feministischer Redebeitrag Afghanistan is not safe Demo Innsbruck

veröffentlicht am 24. August 2021

Folgenden Redebeitrag haben für die Afghanistan is not safe!-Demo vom 21.8. in Innsbruck vorbereitet. Es handelt sich nicht um eine Positionierung als österreichische Linke, uns geht es darum, Sprachrohr für feministische, progressive und demokratische Kräfte in Afghanistan zu sein. Ihr könnt die Rede gerne weiterverwenden und bearbeiten!
No Taliban, No Imperialism, All Power to the People!

Genoss*innen, Gefährt*innen und Freund*innen!

Bitte hören wir auf uns die Frage "Wie können wir helfen?" zu stellen.
Es geht nicht um Hilfe, denn wir sind keine Retter*innen, wir hier in Europa, im ganzen globalen Norden sind viel eher Zerstörer*innen, Besatzer*innen, Kolonisator*innen. Unsere "Hilfe" ist keine Hilfe! Worum es geht, ist Unterstützung jener Kräfte, die demokratisch, feministisch und revolutionär sind! Es geht um internationale - oder eigentlich: internationalistische Solidarität!
Hören wir denen zu, die eine emanzipatorische Zukunft für die jeweiligen Gebieten im globalen Süden vorsehen und erkämpfen wollen.

Ich werde in meiner Rede weniger selber Position beziehen, sondern revolutionären Frauen* aus Afghanistan dies überlassen.

In einem Interview von ANF mit Selay Ghaffar, der Sprecherin der Solidaritätspartei Afghanistans, meinte diese noch vor zwei Wochen:

"Ja, wir haben Alternativen, aber die Situation hier ist sehr kompliziert. Jeder hat seine Hände in Afghanistan. Wir können Frieden und Stabilität nur durch die Macht des Volkes erreichen. Das afghanische Volk muss sich organisieren, zusammenschließen und gegen diese Kräfte kämpfen, wenn es Frieden und Sicherheit in seinem Leben haben will. Das ist der einzige Weg zu einer demokratischen und volksnahen Regierung, die von Menschenrechten sprechen und Menschlichkeit und Wohlstand in das Leben des afghanischen Volkes und insbesondere der Frauen bringen kann."

"Wir haben Hoffnung trotz des Krieges, und viele andere fortschrittliche Organisationen ebenfalls. Wir arbeiten zusammen, Seite an Seite und verbünden uns als Opposition gegen diese Dinge. Wir haben Hoffnung für die Zukunft. Deshalb kämpfen wir gegen die Besatzung, gegen die Fundamentalisten.
Dafür haben wir sehr gute Beispiele. In einigen Städten Afghanistans haben Frauen zur Waffe gegriffen und gegen die Taliban gekämpft, weil sie sich an ihnen rächen wollten für die Verbrechen, die in ihren Gemeinden begangen wurden. Erst kürzlich nahm eine Frau in einer Provinz Afghanistans eine Waffe und tötete diese Mörder. Auch im Norden des Landes gibt es Gruppen, die sich gegen die Verbrechen positionieren. Alle diese Gruppen entstehen in der Bevölkerung und der Kampf für Gerechtigkeit gibt uns Hoffnung. Aber wir brauchen eine sehr starke Führung, eine sehr starke fortschrittliche Partei, die all diese Kräfte, Gruppen und Menschen gegen die Besatzer und ihren lokalen Arm, das sind die Taliban und das Marionettenregime, führt und organisiert.
Wir haben schon immer gesagt, dass wir von der kurdischen Bewegung und vom kurdischen Volk inspiriert sind, besonders wenn es um den Kampf gegen den IS geht. Wir müssen von ihnen lernen und den gleichen Kampf gegen die Taliban hier in Afghanistan führen. Denn wir haben im Moment eine ähnliche Situation, der IS ist bereits in Afghanistan. Wir müssen also von ihnen lernen und diese Art des Kampfes gegen unsere Feinde fortsetzen."

