Weiter spalten oder Zusammenführen? Was ist vom türkis-grünen Weg zu erwarten?

veröffentlicht am 22. Januar 2020

In seinem Gastkommentar in Die Presse vom 9. Jänner 2020 beschreibt Daniel Dettling die seiner Ansicht nach wichtigste Aufgabe der neuen Regierung aus ÖVP und Grünen: "K & K müssen nun das gespaltene Land zusammenführen". Fragt sich, wie dies mit einer auf Spaltung basierenden Politik machbar ist.

In seinem Gastkommentar in Die Presse vom 9. Jänner 2020 beschreibt Daniel Dettling die seiner Ansicht nach wichtigste Aufgabe der neuen Regierung aus ÖVP und Grünen: "K & K müssen nun das gespaltene Land zusammenführen". Fragt sich, wie dies mit einer auf Spaltung basierenden Politik machbar ist.

Daniel Dettling outet sich als Anhänger eines "modernen Konservatismus" - was in sich ein Widerspruch ist. Denn konservativ - auf Traditionen beziehend, an vergangenen Überzeugungen festhaltend - ist genau das Gegenteil von "modern" und hat nicht viel am Hut mit wirklich neuen Entwicklungen - vor allem in Anbetracht der ideologischen Ausrichtung der "neuen Volkspartei".

Auch wenn sich Kurz & Co. moderner Kommunikationsmittel und sozialer Medien ebenso bedienen, wie populistischer Rhetorik, ihre Politik ist sehr rückwärts gerichtet, eben konservativ. Was soll daran gut sein? Das Wiedererstarken der Ideologie des Rassismus in Europa, die mehr und mehr in alle Gesellschaftsbereiche eindringt und diese zu dominieren und bestimmen versucht? Eine Politik von vorgestern, die nach der militärischen Zerschlagung des NS-Regimes mit einem "Nie Wieder" verabschiedet wurde, wird durch Politiker*innen wie Kurz & Co. wieder salonfähig.

"Während Traditionsparteien auf gestrige Mehrheiten mit gestrigen Antworten setzen, geht es Zukunftsparteien um neues Denken", so die Meinung von Dettling. Was ist neu am rassistischen Denken, an der Ausgrenzungspolitik und des sterben lassen im Mittelmeer? Dass die Vernichtungsgedanken, wie sie einst die Nazis in die Tat umsetzten, nun nicht mehr hinter vorgehaltener Hand und im Verborgenen ausgetauscht werden müssen, sondern wieder ganz offen diskutiert werden. Und von Kommentator*innen wie Dettling in Verweis auf den grünen Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann und dessen "neue Idee des Konservativen", folgendermaßen beschrieben wird: "Eine Politik, die Ökonomie und Ökologie ebenso verbindet wie Zusammenhalt und Vielfalt, Sicherheit und Freiheit, Heimat und offene Gesellschaft." Ausgeblendet wird hier, dass die Idee einer offenen Gesellschaft in Österreich mehr und mehr aufgegeben wird, zugunsten einer Ideologie der Ausgrenzung und des Wunsches der Eliten, sich mehr und mehr auf Kosten der Armen zu bereichern. Der "Kuchen" wird neu aufgeteilt - und für jene, die es meisten brauchen würden, werden immer kleinere Krümel über gelassen.

Diese Politik ist die Politik der Spaltung der Gesellschaft: Die Unerwünschten, die "Fremden", die nicht entsprechend ausgenutzt werden können, die Armen, die Kranken, die Alten, ... Sie alle stehen auf der Seite der Verlierer*innen dieser Politik. Außer, sie verfügen über viel, viel Vermögen, um sich die Teilhabe erkaufen zu können, in Form einer Zusatzpension, einer Zusatzversicherung oder einer "Vorsorgewohnung". Es gilt individuell und privat vorzusorgen. Wer sich das nicht leisten kann, hat halt Pech gehabt. So ist das nun mal in der propagierten und auf Leistung ausgerichteten Gesellschaft mit sozialdarwinistischer Prägung. Da zählt der Inhalt der Brieftasche mehr als alles andere. Die gesellschaftliche Position wird gemeinsam mit dem persönlichen Reichtum vererbt - möglichst steuer- und abgabenfrei - und die sozialen Verhältnisse damit in Zukunft verfestigt.

Was macht diese Politik für so viele Leute ansprechend? Der Schein des Neuen, der Veränderung, eine scheinbare Flucht vor der allgemeinen Unzufriedenheit mit dem Leben und den gesellschaftlichen Verhältnissen, in der sich viele Privilegierte benachteiligt fühlen, schwindet bei genauerem Hinsehen. Bei der Frage, was hinter einem "Mix aus rhetorischem Talent, richtigen Themen und modernem Konservatismus" steckt. Es ist die als Rechtspopulismus verharmloste Ideologie eines rechten Konservatismus mit autoritären Zügen, wie er in Österreich in der Zeit des Austrofaschismus seinen Höhepunkt erlebte, bevor die Nazis übernahmen. Es sind rechtsextreme Positionen in Kombination mit einem (neo)liberalen Wirtschaftssystem.

