Grüne Migrationspolitik: Zustimmung als ’ultima ratio’?

veröffentlicht am 22. Januar 2020

Vor den Wahlen befragte no-racism.net einige wahlwerbenden Parteien nach ihren Positionen zu Schubhaft und Abschiebungen. Dabei kam ein fast durchgehender Abschiebekonsens zu Tage. Es hat den Anschein, als sei es insbesondere im Wahlkampf verboten, grobe Menschenrechtsverletzungen anzuprangern. Die Parteien halten sich entweder mit einer Positionierung zurück oder stimmen dem rassistischen Konsens mehr oder weniger zu.

„Im Zuge der Auseinandersetzung mit dem vorherrschenden Abschiebekonsens in Österreich, startete no-racism.net eine Umfrage unter den kleineren Parteien. Die Positionen, die sich aus den Beantwortungen erbeben, zeigen ein erschütterndes Bild: Weit und breit fehlt eine konsequente Haltung gegen Instrumente des staatlichen Rassismus - dieser wird billigend in Kauf genommen.“

Die bereits vor den Wahlen formulierten Antworten stimmen dem rassistischen Konsens und seiner institutionellen Verankerung teilweise mehr, teilweise weniger zu. So übten die Grünen zwar ein wenig Kritik an der gängigen Praxis und den geplanten Verschärfungen, wie an der "Sicherungshaft" oder an Abschiebungen in Kriegsgebiete wie Afghanistan. Doch wie dem Regierungsübereinkommen mit der ÖVP zu entnehmen ist, wurde zumindest die "Sicherungshaft" für die Grünen innerhalb von 100 Tagen Verhandlungen verfassungs- und menschenrechtskonform. Die Position zur unabhängigen Rechtsberater*innen vor den Wahlen lautete: "Deren Unabhängigkeit muss gewahrt bleiben. Dementsprechend scharf kritisieren wir die neu geschaffene Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen und fordern eine rasche, grundlegende Reform." Schon bald wird diese Agentur des Innenministeriums Menschen im Asylverfahren rechtlich beraten - im Verfahren gegen eine andere Behörde des Innenministeriums. Was ist daran unabhängig?

Der Artikel "Gegen Schubhaft und Abschiebungen: Da hab ich keine Wahl!" vom 29. Sep 2019 auf no-racism.net veröffentlicht, diskutiert die Positionen von Grünen, Neos, Der Wandel, Wir können und Jetzt zu Schubhaft und Abschiebungen. Im folgenden der Teil zu den Grünen - und wie sie sich vor den Wahlen selbst positioniert haben:

Grüne - Zustimmung als ’ultima ratio’

Die Grünen haben in der Vergangenheit immer wieder eine kritische Position zu Schubhaft und Abschiebungen eingenommen, ohne jedoch dieses System je grundsätzlich in Frage zu stellen. Bevor ein Blick auf die Befragung geworfen wird, erhält Werner Kogler das Wort. Im Interview mit der Presse vom 22. September gibt er in Anspielung auf die türkise Regierung zu: "Unsere Linie ist nicht großartig anders" und führt aus, "dass die Grünen sehr wohl genau wissen wollen, wer den Schengenraum betritt, wer weiter zieht und was mit den Verfahren dazwischen ist." Er kann nachvollziehen, dass 2015 "immer mehr Menschen beunruhigt" waren, da es "ein Gefühl des Ordnungsverlustes" gegeben habe. Womit hier an die obigen Ausführungen zu den Neos angeschlossen werden kann. Zur Frage durch die Presse zur Bedeutung von Ordnung und "Soll wer abgeschoben werden, wenn es möglich ist, ja oder nein?" antwortet Kogler: "Bei Ländern, wo das möglich ist, schon. Zuvor müssen aber die Gesetze so ausschauen, dass man auch zum Ergebnis solcher Verfahren stehen kann. Das ist nicht immer so. Da spreche ich etwa von der Unsitte, :: in Ausbildung Befindliche abzuschieben. Das ist in mehrfacher Hinsicht dumm. Das, was wir fordern, ist mehrheitsfähig." Er will, dass wie in Deutschland Lehrlinge "mindestens zwei, drei Jahre im Job (bleiben) und wenn das geht, gibt es ein humanitäres Bleiberecht. Das passiert im Einvernehmen mit den ökonomischen Absichten." Kogler lehnt "Abschiebungen in die meisten Regionen in Afghanistan" ab und sieht die Probleme woanders, denn die Migration sei bewältigbar. Und kritisiert, dass "in einigen Ländern eine Stimmung verbreitet wird: Wir werden alle überrannt". Die sei Blödsinn. Nicht die Zahl der Menschen, die derzeit versuchen, nach Europa zu gelangen, sei das Problem, sondern - mit Blick auf die Herkunftsländer: "Die Lösung in Afrika wird schon eine Frage von Wirtschaftsbeziehungen sein. Das wird das Hinterfragen bestehender Handelsstrukturen betreffen. Aus afrikanischer Sicht ist das, was bei uns Freihandelsvertrag heißt, ein Knebelungsvertrag, das muss man erkennen."