ANF fragt Selay: Wie können Menschen Unterstützung und Solidarität zeigen? Und ich glaube diese Antwort ist für uns alle wichtig! Sie sagt:

"Wir bitten unsere internationalen Geschwister-Organisationen immer darum, unsere Stimme zu sein. Ihr müsst gegen unseren einen Feind kämpfen, den Imperialismus, den kapitalistischen Staat, der die ganze Welt regieren will, die ganzen Unterdrückten. In Syrien, im Irak, in Afghanistan. Wir haben einen einzigen Feind, den Imperialismus. Bekämpfen wir ihn gemeinsam. Wir werden aus euren Erfahrungen lernen. Lasst uns unsere Erfahrungen miteinander teilen. Wir sollten aus den Erfahrungen der anderen lernen, um für Gerechtigkeit, für die Menschenrechte, für die Rechte der Frauen zu kämpfen. Wir müssen uns gegenseitig unterstützen. Wenn wir von der afghanischen Regierung angegriffen werden, wollen wir, dass Demonstrationen und Aktionen vor der afghanischen Botschaft durchgeführt werden, um sie zu verurteilen und Druck auf sie auszuüben. Die Situation in Afghanistan hängt jedoch nicht nur von der eigenen Regierung ab. Sie hat auch mit internationalen Supermächten zu tun, wie den USA und europäischen Ländern, die ihr Geld in Afghanistan ausgeben. Ihr könnt als politische Bewegungen Druck auf die internationalen US-NATO-Kräfte ausüben und fordern, dass der Krieg in Afghanistan gestoppt und kriminelle Gruppen wie die Taliban und der IS nicht länger unterstützt werden. Auch wenn Frauen unter Druck geraten, wollen wir, dass ihr uns zur Seite steht. Wir möchten, dass ihr unsere Stimme seid und Druck auf die Regierungen ausübt, um zum Ausdruck zu bringen, dass ihr euch auch in Afghanistan für die Rechte von Frauen einsetzt."

Die Solidaritätspartei Afghanistan "Hambastagi" ist eine linke, säkuläre Oppositionsbewegung, welche sich aktiv gegen die Doppelbesatzung durch die ausländischen Truppen sowie die Taliban wehrt. 2015 zählte sie über 30´000 Mitglieder*innen. Zu ihren programmatischen Grundlagen gehören der Kampf für Demokratie und für die Gleichberechtigung der Ethnien, die Gleichheit von Mann und Frau sowie die juristische Ahndung der Kriegsverbrechen der letzten Jahrzehnte. „Wir positionieren uns sowohl gegen die sowjetische Besatzung, die Herrschaft der unterschiedlichen Fraktionen der Islamisten, aber auch die NATO-Besatzung“, stellt Hafiz Rasikh klar. Die internationale Solidarität ist eine wichtige Maxime der „Hambastagi“. Kontakte bestehen zu Podemos in Spanien, aber auch zu Syriza in Griechenland sowie zu ausserparlamentarischen Bewegungen in vielen Ländern.

Eine weitere unterstützenswerte Organisation ist die RAWA - die Revolutionäre Vereinigung der Frauen in Afghanistan, die schon im Kampf gegen die damalige afghanische Regierung während dem Stellvertreterkrieg zwischen roter Armee und USA in den 80gern im Untergrund aktiv war.
Interessant ist: damals sendeten die USA den Taliban sowie anderen fundamentalistische Gruppen Geld und Waffen, anstatt fortschrittliche Kräfte im Kampf gegen die russische Besatzung zu unterstützen, denn ihr einziges Ziel war der Antikommunismus.
Als der Stellvertreterkrieg zu Ende war, hat die Organisation auch unter der darauffolgenden Herrschaft der Taliban in den 90gern ihre Tätigkeit fortgesetzt. Beispielsweise hatten sie zu dieser Zeit ein illegales Netzwerk von Mädchenschulen und Bildungsprogrammen für Frauen aufgebaut.
Bis heute macht RAWA viel Bildungsprogramme. In einem Interview mit Vorwärts aus 2008 sagt die Sprecherin Zoya:
"Wir organisieren Lese- und Schreibkurse für Frauen, welche nicht mehr ganz so geheim geplant werden müssen wie zu Zeiten der Taliban. Unsere Kurse finden sowohl in den Provinzen als auch in Kabul sowie in den afghanischen Flücht­lingslagern in Pakistan statt. Darüber hinaus haben wir auch Programme zur Gesundheitsvorsorge. Wir konzentrieren uns auf die Dörfer und ländlichen Gegenden, die von NGO und anderen Organisationen nicht erreicht werden. Dort treffen wir uns dann zum Beispiel im Haus einer Lehrerin, laden die Nachbarinnen ein, über diese bekommen dann auch andere Frauen und Fami­lien von dem Vorhaben mit, und am Ende wissen alle in der Gegend von dem Lese- und Schreibkurs und können mitmachen. Die Teilnahme ist kosten­los."

