Die Smartmeter-Ausrollung und die Lügen der Herrschenden

veröffentlicht am 20. Juli 2021

Oder: Die Wanze in deiner Stromversorgung

Im Folgenden gibt die anarchistische Basisgewerkschaft Wiener ArbeiterInnen-Syndikat (WAS) ein Überblick darüber, warum man den neuen „intelligenten“ Stromzähler, einen gewaltigen Schritt in Richtung Überwachungskapitalismus, ablehnen sollte. Zudem wird über die falschen Behauptungen der Wiener Netze aufgeklärt, welche sagen, dass man ein „smartes“ Messgerät installieren lassen muss. Am Ende haben wir noch ein paar konkrete Tipps, was zu tun ist, wenn die Wiener Netze versuchen, bei Euch einen Smartmeter zu installieren.

Einige von unseren Mitgliedern haben in letzter Zeit Post von den Wiener Netzen bekommen, in welcher sie „informiert“ wurden, dass jetzt ein super toller neuer „smarter“ Stromzähler bei ihnen installiert wird, der ganz viele neue Vorteile bringt. Diese Briefe enthalten schön designte Hochglanz-Werbebroschüren, in denen der neue Smartmeter gepriesen wird, nur eines enthalten sie nicht: die Wahrheit. Denn es wird – entgegen der Gesetzeslage – behauptet, dass die Installation des neuen Gerätes verpflichtend sei. Doch zuerst muss erklärt werden, was ein Smartmeter überhaupt ist.

Intelligente Stromzähler und warum sie abzulehnen sind

Ein Smartmeter, der den herkömmlichen Ferraris-Zähler ersetzen soll, ist ein sogenanntes „intelligentes“ Messgerät für den Stromverbrauch. Anders als der Ferraris-Zähler, der nur einmal im Jahr abgelesen wird, misst der Smartmeter fortlaufend, wie viel Strom verbraucht wird, und bei Wien Energie sollen diese Daten vorerst im 15-Minuten-Takt verschickt werden. Dies bringt den Stromkonzernen einen unfassbaren Berg neuer Daten über den einzelnen konsumierenden Haushalt ein.

Diese Daten beinhalten: wann man zu Hause ist, zu welchen Tageszeiten man wie viel Strom verbraucht etc. Anhand des Stromverbrauchs können einzelne Tätigkeiten bzw. Geräte erkannt werden. Ob bzw. wann die Waschmaschine, Geschirrspüler, Fernseher läuft; ob wir unser Mittagessen im Ofen, am Herd oder in der Mikrowelle zubereiten, ob bzw. wann wir duschen usw. Selbst Typen von Haushaltsgeräten können erkannt werden. Mit sekundengenauer Messung kann sogar festgestellt werden, welches Fernsehprogramm wir schauen! All das gibt nicht nur den Stromkonzernen die Möglichkeit, unsere Nutzungsprofile anzupassen, sondern auch die Strompreise zu genau jenen Tages- oder Wochenzeiten zu erhöhen, wenn der Stromverbrauch des einzelnen Haushalts am höchsten ist.

Es entsteht noch dazu der erwähnte Berg an Daten, die bekanntlich das Gold des Informationszeitalters sind. All diese Daten können weiterverkauft werden. Das ist nämlich ein weiteres Problem des „intelligenten“ Messgerätes: die Sicherheit.

Anders als der Ferraris-Zähler, der schön analog und mechanisch den Stromverbrauch misst und nur physisch ausgelesen wird, ist der Smartmeter ein digital vernetztes Gerät, das jederzeit von außen ausgelesen oder anders konfiguriert, oder sogar gehackt werden kann. Sogar Blackouts können so verursacht werden, von Abstellung des Stroms aus der Ferne in einzelnen Haushalten ganz zu schweigen.

Neben den Daten hat die Stromwirtschaft aber noch zwei weitere große Interessen an der Einführung der digitalen Zähler. Einerseits sollen Arbeitsplätze abgeschafft werden, um die Gewinne zu erhöhen. Noch viel wichtiger ist jedoch die Tatsache, daß aus der sowieso schon maroden europäische Strominfrastruktur noch mehr Leitungskapazitäten herausgepresst werden kann – ohne Investitionen in die Netze zu tätigen. Dies ist für die kommende E-Mobilität von zentraler Wichtigkeit für die Stromkonzerne und durch die sekundengenauen Daten und die Möglichkeit der selektiven Fernabschaltungen von Verbrauchern soll die Netzinfrastruktur am oder über dem totalen Limit betrieben werden, bei geringst möglichen Kosten. Die privatisierte Britische Eisenbahn lässt grüßen, …

Eine weitere Behauptung der Stromkonzerne ist, dass sich durch die Smartmeter Strom sparen ließe. Das wird allein dadurch ad absurdum geführt, dass Montage, Betrieb und Wartung der Smartmeter selbst Kosten verursacht bzw. Strom verbraucht, viel mehr als bei einem Ferraris-Zähler, die wiederum irgendwann mit Sicherheit auf die KundInnen abgewälzt werden.

Die rechtliche Lage

Gemäß Elektrizitätswirtschafts- und Organisationsgesetz (ElWOG) § 83 Abs 1 ElWOG „hat der Netzbetreiber den Wunsch eines Endverbrauchers, kein intelligentes Messgerät zu erhalten, zu berücksichtigen.“ Das ist eigentlich eine sehr klare Aussage, doch leider gibt es mit der Intelligente Messgeräte Einführungsverordnung (IME-VO) eine Verordnung des Wirtschaftsministeriums, die offensichtlich im Interesse der Stromkonzerne gemachte wurde und in Widerspruch zu dem Gesetz steht. Da ist plötzlich die Rede davon, dass man ein „intelligentes“ Messgerät bekommen muss.