Damit veranschaulicht der Grüne Bundessprecher, dass er kein grundsätzliches Problem mit der bisherigen Abschiebepolitik hat. Lediglich die Abschiebepraxis betreffend gibt es Unterschiede. Vor allem beim Vollzug sehen die Grünen aus dem Gesichtspunkt der Menschlichkeit Probleme. So beschreiben sie in ihrer Beantwortung der Fragen von no-racism.net ihre auf "Recht auf Schutz" basierenden Grundsätze folgendermaßen: "Wir fordern eine Asylpolitik, die rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Grundsätzen entspricht und auf einem geordneten Verfahren mit klaren Regeln basiert. Das Recht auf Schutz vor Verfolgung oder Krieg ist ein Menschenrecht, und als solches unabdingbar." Es müssten "sichere, legale und zugängliche Fluchtrouten" geschaffen werden, so dass "zum Beispiel bereits in den Herkunftsländern und deren Nachbarstaaten, die Möglichkeit besteht, einen Asylantrag zu stellen." In Österreich selbst wird "ein faires, rechtsstaatliches, rasches Verfahren" gefordert. Es gehe grundsätzlich darum, "Schutz suchenden Personen Schutz zu gewähren". Hier decken sich die Positionen weitgehend mit jenen von Der Wandel und Neos. Der Abschiebekonsens wird nicht in Frage gestellt, denn: "Rechtskräftig negativ beschiedene Asylverfahren führen zu Rückführungsverfahren." Jedoch müssten :: humanitäres Bleiberecht und menschenrechtliche Standards berücksichtigt werden. So wird gefordert, "dass die Abschiebungen nach Afghanistan umgehend gestoppt werden."

Populistisch wird die Position der Grünen, wenn es um Migration und "klare, transparente und zugängliche Regeln für Zuwanderung" geht. Hier sei "darauf zu achten, dass nicht nur (junge) Männer diese Reise antreten können, sondern auch Frauen realistischen Zugang erhalten." Nicht zu kritisieren ist, dass allen die gleichen Möglichkeiten offen stehen sollten, auch wenn die Realität eine andere ist. Doch warum werden hier "(junge) Männer" extra erwähnt? Wird in Zeiten rassistischer Hetze und Stimmungsmache "da nicht die falsche Vokabel verwendet", vor der Kogler in der Presse warnte? Denn es sind nun mal "(junge) Männer", die insbesondere von der Kurz-ÖVP als die Bedrohung schlechthin dargestellt werden. Mit Bildern wie diesem wird ein :: Spiel mit der Angst betrieben, das der ÖVP bei den Wahlen 2017 einen Sieg bescherte. Die Positionen sind mittlerweile verfestigt. Deshalb verwundert es kaum, dass in der letzten Sitzung des Nationalrates vor den Wahlen das umstrittene Gewaltschutzpaket mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ beschlossen wurde. Es bringt vor allem eine Verschärfung bei sexuellen Gewaltdelikten, die von allen Expert*innen in Zweifel gezogen wurde. Eine intensivere Auseinandersetzung mit diesem Thema findet an anderer Stelle statt, da dies den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Doch der Hinweis, dass diese Diskussion mit dem Bild der angeblichen Bedrohung durch "(junge) Männer" zu tun hat, insbesondere wenn sie "einen anderen Umgang mit Frauen aus ihren Herkunftskulturen gewohnt sind", wie die ÖVP in ihrem Programm von 2017 ausführte, sollte hier nicht fehlen.

Zurück zu den Chancen auf Zuwanderung, die auf legalem Weg für die meisten Menschen nahezu unmöglich ist. In der Realität sind es vor allem die Reichen und Eliten, die ein Visum bekommen. Nicht selten werden Deals ausgehandelt, die die Vergabe von Visa an die Zustimmung zu Abschiebungen knüpfen. Oft sind es korrupte Regierungen, die sich untereinander verständigen, denn spätestens seit Ibiza und der Schredder-Affäre ist bekannt, mit welchen Methoden in Österreich Politik gemacht wird.

