Präsident*innenwahlen 2024 im #Senegal: Es geht um die Macht

veröffentlicht am 24. März 2024

Westafrika - Am 24. März 2024 finden im Senegal Präsident*innenwahlen statt - mit einem Monat Verspätung, nachdem sie der derzeitige Präsident Macky Sall kurzerhand abgesagt hatte. 17 Kanditat*innen treten an. Der Ausgang ist ungewiss. Es geht um Machterhalt oder "Systemwechsel".

In den vergangenen Jahren geriet die Vorzeige-Demokratie des Senegal immer wieder ins Wanken: Proteste die untersagt und/oder brutal niedergeschlagen, mit Unmengen Tränengas, Gummigeschoßen und scharfer Munition beschossen bzw. niedergerschossen wurden. Einschränkung von Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit, Behinderung und Verfolgung von Journalist*innen, Abschaltungen des Internets und der vorübergehnde Entzug von Lizenzen für Fernsehsender standen an der Tagesordnung. Mehr als 1300 Oppositionelle und Regimekritiker*innen wurden willkürlich verhaftet und teilweise ohne Anklage für Jahre inhaftiert. Präsident Macky Sall bekam den Beinamen "Diktator". Korruption nahm in allen Lebensbereichen zu, insbsondere rund um die bald anlaufende Förderung von Öl und Gas. Oder um die Fischerei vor den Küsten Senegals.

Die Proteste hatten unterschiedliche Auslöser. Es waren in Zeiten der Corona-Pandemie Proteste gegen die zahlreichen Einschränkungen, die vor allem sozioökonomische Auswirkungen hatten. Dann Proteste gegen die Teuerungen. Unzufriedenheit mit der Regierung und zunehmender Korruption. Ein Infrastrukturausbau der vor allem den wohlhabenden Schichten zugute kommt. Wenig bis kaum Perspektiven für viele der jungen Menschen. Oft mit dem Traum, anderswo ein besseres Leben finden zu können. Tote am Weg zu den kanarischen Inseln. Zuletzt die Verschiebung der Wahlen. Und im März 2021 die Verhaftung des Oppositionellen Ousmane Sonko mit dem Vorwurf von mehrmaliger Vergewaltigung und Todesdrohung. Sollte einer der schärfsten Kritiker*innen der Regierung Macky Sall aus dem Weg geschafft werden, der gute Aussichten darauf hatte, nächster Präsident* im Senegal zu werden? (siehe dazu weiter unten und in "Macky Sall - Diktator!" Ein gescheiterter Putschversuch durch den Präsidenten* des #Senegal?)

Die abgesagten Wahlen und das Amnestiegesetz

Dass Macky Sall die für den 25. Februar 2024 geplanten Wahlen, die Présidentielle 2024, nur drei Wochen vorher per Dekret absagte und vom Parlament auf Dezember verschieben ließ, brachte das Fass einmal mehr zum Überlaufen. Es kam erneut zu Protesten, gegen die die Unsicherheitskräfte brutal vorgingen.

Der Verfassungsrat erklärte die Verschiebung der Wahlen als verfassungswidrig und forderte den Präsidenten* auf, die Wahlen so bald wie möglich abzuhalten. Nach Einberufung eines "nationalen Dialoges", der von fast allen Oppositionsparteien und einem Großteil der Zivilgesellschaft boykottiert wurde, sollten die Wahlen am 2. Juni statt finden. Doch auch dies lehnte der Verfassungsrat ab und forderte einen Wahltermin vor dem offiziellen Ende der Amtszeit von Macky Sall am 2. April. Daraufhin wurde als Wahltermin der 24. März festgelegt.

Der "nationale Dialog" wurde von Sall und seinem Gefolge dazu genutzt, ein bereits vorher angekündigtes Amnestiegesetz zu präsentieren. Es soll zur Versöhnung beitragen, so der Präsident*. Dass die Generalamnestie vor allem dazu dienen soll, die derzeitigen Machthaber*innen und ihren Scherg*innen vor späteren Folgen zu bewahren, liegt auf der Hand.