Die ÖVP verehrt nach wie vor Diktator Dollfuß. Sein Porträt hängt zwar nicht mehr im Parlamentsklub, der während der Renovierung des Hohen Hauses ins Ausweichquartier in der Hofburg übersiedelte. Es wurde statt dessen an das "Haus der Geschichte" in Niederösterreich übergeben, wo es in einer Ehrengalerie neben dem italienischen Faschisten Mussolini und dessen Schaukelpferd von den Anhänger*innen vorgestriger Politik bewundert werden kann. Es sind die geistigen Vertreter*innen des Ständestaates, die erneut nach der absoluten Macht streben. Und ihre Maßnahmen, die von den Grünen teilweise vor den Wahlen noch kritisiert wurden, seien plötzlich mit Verfassung, mit Völker- und Menschenrechten vereinbar?

Gegensätze sollen plötzlich vereinbar sein: Die rücksichtslose ökonomische Ausbeutung der Natur mit einer nachhaltigen ökologischen, bzw. ökosozialen Politik? Eine Politik der Ausgrenzung und Abschottung mit "Zusammenhalt und Vielfalt, Sicherheit und Freiheit"? Die Einschränkung der persönlichen Freiheiten und eine Lockerung des Netzes der sozialen Sicherheit mit den Gegensätzen "Heimat und offene Gesellschaft"? Was ist daran neu? Vielleicht ist es, wie Dettling schreibt, der "Mix aus rhetorischem Talent, richtigen Themen und modernem Konservatismus", eine Politik der schönen Worte? Was ist mit dem Mix aus Rechtspopulismus, verhetzender Stimmungsmache und althergebrachten Ideen - neu verpackt? Diese Beschreibung würde besser auf die Politik der Kurzschen ÖVP zutreffen.

Doch damit können nur schwierig Wahlen gewonnen werden, deshalb wird alles in schöne Worte verpackt - und von den tatsächlichen Problemen abgelenkt. Das Herzstück der Kurzschen Politik ist die Migrationspolitik, wie er selbst sagt. Sie dient der Spaltung der Gesellschaft, damit die sozialen Ungleichheiten, die sich mehr und mehr verstärken, nicht als Problem wahrgenommen werden. Die Verursachung sozialer Probleme wird einem neuen Feindbild zugeschrieben. Es sind die Illegalisierten, die Menschen, die es wagen, Grenzen heimlich zu überwinden und Menschen, die auf der Überfahrt übers Mittelmeer ihr Leben riskieren. Und es sind vor allem die Muslim*innen, die als Lieblingsfeindbild auserkoren wurden, um für möglichst alle gesellschaftlichen Probleme verantwortlich zu sein: Armut, Budgetknappheit, sexualisierte Gewalt, häusliche Gewalt, eine Gefahr für die "offene Gesellschaft" und die "liberale Demokratie", eine Bedrohung für die Gleichberechtigung von Frauen usw. Quer durch alle gesellschaftlichen Bereiche wird das Feindbild strapaziert. Und damit die tatsächlichen gesellschaftlichen Probleme ausgeblendet. Was bitte hat diese Form der Hetze mit "rhetorischem Talent" zu tun? Es ist eine Verblendung, ein nicht viel und hintergründig denken zu müssen, die Massen vor Kurz nieder knien lässt, um ihn zu verehren.

Was tun? Daniel Dettling sieht als "wichtigste Aufgabe von Kanzler Kurz und Vizekanzler Werner Kogler": "das gespaltene Land zusammenzuführen: Alt und Jung, Stadt und Land, Ökonomie und Ökologie. Dafür brauchen sie eine gesellschaftliche, keine parteipolitische Mehrheit. In einer Demokratie geht es um mehr als um Geld und Macht. Es geht um das aktive Gestalten der Zukunft, um individuelle und kollektive Sinnstiftung, Wirksamkeit und gemeinsame Freiheiten."

Diese hegemoniale Mehrheit orientiert sich den Wünschen der "Gestalter*innen" an alten Werten und akzeptiert die ungleiche Verteilung von Geld und Macht. Als Dank darf sie sich am Feindbild abreagieren. Welche Zukunft wird dadurch gestaltet? Welcher Sinn liegt dahinter? Was ist daran "kollektiv"? Welche "gemeinsamen Freiheiten" sieht der konservative Schreiberling hier?

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