Es ist wichtig anzumerken, dass RAWA nicht im wirklichen Sinne eine humanitäre Organisation ist sonder eher dem sozialen Aktivismus zuzuordnen ist. Aufgrund der starken Kriminalisierung linker Aktivitäten, benützen aber viele ihrer Interventionen diesen Deckmantel.

Den explizit sozialrevolutionären Zugang sehen wir in einem Interview mit der FAU, dort meint Zoya:

"Die lokale Bevölkerung hat große Angst aus mehreren Gründen: der Krieg und die Besatzung haben ökonomisches, soziales und kulturelles Elend verstärkt. Für Organisationen der radikalen Linken wie RAWA ist der Kampf sehr schwer, da sie gegen eine Allianz von vier Gegnern kämpfen: die Besatzungstruppen einer Koalition von 41 Ländern, die Regierung die mit den Besatzern zusammenarbeitet, die Drogenbarone und die fundamentalistischen Taliban und IS. Die Widerstandsorganisationen befinden sich unter Druck von allen Seiten, aber wir, als RAWA, werden niemals zustimmen, uns mit auch nur einem dieser vier Gegner der Menschen von Afghanistan zu einigen.
Unsere Bemühen gelten zuerst und vor allem dem radikalen politischen Widerstand. Wir befürworten eine Form der politischen Selbstorganisation, die fähig ist, den Willen des afghanischen Volkes auf eine gewaltlose Art und Weise zu verkörpern. Wir kämpfen für die Errichtung einer demokratischen Volksfront, welche demokratisch-antifundamentalistische Menschen und Organisationen sowohl in Afghanistan als auch im Westen zusammenbringen würde, um das afghanische Volk zu unterstützen. Es ist sehr schwierig, aber gewiss nicht unmöglich!
Direktes politisches Handeln ist in Afghanistan sehr schwer zu verwirklichen, da große Unterdrückung vorherrscht: die Gründerin von RAWA, Meena, wurde 1987 ermordet. Das hält uns jedoch nicht davon ab, unsere Botschaften zu verbreiten!"

Schon 2008 meinte die selbe Aktivistin auf die Frage:
Wer soll die Fundamentalisten entmachten und die demokratischen Kräfte schützen, wenn die internationalen Truppen abziehen? Immerhin nehmen sie es mit bewaffneten und gewaltbereiten Gruppierungen auf.
"Zum einen sehen wir auch mit den tausenden Soldaten im Land nicht, dass demokratische Organisationen vor Fundamentalisten geschützt werden, zum anderen erwartet niemand eine Ver­änderung von einem Tag auf den anderen. Ein demokratischer Wandel ist keine Tagesaufgabe – sondern eine, die vielleicht drei Jahrzehnte dauern könnte. Diese Aufgabe kann nicht nur von Afgha­nistan aus bewältigt werden. Das ist der Grund, warum Rawa-Aktivistinnen auch in den westlichen Ländern Menschen erreichen wollen. Denn diese können auf ihre Regierungen Druck aus­üben, die Afghanistan-Politik zu ändern, das heißt, die Unterstützung fundamentalistischer Gruppen zu beenden und stattdessen auf demokratische Stimmen zu setzen. Ohne den Druck der Menschen wird sich nichts ändern – damit sind sowohl die Menschen in Afghanistan als auch in den westlichen Ländern gemeint."

Viele RAWA-Mitglieder*innen sind in den letzten Jahrzehnten ermordet worden, viele eingesperrt und gefoltert. Politische Feminizide sind in Afghanistan keine Seltenheit. Heute kann die Organisation in Afghanistan erneut nicht mehr öffentlich auftreten. Es ist noch immer lebensgefährlich, sich in Afghanistan zur RAWA zu bekennen. Die Organisation wird stark kriminalisiert, und brutal gegen die Frauen* vorgegangen.
RAWA ersucht die internationalistische Öffentlichkeit immer wieder um Unterstützung an, sie brauchen dringen Spenden und politischen Support. Auf ihrer Seite rawa.org findet ihr das Spendenkonto.

Zum Schluss möchte ich mit dem Statement von Women defend Rojava Deutschland enden, welches vor ein paar Tagen erschienen ist:

Unsere Herzen bluten: Höchste Zeit für internationale Solidarität laut aufzustehen!