Die Gewalt, die bei der Niederschlagung der Proteste seit 2021 in allen Teilen des Senegal eingesetzt wurde, führte zu unzähligen Verletzten und mindesten 60 Toten. Als Antwort auf die Repression wurden Barrikaden errichtet, Reifen angezündet, Steine geschmissen und umverteilt. Mehr als 1300 Menschen wurden zwischen Februar 2021 und Februar 2024 in Zusammenhang mit politischen Handlungen verhaftet. Viele Leute saßen bis zu drei Jahren teils ohne Anklage hinter Gittern. Es kam zu Folterungen, vor allem im Zuge von Festnahmen. Doch nun kommen sie alle frei. Noch vor den Wahlen. So sieht es das Amnestiegesetz von Macky Sall vor, das am 6. März 2024 vom Parlament mit großer Mehrheit beschlossen wurde.

Die Kritik an der Amnestie kommt von den nun Freigelassenen selbst, den Angehörigen der Toten und der Opposition. Denn die Amnestie bedeutet, dass es weder Aufklärung noch Entschädigung geben wird. Und dass die Folter*innen, Killer*innen und ihre Auftraggeber*innen nie zur Rechenschaft gezogen werden (mehr dazu in Senegal: Versöhnung oder Verhöhnung? Das Amnestiegesetz der Regierung Sall).

„Die senegalesischen Behörden dürfen dieses Gesetz nicht als Vorwand benutzen, um die begangenen Verbrechen zu ignorieren. Stattdessen müssen sie all jene zur Rechenschaft ziehen, die im Verdacht stehen, für die exzessive und tödliche Anwendung von Gewalt gegen Demonstrant*innen strafrechtlich verantwortlich zu sein. Darüber hinaus müssen die Behörden unverzüglich und bedingungslos alle Personen freilassen, die willkürlich festgenommen und strafrechtlich verfolgt werden, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung oder friedliche Versammlung ausgeübt haben.“
Amnesty International Senegal, 5. März 2024

Am 14. März waren unter den Freigelassenen zwei Mitglieder der vor einem Jahr verbotenen PASTEF: Parteichef Ousmane Sonko und Generalsekretär Bassirou Diomaye Faye, seit November 2023 offizieller Kanditat* für die Präsident*innenwahlen. So wie viele andere wurde der "Diomaye-Präsident*", wie er nun genannt wird, nie verurteilt. Er war verhaftet worden, nachdem er sich für Ousmane Sonko einsetzte.

Sonko war immer wieder mit Anklagen konfrontiert. Unter anderem wegen Aufstachelung der Jugend. Verurteil wurde er wegen "Verführung der Jugend". Doch gerade bei Jugendlichen sind Sonko, Diomaye und die PASTEF sehr beliebt. Dass die Freilassung der beiden Oppositionellen ihre Sichtbarkeit erhöht, und dies der Aufmerksamkeit für den eben erst im Zuge einer Regierungsumbildung durch Innenminister* Sidiki Kaba erstetzten unpopulären und nun wahlkämpfenden Ex-Premierminister* Amadou Ba schaden könnte, berichtet WalfNET:

"Jeder öffentliche Auftritt von Ousmane Sonko während des laufenden Wahlkampfs birgt die Gefahr, Dakar lahmzulegen. Es stimmt, dass Ousmane Sonko wie Diomaye Faye aufgrund eines Amnestiegesetzes freigelassen wurde. War es politisch oder gar wahlpolitisch der richtige Zeitpunkt für den Präsidenten* der Republik, das Verfahren zur Freilassung von Ousmane Sonko aus dem Gefängnis wenige Tage vor einer entscheidenden Wahl zu beschleunigen? Und vor allem mitten im Wahlkampf? Die Frage beschäftigt viele Beobachter*innen. (...) der Wahlkampf dürfte aus dem Ruder laufen!"

Zahlreiche Kanditat*innen

Doch nicht nur Ba und Diomaye touren durchs Land. Insgesamt sind 19 Kanditat*innen zugelassen, Habib Sy und Cheikh Tidiane Dièye haben jedoch ihre Kandidatur zurückgezogen, weshalb nun 17 antreten.

Darunter ist eine Frau, Anta Babacar Ngom von der ARC (Alliance pour la relève citoyenne) und Chefin von Sedima, einer der größten Lebensmittel- und Geflügelfirmen des Landes, die von ihrem Vater geründet wurde. Laut Konrad Adenauer Stiftung (KAS) setzt sie "sich für einen radikalen Schnitt mit dem herkömmlichen System ein; dazu soll eine Reform des Bildungssektors, die Einführung eines Zivildienstes und eines Mindestlohns sowie eine Reduzierung der Steuerbelastungen für Angestellte und Firmen gehören."
Ngom will im Zuge einer Industrialisierung u.a. in den Bereichen Fischerei, Landwirtschaft und Verkehr fünf Millionen Erwerbsarbeitsplätze schaffen, davon zwei Millionen für junge Menschen und eine Million für Frauen. So sollen 250.000 agrarindustrielle Komplexe errichtet werden, davon 100.000 in der Region Saint-Louis. Allein dadurch würden eine Million Arbeitsplätze für junge Menschen in verschiedenen Sektoren entstehen. Und sie fügte hinzu, dass dies der irregulären Migration ein Ende setzen würde. (WalfNET)

