der Erde gegen die Zerstörung der Umwelt protestieren, verkörpern gewissermaßen die Natur, die sich selbst verteidigende Natur."

Gosselin macht dasselbe im Hinblick auf die Neuartigkeit dessen, was Earth Uprisings tut und sagt:
,,...Die meisten ökologischen Kämpfe, die wir beispielsweise bei der Klimabewegung gesehen haben, zielen darauf ab, Regierungen auf die Notwendigkeit aufmerksam zu machen, ihre Politik zu ändern. Sie versetzen sich in die Situation, den Staat anzuflehen, besser zu handeln. Was meiner Meinung nach darauf hinausläuft, auf die demokratische Erneuerung des politischen Lebens zu verzichten und stattdessen die Hilflosigkeit zu erneuern, in der sich die Völker, die Bürger*innen und Einwohner*innen aufgrund der Beschlagnahmung politischer Aktivitäten durch eine Minderheit der an der Macht befindlichen Oligarch*innen ....es bedeutet auch, so zu tun, als ob eine der Komponenten des Problems ( der Staat in seiner modernen Form) eine Lösung darstellen könnte."

Verteidigt sich die Natur?

Die Selbstbestimmung der Menschen in ihren Territorien ist nur die Hälfte dessen, was Earth uprising von früheren ökologischen Bewegungen unterscheidet.Wie Gosselin es ausdrückt:,,...bis vor Kurzem bestand die Herausforderung bei ökologischen Kämpfen meist darin, natürliche Umgebungen zu schützen, die noch als außerhalb der menschlichen Gesellschaft angesehen wurden. Durch Erdaufstände erhebt sich die Erde selbst, also die Wesen, die sie bevölkern und die sich als ,,terrestrisch", als Bewohner*innen der Erde erkennen. Die Erdaufstände sind die konkrete Unterstützung des beim ZAD von Notre-Dame-des-Landes getragenen Slogans, der lautete:,,Wir verteidigen die Natur nicht. Wir sind die Natur, die sich selbst verteidigt." Was durch diese Aufstände bestätigt wird, sind die Bande der gegenseitigen Abhängigkeit, die Menschen und Nicht-Menschen in einem gemeinsamen Schicksal vereinen."

Zibechi sieht ein ähnliches Gefühl der Verbundenheit und Identifikation mit einem bestimmten Ort in den lateinamerikanischen Bewegungen. Er sagt,,...im Gegensatz zu den alten Arbeiter*innen- und Bauer*innenbewegungen ( in denen die Inder zusammengefasst waren) sind die aktuellen Bewegungen eine neue Organisation des geografischen Raums, in dem neue Praktiken und Beziehungen entstehen. Sie betrachten Land als mehr als ein Produktionsmittel und gehen damit über eine enge ökonomische Vorstellung hinaus." ( Zibechi, 2012 S 18-19)
Sind die Aufstände der Erde also wirklich eher den territorialen und autonomiebejahenden Bewegungen Lateinamerikas und/oder den Bewegungen der indigenen Völker ähnlicher als den national und international ausgerichteten Klimabewegungen? Um diese Frage zu beantworten, ist noch viel mehr Forschung erforderlich, von der ich hoffe, dass sie von anderen aufgegriffen wird. Dabei geht es darum , die anderen typischen Merkmale der lateinamerikanischen und indigenen Bewegungen zu zu prüfen, ob sie in den Erdaufständen zu finden sind oder nicht. Es muss auch sorgfältig geprüft werden, inwieweit solche Vergleiche möglich und überhaupt wünschenswert sind.
In dieser Hinsicht ist es möglicherweise notwendig, die von Sauralh Arora und Andy Stirling empfohlene Vorsicht walten zu lassen, wenn es darum geht, zu sehen, was aus den globalen Kolonisierungsländern hervorgeht, als relevant für den Rest der Welt. Sie schrieben im April 2023 in Bezug auf Degrowth ( ein Konzept, das erstmals in Frankreich enstand und größtenteils in Europa entwickelt wurde).

,, In den Degrowth - Argumenten, die oft auf kolonial privilegierte Regionen im globalen Norden beschränkt sind, gibt es viel zu loben. Doch wie das Sparring der 1970er Jahre teilen Degrowth- Narrative mit dem Ökomodernismus eine tiefe Konditionierung durch die koloniale Moderne- die sich in der Vorstellung einer ,,Eine -Welt-Welt" manifestiert."
,, Aus dieser Sicht werden Menschen verschiedener Kulturen als einzige Menschheit dargestellt. Dies erstreckt sich auf eine einzigartige ,,Natur", die als separate Kategorie von Objekten betrachtet wird, die in erster Linie als Ressourcen genutzt werden ( und nur durch die moderne Wissenschaft erkennbar sind). Unterschiede zwischen verschiedenen Lebensweisen werden somit auf die Menge und Effizienz der Ressourcennutzung reduziert, mit mehr oder weniger ,,Umwelt"- Auswirkungen.
Diese unglückliche Fixierung auf Größen auf vermeintlich vorgegebene Dimensionen übersieht und untergräbt die wahre radikale Vielfalt sozialer und materieller Welten, deren Verflechtungen das Pluriversum auf der Erde ausmachen." Werden die Anhänger der Earth Uprisings nicht nur die ,,Eine-Welt-Welt" Ansicht aufgeben, sondern auch den in Lateinamerika eingeschlagenen Weg zur Entwicklung nichtkapitalistischer und nichtstaatlicher Methoden der Produktion und Reproduktion des Lebens, der Kommunikation und Organisation weitergehen?

Die englischsprachigen radikalen Feministinnen der 1970er Jahre ließen auf Kundgebungen gegen repressive Abtreibungsgesetze einen Slogan skandieren:,,Nicht die Kirche, nicht der Staat- Frauen müssen über unser Schicksal entscheiden!"
Sind diejenigen, die gegen den globalen Kapitalismus und Kolonialismus sind und in den Staaten leben, aus denen diese Ausbeutungssysteme hegemonisiert wurden nun bereit zu erforschen, was es bedeutet Orte zu schaffen, an denen der Markt und der Staat nicht mehr regieren und es auch zu praktizieren statt nur zu bewohnen?
Angesichts der Bandbreite und Tiefe des Denkens und Handelns rund um die Verteidigung von Territorien, die derzeit in Frankreich stattfinden, mit anhaltenden, zivilen Debatten darüber, wie dies am besten zu tun ist, sowie der Offenheit für die Art und Weise, wie dies in anderen Teilen der Welt getan wird, könnte dies eine nützliche Orientierungshilfe sein.
Ich gehe davon aus, dass das, was Earth Uprising darstellt, vielleicht ( bin ich zu hoffnungsvoll?) etwas wirklich Neues für die ursprünglichen Zentren des globalen Kolonialismus und Kapitalismus ist. Eine neue Art des Denkens und Seins, die über die koloniale Moderne hinausgeht und unsere Aufmerksamkeit (wieder) auf das tägliche Leben und seine erdgebundenen Bedingungen richtet. Auf ,,alle unsere Beziehungen", menschliche und nicht-menschliche, vergangene, gegenwärtige und zukünftige. Eine Bewegung, die versteht und bereit ist, das in der Tat umzusetzen, was der Lehrer und Schriftsteller der australischen Aborigines Tyson Yunkaporta, für wahr weiß-
,,Eine tiefe Beziehung zu einem Ort verändert alles an dir-deine Stimme, deinen Geruch, deinen Gang, deine Moral."

übernommen von Soulèvements de la Terre, übersetzt von Sofie

https://lessoulevementsdelaterre.org/de-de/blog/earth-uprisings-une-histoire

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