Völkermord an Ovaherero und Nama: Aktivist*innen gestalten Berliner Denkmal für die Mörder um

veröffentlicht am 24. April 2023

Anlässlich des Genocide Rememberance Days in Namibia gestaltet die Gruppe „Beendet die Verehrung von Völkermördern“ (BVV) mit einer Schablone und Sprühfarbe auf dem Berliner Friedhof Columbiadamm den sogenannten „Afrikastein“ um. „Kein rassistisches Gedenken für Nazis und Völkermörder“ steht nun auf dem Stein, der deutschen Soldaten gewidmet ist, die zwischen 1904 und 1908 den Völkermord an den Ovaherero und Nama im heutigen Namibia verübten. Der sogenannte „Afrikastein“ gedenkt außerdem den Mördern des nationalsozialistischen „Afrikakorps“. „Dass es in Berlin keinen einzigen angemessenen Gedenkort für die Ovaherero und Nama gibt, hier aber seit über hundert Jahren so ein Völkermörderstein rumsteht, ist ein Skandal“, erklärt Sascha Effler, Sprecher*in der Grupe „Beendet die Verehrung von Völkermördern“ (BVV).

„Kein rassistisches Gedenken“

Auf dem Friedhof Columbiadamm ergänzte die Gruppe „Beendet die Verehrung von Völkermördern“ (BVV) mit einer Schablone und Sprühfarbe den dankenswerter Weise bereits durch eine vorherige Aktion blutrot gefärbeten „Afrikastein“ mit dem Slogan: „Kein rassistiches Gedenken für Nazis und Völkermörder!“ Auch die 2009 am Fuße des Steins angelegte „Namibia-Gedenkplatte“ kommentierte die Gruppe mit Überklebern. Das Wort „Kolonialkrieg“ ersetzten sie durch das Wort „Genozid“. Eine Leerstelle auf der Platte nutzten die Aktivist*innen, für eine Ergänzung der Widmung. Diese lautet nun: „Die Bezirksverordnetenversammlung und das Bezirksamt Neukölln von Berlin wollten hier nicht ’Genozid’ schreiben, weil das Reparationszahlungen begründen könnte“.

Der Genozid an Ovaherero und Nama

Anlass der Aktion ist der in Namibia veranstaltete Genocide Rememberance Day. Dieser wird am 22. April veranstaltet, da der deutsche General Lothar von Trotha an diesem Datum vor 118 Jahren, in 1905, den Vernichtungsbefehls gegen die Nama erlassen hat. Dieser zweite Vernichtungsbefehl folgte seinem im Anfang Oktober 1904 erlassenen ersten Vernichtungsbefehl gegen die Ovaherero. Nach Schätzungen von Historiker*innen wurden im Zuge dieser Vernichtungsbefehle mindestens 65.000 der zur Zeit lebenden 80.000 Ovaherero und mindestens 10.000 der 20.000 Nama ermordet.

Der Völkermörderstein auf dem Friedhof Columbiadamm ist sieben deutschen Soldaten gewidmet, die sich an dem Genozid beteiligt haben.

Gedenkstein für Faschist*innen

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Völkermörderstein außerdem mit der Gravur einer Palme auf rotem Grund mit dem Schriftzug „AFRIKA 1941-1943“ versehen. Diese soll an die Nazi-Mörder, welche im 2. Weltkrieg auf dem afrikanischen Kontinent starben, gedenken. Das ist kein Zufall: Das „Braunhemd“ der SA wurde direkt von der Uniform der deutschen Kolonialtruppe übernommen. „Die den Vernichtungskrieg der Nazis verharmlosende Palme an der Seite des Steins haben wir einfach bis zur Unkenntlichkeit vollgesaut!“, erklärt Sascha Effler, Sprecher*in der Gruppe BVV. Entgegen gängiger Narrative haben die deutschen und italienischen Faschisten auch auf dem afrikanischen Kontinent ihrer rassistischen und antisemitischen Ideologie entsprechend Menschen in Konzentration- und Arbeitslager gezwungen und insbesondere Jüd*innen ermordet.

Verharmlosung von Völkermord

Ausgerechnet zum Fuße dieses Völkermörderstein befindet sich bis heute das einzige Denkmal in Berlin, das vermeintlich den Opfern des Genozids, den Ovaherero und Nama gedenken soll. Ganze fünf Jahre hat die Erstellung dieser 2009 errichteten „Namibia-Gedenkplatte“ gedauert. Heraus kam eine „Verharmlosung von Völkermord“, die „nicht für die Versöhnung mit Namibia geeignet ist“, wie der Afrika-Rat, der Berliner Entwicklungspolitische Ratschlag (BER), Berlin Postkolonial, die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD Bund), p.art.ners berlin-windhoek, Solidaritätsdienst-international (SODI) und die Werkstatt der Kulturen in einer gemeinsamen Pressemitteilung erklärten.