Ebenfalls antreten werden Serigne Mboup, Geschäftsmann* und Bürger*innenmeister* von Kaolack sowie Mamadou Lamine Diallo, Wirtschafts- und Finanzexperte mit Erfahrung in internationalen Gremien. Letzterer setzt sich für einen allgemeinen Wertekanon wie mehr Respekt und Verantwortung in Politik und Gesellschaft sowie für mehr Effizienz in der Justiz ein, so die KAS.

Oder Khalifa Sall, Vorsitzender von MTS (Manko Taxawu Sénégal), ehemaliger Bürger*innenmeister* von Dakar, Abgeordneter*, Parlamentspräsident* und Minister*. Seine Partei ist im Parlament in der oppositionellen "Befreit die Leute"-Koalition (Libérer le peuple), in der die PASTEF die meisten Abgeordneten stellt. Jedoch gab es in jüngerer Zeit politische Konflikte zwischen Khalifa Sall und Sonko.

Die Anhänger*innen von Diomaye/Sonko und Khalifa Sall sind in den vergangenen Wochen einige male aneinander geraten, wobei es sogar Verletzte gab. Dakar Matin berichtete am 11. März von "Gewaltszenen vom ersten Tag (des Wahlkampfes) an". Zusammenstöße gab es auch zwischen den Anhänger*innen der Koalition "Diomaye President" und jener von Amadou Ba von der Regierungspartei APR (Alliance pour la république).

Ein* weiterer* Kanditat* ist Idrissa Seck. Dieser war bereits mehrmals Bürger*innenmeister von Thiès und von 2002-2004 unter dem Vorgänger* von Macky Sall, Aboulye Wade, Premierminister* und Mitglied von dessen Partei PDS. Im Jahr 2006 gründete er mit Rewmi seine eigene Partei. Er trat bereits mehrmals zu Präsidentschaftswahlen an. 2007 gegen Wade wurde er mit knapp 15 Prozent ebenso Zweiter wie 2019 gegen Sall mit 20,5 Prozent. Die Rewmi gehört der Benno Bokk Yakaar-Koalition von Macky Sall an, die die Mehrheit im Parlament bildet.

Macky Sall selbst war von 2004 bis 2007 Premierminister* unter Wade und danach Präsident* der Nationalversammlung, sowie mehrmaliger Bürger*innenmeister* von Fatick. Er gründete nach Differenzen mit Abdulai Wade eine eigene Partei und gewann 2012 die Stichwahl um den Sitz der*des Präsident*in gegen seinen Vorgänger*. Damals stand die Opposition in der Stichwahl fast geschlossen hinter Sall, doch das hat sich nach zwei Amtsperioden geändert. Selbst aus der Regierungskoalition treten mehrere Kanditaten* an: Aly Ngouille Ndiaye, Thierno Alassane Sall, Mahammad Boun Abdallah Dionne sowie der bereits erwähnte Idrissa Seck.

Der Wunsch nach Veränderung

Dass viele Leute Veränderungen wollen und sich "gegen das Establishment" richten hat nicht nur damit zu tun, dass dies gerade eine Modeerscheinung ist, sondern vielmehr dass bei den vergangenen Wahlen nie wirkliche Oppositionelle gewählt wurden und die Politik meist die wohlhabenden Teile der Bevölkerung bedient. Die bisherigen Präsidenten* hatten "Erfahrung" in hohen Ämtern. Sall und sein Vorgänger Wade waren bis zur Trennung Mitglieder der gleichen Partei, der liberalen PDS.

Einige der jetzigen Kanditat*innen wurden in den 1950er- bzw. 60er Jahren geboren und vor allem viele Jugendliche sehen sich von dieser Generation nicht vertreten und ernst genommen.

Dies spielt den Kanditaten* der PASTEF in die Hände. Gerade unter Jugendlichen haben Politiker*innen wie Sonko und Diomaye (Jahrgang 1980) viel Zuspruch. Ob das zum Sieg reicht, wird sich zeigen. Die Konkurrenz ist groß. Mehrere Kanditat*innen sprechen gezielt die Jugend an. Der 62jährige Amadou Ba will "Präsident* der Jugendbeschäftigung" werden und eine Million neue Erwerbsarbeitsplätze für die Jugend schaffen.