Damit sich die Grünen mit der ÖVP auf eine gemeinsame Migrationspolitik einigen können, würde es jedenfalls von beiden Seiten ein Entgegenkommen brauchen. Und hier bieten sich insbesondere die Interessen der Wirtschaft an, mit der die türkis-blaue Truppe eng verflochten ist. Mit der Zustimmung der ÖVP zum Abschiebeschutz von in Ausbildung befindlichen Lehrlingen wurde ein erster Schritt getan, der als ein Entgegenkommen verstanden werden kann. Doch den Grünen schwebt noch etwas mehr vor, wie aus ihren Positionen zu erfahren ist: "Folglich sollen auch Asylwerber*innen, die einen rechtskräftig, negativen Asylbescheid erhalten haben, statt sofort abgeschoben zu werden, die Möglichkeit bekommen, auf anderem Wege, z.B. über die Rot-Weiß-Rot Karte ein Aufenthaltsrecht in Österreich zu bekommen. In diesem Sinne ist die Initiative „Ausbildung statt Abschiebung“ zu verstehen. Menschen sollen nicht aus ihrem gewohnten Lebens- und Arbeitsumfeld gerissen werden." Werner Kogler findet den von Presse-Herausgeber Rainer Nowak eingebrachten Begriff des "ökonomischen Bleiberechts" als "brutal ausgedrückt" und unterstellt türkis-blau in diesem Zusammenhang "ideologische Triebtäterei" und ein "Menschlichkeitsproblem".

Die Position der Schubhaft basiert auf der Verhängung als "letztes Mittel", was mit der gängigen Praxis nicht in Einklang steht, da diese sehr willkürlich verhängt wird - im Ermessen der Behörden, worauf weiter unten noch näher eingegangen wird. Notwendig sei sie, um "rechtmäßige Abschiebungen zu sichern". Da "es sich bei der Schubhaft um keine Strafhaft handelt", darf sie "nicht alleine wegen eines strafrechtlichen Fehlverhaltens verhängt werden". Sie müsse "menschenrechtskonform erfolgen, und bedarf daher einer umfassenden, unabhängigen und regelmäßigen Kontrolle."

Schubhaft wird als notwendig erachtet, um Abschiebungen durchführen zu können, jedoch nur als allerletztes Mittel. Wie in :: Alternativenloser Abschiebekonsens? ausgeführt wird, sind Schubhaft und Abschiebungen jedoch auch in einem realpolitischen Denkrahmen keineswegs notwendig. Die rassistische Ideologie und die Denkverbote rund um das hegemoniale Arrangement machen sie allerdings zur angeblich einzigen Möglichkeit, um die nationale Souveränität zu sichern. Daher wirkt das Gerede von Schubhaft als letztem Mittel, das die Grüne mit Neos und Der Wandel vereint, als eine Art nationale Notwehr, was erstens falsch und zweitens ein rassistisches Denkkonstrukt ist. Dass Schubhaft in der Praxis eher Standard als letztes Mittel ist, wird dabei bewusst ausgeblendet.

Quelle: "Gegen Schubhaft und Abschiebungen: Da hab ich keine Wahl!", no-racism.net, 29. Sep 2019.
Dieser Artikel behandelt die Positionen von Grünen, Neos, Der Wandel, Wir können und Jetzt.

Die komplette Antwort der Grünen auf die Umfrage zu Schubhaft und Abschiebungen hier als PDF.

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Weitere Artikel von no-racism.nett zu den Positionen der Parteien:
:: Der Abschiebekonsens, eine Grundlage rassistischer Politik (28. Sep 2019)
:: Alternativenloser Abschiebekonsens? Positionen wahlwerbender Gruppen zu Schubhaft und Abschiebungen (27. Sep 2019)
:: Positionen der Parteien zur Schließung des Abschiebelagers Fieberbrunn-Bürglkopf (21. Sep 2019)

Artikel aus dem Jahr 2016 zu den Positionen von SPÖ und ÖVP:
:: Ausbeutung und Unterdrückung: Der Rassismus der ’Groß’-Parteien - Teil 1
:: Grenzen und Kontrollzustände: Der Rassismus der ’Groß’-Parteien - Teil 2
:: Wegbereiter des Faschismus: Der Rassismus der ’Groß’-Parteien - Teil 3

Mehr in der Broschüre
:: "Über Zäune springen, Grenzen überwinden. Texte zur Rassismuskrise in Europa, Oktober 2017 - und hier als PDF

Weitere Informationen zum Koalitionsabkommen zwischen ÖVP und Grünen:
:: Regierungsprogramm: Grüner Anstrich für’s türkise „Weiter so“, mosaik-blog.at, 3. Januar 2020
:: Koalitionsabkommen: Ernüchternder Befund. Presseaussendung der asylkoordination vom 2. Jänner 2019 zum Ende der unabhängigen Rechtsberatung und Isolierung von Asylwerber*innen.

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