„Die Grundlage für Versöhnung mit Namibia ist, die von Deutschen begangenen Taten in ihrer Grausamkeit zu benennen und anzuerkennen“, sagt Armin Massing vom Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag in der Pressemitteilung. Stattdessen werde aus Angst vor möglichen Entschädigungsforderungen der Begriff „Völkermord“ vermieden. Auch Israel Kaunatjike, in Berlin lebender Ovaherero-Vertreter, findet klare Worte zur Namibia-Gedenkplatte: „Uns ärgert, dass weder der Völkermord benannt wird noch die Opfergruppen. Zudem ist es vollkommen unverständlich, warum keine Vertreter von Herero und Nama aus Namibia zur Enthüllung eingeladen worden sind. Es ist wie in der Kolonialzeit: Es wird über uns gesprochen, nicht mit uns.“

Bezirksverordnetenversammlung beschließt Umgestaltung

Erst seit 2021 erkennt die deutsche Regierung den Völkermord an den Ovaherero und Nama an. Bei dem zwischen der deutschen und der namibischen Regierung ausgehandelten Versöhungsvertrag durften Ovaherero und Nama nicht mit am Verhandlungstisch sitzen. Reparationszahlungen für die Nachfahren der Betroffenen wurden nicht beschlossen.

Nachdem die Bundesregierung das grüne Licht gegeben hat, den Völkermord auch Völkermord nennen zu dürfen, beschloss Anfang 2023 die Bezirksverordnetenversammlung Neukölln eine Umgestaltung des „Gedenkensembles auf dem Garnisionsfriedhof Columbiadamm“.

Im Beschluss heißt es: „Das Bezirksamt wird ersucht, das Ensemble zum Gedenken an die Opfer des Völkermordes an den Ovaherero und Nama auf dem Garnisonsfriedhof umzugestalten. […] Im Rahmen der Erstellung des Konzepts soll die Entfernung des sogenannten Hererosteins […] angestrebt werden. Im Rahmen der Umgestaltung soll ein würdiges Denkmal an die Opfer des Völkermordes an den Ovaherero und Nama entstehen.“ Sollte der Völkermörderstein tatsächlich vom Friedhof entfernt werden, so sieht der Antrag bereits ein neues Zuhause für ihn vor: Die Dauerausstellung „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“ in der Zitadelle Spandau. Immerhin sollen nach dem Beschluss an dem Konzept zur Umgestaltung die Interessenverbände der Ovaherero und Nama und „Berlin Postkolonial“ eingebunden werden.

Kein würdiges Gedenken

Sascha Effler von der Gruppe „Beendet die Verehrung von Völkermördern“ (BVV) kritisiert: „Die Bezirksverordnetenversammlung kriegt es immer noch nicht hin, eine Entfernung des Steines aus der Öffentlichkeit zu beschließen. Mit der Verlegung des Völkermördersteins in die Dauerausstellung ’Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler’ würde der Stein an einen vielbesuchten Ort gelangen, während das neue Denkmal für die Erinnerung an die ermordeten Ovaherero und Nama jenseits der Öffentlichkeit und völlig Fehl am Platz auf einem Garnisionsfriedhof zwischen lauter kriegsverherrlichenden Denkmälern stehen würde. Ein würdiges Gedenken sieht anders aus.“

Kriegsverherrlichende Nachbarschaft

Auf dem Garnisonsfriedhofs stehen jede Menge weitere inakzeptlable Denkmäler aus der Zwischenkriegszeit, die das undemokratische Kaiserreich verherrlichen und zur Revanche gegen Frankreich aufrufen. Die meisten dieser Denkmäler für kaiserliche Truppen tragen Ergänzungen, die auch Nazi-Soldaten gedenken. Und schräg gegenüber ist auch noch der neue Friedhof, der für die Völkermörder des Vernichtungskrieges in Russland im zweiten Weltkrieg gedacht war und auf dem die Bundeswehr bis heute jährlich vor faschistischer Kulisse den Gefallenen gedenkt. „Unsere Umgestaltung des Völkermördersteins ist ein konkreter Konzeptvorschlag im Sinne der Bezirksverordnetenversammlung“, so Sascha Effler: „Naja. Eigentlich wäre unser Vorschlag, über sämtliche kriegsverherrlichenden und den Nationalsozialismus und Genozide relativierenden Denkmäler auf dem Friedhof mit dem Bulldozer drüber zu fahren. Leider war das jenseits unserer Möglichkeiten.“

Auf dem Friedhof Columbiadamm könnte nach dem Entfernen der Denkmäler ein Mahnort für die schändliche Geschichte deutscher Erinnerungskultur entstehen, die stets mehr mit der Erinnerung an die Täter als der Erinnerung an die Opfer beschäftigt war. „Ein würdiges Gedenken für die Opfer des Völkermords an den Ovaherero und Nama ist nur an einem gut besuchten Ort und unter Einbeziehung von Ovaherero und Nama in die Denkmalgestaltung möglich“, so Sascha Effler.

Ovaherero und Nama ernstnehmen

In Namibia veranstalten die Nama Traditional Leaders Authority (NTLA) und die Ovaherero Traditional Authority (OTA) derweil vom 21.4. bis zum 23.4. auf Shark Island den Genocide Remembrance Day, auf dem sie sich für eine Erinnerungskultur zum Genozid einsetzen. Zu diesem Anlass wollten NTLA und die OTA ein eigenes Denkmal einweihen. Dafür verwährte ihnen die namibische Denkmalschutzbehörde jedoch die Genehmigung. Es ist dringend an der Zeit, dass Ovaherero und Nama zugehört wird und ihre Anliegen ernstgenommen werden.

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