Pape Djibril Fall, ein Parlamentarier* und Journalist beim Privatsender TFM, will einen Ausbau der Infrastruktur, um wirtschaftliche Souveränität zu erreichen und setzt dabei ua. auf den Ausbau des Schienenverkehrs. Er bezeichnet sich selbst als "der jüngste, der patriotischste" der Kandidat*innen.

Nationalismus, Sexismus und Homophobie

Auf Patriotismus setzen etliche Kanditat*innen, insbesondere Diomaye / Sonko. Im Namen ihrer Partei ist dieser Festgeschrieben: PASTEF, die Partei Afrikanische Patriot*innen Senegals für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit. Manche behaupten, Sonko schürt Nationalismus. Sonko selbst wird als Populist bezeichnet, teilweise als "Linkspopulist". Die homophoben Aussagen, die sicher bewusst gefallen sind, um in einer vor allem muslimisch-religiös geprägten homophoben Bevölkerung Aufmerksamkeit zu erlangen, klingen wie eine Bestätigung des Vorwurfs des Populismus. Dass Sonko vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen wurde, entschuldigt keinesfalls sein Verhalten und die abwertenden Bemerkungen über die junge Frau, wegen der er angeklagt wurde.

Wie eine Politik unter Sonko bzw. Diomaye konkret aussehnen wird und welche Maßnahmen gesetzt werden, ob z.B. die Rechte von Homosexuellen weiter eingeschränkt und die Strafen erhöht werden, bleibt ebenso abzuwarten, wie der Umgang mit den Rechten von Frauen. Dass es zu Rückschritten in Hiblick auf emanzipatorische Politik kommt, ist nicht auszuschließen. Doch das wird von den Fans Sonkos meist ausgeblendet oder als Verschwörung dargestellt, seine Argumente gegen Homosexuelle von vielen sogar gutgeheißen. Sie sehen in Sonko einen Hoffnungsschimmer, einen* Politiker*, der für Veränderungen bis hin zum "Systemwechsel" steht. Anziehungskraft entfaltet im Rahmen der Politik der PASTEF vor allem die Deutung in Richtung mehr sozialer Gerechtigkeit, insbesondere für die Jugend. Dass dies gekonnt über soziale Medien verbreitet wird, die von vielen jungen Leuten genutzt werden, verstärkt die Wirkung.

Wie ernst zu nehmen der Kampf gegen Korruption gemeint ist, wird sich zeigen, falls PASTEF bzw. Sonko / Diomaye die Macht erlangen.

"Gegen den Westen" als antikoloniale Haltung?

Fixe Bestandteile im Programm der PASTEF sind Panafrikansimus und Antikolonialismus. Senegal soll aus der Abhängigkeit Frankreichs bzw. Europas heraustreten, was unter anderem mit der Einführung einer eigenen Währung einhergehen könnte. Derzeit gibt es in Senegal die CFA-Franc BCEAO, die Währung der UEMOA, der Westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion (Benin, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Guinea-Bissau, Mali, Niger, Senegal und Togo). Die CFA-Franc war mit einem fixen Wechselkurs an die französiche Franc gebunden, und nun an den Euro, sowie ebenfalls an die CFA-Franc BEAC der Zentralafrikanischen Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft (siehe Wikipedia). Amadou Ba warnt vor einer lokalen Währung und sagte im Wahlkampf: "Wir spielen nicht mit der Währung, weil sie entscheidend für die Entwicklung ist, aber vor allem trägt sie zur Souveränität eines Landes bei."

Den Senegal Politiker*innen wie Sonko oder Diomaye zu überlassen, sei eine Gefahr, ist nicht nur aus regierungsnahen Kreisen immer wieder zu hören. Die beiden verfolgen ein Programm, das viele Veränderungen vorsieht und auf den Unmut in großen Teilen der Bevölkerung setzt.

Neben den bereits genannten Positionen wollen Sonko und Diomaye die Förderung von Bodenschschätzen neu verhandeln. Es geht um eine Kontrolle der Ressourcen durch die lokale Bevölkerung bzw. deren "Vertreter*innen" - und gegen Korruption. Die Mischung aus verschiedenen die Menschen bewegenden Themen und die geschickte Inszenierung macht sie zu den ausichtsreichsten Kanditat*innen bei den Präsident*innenwahlen 2024.