Es werden nur auf Wunsch der KundIn bestimmte Funktionen des Smartmeters wie die viertelstündliche Übertragung der Messwerte deaktiviert. Die Zählung in 15 Minuten-Intervallen passiert weiter. Das nennen sie dann Opt-out. Es ist offensichtlich, dass das ein gewaltiger Schmarr‘n ist: wie bereits dargelegt, kann das Gerät jederzeit von außen anders konfiguriert werden, sodass trotzdem alle Daten abgesaugt werden.

Außerdem geht es auch nicht darum, dass die Daten sofort übermittelt werden. Es geht darum, dass Daten anfallen, und dass es verfassungswidrig ist, dass nicht notwendige Daten überhaupt erzeugt werden. Bzw.erkennt auch der Oberste Gerichtshof an, dass „es bereits eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Grund- und Menschenrechts darstellt, wenn sich ein Betroffener durch die Art der Anbringung und dem äußeren Anschein nach einem ständigen Überwachungsdruck ausgesetzt fühlt.“ Und das ist ganz klar der Fall bei einem Gerät, dass jederzeit von außen gelesen werden kann, ohne dass man es merkt.

Dieser Datenschatz weckt Begehrlichkeiten. Es wäre naiv, zu glauben, dass solche Dinge wie „abgeschaltete“ Smartmeter nicht gehackt und ausgelesen werden.

Normalerweise ist in der Hierarchie des Rechts klar: Gesetz sticht Verordnung. Deshalb hat ein rechtliches Vorgehen gegen die Zwangseinführung von Smartmetern eigentlich gute Chancen. Allerdings hat vor kurzem der Verfassungsgerichtshof aus formaljuristischen Gründen über eine derartige Klage nicht entschieden (die ganze Geschichte dazu könnt ihre auf der Website der Anwaltskanzlei Wallner Jorthan nachlesen). Was jedoch trotzdem klar ist: solange die Sache nicht ausjudiziert ist, haben die Wiener Netze kein Recht, gegen den Willen von KundInnen einen Smartmeter zu installieren!

Briefe von den Wiener Netzen und unser Widerstand

Mehrere unserer Mitglieder erhielten bis jetzt die bereits erwähnten Briefe der Wiener Netze. Darin wird behauptet, es müsse auf jeden Fall ein Smartmeter installiert werden. Allerdings könne man gewisse Funktionen deaktivieren. Dass eine komplette Ablehnung unmöglich sei, ist jedoch eine Lüge, wie wir oben unter Bezug auf die Gesetzeslage dargelegt haben. Wir empfehlen daher allen, die einen solchen Brief erhalten, umgehend an die Wiener Netze zurückzuschreiben, dass man keinen Smartmeter will, auch keinen mit teilweise deaktivierten Funktionen. Ein Formschreiben haben wir unten verlinkt.

In den bisher bekannten Fällen haben die Wiener Netze zuerst versucht, den Protest zu ignorieren bzw. reagieren sie mit weiteren Falschinformationen und geben trotzdem einen Montagetermin bekannt. Bei diesem Termin muss man halt beim Zählerkasten physisch anwesend sein und der MonteurIn sagen, dass man keinen Smartmeter haben will. Bei unseren Mitgliedern hat das bisher ausnahmslos gut und ohne viele Widersprüche funktioniert. Es hat sich immer um externe Firmen gehandelt, denen es einfach egal war.

Sollte es so sein, das Ihr eineN MonteurIn habt, die das unerwarteter Weise durchziehen will, dürft ihr euch nicht einschüchtern lassen. Gut ist es hierbei, das Protestschreiben ausgedruckt dabei zu haben – als Argumentationshilfe bezüglich der rechtlichen Grundlagen. Es macht auch Sinn, das Protestschreiben direkt auf Eurem Zähler aufzuhängen, falls er außerhalb der Wohnung ist. Die ersten unserer Mitglieder haben bereits 2020 die Montage eines Smartmeters beim Monagetermin abgelehnt und seither keine weiteren Probleme oder Kontaktaufnahmen durch die Wiener Netze gehabt.

Der gute alte Ferraris-Zähler.

Lasst auf keinen Fall zu, dass sie Euren Ferraris-Zähler durch eine Wanze ersetzen, die jedes bisschen Strom, das ihr verbraucht, aufzeichnet und die Daten weiterleitet!

Die blutig erkämpften Bürgerrechte sind derzeit mehr denn je bedroht. Die Corona-Pandemie brachte eine massive Zwangsdigitalisierung aller Lebensbereiche, und damit ganz neue Techniken der totalen Überwachung aller menschlichen Aktivitäten und Verhaltens. Es ist unser aller Aufgabe, sich gegen diese Offensive der Herrschenden zu wehren und dem Widerstand entgegenzusetzen! Der Smartmeter ist ein Teil von alldem, auch wenn er schon vor Corona ausgeheckt wurde. Lassen wir nicht zu, dass uns der Staat und private Datenkapitalisten auch noch das letzte Stückchen Privatsphäre nehmen!

Nein zum Smartmeter!

Weitere Materialien zum Thema:

Formschreiben für die Ablehnung eines Smartmeters (PDF, 77kB):
einfach ausdrucken und dann händisch AbsenderIn, Datum und eure Zählerpunktnummer eintragen sowie unterschreiben

Artikel Anderer:

Video vom 32C3 „Wie man einen Blackout verursacht

Erstveröffentlichung dieses Artikels am 19.07.2021 auf der Internetseite des WAS

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