„Schämt Euch. Schande über die ganze Welt für das, was ihr Afghanistan angetan habt. Warum habt Ihr das getan? Waren wir in Euren Händen nichts als ein Spielball? Ihr habt Eure dummen Entscheidungen ohne uns getroffen. Ihr zerstört alles, wofür wir so hart gearbeitet haben. Ihr widert uns an.“ Das sagte Mahbouba Seraj, Gründerin des Afghan Women‘s Network, angesichts des Rückzugs der US-Truppen aus Afghanistan letzte Woche.
Nur wenige Tage später kontrollieren die islamistischen Taliban das ganze Land. Dieser Eroberungsfeldzug ist eine humanitäre Katastrophe! Alle Bemühungen, Geschlechterbefreiung herbeizuführen und demokratische Werte in Afghanistan zu erkämpfen, sind bedroht – und mit ihnen die Menschen, die dafür kämpfen. Die Folgen, die Frauen, Minderheiten, queeren Personen und den Menschen, die sich für demokratische Werte einsetzen, noch bevorstehen, sind aktuell nur schwer in Worte zu fassen.
Die NATO- Staaten hinterlassen Afghanistan als Schlachtfeld, das erst durch ihre imperialistische Politik der letzten Jahrzehnte geschaffen wurde. Die aktuellen Geschehnisse zeigen abermals, dass das Gerede von der westlichen Verantwortung für Demokratie und Menschenrechte schon immer eine vorgeschobene Lüge war, um geopolitische Interessen durchsetzen zu können. Der Schutz der afghanischen Bevölkerung ist kein Teil dieser Interessen. Sie wird den Islamisten überlassen. Flucht und Leid sind die Folgen.
Es ist eine Zeit, in der die imperialistische und machtgierige Außenpolitik westlicher Staaten einem Großteil der Bevölkerung bewusst wird. Das Bild der leeren Bundeswehrmaschine, die nur sieben Menschen vom Flughafen in Kabul rettete, spricht dabei Bände. Zeitgleich verkündet ein Taliban-Sprecher auf einem türkischen Nachrichtensender: „Die Türkei ist ein Bruderstaat von uns. Wir werden eine gute Zusammenarbeit haben.“
NATO-Partner Türkei und Taliban Hand in Hand. Unterdessen bombardierte der türkische Staat in den vergangenen Tagen mehrmals Şengal – Am Dienstagabend sogar ein ziviles Krankenhaus. Das Ziel: Die Vernichtung des Rechts der Ezid*innen auf Selbstverteidigung und Selbstverwaltung. Diese Politik ist ekelhaft. Der islamistische Gürtel im Nahen Osten wächst immer weiter und die Bundesregierung schaut nicht nur zu. Nein – Sie sieht sich nach wie vor als enger Vertrauter des faschistischen Regimes in der Türkei – einem Bruderstaat der Taliban. Diese heuchlerische Politik ist abscheulich, menschenverachtend und muss von uns mit einem unaufhaltsamen Widerstand beantwortet werden.
Diese imperiale Politik macht uns abermals deutlich, dass nur die Gesellschaften selbst die Lösungskraft für ihre Probleme sein können. Ziel muss es sein, dass sich alle Gesellschaften an den Orten, an denen sie leben und leben wollen, selbstbestimmt organisieren können. Die eigentliche Kraft liegt bei den Menschen selbst. Insbesondere Frauen und weitere unterdrückte Geschlechter tragen die Kraft in sich das freie Leben zu erschaffen. Kein Staat wird in der Lage sein, ebendies zu tun.
Wir rufen also dazu auf, feministische internationale Solidarität praktisch werden zu lassen. Das bedeutet für uns die selbstbestimmte Selbstorganisierung aller Menschen in das Zentrum unseres Kampfes zu setzen.
Es gibt viele Formen des Widerstands, nutzen wir sie: Beteiligt euch weiterhin an Demonstrationen oder organisiert diese. Teilt an euren Arbeitsorten, in der Schule, an der Uni oder Nachbarschaft Materialien, Spendenkontakte und Informationen. Sprecht Politiker*innen an. Organisiert Nachbarschaftscafés, informiert die Menschen um euch herum und diskutiert mit ihnen über das aktuelle politische Weltgeschehen. Seid künstlerisch aktiv und lasst eurer Kreativität keine Grenzen. Und hört dabei vor allem der afghanischen Bevölkerung zu.
Der imperialistischen Politik – ob in Afghanistan, im Şengal oder in anderen Teilen der Welt – muss ein Ende gesetzt werden! Das wird nur durch uns geschehen!

Der Kampf für Freiheit wird das freie Leben erschaffen!
Jin Jiyan Azadî"

Ich danke Women Defend Rojava für diese wichtigen Worte und wünsche euch noch eine kämpferische Demo.

Keine Nato, kein Staat

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