Der Zugang zu Land und Ressourcen

Ressourcen spielen eine wichtige Rolle in den Programmen mehrerer Kanditat*innen: Land, Fisch, Eigenversorgung, Ausbau der Landwirtschaft, Investitionen in Infrastruktur und ein angestrebtes Ende der großen Mengen an Nahrungsmittelimporten sind hier zu nennen. Ebenso die Ausbeutung von Bodenschätzen aus dem Bergbau sowie die kurz vor dem Sprudeln und Strömen stehenden Bohrungen nach Öl und Gas.

Malick Gakou will die Region Thiès, die "reich an natürlichen und mineralischen Ressourcen ist", zum größten Industriezentrum Afrikas machen. In dieser Region ist Armut trotz der vorhanden Ressourcen weit verbreitet. Gakou will soziale Gerechtigkeit und dass der "Reichtum im Untergrund" der lokalen Bevölkerung zugute kommt. Sollte er zum* Präsidenten* gewählt werden, will er die Fischereiverträge mit ausländischen multinationalen Konzernen neu verhandeln, die viele lokale Fischer*innen und in der Fischverarbeitung Tätige in die Armut getrieben haben. Und er will "alle Öl-, Gas- und Bergbauverträge überprüfen". (Dakar Matin)

Boubacar Camara thematisierte in St. Louis, eine im Norden des Landes an der Mündung des Senegal-Flusses gelegenen Stadt, in der viele Menschen von der Fischerei leben, die Fischereiabkommen. Camara will in Infrastruktur investieren und Fischereidocks errichten, eine Kühlkette für Fisch einführen und das Schutzniveau gegen Überfischung und die Ausrottung von Fischarten erhöhen. Und er will die Interessenvertreter*innen der Fischerei in die Gas- und Ölförderung einbeziehen, da die Fischerei davon bedroht ist. Gebiete im Meer, in den gefördert wird, sind großfächige Sperrzonen - auch für Fischer*innen - und es besteht die Gefahr der Umweltverschmutzung mit gravierenden Folgen für Fische und Fischerei. (APS)

Ein weiterer Kanditat*, Daouda Ndiaye, setzt sich für eine Politik der Ernährungssouveränität auf Grundlage von Fischerei und Landwirtschaft ein. Er will die Fischereiabkommen überprüfen und die Interessengruppen stärker einbeziehen. Teil der institutionelle Reformen soll die Verlegung des Fischereiministeriums nach St. Louis sein, "um die Ausbeutung der Ressourcen zu optimieren". Das Landwirtschaftsministerium soll nach Podor übersiedeln, einer Stadt in der Region St. Louis, in der es Potential für Landwirtschaft gibt. Die Maßnahmen in Fischerei und Landwirtschaft sollen vor allem den jungen Menschen auf der Suche nach einer Erwerbsarbeit helfen, um "die senegalesische Bevölkerung zu ernähren." (APS)

Aliou Mamadou Dia, Kandidat* der PUR (Parti de l’Unité et du Rassemblement) kam nach Saint-Louis um sein Projekt "Nite Ak Natangué" vorzustellen. Er will in die Infrastruktur investieren und "das reiche historische Erbe von Saint-Louis bewahren". Er will den Tourismus ankurbeln, eine zweite Brücke über den Fluss in die Altstadt bauen und setzt auf nachhaltige Fischerei: "Ich bin der erste Kandidat*, der die Charta für nachhaltige Fischerei unterzeichnet hat." Bestehende Fischereiverträge sollen ausgesetzt und neu zu verhandelt werden, um willkürliche Lizenzen zu beenden. Sowohl der Schiffsverkehr am Senegal-Fluss als auch der lokale Flughafen sollen ausgebaut werden. (WalfNET)

Mahammad Boun Abdallah Dionne, Verbündeter von Macky Sall und Premierminister von 2014-2019, will als ersten Schritt nach der Wahl "die Annullierung aller Fischereiabkommen, die vom Senegal unterzeichnet wurden." Durch den Bau neuer Fischereihäfen (bisher gibt es nur einen entlang der 700km langen senegalesischen Küste) und Investitionen in Fang und Verarbeitung von Fisch will er die lokalen Produktionskapazitäten erhöhen. Er denkt weit: In der kommenden Legislaturperiode will er zwei Fischereinhäfen errichten und in der darauf folgenden weitere zwei. Dionne fordert mehr Umweltschutz und die Interessenvertreter*innen der Fischerei angesichts des kurz bevorstehenden Beginns von Gas- und Ölförderungen auf, wachsamer zu sein. (APS)

Die Rolle der Zivilgesellschaften

Im Senegal haben in den vergangenen Jahren viele Leute das Wort ergriffen und sich besorgt über die Entwicklungen im Land gezeigt. Die zahlreichen Proteste, von denen viele trotz Verbot statt fanden, sind nur ein Beispiel dafür. Von der Politik werden Transparenz, ein Ende der Korruption und die Einbeziehung der Bevölkerung in ihr Leben betreffende Entscheidungen gefordert. Es gab viele Diskussionen, wie Politik gestaltet werden soll.

Ein Ergebnis dieser Diskussionen ist der Pakt für gute demokratische Regierungsführung, eine Vision für einen Senegal basierend auf Schlussfolgerungen der Nationalversammlung und der Empfehlungen der Nationalen Kommission für die Reform der Institutionen (CNRI). Im Pakt enthalten sind u.a. die Gewährung der bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte aller Bürger*innen, Gerechtigkeit, Rechenschaftspflicht der Regierung auf allen Ebenen, Achtung der Rechtsstaatlichkeit, Förderung einer bürger*innenzentrierten partizipativen Demokratie, verantwortungsvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen sowie die Bekämpfung von Korruption und Veruntreuung öffentlicher Gelder.

Einge Plattformen aus der Zivilgesellschaft, Sursaut Citoyen, Demain Sénégal und Aar Sunu Election, laden die Kandidat*innen ein, diesen Pakt zu unterzeichnen. Bis Anfang März kam 10 der 19 Kandidat*innen dieser Aufforderung nach: (in alphabetische Reihenfolge) Boubacar Camara, Mamadou Lamine Diallo, Cheikh Tidiane Dièye, Mahammed Boun Abdallah Dione, Bassirou Diomaye Faye, El Hadji Malick Gakou, Serigne Mboup, Anta Babacar Ngom, Khalifa Ababacar Sall und Thierno Alassane Sall.

In Folge der zahlreichen Verletzten, Verhaftetetn und Toten bei Protesten seit 2021 sind einige Gruppen entstanden, die Aufklärung und Gerechtigkeit fordern. Durch das Amnestiegesetz von Macky Sall sehen sie ebendiese in Gefahr und befürchten, dass alles unter den Teppich gekehrt wird und die "Vergehen im Zusammenhang mit politischen Aktivitäten" zwischen Februar 2021 und Februar 2024 aus dem Gedächtnis gelöscht werden. Die Frage ist: Werden die brutalen Schläger*innen, Folter*innen und Mörder*innen sowie ihre Auftraggeber*innen aus der Politik je zur Rechenschaft gezogen? Es gibt Stimmen die fordern, dass das Amnestiegesezt von der bzw. der*dem zukünftigen Präsident*in aufgehoben werden und eine Aufklärung der Ereignisse statt finden soll.

Die mehr als 1300 nun nach und nach freigelassenen Aktivist*innen und Oppositionellen sind großteils ohne Anklage in Untersuchungshaft gesessen, während sich die staatlichen und zivilen Schläger*innentrupps der Regierung in Sicherheit wiegen konnten - und durch das Amnestiegesetz weiterhin in Sicherheit wiegen können.

Doch vorerst gilt es, den Ausgang der Wahlen abzuwarten. Ob es zu Manipulationen kommt und das Ergebnis von allen Kanditat*innen anerkannt wird, wird sich zeigen. Es sind viele Blicke auf die westafrikanische Vorzeigedemokratie gerichtet.

Und nach der Wahl wird unabhängig vom Ausgang die Frage stellen: Bleibt die Gesellschaft gespalten oder kommt es zu einer Versöhnung? Eine Voraussetzung dafür ist die Beantwortung einer weiteren Frage: Wer trägt die Verantwortung für die Ereignisse der vergangenen Jahre?


Aktuelle Berichte zu Protesten und Wahlen im Senegal auf EMRAWI:

Berichte aus den vergangenen Jahren auf EMRAWI:

Nachrichten aus dem Senegal (französisch):

Artikel in deutschsprachigen Medien:

Artikel in englischsprachigen Medien:

Hintergrundinfos auf Wikipedia:

Weitere Informationen:

Weiterlesen

zum Thema Anti-Repression:

zum Thema Staat & Herrschaft:

zum Thema Anti-Kolonialismus: